Parlamentskorrespondenz Nr. 57 vom 30.01.2001

ENTSCHÄDIGUNGSFONDS FÜR NS-OPFER: GESETZENTWURF PASSIERTE AUSSCHUSS

Betroffene erhalten insgesamt 360 Mill. Dollar

Wien (PK) - Nur zwei Wochen nach der Einigung zwischen Österreich und den USA über Entschädigungszahlungen für NS-Opfer legte heute der Verfassungsausschuss des Nationalrats den Grundstein für die gesetzliche Umsetzung der getroffenen Vereinbarung. Demnach sollen über einen neuen Entschädigungsfonds und über den Nationalfonds der Republik Österreich insgesamt 360 Mill. Dollar an NS-Opfer gezahlt werden. Ergänzend dazu wurde ein Sozialpaket - mit einem geschätzten Gesamtumfang von 112 Mill. Dollar über die nächsten zehn Jahre - geschnürt. Österreich will damit die Frage der Entschädigung von Opfern des Nationalsozialismus abschließend lösen. Die Beschlüsse des Verfassungsausschusses erfolgten einstimmig, somit können die entsprechenden Gesetzesvorlagen morgen, Mittwoch, im Nationalrat verabschiedet werden.

Vertreter aller Parteien zeigten sich in der Diskussion zufrieden mit der getroffenen Vereinbarung und äußerten großes Lob für den Einsatz von Sonderbotschafter Ernst Sucharipa und seinem Team. So sprach beispielsweise Abgeordnete Terezija Stoisits (G) von einem "historischen Moment", Staatssekretär Franz Morak bezeichnete die Einigung als großen Schritt in den seit einigen Jahren forcierten Bemühungen, den Opfern des Nationalsozialismus die Hand zur Versöhnung zu reichen. FPÖ-Abgeordneter Michael Krüger meinte, Österreich brauche sich seiner Restitutions- und Schadensersatzgesetzgebung seit 1945 nicht zu schämen, es gebe aber auch keinen Grund, besonders stolz zu sein, "da doch einiges in die Länge gezogen wurde".

Konkret sieht das heute beschlossene Gesetzespaket vor, von der vereinbarten Entschädigungssumme in der Höhe von 360 Mill. Dollar zunächst einmal 150 Mill. Dollar beschleunigt über den beim Nationalrat eingerichteten Nationalfonds zur Verfügung zu stellen. Mit diesen Mitteln sollen Ansprüche aus dem Entzug von Miet- und Pachtverträgen für Wohnungen und Betriebe, von Hausrat und persönlichen Effekten abgegolten werden. Zwei bei den heutigen Beratungen eingebrachte Abänderungsanträge stellen insbesondere sicher, dass nach Maßgabe vorhandener Mittel auch in etwaigen Härtefällen Leistungen gewährt werden.

Darüber hinaus wird ein neuer, mit 210 Mill. Dollar dotierter Entschädigungsfonds eingerichtet. Aus diesem Fonds sollen Leistungen an Personen bzw. deren Erben erfolgen, die im Zusammenhang mit oder als Folge der NS-Herrschaft in Österreich Schäden oder Verluste in den Kategorien Betriebsvermögen, Immobilien, Bankkonten, Aktien, Schuldverschreibungen, Hypotheken, bewegliches Vermögen und Versicherungspolizzen erlitten haben. Für die Geltendmachung von Forderungen gelten dabei erleichterte Beweisstandards, zudem wurde die Möglichkeit geschaffen, im Wege eines "Billigkeitsverfahrens" auch dann Entschädigungen zuzuerkennen, wenn ein Antragsteller nicht in der Lage ist, konkrete Forderungen zu dokumentieren oder glaubhaft zu machen. Grundsätzlich sollen die Fondsmittel jeweils zur Hälfte für Leistungen nach Forderungsverfahren und nach Billigkeitsverfahren verwendet werden, 25 Mill. Dollar sind für Leistungen aufgrund von Versicherungspolizzen reserviert. Zuwendungen nach dem Forderungsverfahren sind dabei mit zwei Mill. US-Dollar pro Antrag begrenzt.

Die Antragstellung hat spätestens 24 Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes zu erfolgen. Entscheidungen über Leistungen trifft ein aus drei Personen zusammengesetztes unabhängiges Antragskomitee, dem ein von der US-Regierung, ein von der österreichischen Bundesregierung und ein von diesen beiden Mitgliedern zu bestimmendes Mitglied angehören. Technisch und administrativ unterstützt werden soll das Antragskomitee durch den Nationalfonds.

