Parlamentskorrespondenz Nr. 60 vom 31.01.2001

UNTERSCHIEDLICHE BEWERTUNG DER ERGEBNISSE VON NIZZA

Debatte nach Erklärung des Bundeskanzlers im Nationalrat

Wien (PK) - Eine umfangreiche Tagesordnung mit einer Reihe wichtiger Themen prägte die erste planmäßige Sitzung des Nationalrats im neuen Jahr. Nach einer aktuellen Stunde zu Bildungsthemen mit Bildungsministerin Gehrer und einer Einwendungsdebatte wandte sich der Nationalrat zunächst dem Thema Europa zu.

Bundeskanzler Dr. SCHÜSSEL erinnerte eingangs seiner Erklärung an den Sanktionsbeschluss der EU-14 gegen Österreich vor genau einem Jahr und meinte, die darin vertretene Haltung sei nicht nur gegen den Geist der europäischen Verträge und die Grundprinzipien der Union, sondern gegen ganz Österreich - nicht nur gegen die Regierung - gerichtet gewesen. Umso erfreulicher sei es, dass nun in Nizza eine Initiative gesetzt werden konnte, die solche Sanktionen in Zukunft unmöglich macht. Sämtliche Befürchtungen, Österreich würde sich wegen der Sanktionen von Europa entfremden, haben sich nach Einschätzung Schüssels nicht bestätigt. Vielmehr sei Österreich in diesem Jahr europäischer geworden, meinte der Kanzler und sah sich darin auch durch das Lob der österreichischen Budgetkonsolidierung seitens der EU bekräftigt.

Nizza sei eine historische Zäsur gewesen und bedeute für Europa einen Neubeginn mit Chancen und Risken, sagte der Bundeskanzler weiter. Den Kompromiss des Gipfels solle man nun nicht klein reden, sondern als Voraussetzung für die Weichenstellungen der Union ernst nehmen und ratifizieren, betonte Schüssel. Als wesentlichstes Ergebnis nannte er jene Beschlüsse, die die Basis für die Erweiterung der EU schaffen. Wichtig seien dabei die Gleichberechtigung der Kandidatenländer mit den bisherigen Mitgliedstaaten sowie Übergangsfristen hinsichtlich der Liberalisierung des Arbeitsmarktes und der grenzüberschreitenden Dienstleistungen.

Mit den Ergebnissen im institutionellen Bereich – Stimmengewichtung, Vertretung in den einzelnen Gremien, Entscheidungsfindung – könne Österreich nach Meinung Schüssels zufrieden sein. Als positiv hob der Bundeskanzler dabei hervor, dass es gelungen sei, in für Österreich sensiblen Punkten wie Wasserwirtschaft, Raumordnung, Bodennutzung und Verkehr beim Einstimmigkeitsprinzip zu bleiben.

Abgeordneter Dr. GUSENBAUER (S) stellte fest, die Verhängung der Sanktionen sei keine sozialdemokratische Verschwörung gewesen, sondern vielmehr auf Initiative der konservativen Politiker Chirac und Aznar zu Stande gekommen. Faktum war für den SP-Klubchef, dass der Weisenbericht mit seinen kritischen Äußerungen über den Charakter der FPÖ nach wie vor Aktualität besitzt. Dieser Charakter habe sich in der Zwischenzeit nicht zum Positiven, sondern vielmehr zum Negativen verändert, fügte er an.

Was den Gipfel von Nizza betrifft, bezeichnete Gusenbauer die Vorbereitung auf den Erweiterungsprozess als schlecht. Nizza sei bloß eine Pflichtübung gewesen, nicht mehr. Gusenbauer vermisste insbesondere eine Vereinfachung der Entscheidungsverfahren und eine Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen. Er bezweifelte, dass ein Europa von 20 oder 27 Staaten wirklich ein politisch, sozial und ökologisch integriertes Europa sein werde. Vielmehr müsse man befürchten, dass die EU wieder auf das Niveau einer Freihandelszone zurück falle, meinte er. Der Redner unterstützte mit Nachdruck die EU-Erweiterung, gab aber zu bedenken, diese werde nur dann ein Erfolg sein, wenn sie gut vorbereitet wird und die Ängste der Bevölkerung ernst nimmt. Es reiche nicht aus, bloß Übergangsfristen festzusetzen, gerade zum Schutz der Grenzregion müsste Infrastruktur bereit gestellt und der Kampf gegen die illegale Beschäftigung forciert werden, betonte Gusenbauer.

