Parlamentskorrespondenz Nr. 399 vom 29.06.2000

NATIONALBANKSPITZE MIT NACHDRUCK FÜR BUDGETKONSOLIDIERUNG

Liebscher und Tumpel-Gugerell im Finanzausschuss

Wien (PK) - Im Finanzausschuss stand heute zunächst der Bericht der Nationalbank-Spitze zur Geld- und Währungspolitik der Europäischen Zentralbank auf dem Programm. Gouverneur Dr. LIEBSCHER informierte über die Hintergründe der bisherigen Zinsentscheidungen des Euro-Systems, analysierte die Kursentwicklung des Euro und referierte über das optimale Zusammenspiel der verschiedenen Bereiche der Wirtschaftspolitik. Liebscher unterstrich die Notwendigkeit einer Fortsetzung der Konsolidierungspolitik und begrüßte die Ankündigung der Bundesregierung, in den nächsten Monaten ein ehrgeizigeres Stabilitätsprogramm vorzulegen, das auch für Österreich die baldige Erreichung eines ausgeglichenen Staatshaushalts ermöglicht.

Die gegenwärtige Hochkonjunktur ist laut Liebscher eine einmalige Gelegenheit, den Weg der Budgetkonsolidierung entschlossen zu beschreiten. Dazu gehört eine grundlegende Reform der Pensionssysteme. Auch die Krankenversicherung müsse auf eine dauerhaft finanzierbare Basis gestellt werden. Budgetkonsolidierung vermeide zum gegenwärtigen Zeitpunkt überdies eine prozyklische Haltung der Fiskalpolitik und mindere den Druck auf die Geldpolitik, die Zinsen zur Eindämmung steigender Inflationsrisiken anzuheben.

Den Rückgang der europäischen Defizitquote bezeichnete  Vizepräsidentin TUMPEL-GUGERELL als "ausgesprochen langsam", erst 2002 werde mit 0,3% des BIP beinahe ausgeglichen sein. Die Regierungen nutzen die günstige Konjunktur nicht ausreichend zur Budgetsanierung, fügte die Vizegouverneurin der Nationalbank in ihrem Referat hinzu.

LIEBSCHER: STABILE PREISE, STRUKTURREFORM, BUDGETKONSOLIDIERUNG 

Die Geldpolitik des Euro-Systems, ruht auf zwei Elementen, erläuterte Gouverneur Dr. LIEBSCHER und nannte die Konkretisierung der Preisstabilität und ein breites Indikatorensystem zur Einschätzung von Inflationsrisken. Die Preisstabilität wird mit einer Inflationsrate von unter 2 % definiert. Das Indikatorenkonzept besteht erstens aus dem Referenzwert für das Wachstum der Geldmenge M3, die für 1999 und 2000 jeweils mit 4,5% festgelegt wurde. Dazu kommen  zweitens Indikatoren, die Rückschlüsse auf die künftige Inflationsentwicklung ermöglichen. Diese beiden Säulen seien aber nicht als Zielgrößen oder Regelbindung im Sinne automatischer geldpolitischer Reaktionen zu verstehen.

Nach der Verschiebung der geldpolitischen Rahmenbedingungen im Laufe des Jahres 1999 deuteten laut Liebscher beide Säulen der geldpolitischen Strategie auf eine Zunahme der Aufwärtsrisken für die künftige Preisstabilität hin. In Konsequenz dessen beschloss der EZB-Rat am 4.11.1999 eine Anhebung der Leitzinssätze um jeweils 50 Basispunkte. Als zu Beginn des Jahres 2000 sich der Preisdruck weiter verstärkte, das Geldmengenwachstum beständig vom Referenzwert abwich, das Wachstum der Kreditvergabe eine großzügige Liquiditätsversorgung im Euro-Raum anzeigte und Ölpreise sowie Wechselkursentwicklung gegenüber dem Dollar zu steigenden Importpreisen führten, reagierte der EZB-Rat mit einer sukzessiven Straffung des geldpolitischen Kurses: Von Februar 2000 an wurden die Leitzinsen in vier Schritten jeweils um 25 Basispunkte angehoben, was zu einem Zinsniveau von 3,75 % für den Hauptrefinanzierungssatz führte.

Die jüngste Zinserhöhung vom 8. Juni erfolgte vor dem Hintergrund eines sich weiter beschleunigenden Konjunkturaufschwungs. Die Erhöhung der Leitzinsen um 50 Basispunkte auf 4,25 % zeige die Entschlossenheit des EZB-Rates, aufkeimenden Preisstabilitätsrisiken von Beginn an entschieden entgegenzutreten. Gleichzeitig wurde das geldpolitische Instrumentarium geändert und die Hauptrefinanzierung der Geschäftspartner ab 28.6.2000 auf einen Zinstender mit einer Zinsuntergrenze umgestellt.

