Parlamentskorrespondenz Nr. 716 vom 30.11.2000

KURZE DEBATTE ÜBER DAS ÖSTERREICHISCHE GESCHICHTSBILD

Grüne gegen "Geschichtsklitterung"

Wien (PK) - Auf Verlangen der Grünen führte der Nationalrat eine Kurze Debatte über eine Anfragebeantwortung durch Außenministerin Dr. FERRERO-WALDNER (Anfrage 1211/J, Anfragebeantwortung 1202/AB) durch. Abgeordnete Mag. LUNACEK (G) thematisierte eine Antwort der Außenministerin, die Ereignisse des Jahres 1938 betreffend, und meinte, die darin enthaltene Aussage stelle offenbar eine Neupositionierung der VP in dieser Frage dar, werde damit doch die Opferrolle des Staates Österreich auch gleich taxfrei auf alle damaligen Bürger übertragen. Diese "Geschichtsklitterung" könne nicht goutiert werden. Österreich trage eine Mitverantwortung für die damaligen Taten, und diese dürfe nicht weggelassen werden.

Bundesministerin Dr. FERRERO-WALDNER sagte, Österreich war als Staat das erste Opfer des Dritten Reiches, nichts anderes habe sie erklärt. Sowohl sie als auch der Bundeskanzler hätten stets auf beide Seiten dieser Thematik hingewiesen. Die österreichische Regierung bekenne sich zu ihrer Verantwortung, wie sie bei der Einigung in der Zwangsarbeiterfrage und bei der Restitution gezeigt habe. Abschließend bedauerte die Außenministerin, dass dieses Thema nunmehr zum Gegenstand parteipolitischer Polemik gemacht werde.

Abgeordneter Dr. KOSTELKA (S) hegte den Verdacht, dass hier die Geschichte Österreichs umgeschrieben werden solle. Man könne den März ´38 nicht auf militärhistorische Aspekte reduzieren, wer immer Geschichte verknappe, verfälsche sie. Kostelka erinnerte daran, dass die Nazis bereits vor dem Anschluss der Regierung angehört hatten. Selbst in der Regierung saßen also nicht nur Opfer, sondern auch Täter.

Abgeordneter Dr. KURZMANN (F) sprach sich gegen Geschichtsbetrachtung ohne Grundlagenforschung aus und warnte vor einer Politisierung der Geschichtswissenschaft. Den Vorwurf der "Revision" wies er zurück, wobei er meinte, dies sei ein "Totschlagargument", da die Geschichte bei Auftauchen neuer Erkenntnisse immer revidiert werden müsse.

Abgeordneter Mag. TANCSITS (V) stellte die Frage nach dem cui bono in dieser Debatte. Wenn es auch eine "Fünfte Kolonne" der Nazis in Österreich gegeben habe, so sei die überwältigende Mehrheit der Österreicher zwischen 1933 und 1938 dem Nationalsozialismus energisch entgegengetreten. Man sei es den Opfern des Naziterrors schuldig, mit den Goebbelschen Lügen über die NS-Gesinnung der Österreicher aufzuräumen.

Abgeordneter ÖLLINGER (G) wies auf das letzte Woche in diesem Hause präsentierte Werk "NS-Herrschaft in Österreich" hin und erinnerte an den "Anschluss von innen". Unter den Österreichern gab es eben sowohl Täter als auch Opfer. Öllinger erinnerte daran, dass Schuschnigg den widerstandsbereiten Generalstabschef auf Drängen der Nazis absetzte. Auch dies sei eine historische Wahrheit. In der Rezeption der Ereignisse sei man schon weiter gewesen, hielt Öllinger fest, der in Richtung der Regierungsparteien mit einem Kreisky-Zitat schloss: "Lernen Sie Geschichte."

(Schluss)