Parlamentskorrespondenz Nr. 418 vom 05.07.2000

DIE POLITIK DER BUNDESREGIERUNG NACH DEM EU-GIPFEL VON FEIRA

Die Volksbefragung - Unfug oder Beitrag zur EU-Verfassung?

Wien (PK) - Abgeordneter Dr. KHOL (V) begründete die Themenwahl seiner Fraktion für die heutige Aktuelle Stunde im Nationalrat mit den enttäuschten Hoffnungen auf gleichberechtigte Behandlung Österreichs von Seiten der anderen 14 EU-Staaten. Der VP-Klubobmann leitete seine Ausführungen ein, indem er darauf hinwies, dass die Bundesregierung trotz der ungerechtfertigten Sanktionen während der letzten fünf Monate eine Reformpolitik für Österreich verwirklicht habe, die sich sehen lassen könne: Budgetbeschluss 2000, Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten, Privatisierungen, weniger politischer Einfluss in Staatsbetrieben, Mietenliberalisierung, Finanzierung der im Vorjahr beschlossenen Steuerreform und eine sozial ausgewogene Pensionsreform.

Dennoch sei klar, dass, dass die Sanktionen weg müssen. Das diesbezügliche 18-Punkte-Aktionsprogramm habe bereits bewirkt, dass sich das Europäische Parlament und die Europäische Kommission gegen die Sanktionen ausgesprochen haben und die Mehrheit der Bevölkerung in den EU-Staaten gegen die Sanktionen eingestellt ist. Aber der entscheidende Schritt durch die 14 sei nicht erfolgt, klagte Khol. Auch wenn die Einsetzung des Weisenrates als "ein weiser Schritt" zu werten sei, es wurde kein Zeitplan vorgelegt und der französische Ministerpräsident Jospin hat gesagt, dass die Sanktionen nicht zurückgenommen werden. "Daher setzen wir unseren Aktionsplan fort und bereiten eine Volksbefragung vor".

"Wir wollen der französischen Präsidentschaft ersparen, dass auch auf dem Gipfel in Biarritz am 13. Oktober über nichts anderes als über die Sanktionen gesprochen wird", sagte Khol und unterstrich, dass es beim Antrag von VP und FP zur Volksbefragung um eine europäische Verfassungsreform, um Menschenrechte, Grundfreiheiten und Demokratie sowie um ein rechtsstaatliches Verfahren gehe, wenn gegen ein Mitgliedsland Anschuldigungen erhoben werden. Das Ziel laute, die EU zu einer Union auszugestalten, in der alle Länder gleichberechtigt miteinander wirken können, in der nicht zwei oder drei Staaten den Ton angeben und die anderen minderen Rechts sind.

Bundeskanzler Dr. SCHÜSSEL erinnerte an die Absicht der anderen EU-Staaten, das Thema Österreich auf dem EU-Gipfel in Feira bewusst in einer Spirale des Schweigens zu verdrängen. Das sei aber nicht gelungen, weil sich Österreich erfolgreich dagegen gewehrt habe, dass unter dem Druck der USA in einer Nacht- und Nebelaktion das Bankgeheimnis einseitig aufgehoben werde.

Die portugiesische Präsidentschaft und Kommissionspräsident Prodi hätten zwar erklärt, dass Österreich und die Bundesregierung sich nichts zu Schulden kommen ließen und nichts getan hätten, was zu den Werten der Europäischen Union in Wiederspruch stehe. Der Vorschlag des portugiesischen Ratspräsidenten sei aber nicht weitreichend genug gewesen. Wohl sei deutlich geworden, dass die Sanktionen nicht mehr auf Dauer dieser Regierung angelegt seien, aber es fehle eine Angabe darüber, wann sie enden. Bundeskanzler Schüssel qualifizierte Feira daher als eine vergebene Chance. Auch wenn die Bundesregierung unter Beauftragung des Präsidenten des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes zustimme und bereit sei, mit ihm zu kooperieren, machte der Bundeskanzler darauf aufmerksam, für wie problematisch er es halte, die Natur der FPÖ zu prüfen, und gab seiner Überzeugung Ausdruck, dass für ihn nur der österreichische Verfassungsgerichtshof dazu aufgerufen sei, den demokratischen Charakter von Parteien und damit ihre Legitimität zur Arbeit in Landtagen, Nationalrat und Bundesregierung zu bestätigen.