DAS EUROSYSTEM VERFOLGT KEIN WECHSELKURSZIEL

Kritischen öffentlichen Kommentaren über den erheblich gesunkenen Außenwert des Euro begegnete Gouverneur Dr. Liebscher mit dem Hinweis, dass die Geldpolitik primär darauf abziele, den inneren Wert der Währung zu sichern. Er wies auf die niedrige Inflationsrate im Euro-Raum hin und sprach davon, dass das Eurosystem sein geldpolitisches Ziel bislang hervorragend gemeistert habe. Das Eurosystem verfolge kein Wechselkursziel, der Wechselkurs sei keine Zielgröße der Geldpolitik des Eurosystems, er sei gemeinsam mit anderen Indikatoren Bestandteil der zweiten Säule. Der Euro genieße hohes internationales Vertrauen, ist zu einem Eckpfeiler des internationalen Währungssystems geworden und etabliert sich zunehmend als Anlage- und Emissionswährung sowie als Ankerwährung für die Wechselkurspolitik zahlreicher europäischer und außereuropäischer Länder. Die Finanzmärkte erkennen, dass der Euro unter seinem durch die wirtschaftlichen Fundamentaldaten gerechtfertigten Kurs liegt und mittelfristig erhebliches Aufwärtspotential hat, das zeigen die Kurserholungen seit Mitte Mai an, sagte Dr. Liebscher.

Eine Währung sei langfristig nur so stark wie ihre Wirtschaft.  Es sei daher unabdingbar, dass auch die nationalen Wirtschaftspolitiken die erforderlichen Maßnahmen setzen, um das Vertrauen der Marktteilnehmer in die Wirtschaftskraft des Euroraums auf Dauer zu gewinnen.

WIRTSCHAFTSPOLITISCHE SIGNALE DES JÜNGSTEN EUROPÄISCHEN RATES

In weiterem Verlauf seiner Ausführungen erklärte Gouverneur Dr. Liebscher die neue Konstellation zwischen Geld-, Fiskal-, Lohn- und Strukturpolitik seit Beginn der Währungsunion, wobei er darauf Wert legte, diese Bereiche als klar definierte und voneinander abgegrenzte Verantwortungsbereiche zu bezeichnen.

Der Europäische Rat von Lissabon habe deutlich signalisiert, dass es um eine stabilitätsorientierte makroökonomische Wirtschaftspolitik mit verstärkten Strukturreformen und einer Modernisierung der Systeme der sozialen Sicherung gehe, wobei die Geldpolitik ihren besten Beitrag zu nachhaltigem Wachstum leiste, wenn sie ihr vorrangiges Ziel der Preisstabilität glaubwürdig sichert. Zentrale Bedeutung hat die fiskalpolitische Konsolidierungspolitik mit dem Ziel ausgeglichener Budgets oder der Erwirtschaftung von Budgetüberschüssen. Dies untermauert die Glaubwürdigkeit des Euro, senkt die Risikoprämien auf den Finanzmärkten und schafft budgetären Spielraum für Phasen des wirtschaftlichen Abschwungs.

In diesem Zusammenhang begrüßte Gouverneur Dr. Liebscher die Ankündigung, in den nächsten Monaten ein ehrgeizigeres Stabilitätsprogramm vorzulegen, das auch für Österreich die baldige Erreichung eines ausgeglichenen Staatshaushalts ermöglicht. Die gegenwärtige Hochkonjunktur ist laut Liebscher eine einmalige Gelegenheit, den Weg der Budgetkonsolidierung entschlossen zu beschreiten. Dazu gehört eine grundlegende Reform der Pensionssysteme. Auch die Krankenversicherung müsse auf eine dauerhaft finanzierbare Basis gestellt werden. Budgetkonsolidierung vermeide zum gegenwärtigen Zeitpunkt überdies eine prozyklische Haltung der Fiskalpolitik und mindere den Druck auf die Geldpolitik, die Zinsen zur Eindämmung steigender Inflationsrisiken anzuheben.

Hohe Verantwortung sprach der Notenbank-Gouverneur den Tarifpartnern zu und erinnerte an die erfolgreiche Einkommenspolitik der Sozialpartner, die zur Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft beigetragen hat. Es liege im Interesse der Tarifpartner, dass auch in der Währungsunion Preisstabilität und Beschäftigungswachstum kompatibel sind.