Frühere Restitutionsmaßnahmen werden bei den Entschädigungszahlungen berücksichtigt, außerdem muss der Leistungsempfänger eine Verzichtserklärung in Bezug auf weitere Ansprüche gegen Österreich und/oder österreichische Unternehmer abgeben. Von dieser Verzichtserklärung sind nur Klagen auf Restitution von genau identifizierten Kunstgegenständen und - unter bestimmten Umständen - Klagen auf Naturalrestitution gegen Länder oder Gemeinden ausgenommen.

Das von allen vier Fraktionen gemeinsam erarbeitete Entschädigungsfondsgesetz hat aber nicht nur die Einrichtung des erwähnten Fonds zum Inhalt, sondern schafft auch eine gesetzliche Grundlage für Naturalrestitutionen von enteigneten Grundstücken und Gebäuden an Personen oder jüdische Vereine, für die bisher noch keine Entschädigungen geleistet wurden, und die derzeit im Eigentum des Bundes stehen. Jüdische Gemeinschaftsorganisationen sollen darüber hinaus unter diesem Titel in Bundesbesitz befindliche kulturelle oder religiöse Gegenstände zurückerhalten.

In Kraft treten soll das Entschädigungsfondsgesetz sobald sichergestellt ist, dass die vereinbarten 210 Mill. Dollar in vollem Umfang zur Verfügung stehen. Außerdem ist das Erreichen eines Rechtsfriedens in den Vereinigten Staaten Voraussetzung für Leistungen aus dem Entschädigungsfonds. In den Erläuterungen wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass Österreich sämtliche Leistungen auf freiwilliger Basis in Anerkennung der moralischen Verantwortung erbringt und kein Rechtsanspruch auf Leistungen besteht.

Ergänzt werden die Entschädigungszahlungen schließlich um ein Sozialpaket mit einem geschätzten Gesamtumfang von 112 Mill. US-Dollar, verteilt über die nächsten zehn Jahre. Insbesondere kommt es durch eine Änderung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes und des Opferfürsorgegesetzes zu einer Ausdehnung des begünstigten Nachkaufsrechts für Pensionsleistungen und zu einer Ausweitung des Pflegegeldanspruchs für Personen, die vor den Nationalsozialisten geflüchtet sind und nun im Ausland leben. Weiters ist künftig die österreichische Staatsbürgerschaft nicht mehr Voraussetzung für den Anspruch auf Rentenfürsorge nach dem Opferfürsorgegesetz und fallen auch Anhaltungen in Internierungs- oder Sammellagern unter den dort verwendeten Begriff "Haft/Freiheitsbeschränkung".

Zusätzlich zu den vorliegenden gesetzlichen Bestimmungen wurde, wie aus den Erläuterungen hervorgeht, mit den USA u.a. vereinbart, dass die Gemeinde Wien dem Sportverein Hakoah ein Grundstück in Langzeitmiete zur Verfügung stellt, das dem entzogenen vergleichbar ist, und Österreich für eine zusätzliche personelle Ausstattung des Staatsarchivs sorgen wird, um einen besseren Zugang zu den Datensätzen und Akten zu gewährleisten. Die Rückgabe von Kunstgegenständen nach dem Kunstrückgabegesetz ist von den vorliegenden Gesetzentwürfen ausdrücklich nicht berührt.

Eingeleitet wurden die Beratungen im Verfassungsausschuss durch eine Stellungnahme von Staatssekretär Franz Morak. Er wies darauf hin, dass sich die Regierung seit einem Jahr intensiv mit Fragen der Geschichtsaufarbeitung auseinandersetze, und zeigte sich in diesem Sinn über die am 17. Jänner getroffene Vereinbarung mit der amerikanischen Regierung, den Opferverbänden und den Klagsanwälten über abschließende Entschädigungszahlungen an NS-Opfer erfreut. Er wertete die Einigung als großen Schritt in den seit einigen Jahren forcierten Bemühungen Österreichs, Opfern des Nationalsozialismus die Hand zur Versöhnung zu reichen. In diesem Zusammenhang wies er auch auf die besonderen Verdienste von Sonderbotschafter Ernst Sucharipa hin.

