Parlamentskorrespondenz Nr. 430 vom 07.07.2000

SCHUTZ UND FÖRDERUNG DER MINDERHEITEN SIND ZIEL DES STAATES

Nationalrat beschließt einstimmig Staatszielbestimmung

Wien (PK) - Der österreichische Staat - Bund, Länder und Gemeinden - bekennt sich zu seinen Minderheiten und erklärt deren Schutz und Förderung zum Staatsziel, das in der Bundesverfassung verankert wird. Der entsprechende Beschluss wurde heute Nachmittag von den Abgeordneten aller vier Fraktionen des Nationalrats einhellig gefasst.

ÄNDERUNG DES BUNDES-VERFASSUNGSGESETZES * S-ANTRAG 164/A UND G-ANTRAG 13/A BETREFFEND NOVELLIERUNG DES BUNDES-VERFASSUNGSGESETZES

--------------------------------------------------------------------

In der Debatte wies Abgeordneter Mag. POSCH (S) darauf hin, dass es ein langjähriger Wunsch der SPÖ sei, diese Staatszielbestimmung zu verwirklichen. Leider sei es in der letzten Gesetzgebungsperiode nicht möglich gewesen, Einvernehmen mit dem Koalitionspartner ÖVP zu erzielen. Diese Staatszielbestimmung habe seiner Ansicht nach mehr symbolischen Charakter und weniger rechtliche Verbindlichkeit.

Abgeordneter ELLMAUER (V) stellte fest, die heute von allen vier Fraktionen beschlossene Staatszielbestimmung zeige, dass Worte wie Minderheitenschutz und kulturelle Vielfalt keine leeren Hülsen seien. Obwohl die Volksgruppen ihr Memorandum 1997 überreicht haben, sei es in der Ära Klima nicht möglich gewesen, diese Forderungen rasch umzusetzen. Dies blieb dem Engagement der neuen Regierung in der Minderheitenfrage vorbehalten. Da man größtes Interesse hatte, diese Bestimmung einstimmig zu verabschieden, sei man der Opposition sehr weit entgegen gekommen. Wäre es anders gelaufen, wäre dies ein Armutszeugnis für unser Land gewesen, betonte er.

Auch Abgeordneter Dr. OFNER (F) begrüßte es, dass diese Bestimmung von allen vier Parlamentsparteien getragen wird, und wies darauf hin, dass sich diese Regelung auf die autochthonen Volksgruppen beschränke und Zufallsgemeinschaften dem verfassungsrechtlichen Schutz als Volksgruppe nicht unterliegen. Überleitend zu den Arbeiten am EU-Menschenrechtskatalog hob der Redner hervor, dass es ein Anliegen Österreichs war, Volksgruppen- und Minderheitenrechte in diesen Menschenrechtskatalog einzubringen. Dies sei aber gescheitert, stellte Ofner klar, da die Mehrheit der EU-Repräsentanten den Standpunkt vertrete, es dürfe nichts Neues aufgenommen werden.

Abgeordnete Mag. STOISITS (G) erläuterte den Begriff einer Staatszielbestimmung, der im Ausschuss ausführlich und fundiert debattiert worden sei. Bei der Staatszielbestimmung handle es sich um eine programmatische Norm im Verfassungsrang. An diesem Grundsatz habe sich das gesamte staatliche Handeln zu orientieren. Die Änderung des Artikels 8 B-VG bedeute aber nicht, dass Angehörige einer Minderheit ihr Recht beim Verfassungsgerichtshof durchsetzen können. Dieser Verfassungsauftrag richte sich vielmehr an die Mehrheit der Bevölkerung und solle der Minderheit zeigen, dass sie Teil der Gesellschaft ist, strich sie heraus.

Bundeskanzler Dr. SCHÜSSEL bedankte sich bei den vier Parlamentsparteien für den einstimmigen Beschluss, dies vor allem in einer Zeit, wo "der Konsens in unserem Land nicht so selbstverständlich ist". Diese Staatszielbestimmung sei mehr als nur ein Zeichen, auch wenn sie kein unmittelbar anwendbares Recht für den Einzelnen darstelle. Die Arbeiten für ein modernes Volksgruppengesetz beginnen, auch beabsichtigt der Regierungschef, internationale Wissenschafter damit zu beauftragen, Vergleiche anzustellen, was andere europäische Länder in der Frage der Volksgruppen tun. Österreich brauche einen Vergleich auf keinen Fall zu scheuen, aber vielleicht entstehe dadurch ein positiver Wettbewerb für Europa und seine Minderheiten, sagte Schüssel.