Abgeordneter Dr. KHOL (V) kam ebenfalls auf die Sanktionen zu sprechen, die er als gescheiterten Versuch bezeichnete, eine Mitte-Rechts-Regierung mit der Faschismuskeule zu erschlagen. Den Sozialdemokraten warf er vor, gegen die Koalition zu Felde gezogen zu sein, zuvor aber sich selbst um eine Koalition mit der FPÖ bemüht zu haben.

Die einzigen negativen Auswirkungen der Sanktionen sah Khol im Scheitern des Euro-Projektes in Dänemark sowie darin, dass der Euro dann in Schweden erst gar nicht in Angriff genommen wurde und auch die diesbezüglichen Bemühungen Tony Blairs in Großbritannien einen Rückschlag erlitten haben. Sonst hätten die Sanktionen letztlich gute Wirkungen gehabt. Das "Gerede" vom deutsch-französischen Motor der Integration habe ein Ende gefunden und Österreich habe seine Ziele in Nizza erreicht, sowohl bei der Stimmgewichtung im Rat, bei der Verhinderung eines deutsch-französischen Direktoriums und bei der Einrichtung eines Verfahrens, das jedes "Mobbing" gegen ein Mitgliedsland in Zukunft verhindere.

Abgeordneten Gusenbauer erinnerte Khol an den Grundsatz, dass der Zweck nicht die Mittel heilige sowie an dessen Gespräch mit Moskovici, demgegenüber er sich bei Champagner dafür ausgesprochen habe, die Sanktionen ein Jahr aufrecht zu halten und ein internationales Moratorium durchzuführen. Statt im Ausland illegale Mittel zu unterstützen, sollte er als Patriot handeln, schloss Khol.

SP-Klubobmann Dr. KOSTELKA wies die Behauptung als tatsachenwidrig zurück, die SPÖ habe mit der FPÖ über eine Regierungsbildung verhandelt. Wahr sei aber, dass bereits dreieinhalb Monate vor dem Scheitern der SP-VP-Verhandlungen Gespräche zwischen Schüssel und Haider über die Bildung einer schwarz-blauen Koalition geführt wurden.

In einer persönlichen Erwiderung stellte VP-Klubobmann KHOL klar, dass es im Dezember 1999 Verhandlungen zwischen der SPÖ und der FPÖ über die Unterstützung einer von der SPÖ zu bildenden Regierung gab.

In einer tatsächlichen Berichtigung sagte Abgeordneter Dr. GUSENBAUER (S), dass es zwar richtig sei, dass er mit Staatssekretär Moskovici Champagner getrunken habe, dabei habe er mit ihm aber nicht über eine Verlängerung der Sanktionen, sondern darüber gesprochen, wie man aus den Sanktionen herauskommen könne.

Abgeordneter Dr. VAN DER BELLEN (G) räumte zunächst ein, dass an dem Vertrag von Nizza nicht alles schlecht sei und begrüßte namentlich die Vereinfachung der Wahl des Kommissionspräsidenten und die Stärkung seiner Rechte. Kritisch sah Van der Bellen aber die fehlende Demokratisierung der EU und die nach wie vor offene Frage, ob die EU durch die Beschlüsse von Nizza nun wirklich handlungsfähiger für die Erweiterung gemacht worden sei. Er vermisste zusätzliche Rechte für das europäische Parlament und die Einführung des Gewaltentrennungsprinzips in der EU, um die Dominanz des Rates zu überwinden. Van der Bellen begrüßte es daher, dass dies zum Gegenstand des Post-Nizza-Prozesses gemacht werden soll. Als Befürworter der EU-Erweiterung lehnte Van der Bellen die Einführung neuer Sperrminoritäten im Entscheidungsprozess ab, da dies die Erweiterung nicht erleichtern werde. In Nizza seien nationale Interessen stark geblieben, die großen Visionen für die Erweiterung haben gefehlt.