Dennoch unterstrich der Bundeskanzler die Bereitschaft der Regierung, Europa einen Schritt entgegenzugehen und zu kooperieren, wobei er aber gleichzeitig die Erwartung aussprach, dass auch die 14 mit dem Präsidenten des Menschenrechtsgerichtshofes kooperieren und schon nach der Sommerpause ein Bericht vorliegt. Weil es kein Ende der Sanktionen gibt, werde der gemeinsame Aktionsplan fortgesetzt  und die Volksbefragung vorbereitet. Sie gebe den 14 Zeit bis zum EU-Gipfel in Biarritz. Es müsse möglich sein, "in vier Monaten mit Hilfe der drei Weisen Maßnahmen zu revidieren, die man innerhalb von zwei bis drei Tagen mit einer Telefonkette eingeführt hat", sagte der Bundeskanzler.

Der Kritik an dieser Linie hielt der Bundeskanzler entgegen, dass der Text der sechs Fragen weder den Begriff "Veto" noch das Wort "Erweiterung" enthalte. Es gehe nur um ein Ende der Sanktionen, um die gleichberechtigte Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der EU, um die Rechte der kleineren EU-Staaten und um ein rechtsstaatliches Verfahren dort, wo europäische Verpflichtungen gefährdet oder verletzt werden. - Es soll nie wieder einen Fall wie Österreich geben, sagte der Bundeskanzler. Die sechs Fragen, die den Österreichern vorgelegt werden sollen, enthalten eine europäische Verfassung in Kurzfassung. Damit werde vorweg den Vorschlag des französischen Staatspräsidenten Chirac verwirklicht, der im EU-Parlament verlangt habe, eine Volksabstimmung über eine europäische Verfassung durchzuführen.

Abgeordneter SCHIEDER (S) zeigte sich enttäuscht über das Ergebnis des Gipfels von Feira, der keine Aufhebung der Sanktionen gebracht habe. Die Einsetzung des Weisenrates qualifizierte der außenpolitische Sprecher der SPÖ dennoch als einen wirklichen Fortschritt, zumal der Präsident des Menschenrechtsgerichtshofes als ein Mann bekannt sei, der der anderen Seite in einem Verfahren sehr genau zuhöre. Daher wäre es in diesen Tagen notwendig, mit stiller Diplomatie und viel Fingerspitzengefühl zu agieren. In der Koalition habe sich aber die FPÖ mit ihrer Forderung nach einem politischen Kraftakt durchgesetzt. Abgeordneter Schieder hielt dies für einen schweren außenpolitischen Fehler. "Die Volksbefragung ist sauteuer, aber sie hilft nicht", sagte er pointiert. Außerdem sei der V-F-Vorschlag nicht einwandfrei. Die sechs Fragen seien nicht klar mit ja oder nein zu beantworten und würden von Verfassungsexperten als bedenklich bezeichnet. Als problematisch bezeichnete Schieder auch die Formulierung über die gleichen Rechte der Mitgliedsländer, womit die Größe der verschiedenen Länder und ihr von daher unterschiedliches Stimmgewicht in Rat, Kommission und Parlament außer Acht gelassen werde. Dies laufe auf eine Verhinderung der EU-Erweiterung hinaus und sei nicht gut für Österreich. Ausserdem unterlasse der Bundeskanzler jede Distanzierung von Äußerungen der Freiheitlichen. Er, Schieder, sei überzeugt, dass die Mehrheit der Österreicher sich an diesem Unfug nicht beteiligen werde.