Dritter Reformbereich ist für Liebscher die Strukturpolitik. Beschränkungen und Verzerrungen auf den Arbeits-, Güter- und Kapitalmärkten seien ein Hindernis für Investitionen, Beschäftigung und Wachstum. Übertriebene Regulierungen der Märkte und überholte Zugangsbeschränkungen zu Gewerben und Berufen müssten beseitigt, die Risikokapitalmärkte breiter und tiefer werden, um Innovatoren und Unternehmen die Möglichkeit zur Umsetzung ihrer Projekte zu bieten. Die eingeleiteten Deregulierungsschritte im Telekom- und Elektrizitätsbereich seien fortzusetzen und auszudehnen, schloss Gouverneur Dr. Liebscher.

TUMPEL-GUGERELL: EIN FESTER UND BREITER KONJUNKTURAUFSCHWUNG

Vizegouverneurin Dr. TUMPEL-GUGERELL befasste sich mit der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung in- und außerhalb Österreichs sowie mit grenzüberschreitenden Chancen und Risken. Im Euroraum hat sich der Konjunkturaufschwung seit Jahresbeginn deutlich verfestigt und fußt auf einer breiten Basis. Das BIP stieg im ersten Quartal um 3,2 %, Investitionen und ein starkes Exportwachstum von 12,6 % charakterisieren die Entwicklung. Besonders erfreulich sei der Rückgang der Arbeitslosenquote um einen Prozentpunkt auf 9,2 % im letzten April. Die Wachstumsdifferenz gegenüber den USA (+5 %) blieb bestehen.

Für das Jahr 2000 werden im Euroraum Wachstumsraten von bis zu 3,5 % prognostiziert, 2001 wird sich das Wachstum wegen des Abflauens der US-Konjunktur, den Nachwirkungen des Ölpreisanstiegs, der Zunahme der langfristigen Zinsen und infolge der Straffung der Geldpolitik etwas verlangsamen.

Die Wachstumsraten der Mitgliedstaaten nähern sich an, registrierte Dr. Tumpel-Gugerell, wodurch die Geldpolitik des Eurosystems effektiver wird. Der Rückgang der Defizitquote sei aber ausgesprochen langsam, sagte Tumpel-Gugerell, erst 2002 werde mit 0,3% des BIP ein beinahe ausgeglichener Wert erreicht. Die Regierungen nutzen die günstige Konjunktur nicht ausreichend zur Budgetsanierung, sagte die Vizegouverneurin.

Österreich lag 1999 mit einem Wachstum von 2,2 % im Mittelfeld des Euroraums. Mit prognostizierten 3,4 % im Jahr 2000 hält der Aufschwung weiter an. Der Export wird durch den Eurokurs, der private Konsum durch die Steuerreform stimuliert. Der Preisauftrieb hat sich im letzten April mit 1,8 % wieder abgeschwächt. Die Arbeitslosenquote sank im April auf 3,3 % und damit unter das Ziel des NAP für das Jahr 2002 (3,5 %).

DAS WELTFINANZSYSTEM BRAUCHT MEHR REGULIERUNG UND KONTROLLE

Die Finanzmärkte seien durch eine deutlich bessere Entwicklung in Europa als in den USA gekennzeichnet, wobei als problematisch gilt, dass die enormen Kursbewegungen weder durch den Unternehmenswert noch durch die Gewinnerwartungen gerechtfertigt erscheinen. Einige Indikatoren sprechen auch für eine Abkühlung der US-Wirtschaft. Obwohl sich keine Krise in Lateinamerika oder Asien abzeichnet, steige die Besorgnis über strukturelle Schwächen im Weltfinanzsystem, das gegenüber Schocks anfälliger geworden sei, analysierte Dr. Tumpel-Gugerell. Der institutionelle Rahmen brauche daher effizientere Regulierung und Überwachung.

OSTEUROPA: EURO ERST JAHRE NACH EU-BEITRITT

Schließlich ging die Vizegouverneurin der Nationalbank auf die Entwicklung in den mittel- und osteuropäischen Ländern ein, wo 1999 eine unterschiedliche Wachstumsentwicklung verzeichnet wurde. Ungarn, Polen und Slowenien lagen mit 4 bis 5-prozentigen Wachstumsraten voran, während die anderen Länder deutlich schlechter abschnitten. Tschechien zeigte nach zwei Jahren Rezession eine leichte Erholung. Im Rahmen des planmäßig sich entwickelnden EU-Erweiterungsprozesses konnte mit den Kandidatenländern der ersten Gruppe das Kapitel "Wirtschafts- und Währungsunion" bereits geschlossen werden, wobei Einvernehmen darüber herrschte, dass die Kandidatenländer erst Jahre nach ihrer Aufnahme in die EU auch dem Euroraum beitreten werden. Die Verhandlungen mit den Kandidatenländern der zweiten Gruppe laufen seit Februar 2000.