Zur Auffassung, die EU-Sanktionen hätten dem Geist der Integration widersprochen, merkte Van der Bellen an, den Sanktionen habe tatsächlich die Rechtsgrundlage gefehlt, sie hätten auf einer Improvisation der EU-14 beruht. Anders beurteilte er aber das Motiv hinter den Sanktionen, ging es doch um die Frage einer möglichen Verletzung europäischer Grundsätze wie Demokratie, Menschenrechte und Grundfreiheiten. Bestehe ein solcher Verdacht, könne man nicht von Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Mitgliedsstaates sprechen, sagte Van der Bellen. Er verwies auf Feststellungen des Weisenberichtes, auf Einschüchterungsversuche und die Klagswelle von Seiten der Freiheitlichen sowie darauf, dass Justizminister Böhmdorfer seine Pflicht als Staatsorgan verletzt habe.

Abgeordneter Ing. WESTENTHALER (F) bezeichnete Van der Bellens Ausführungen als völlig unglaubwürdig, solange er sich nicht von den Gewalttaten Joschka Fischers distanziere. Die Vorwürfe der drei Weisen gegenüber Minister Böhmdorfer seien erst kürzlich von Ludwig Adamovich als nicht legitim zurückgewiesen worden, weil sie sich auf dessen frühere Tätigkeit als Anwalt beziehen.

Auch Westenthaler erinnerte daran, dass Viktor Klima in seiner Verzweiflung über das Scheitern der Bemühungen für eine SP-VP-Koalition ein Angebot zur Bildung einer Koalition nach Unterstützung einer SP-Minderheitsregierung gemacht habe, das die Freiheitlichen nicht angenommen haben.

Mit dem Abstand eine Jahres sollte SP-Vorsitzender Gusenbauer, der "mit Sanktionierern Champagner getrunken" und die Verlängerung der Sanktionen um ein Jahr gefordert habe, die Größe haben, dies als Fehler einzugestehen und sich dafür zu entschuldigen, sagte Westenthaler und überreichte Gusenbauer in Anspielung an den "Holler", als den er die Sanktionen bezeichnete, eine Flasche "guten österreichischen Hollersekts".

Den Vertrag von Nizza beurteilte der FP-Klubobmann im Hinblick auf das neue Artikel-7-Verfahren positiv und betonte, dass die Balance zwischen den Großen und den Kleinen in der EU am Ende wieder gefunden wurde. Es sei einer der Erfolge Österreichs gewesen, eine Hierarchie und Achsenbildung Deutschland-Frankreich verhindert zu haben.

Hinsichtlich der Osterweiterung forderte Abgeordneter Westenthaler lange Übergangsregelungen für den Arbeitsmarkt sowie Lösungen für grenznahe Atomkraftwerke und sprach die Unrechtsgesetze wie Benes-Dekrete und Avnoj-Bestimmungen an. "Die Osterweiterung darf nicht zu Lasten Österreichs und seiner Bürger gehen, dafür wird sich diese Regierung einsetzen", zeigte sich Westenthaler überzeugt.