Abgeordneter Dr. SPINDELEGGER (V) meinte, die SPÖ wolle sich um die Volksbefragung drücken, weil sie die Fragen nicht beantworten könne. Sage sie nein, handle sie gegen die Interessen ihrer Mitglieder, sage sie ja, würde dies bedeuten, die bisherige Linie zu ändern. Spindelegger hielt fest, dass die Sanktionen klar rechtswidrig seien, weil Österreich die europäische Grundordnung nicht verletzt habe. In Feira habe sich gezeigt, dass das Thema Österreich, auch dann, wenn es nicht auf der Tagesordnung stehe, EU-Gipfel überschatte. In der Zwischenzeit sehe selbst eine Mehrheit der EU-Staaten, dass diese Sanktionen unsinnig seien und aufgehoben werden sollen. Es gebe nun Bewegung durch die Beauftragung des Weisenrates. "Das ist der Beginn vom Ende der Sanktionen." Spindelegger fragte aber, was die "Weisen" in Österreich untersuchen sollen. Österreich ist seit Monaten das bestbeobachtete Land Europas, die Botschaften der 14 berichten täglich über alles in ihre Hauptstädte, was in Österreich passiert.

Abgeordneter Ing. WESTENTHALER (F) erinnerte daran, dass Bundespräsident Dr. Klestil Volksbegehren, Volksabstimmungen und Volksbefragungen als legitime Mittel bürgernaher Politik und direkter Demokratie bezeichnet habe und präsentierte jüngste Umfrageergebnisse, die anzeigen, dass auch eine Mehrheit der SPÖ-Anhänger für eine Volksbefragung eintrete. Schieder repräsentiere in seiner eigenen Partei lediglich eine Minderheit.

In seinen weiteren Ausführungen unterstrich der Klubobmann der Freiheitlichen, dass es niemandem gelingen werde, in der Frage der Volksabstimmung einen Keil zwischen die Koalitionspartner zu treiben. Es gehe darum, den Sanktionen ein Ende zu setzen und die Europäische Union zu einer Gemeinschaft zu machen, in der alle 15 Mitglieder fair behandelt werden. Eine klare Absage erteilte Westenthaler Plänen für ein deutsch-französisches Direktorium innerhalb der EU und warnte in diesem Zusammenhang vor einer Union der Zerrissenheit.

Abgeordneter Dr. VAN DER BELLEN (G) bemühte sich, die Nebel zu teilen und den Blick auf die Fakten zu richten. Selbstverständlich bedeute die Volksbefragung eine Politik der Drohung mit der Blockade und eine Eskalation gegenüber der EU. damit werde deutlich, dass die ehemalige Europapartei ÖVP den Freiheitlichen nachgegeben habe. Das einzige, was die Bundesregierung sicherstelle, sei die außenpolitische Isolierung Österreichs, stellte Van der Bellen mit Bedauern fest.

Die sechs Fragen seien unernst und schlampig formuliert, kritisierte der Abgeordnete und warf der Regierung vor, am Einstimmigkeitsprinzip festhalten zu wollen. Die Regierung sei an der Aufrechterhaltung der Sanktionen interessiert, weil sie ihr als "Nebelwand" dienen, hinter der sie eine undifferenzierte Pensionsreform durchpeitschen, den Überwachungsstaat einrichten und das Thema Temelin verschlafen könne.

Finanzminister Mag. GRASSER berichtete vom Gipfel in Feira und der gemeinsamen Zielsetzung aller 15 EU-Staaten, eine lückenlose Besteuerung der Kapitalerträge zu erreichen. Österreich habe an seiner Position für eine Quellenbesteuerung festgehalten, weil dies seinem Interesse an einem Modell entspreche, das mit dem Bankgeheimnis als einem in Österreich bewährten Institut kompatibel sei. Österreich sei damit auch erfolgreich geblieben, nachdem Luxemburg, Belgien und Griechenland diese ursprünglich gemeinsame Position aufgegeben hatten. Es sei Österreich dennoch gelungen, Quellensteuer und Bankgeheimnis in einem EU-Dokument festzuschreiben.