Morak betonte, Österreich leiste die Entschädigungszahlungen im Bewusstsein, dass die in der NS-Zeit erlittenen Verluste und Schäden materiellrechtlich nicht wieder gut gemacht werden könnten. Vielmehr gehe es um eine Geste der Versöhnung gegenüber den Opfern. Für ebenso wichtig hält er aber auch, wie er sagte, die Wachhaltung des Bewusstseins, dass auch Österreicher am NS-Terror beteiligt gewesen seien.

Sonderbotschafter Ernst Sucharipa erläuterte die wichtigsten Punkte der Vereinbarung und wies u.a. darauf hin, dass jene 150 Mill. Dollar, die Ansprüche in Bezug auf Miet- und Pachtverträge für Wohnungen und Betriebe, Hausrat und persönliche Effekten abgelten sollen, in Form von Pauschalbeträgen in der Höhe von 7.000 Dollar an Überlebende ausgezahlt werden. Was den Entschädigungsfonds betrifft, stellte er fest, dass zu den 210 Mill. Dollar noch Zinserträge hinzuzurechnen seien. Ihm zufolge wird aber erst nach der 24-monatigen Antragsfrist klar sein, in welchem Ausmaß Ansprüche aus diesem Titel befriedigt werden können, da der Betrag, mit dem der Entschädigungsfonds dotiert ist, gedeckelt sei. Auszahlungen seien außerdem erst dann vorgesehen, wenn alle Klagen zurückgezogen seien bzw. es zu einer Abweisung der Klagen komme.

Abgeordnete Terezija Stoisits (G) sprach im Zusammenhang mit dem vorliegenden Gesetzespaket von einem "historischen Moment" im Hinblick auf die Restitutionsgesetzgebung. Sie hielt aber bedauernd fest, dass es sehr spät zu den Entschädigungszahlungen komme. Darüber hinaus gab Stoisits zu bedenken, dass die zusätzlichen Aufgaben für den Nationalfonds entsprechender zusätzlicher finanzieller und personeller Ressourcen bedürften, was im Budget zu berücksichtigen sei.

Abgeordneter Michael Krüger (F) erklärte, Österreich brauche sich für seine Restitutions- und Schadenersatzgesetzgebung nach 1945 nicht zu schämen, es gebe aber auch keinen Grund, besonders stolz zu sein, "da doch einiges in die Länge gezogen wurde". Er bekräftigte, dass es bereits vor 1995, dem Zeitpunkt der Einrichtung des Nationalfonds, eine Vielzahl legistischer Bemühungen zur vermögensrechtlichen Wiedergutmachung und zu Schadensausgleich gegeben habe, allerdings seien, wie die heutigen Beschlüsse zeigten, Lücken geblieben. Nunmehr werde aber ein "vermögensrechtlicher Schlussstrich" gezogen.

Abgeordnete Ulrike Baumgartner-Gabitzer (V) meinte, die Beschlussfassung des Gesetzespakets sei "eine besondere historische Stunde". Sie zeigte sich zuversichtlich, dass der vereinbarte Rechtsfrieden mit den USA halten wird. Seitens der SPÖ begrüßte Nationalratspräsident Heinz Fischer die getroffene Vereinbarung.

Der Vier-Parteien-Antrag auf Änderung des Bundesgesetzes über den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus und das heute im Rahmen der Sitzung des Verfassungsausschusses gemeinsam von allen vier Parteien eingebrachte Bundesgesetz über die Einrichtung eines Allgemeinen Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus und über Restitutionsmaßnahmen (Entschädigungsfondsgesetz) sowie zur Änderung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, des Bundespflegegeldgesetzes sowie des Opferfürsorgegesetzes wurden - unter Berücksichtigung der beiden Abänderungsanträge zum Nationalfondsgesetz - einstimmig beschlossen. Bei der morgigen Sitzung wollen die Fraktionen darüber hinaus einen gemeinsamen Entschließungsantrag zu diesem Themenkomplex vorlegen.

Zu Beginn der Sitzung hatte ein Antrag von Grün-Abgeordneter Stoisits, zu den Beratungen auch Opfervertreter, namentlich den Präsidenten der israelitischen Kultusgemeinde Ariel Muzicant und Mosche Jahoda als Vertreter der Claims Conference, beizuziehen, für Meinungsverschiedenheiten zwischen den Fraktionen gesorgt. Während die SPÖ den Antrag unterstützte, lehnten die Koalitionsparteien dieses Anliegen mit dem Argument ab, dass das vorliegende Gesetzespaket Entschädigungszahlungen zugunsten aller Opfergruppen des Nationalsozialismus regle und es keine Sonderstellung für einzelne Opfervertreter geben solle. (Schluss)