Vizekanzlerin Dr. RIESS-PASSER erklärte, die Sanktionen seien zwar unter Berufung auf europäische Werte verhängt worden, der demokratische Grundsatz, also die Souveränität des Volkes und sein Recht, eine Regierung zu wählen, sei durch die Sanktionen aber gröblichst verletzt worden. Die Vizekanzlerin wies die Auffassung zurück, dass es über dem demokratischen Prinzip eine übergeordnete moralische Instanz gäbe, und sah die wahren Beweggründe hinter den Sanktionen durch die Aussage des deutschen Außenministers Joschka Fischer verdeutlicht: "Den Österreichern muss eine Lektion erteilt werden." Den Anspruch einiger weniger Mächtiger in der EU, Einfluss auf Regierungen zu nehmen und zu bestimmen, wer in eine Regierung dürfe und wer nicht, wies die Vizekanzlerin entschieden zurück. Die Redner der Opposition forderte die Vizekanzlerin auf, ihre Kritik am Ergebnis des EU-Gipfels in Nizza an die Mehrheit der sozialdemokratischen Regierungschefs zu richten. Österreich habe dort für Europa wichtige Prinzipien erfolgreich verteidigt, etwa die Einstimmigkeit in Fragen des Trinkwassers, der Bodennutzung sowie der Asyl- und Fremdenpolitik.

Wichtig werde der Post-Nizza-Prozess und die Stärkung der nationalen Parlamente sowie insgesamt die Klärung des Verhältnisses zwischen EU und Nationalstaaten nach dem Kriterium der Subsidiarität. Zurückzuweisen ist für Riess-Passer die Ansicht, es gäbe im Integrationsprozess eine Avantgarde. Tatsächlich bestehe die EU aus gleichberechtigten Mitgliedern, hielt Vizekanzlerin Riess-Passer fest und bekannte sich zur Einheit in der Vielfalt als Ziel der europäischen Integration. Auch sei die Integration nicht quantitativ, sondern als ein qualitativer Prozess zu verstehen, der kein Wettrennen darstelle, bei dem die europäischen Bürger auf der Strecke bleiben. Als Beispiel einer zu raschen Integration nannte die Vizekanzlerin die europäische Agrarpolitik, wie die BSE- und die Futtermittelkrise zeige. Es könne nicht darum gehen, im Sinne eines falsch verstandenen Wirtschaftlichkeitsdenkens Hochleistungskühe zu züchten, sagte die Vizekanzlerin.

Abgeordneter Dr. EINEM (S) forderte Vizekanzlerin Riess-Passer dazu auf, Appelle für Qualität und Kommunikation nicht nur nach außen zu richten, sondern diese Grundsätze auch im Inneren einzuhalten. Es habe keine Verhandlungen der SPÖ über eine Regierungsbildung mit der FPÖ gegeben und es werde mit dieser FPÖ solche Verhandlungen auch in Zukunft nicht geben. Gegenüber dem Bundeskanzler tat der Redner seine Enttäuschung darüber kund, dass er auf die Grundrechte der europäischen Bürger, die in Nizza zur Diskussion standen, mit keinem Wort eingegangen sei.

Die Österreicher sind an soziale Gerechtigkeit, Fairness zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern und an einer sozialen Abstimmung interessiert. Daher sei die SPÖ auch nach wie vor die stärkste Partei. Diese soziale Dimension vermissten viele Österreicher in der EU, sagte Einem und beurteilte das Ergebnis des Gipfels von Nizza differenziert. Der einzige Erfolg Nizzas seien die formalen Voraussetzungen für den Beitritt neuer Mitglieder gewesen, nun gelte es, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass dieser Beitritt auch für die Menschen in Österreich erfolgreich verlaufe, daran mitzuarbeiten sei die Sozialdemokratie bereit, sagte Einem.

Schließlich warnte Abgeordneter Einem vor einer europäischen Entwicklung, die unter dem Titel "Sicherheits- und Verteidigungspolitik" auf die Bildung einer europäischen Großmacht hinauslaufe, die ihre Interessen auch außerhalb Europas mit militärischen Mitteln durchsetzen wolle.

In einer tatsächlichen Berichtigung stellte Abgeordneter Dr. KHOL (V) neuerlich klar, dass SPÖ und FPÖ Gespräche über die Unterstützung einer SP-Minderheitsregierung geführt haben. 