Abgeordnete Mag. PLANK (S) machte darauf aufmerksam, dass das Problem bereits seit 1995, intensiv seit 1997, bestehe und es in der letzten Gesetzgebungsperiode nicht gelungen sei, eine Staatszielbestimmung zu verwirklichen, weil die ÖVP gebremst habe. Sie machte sich Gedanken darüber, warum gerade zum jetzigen Zeitpunkt ein Beschluss gefasst wird, und glaubt, dass die Regierung aufgrund des Isolationsdruckes einen Vorzeigeerfolg braucht. Den Regierungsparteien wäre es aber fast gelungen, den Menschenrechtsausschuss zu einem Vertagungs- und Verhinderungsausschuss zu machen. Der Vorschlag der Regierung beinhaltete reine Kosmetik, daher war eine Auseinandersetzung der Parteien mit dieser Materie im Interesse der Volksgruppen notwendig.

Für Abgeordneten Dr. ZERNATTO (V) darf die Diskussion über den Minderheitenschutz in Österreich kein Anlass sein, in parteipolitische Polemik zu verfallen. Die Gemeinsamkeit in dieser Frage sei besonders wichtig und politischen Gruppierungen dürfe man nicht unterstellen, aus anderen als aus hehren Gründen dieser Regelung zugestimmt zu haben. Der jetzige Bundeskanzler, der in der Volksgruppenpolitik stets eine liberale Haltung eingenommen habe, sei der erste Kanzler, der die Obleute der Minderheitenbeiräte zu sich eingeladen habe. Anknüpfend an die Aussage des Kanzlers, man werde Vergleiche mit anderen europäischen Ländern anstellen, gab der ehemalige Landeshauptmann von Kärnten bekannt, dass im Stift Ossiach, das über seine Initiative in das Eigentum des Landes gebracht werden konnte, ab sofort ein europäisches Forschungszentrum für Minderheiten untergebracht wird.

Abgeordneter Dr. Martin GRAF (F) warf den Sozialdemokraten mangelnde Durchschlagskraft und fehlenden politischen Wille in der letzten Gesetzgebungsperiode vor. Der SPÖ sei es vielmehr um Proporz und Posten gegangen und weniger um die Volksgruppen und Minderheiten, sagte er. Dass die jetzige Regierung unter Erfolgsdruck stehe, bestritt der Redner.

Abgeordneter BROSZ (G) konnte sich nicht der Meinung von Bundeskanzler Schüssel anschließen, dass Österreich Wegweiser in der Minderheitenpolitik ist. Warum habe man dann nicht die Charta für Regional- und Minderheitensprachen ratifiziert, fragte er. Defizite ortete er u.a. in den Bereichen der zweisprachigen vorschulischen Versorgung, der Unterstützung der Minderheiten-Radios und -Medien, der Ausbildung von zweisprachigem pädagogischen Personal und der durchgängigen bilingualen Schulausbildung. Er brachte deshalb einen Entschließungsantrag seiner Fraktion ein, in dem die Grünen eine entsprechende Überarbeitung des Volksgruppengesetzes fordern.

In einer tatsächlichen Berichtigung wies Abgeordneter Dr. ZERNATTO (V) darauf hin, dass es in Kärnten 14 zweisprachige Kindergärten gibt, und zwar 8 private und 6 Gemeindekindergärten.

Es sei äußerst erfreulich, dass es im Rahmen einer Vier-Parteien-Vorlage gelungen sei, das Bekenntnis zur sprachlichen und kulturellen Vielfalt als Staatszielbestimmung zu verankern, erklärte Abgeordneter REHEIS (S). Die SPÖ sei die erste Partei gewesen, die schon vor einigen Jahren einen weitreichenden Entwurf zu dieser Thematik eingebracht habe, erinnerte der Redner, dem die Volkspartei jedoch nicht zustimmen wollte. Man dürfe sich jedoch nicht auf den Lorbeeren ausruhen, warnte Reheis, und es werde in Zukunft notwendig sein, sich etwa verstärkt für die Medienversorgung der Minderheiten einzusetzen. Die Kürzung der Förderungen für Minderheitenradios von 15 auf 10 Mill. S sei daher sicherlich der falsche Weg.

Die Vorlage wurde einstimmig angenommen; abgelehnt wurde hingegen der G-Entschließungsantrag, der nur von den Sozialdemokraten und den Grünen unterstützt wurde. (Schluss)