Abgeordneter Dr. CAP (S) forderte Abgeordneten Westenthaler auf, sich nicht nur bei den Sanktionen, sondern auch in Fragen der Sozialpolitik und der Steuerpolitik für den Einsatz der Instrumente der direkten Demokratie stark zu machen. "Fragen Sie die Österreicher, ob sie dafür sind, dass das Schnitzel und der Kaffee teurer werden und gleichzeitig die Steuern angehoben werden". Die Fragen der geplanten Volksbefragung bezeichnete der Abgeordnete als Pseudo-Fragen, bei deren Formulierung sich der wahre Bundeskanzler, der im Bärental sitze, gegen Dr. Schüssel durchgesetzt habe. Er, Cap,  könne kein Bekenntnis zur Europäischen Union aus den Fragen herauslesen. Seiner Auffassung nach müsse Österreich mit dem Rechtspopulismus selbst fertig werden und brauche keine Maßnahmen von aussen. Aber klar sei, dass die Ursachen der Sanktionen die Äußerungen Haiders seien. Denn keine Regierung der Welt könne sich gefallen lassen, was Jörg Haider über den französischen Präsidenten oder die belgische Regierung gesagt habe.

Abgeordneter Dr. Stummvoll (V) betonte, dass die Regierungsparteien die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung verträten und warf der Opposition vor, den Menschenverstand der Bürgerinnen und Bürger zu unterschätzen. Vor allem wundere er sich über den Parteichef der Grünen, der in Bezug auf die Inanspruchnahme eines Instruments der direkten Demokratie von Bedrohung gesprochen hat. Die letzten Monate hätten seiner Meinung nach gezeigt, dass die Propaganda der übrigen 14 EU-Staaten, nur die Regierung treffen zu wollen, unsinnig gewesen sei. Erfreulicherweise hätte die Wirtschaft keinen Schaden davon getragen, weil die Bürger und Bürgerinnen der anderen EU-Länder vernünftiger als die eigenen Regierungen seien, so der Abgeordnete. In einer Replik auf den Gipfel von Feira meinte Stummvoll, Finanzminister Grasser habe gezeigt, dass man auch ohne Veto-Politik mit politischer Klugheit und Kompetenz konstruktiv innerhalb der EU mitwirken könne.

Er hoffe nicht, dass man die Volksbefragung brauchen werde, stelle Abgeordneter Mag. Schweitzer (F) fest, wies aber gleichzeitig auf eine Umfrage hin, wonach 53 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher und 49 Prozent der SPÖ-Wählerschaft für die Volksbefragung seien. "Wir wollen das Volk befragen, andere wollen das Volk bespitzeln", wetterte Schweitzer in Richtung SPÖ. Die EU 14 seien, so der Mandatar weiter, bei ihrem Versuch der Einmischung in die Regierungsbildung gescheitert, sie hätten auch nicht an das Ende bei der Verhängung der Sanktionen gedacht. Nun stünden die Sanktionsverhänger "ratlos im Eck". Anstatt einzugestehen, dass man Fehler gemacht hat, setze man auf Zeitgewinn. Seiner Auffassung nach gebe es nichts zu beobachten, was als negativ eingestuft werden könnte, und auch die Leiterin der Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit habe erst kürzlich klar zum Ausdruck gebracht, dass in diesem Staat alles in Ordnung sei. Schweitzer unterstrich auch, dass diese Bundesregierung Fortschritte erzielen konnte, die es unter einer sozialdemokratisch geführten Regierung nicht gegeben habe.

Abgeordneter Dr. Pilz (G) kritisierte, dass die EU die Tür aufgemacht habe, die Bundesregierung jedoch auf Geheiß des Kärntner Landeshauptmannes das Fenster mit Pflastersteinen eingeschlagen habe. "Mit Fenstereinschmeißen reformiert man weder die EU noch Österreich", so Pilz. Diese Volksbefragung sei eine Meinungsumfrage und mache im Grunde genommen nur dann Sinn, wenn man sich vom Volk den Auftrag zur EU-Blockade holen wolle, mutmaßte der Mandatar und warf gleichzeitig der Bundesregierung vor, im Sinne Jörg Haiders neue Sanktionen zu provozieren. Darüber hinaus sei es angesichts einschneidender sozialpolitischer Maßnahmen unverständlich, 100 Mill. S für die möglicherweise verfassungswidrige Volksbefragung auszugeben. Abschließend appellierte Pilz an die 14 Partner, die freiheitlichen Provokationen nicht mit neuerlichen Sanktionen zu beantworten, sondern beim Dialog zu bleiben. (Schluss)