Abgeordneter Michael Spindelegger (V) stellte zunächst fest, dass es für die SPÖ ein schmerzlicher Aufarbeitungsprozess sein müsse, anzuerkennen, dass sie alles getan hat, um an der Macht zu bleiben. Sodann widmete er sich dem eigentlichen Thema und zog eine Bilanz der Ergebnisse des Gipfels von Nizza. Besonders wichtig für die Weiterentwicklung der EU und auch für Österreich sei seiner Ansicht nach der Beschluss, dass die Union erweiterungsfähig ist.

Die österreichischen Vertreter haben auch dazu beigetragen, betonte Spindelegger, dass kleinere und mittlere Staaten ihren Stellenwert behalten (z.B bei der Stimmgewichtung) und jedes Land in jeder Institution vertreten ist. Als größten Erfolg für Schüssel wertete er, dass in der Frage der Wasserressourcen weiterhin das Einstimmigkeitsprinzip gelte. Erfreut zeigte er sich auch darüber, dass im sicherheitspolitischen Bereich die Entwicklung dahin gehe, eine eigene europäische Truppe für das Krisenmanagement aufzubauen.

In einer tatsächlichen Berichtigung widersprach Abgeordneter Caspar Einem (S) seinem Vorredner und meinte, schmerzlich sei nur, dass mehrere Personen in der Frage "Verhandlungen der SPÖ mit der FPÖ über eine mögliche Regierungsbeteiligung" die Unwahrheit gesagt haben.

Abgeordnete Ulrike Lunacek (G) bezweifelte, dass die Ergebnisse von Nizza wirklich dazu beigetragen haben, die Erweiterungsfähigkeit der Union zu sichern. Auch der zuständige Kommissar Verheugen und der Regierungsbeauftragte Busek haben Bedenken angemeldet, ob dies so rasch geschehen könne. Außerdem habe man die Entscheidungsfindungsprozesse in der EU noch um einiges komplizierter gestaltet und keine echte Lösung für das Problem der zukünftigen Anzahl der Kommissare gefunden, gab die G-Mandatarin zu bedenken.

Der Außenministerin warf Lunacek vor, keine Initiativen gesetzt zu haben und ihre Vorschläge betreffend "Plattform Österreich" und "Strategische Partnerschaft" nicht umgesetzt zu haben. Überdies werde versucht, den Österreichern in der Neutralitätsdiskussion die Bündnisfreiheit als "trojanisches Pferd" zu verkaufen, um den Weg in die Nato frei zu machen. Aus diesem Grund brachte sie einen entsprechenden Entschließungsantrag betreffend "Neutralität, Sicherheitsdoktrin und GASP der EU" ein.

Abgeordneter Karl Schweitzer (F) wies seine Vorrednerin darauf hin, dass die Österreich-Plattform in den nächsten Tagen Gestalt annehmen werde. In der Grenzregion Burgenland habe diese Plattform bereits getagt, führte Schweitzer aus, die Vertreterin der Grünen habe es aber vorgezogen, daran nicht teilzunehmen. Die Opposition müsse zudem zur Kenntnis nehmen, dass die Nestbeschmutzeraktionen von Gusenbauer und von Van der Bellen nicht wirklich aufgegangen sind und auch von der Bevölkerung nicht goutiert wurden. Schweitzer zeigte sich zufrieden mit dem Ergebnis von Nizza, das eindeutig die österreichische Handschrift trage.

Außenministerin Benita Ferrero-Waldner gab einleitend bekannt, dass sie namens der Republik am 26. Februar den Vertrag von Nizza, dem sehr lange und schwierige Verhandlungen vorangegangen sind, unterzeichnen werde. Natürlich stelle der Vertrag einen großen Kompromiss dar, räumte sie ein, aber Österreich habe alles bekommen, was man sich vorgenommen hat. Das vorrangige Ziel sei es gewesen, die Union erweiterungsfähig zu machen, was auch gelungen sei. Hinsichtlich der Stimmgewichtung hätte sich Österreich, vor allem in der Sozial- und Steuerpolitik, eine Weiterentwicklung gewünscht, aber einige Länder (z.B. Großbritannien und Dänemark) sind nicht mitgegangen. Erfreulich sei auch, dass es nun die Möglichkeit gibt - unter ganz bestimmten Voraussetzungen - in einzelnen Fragen verstärkt zusammenzuarbeiten. In Richtung der Abgeordneten Lunacek merkte die Ressortchefin an, dass ihr Haus bereits ganz intensiv an den Projekten "Österreich-Plattform" und "Strategische Partnerschaft" arbeite. Sie habe noch nie etwas angekündigt, was sie nicht in die Tat umsetze, betonte Ferrero-Waldner, und sie werde daher um den 1. April diese Plattform auch vorstellen.

