Parlamentskorrespondenz Nr. 63 vom 31.01.2001

KEINE ABGELTUNG VON LEID, ABER EIN WICHTIGES ZEICHEN

Nationalrat beschließt einstimmig Entschädigungsfondsgesetz

Wien (PK) - In den Abendstunden debattierte der Nationalrat die Vorlagen zum Entschädigungsfondsgesetz und zur Änderung des Nationalfondsgesetzes. Die beiden Vorlagen wurden - auch in 2. und 3. Lesung - einstimmig beschlossen.

S-F-VP-G-ANTRAG 350/A BEZÜGLICH NOVELLIERUNG DES BUNDESGESETZES ÜBER DEN NATIONALFONDS DER REPUBLIK ÖSTERREICH FÜR OPFER DES NATIONALSOZIALISMUS * ENTSCHÄDIGUNGSFONDSGESETZ UND ÄNDERUNG DES ASVG UND DES OPFERFÜRSORGEGESETZES

--------------------------------------------------------------

Abgeordneter Dr. GUSENBAUER (S) würdigte als Erstredner den Umstand, dass dieses Abkommen und die damit in Zusammenhang stehenden Materien zustande kamen und meinte, dies sei für Österreich von besonderer Wichtigkeit. Er dankte all jenen, die an dieser Materie mitgewirkt haben.

Mit diesen Gesetzen werde die Aufarbeitung der Vergangenheit weiter vorangetrieben, wobei auch die Mitverantwortung an diesem finstersten Kapitel der Geschichte einbekannt werde. Wenngleich Österreich staatlich damals nicht existierte, so kann doch nicht geleugnet werden, dass Österreicher Schuld auf sich luden, was im übrigen erstmals 1991 und 1993 von einem sozialdemokratischen Bundeskanzler auch öffentlich einbekannt wurde.

Dieses Handeln erfolge aber nicht nur für die Opfer, sondern auch "für uns selbst", gelte es doch, für die Zukunft Lehren zu ziehen. Dabei genüge das Wissen um die Vergangenheit nicht, es bedürfe auch des Lernens aus dieser Geschichte. Auch wenn nun in materieller Hinsicht das Nötige getan sei, müsse klar gesagt werden, dass dies keine "Wiedergutmachung" sein könne, wie auch in dieser Frage keinen "Schlussstrich" geben könne. Immerhin aber wurde für die Überlebenden eine der letzten Gelegenheiten genützt, eine kleine Geste zu setzen, worüber er froh sei.

Abgeordneter Dr. KHOL (V) zitierte eingangs die Präambel zur Regierungserklärung, in der sich die Regierung zu ihrer Verantwortung und zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit bekenne. Diese Verantwortung habe sie wahrgenommen, die Regierung und der gesamte Nationalrat habe Wort gehalten, wie sich an zahlreichen Beispielen belegen lasse. Hiermit folge nun ein weiterer Schritt.

Österreich war zwar 1938 erstes Opfer des Nationalsozialismus, aber es habe unter den Landsleuten auch nicht wenige Täter gegeben. Mit dieser Novelle komme Österreich nun abermals seiner Verantwortung nach, worüber er sich freue. In diesem Zusammenhang brachte Khol auch eine Vierparteienentschließung zur Verlesung.

Der Redner würdigte das Engagement der an dieser Lösung Beteiligten und meinte, hier sei ein Ergebnis zustande gekommen, womit dieses Thema zu einem Abschluss gebracht werden konnte. Khol schloss mit einem Zitat des US-amerikanischen Vizefinanzministers, der die Bemühungen Österreichs auf diesem Gebiet gewürdigt habe.

Abgeordneter Dr. KRÜGER (F) sagte, Österreich brauche sich für die Regelungen zur Wiedergutmachung weder zu schämen, noch seien diese ein Grund, sich "auf die Schulter zu klopfen". Es seien die heutigen Vorlagen nicht die ersten diesbezüglichen Gesetze, andererseits habe es immer wieder Strömungen gegeben, die versuchten, "die Sache in die Länge zu ziehen".

Mit den heutigen Gesetzesvorlagen werde etwas sehr Wesentliches geleistet. Es werde damit ein Schlussstrich unter allfällige materielle Ansprüche gezogen, wenngleich man sich jederzeit der geschichtlichen Verantwortung zu stellen habe. In diesem Zusammenhang unternahm der Redner einen historischen Rückblick, dabei auf die Opfer, aber auch auf die Täter des Holocaust eingehend. Man dürfe auf Schreibtischtäter ebenso wenig wie auf "KZ-Schergen" vergessen, dieser Verantwortung stelle man sich.

Mit diesen Vorlagen würden Lücken in der Wiedergutmachungs-Gesetzgebung geschlossen, mit denen ein Schlussstrich unter den finanziellen Aspekt dieses Themas gezogen werden könne. Der Nationalrat werde diese wichtigen Gesetze beschliessen und den noch lebenden Opfern rasch finanzielle Genugtuung geben.