In der Debatte erkundigte sich Abgeordneter Dr. VAN DER BELLEN (G) nach der Bereitschaft der Nationalbank, ihre Währungsreserve für Forschungszwecke zu verwenden bzw. ihre Rücklagen und Devisenreserven in das Budget fließen zu lassen, wie dies der Kärntner Landeshauptmann forderte. - Abgeordneter EDLINGER (S) erkundigte sich nach der Verfügbarkeit der Notenbankreserven und kritisierte zusätzliche Budgetausgaben, wie sie die Bundesregierung plane. - Abgeordneter Dr. STUMMVOLL (V) fragte nach den Konsequenzen einer neuerlichen Verwässerung der Budgetkonsolidierung und wies die Behauptung seines Vorredners zurück, ausgabenseitige Budgetkonsolidierung bedeute Umverteilung von unten nach oben.

Abgeordneter Dr. BRUCKMANN (V) wollte wissen, ob es innerhalb des Eurosystems Spannungen zwischen den Mitgliedstaaten gebe. - Abgeordneter Mag. TRATTNER (F) interessierte sich für die geldpolitischen Entscheidungskompetenzen der Nationalbank. - Abgeordneter Dr. SCHWARZBÖCK (V) stellte die Frage, welche Konsequenzen die jüngsten Entwicklungen im Bereich Bankgeheimnis erwarten lassen. - Abgeordneter EDER (S) kritisierte zusätzliche Budgetausgaben in den Bereichen Landesverteidigung und Landwirtschaft sowie die angesichts der günstigen Lohnstückkosten unverständliche Senkung der Lohnnebenkosten. - Abgeordneter BÖHACKER (F) befasste sich mit dem internationalen Zinswettlauf nach oben und erbat Auskunft darüber, wann der Euro wieder in die Nähe seines Ausgangswertes kommen werde.

Gouverneur Dr. LIEBSCHER bekundete Bereitschaft, "in Übereinstimmung mit der Entwicklung auf europäischer Ebene" über die Verwendung von Reserven nachzudenken. Über Zeitpunkt und Beträge wollte er aber keine Auskunft geben. Währungsreserven stellen seit 1999 Bestandteile des Eurosystems dar, auf nationaler Ebene könne darüber nicht mehr verfügt werden. Außerdem wies Gouverneur Dr. Liebscher auf das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung hin. Der Einfluss Österreichs auf die Geldpolitik ist seit seinem Beitritt zum Eurosystem stärker geworden, zeigte sich der Notenbank-Gouverneur überzeugt. Österreich verfüge im EZB-Rat über das selbe Stimmgewicht wie die großen Mitglieder der Währungsunion.

Als Konsequenzen einer Verwässerung der Konsolidierungspolitik nannte der Gouverneur politische Reaktionen auf europäischer Ebene und auf den Finanzmärkten einen "Aufschlag auf Staatsanleihen". - Spannungen innerhalb des Eurosystems könne er keine erkennen, sagte Dr. Liebscher. Die Höhe der Fremdwährungseserven bezifferte er mit 260 Mrd. S. Die Notenbankreserven betragen 82 Mrd. S, die sonstigen Reserven und Kursdifferenzreserven 29 Mrd. S. Diese Reserven seien veranlagt und damit die Basis für Gewinnabfuhren an die Republik, 114 Mrd. S allein während der letzten 10 Jahre.

Staatssekretär Dr. FINZ unterstrich die Absicht der Regierung, ausgabenseitig durch den Entfall unnötiger Staatsaufgaben  und die wirtschaftlichere Erfüllung der staatlichen Kernaufgaben zu sparen. Dabei plädierte Finz für mehr Kooperation im Rahmen des Bundesstaates und für eine Verwaltungsreform mit dem Ziel "virtuelles Amtshaus". Die Notwendigkeit der Budgetsanierung untermauerte der Staatssekretär mit dem Hinweis, dass jährlich 170 Mrd. S zur Tilgung und 100 Mrd. zur Verzinsung der Staatsschuld aufgewendet werden. Zusätzliche Ausgaben für die Landesverteidigung seien wegen der Versäumnisse in der Vergangenheit unerlässlich. "Die Geräte fallen bereits auseinander, man bekommt für die veralteten Typen keine Ersatzteile mehr."

Eine Senkung der Lohnnebenkosten sei wegen des Standortwettbewerbs unerlässlich, fügte Staatssekretär Dr. Finz hinzu.

Eine Frage des Abgeordneten Mag. Trattner (F) an Vizegouverneurin  Tumpel-Gugerell zur Bank Burgenland wies Ausschussobmann Dr. HEINDL zurück, weil sie nicht zum Tagesordnungspunkt Geld- und Währungspolitik zähle. (Fortsetzung)