Abgeordnete Andrea Kuntzl (S) zog eine negative Bilanz des ersten Jahres der "Wendepolitik", die nicht nur einen gnadenlosen Machtrausch, eine Politik, die Arme ärmer und Reiche reicher macht, eine gesellschaftliche Spaltung, sondern auch viel Inszenierung gebracht hat. Unter sozialer Treffsicherheit werde nunmehr anscheinend verstanden, jene zu treffen, die am schlechtesten dran sind, beklagte die Rednerin. In Frage stellte Kuntzl auch die Rolle des Bundeskanzlers, der zwar angetreten sei, die FPÖ zu zähmen, aber gleichzeitig etwa die von Riess-Passer angekündigte Absetzung von Sallmutter schönrede. Wer habe hier wohl wen gezähmt?

Nach dieser Polemik wolle er sich wieder dem eigentlichen Thema zuwenden, sagte Abgeordneter Günther Stummvoll (V), nämlich den positiven Auswirkungen des Gipfels von Nizza für den Wirtschaftsstandort Österreich. Schon die letzten zehn Jahre seien Beweis dafür, dass die Chancen einer verstärkten Zusammenarbeit bzw. einer Erweiterung größer sind als die Risken, argumentierte er. Die Außenwirtschaft sei eine einzige Erfolgsstory, meinte Stummvoll, denn die Exporte haben sich während dieses Zeitraums mehr als verdreifacht. Interessant sei auch, dass 22 von 25 politischen Bezirken, die an die neuen Beitrittskandidaten angrenzen, ein höheres Beschäftigungswachstum aufweisen als der österreichische Durchschnitt. Nichtsdestoweniger seien flexible Übergangsregelungen erforderlich, weshalb er die Initiative von Bundeskanzler Schüssel zur Erhaltung und Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Grenzregionen sehr unterstütze.

Abgeordnete Evelin Lichtenberger (G) konnte sich der Auffassung der Redner der Regierungsparteien nicht anschließen, wonach es sich bei Nizza um richtungweisende Beschlüsse handle. Sie habe eine Vielzahl von Gesprächen mit Bürgern geführt und festgestellt, dass Brüssel noch immer als "Babylon" und "undurchsichtig" wahrgenommen werde. Außerdem werde von der Regierung kommuniziert, dass die Durchsetzung der eigenen Interessen im Vordergrund steht, wodurch ein europäischer Geist auf der Strecke bleibe. Für absolut verfehlt hielt sie auch, dass das Europäische Parlament "ins Eck gestellt werde" und den nicht direkt gewählten Ministerräten die ganze Macht in die Hand gegeben wird. Die Grünen werden sich zudem weiter dagegen wehren, dass in manchen Bereichen, z.B. in der Wasserfrage, eine Privatisierung auf "Teufel komm raus" betrieben werde.

Abgeordneter Wolfgang Jung (F) erinnerte daran, dass für die FPÖ beim Gipfel von Nizza folgende Themen im Vordergrund standen: keine Abtretung von vitalen Rechten, keine Vorherrschaft der großen Länder, keine Eingriffsmöglichkeiten hinsichtlich der Verfügungsgewalt über das Wasser, keine substantielle Einschränkung des Vetorechts sowie Entscheidungsautonomie in der Fremden- und Asylpolitik. Grundsätzlich stellte er der Außenpolitik der Bundesregierung ein gutes Zeugnis aus, da Österreich sich behauptet habe und im Ausland begriffen wurde, dass allein die österreichische Bevölkerung ihre Regierung bestimmen kann. Auch eine Einmischung Russlands in die österreichische Politik dürfe nicht akzeptiert werden, unterstrich Jung.

Einer herben Kritik unterzog Abgeordneter Dr. KOSTELKA (S) nicht nur das Ergebnis von Nizza, sondern auch die heutige Rede des Bundeskanzlers. Darin hätten die EU und deren Zukunft eine kleinere Rolle gespielt als das Feiern der ein Jahr zurückliegenden Regierungsbildung. Schüssel habe darin abermals die "Dolchstoßlegende" von den Sanktionen bemüht.

Kostelka erinnerte an die von den Regierungsfraktionen im Hauptausschuss beschlossene Stellungnahme, in der die österreichische Handlungsposition für den Rat in Nizza klar abgesteckt gewesen sei. Im Gegensatz dazu sei ein Kommissar für jedes Land nicht mehr dauerhaft gesichert, nämlich spätestens dann, wenn das 27. Land der EU beitritt. Österreich werde auch bei der nächsten EU-Wahl vier Mandate weniger haben, sein Anteil an der Sperrminorität sei reduziert, Österreich und alle kleineren Länder seien insgesamt schwächer geworden, kritisierte der Redner. Das Resümee des Rates von Nizza, so Kostelka, lasse sich daher folgendermaßen zusammenfassen: Die neuen Mehrheiten sind komplizierter geworden, das EU-Parlament wurde nicht gestärkt, die Entscheidungs- und Erweiterungsfähigkeit bestehe nur formal, funktional sei das Ergebnis genau umgekehrt.

Abschließend widmete sich Kostelka der österreichischen Sicherheitspolitik. Der Regierung rief er dabei unter Hinweis auf die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit zu, dass sie auf dem Boden des Neutralitätsgesetzes zu stehen habe, so lange es die SPÖ gebe. Die Diskussion über die Bündnisfreiheit bezeichnete er als "intelligent, aber durchschaubar" und mutmaßte dahinter die Absicht, an Sanktionen ohne UN-Mandat teilnehmen zu wollen, was völkerrechtlich der Führung von Kriegen gleichkomme. Dezidiert sprach er sich zum wiederholten Mal gegen einen NATO-Beitritt aus, da die Nordatlantische Allianz kein Sicherheitskonzept der Zukunft sei.

Abgeordneter SCHWARZENBERGER (V) hielt den Vorwurf seines Vorredners, Österreich wolle Kriege führen, für "an den Haaren herbeigezogen" und erinnerte gleichzeitig an die Entscheidung Klimas, Truppen in den Kosovo zu schicken. Er widersprach Kostelka auch in dessen Analyse des Ergebnisses von Nizza und meinte, dass der Bundeskanzler alle Punkte des Beschlusses des Hauptausschusses habe durchsetzen können.

Schwarzenberger widmete sich dann der Landwirtschaft, die wie kein anderer Bereich vergemeinschaftet ist, und unterstrich dabei das Interesse, diesen Wirtschaftszweig bei den Beitrittsverhandlungen zu schützen. Die beitrittswilligen Länder müssten seiner Ansicht nach die gleichen Qualitäts- und Hygienestandards vorweisen können wie die EU-Mitglieder. 

Abgeordneter SCHIEDER (S) monierte bei den zukünftigen europäischen Weichenstellungen eine neue Form der Außen- und Sicherheitspolitik und eine neue internationale Politik. Man müsse, so der Mandatar, über die Ebene der Regierungschefs hinaus gehen und dem Entscheidungsprozess einen Konvent-Charakter bzw. mehr basisdemokratischen Charakter geben. Das bedeute, weg von den rein diplomatischen Verhandlungen zu kommen und sowohl die Parlamente als auch die Gesellschaft, etwa durch NGOs, verstärkt einzubinden.

Auch er hielt dem Bundeskanzler kritisch entgegen, seine Rede mehr als eine "Jahrestagsfeier" angelegt und die wirklichen Fragen von Nizza zu wenig behandelt zu haben. Ihm, Schieder, fehlten beispielsweise Aussagen darüber, was Österreich im Bereich der verstärkten Zusammenarbeit beabsichtige oder welche Überlegungen es zu strategischen Partnerschaften gebe. In Bezug auf die Grundrechtscharta habe die SPÖ immer vor der Doppelgleisigkeit zur MRK gewarnt, aber auch zu dieser Frage vermisse er Aussagen des Kanzlers. Schieder konzedierte, dass es zu den Benes-Dekreten oder AVNOJ-Beschlüssen seitens der betreffenden Beitrittskandidaten deutliche Erklärungen geben müsse, er hielt es aber für "nicht gescheit", dies mit dem Beitritt zu verknüpfen. Der Redner sprach sich auch für eine Einbindung jener Länder aus, für die es noch einen langen Weg zur EU gebe, und trat in diesem Zusammenhang für eine Stärkung des Europarates ein. Auch die Beziehungen der EU zur UNO sollten laut Schieder intensiviert werden. 

Abgeordneter Mag. SCHENDER (F) bezeichnete die EU als eine Chance für die Jugend und die Zukunft und bewertete die Weiterentwicklung der EU in Richtung Demokratisierung und Ausbau der Grundrechte als positiv. Er schränkte jedoch ein, dass die Entwicklung gut vorbereitet sein müsse, weshalb bei der Osterweiterung Übergangsfristen im Bereich der ArbeitnehmerInnen notwendig seien. Von den Beitrittskandidaten forderte er partnerschaftliches Verhalten ein und bezichtigte die tschechische Regierung der Arroganz im Umgang mit den Sorgen der oberösterreichischen Bevölkerung in Bezug auf Temelin. Im Gegensatz zu seinem Vorredner hält er es für richtig, die Distanzierung der betreffenden Staaten von den "Unrechtsnormen", wie er die Benes-Dekrete und AVNOJ-Bestimmungen nannte, mit dem Beitritt zu verknüpfen.

Am Ende seiner Wortmeldung ging Schender auf die EU-Sanktionen ein, die die Glaubwürdigkeit der Union stark vermindert hätten, und warf der SPÖ zum wiederholten Male vor, in der Sozialistischen Internationale gegen die Regierung agiert zu haben.

„Natürlich war der Gipfel von Nizza erfolgreich“, so begann Abgeordneter MURAUER (V) seine Ausführungen. Die Staaten hätten wichtige Weichen für eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik gestellt und mit der Erweiterung werde der Grundidee der EU Rechnung getragen. Die Regierung gebe mit der Vorlage der Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin auf den Wandel in der Sicherheitspolitik eine geeignete Antwort. Und in Richtung SPÖ meinte Murauer: „Sicherheit ist bestimmt nicht alles, aber ohne Sicherheit ist alles nichts“.

Abgeordneter Dr. KURZMANN (F) zeigte sich ebenfalls mit dem Verhandlungsergebnis in Nizza zufrieden. Er begründete dies damit, dass die Mehrheitsentscheidungen behutsam ausgedehnt worden seien, sensible Materien aber weiterhin dem Einstimmigkeitsprinzip unterlägen, wodurch die vitalen Lebensinteressen Österreichs wirksam geschützt würden. Die Regierung habe mit ihrem Beharren auf das Veto Schaden von Österreich abgehalten, während SozialdemokratInnen und Grüne für die völlige Aufgabe des Einstimmigkeitsprinzips gewesen wären. Auch die Änderung des Art. 7 sei ein Erfolg, genau so wie die Verankerung der Individualverantwortung der Kommissare. Die Institutionenreform sei eine Voraussetzung für die Erweiterung, nun liege es aber an den beitrittswilligen Staaten selbst, die Beitrittskriterien zu erfüllen.

Bei der darauf folgenden Abstimmung wurde der Entschließungsantrag der Abgeordneten Lunacek von F und V abgelehnt und blieb somit in der Minderheit.

(Schluss)