Abgeordnete Mag. STOISITS (G) meinte, es gebe kein "Freikaufen von der Geschichte" und insofern könne es auch keinen Schlussstrich unter dem Holocaust geben. Die Rednerin zitierte den ehemaligen Abgeordneten Voggenhuber, dessen Worte anlässlich der Debatte um den NS-Nationalfonds für sie Programm für dieses Thema seien.

Die heutigen Vorlagen seien somit ein Schritt zu einem Verständnis für die Geschichte dieses Landes im Interesse auch der jungen Leute dieses Landes, die ein Recht auf diese Abklärung hätten. Die Grünen sähen dies als einen Teil der Verpflichtung gegenüber den künftigen Generationen, die ein Recht auf eine unbelastete Zukunft hätten. Vielen sei zu danken, vor allem aber jenen, die "56 Jahre lang Geduld gehabt" hätten. Sodann ging die Abgeordnete auf den Inhalt der in Rede stehenden Vorlagen ein und stellte einen Abänderungsantrag betreffend die Antragsberechtigung.

Abgeordneter Mag. POSCH (S) schloss inhaltlich an seine Vorrednerin an und sagte, angesichts der historischen Dimension der NS-Vernichtungspolitik könne es nur "Annäherungen" geben. Er verwies auf die lange Vorgeschichte der sogenannten Wiedergutmachung und auf die diesbezüglich hierzulande begangenen Fehler hin. Daraus leitete Posch auch Maßgaben für die heutige Politik ab, gehe es doch auch um die "geistige Restitution" und darum, den "Anfängen zu wehren".

Abgeordnete Dr. BAUMGARTNER-GABITZER (V) bezeichnete den heutigen Moment der Beschlussfassung als einen "historischen" und verwies darauf, dass damit in weniger als einem Jahr eines der wesentlichen Ziele der Bundesregierung erreicht werden konnte, was ihr als Verdienst angerechnet werden müsse. In ernsthaften und konstruktiven Gesprächen habe man eine Lösung gefunden, mit der die Lücken in dieser Materie geschlossen werden konnten, wofür sie den Beteiligten danke.

Abgeordneter Dr. OFNER (F) schloss sich den Dankesworten an die Verhandler an und erinnerte sich an seine eigene Anwaltstätigkeit in diesem Zusammenhang und zeigte sich zufrieden darüber, dass sich die Republik Österreich dazu entschlossen habe, diesen Weg im Interesse der Opfer einzuschlagen, wozu auch die Bestrafung der Schuldigen gehöre. So erlebe man in dieser Stunde einen wichtigen Akt der Wiedergutmachung, betonte der Redner. Recht und Unrecht seien aber unteilbar, und so bleibe auf diesem Feld jenseits des materiellen Aspekts noch viel zu tun, so Ofner.

Bundeskanzler Dr. SCHÜSSEL verwies darauf, dass die Einigung in der Zwangsarbeiterfrage und die heute präsentierte Restitutionslösung binnen eines Jahres gelungen sei, was der Regierung als Erfolg angerechnet werden müsse. Es sei dieser aber ein gemeinsamer Erfolg, ein Zeichen für einen immer noch existierenden rotweißroten Konsens. Der Abschluss dieser Lösung lasse ihn gleichwohl nicht frei von Emotion, und so danke er all jenen, die Maßgebliches zu diesem Prozess beigetragen hätten.

Der Regierungschef dankte auch den Fraktionen des Hauses für ihre Beiträge und meinte, hier sei ein erstklassiges Stück Arbeit gelungen. Keine Finanzgeste könne eine Abgeltung für das Leiden der Opfer sein, dennoch sei die heute beschlossene Massnahme ein wichtiges Zeichen. Österreich handle hier spät - für viele Opfer zu spät -, aber es sei besser, jetzt zu handeln, anstatt noch mehr Zeit zu verlieren. Es sei daher richtig gewesen, diesen Weg eingeschlagen zu haben.

Österreich wolle sich nicht von einem Problem befreien - denn hier könne es tatsächlich keinen Schlussstrich geben -, aber es müsse Rechtssicherheit geben. Dieser Vertrag diene diesem Ziel. Sodann ging der Redner auf Details der Materie ein und hielt fest, die Regierung werde sich gerne an die Inhalte der heute eingebrachten Entschliessung halten. Man beschränke sich also nicht auf Worte, man setze endlich auch die entsprechenden Taten, schloss der Kanzler.

Abgeordneter Dr. FEURSTEIN (V) stimmte Bundeskanzler Schüssel darin zu, dass es bei den vorliegenden Gesetzen nicht um Wiedergutmachung im eigentlichen Sinn gehe, sondern um Entschädigungen. Wesentlichstes Motiv sei es, jenen Menschen zu helfen, die in den Jahren 1938 bis 1945 besonders gelitten haben. Als besonders wichtig für die im Ausland lebenden Opfer des Nationalsozialismus wertete Feurstein, dass sie in das österreichische Pflegegeldsystem einbezogen würden.

Abgeordneter Dr. BÖSCH (F) wies darauf hin, dass von den vorgesehenen Entschädigungen 150 Mill. Dollar beschleunigt zur Verteilung gelangen sollen. Insgesamt würden an die Opfer des Nationalsozialismus, bezieht man die Zahlungen des Nationalfonds und die Zwangsarbeiterentschädigung mit ein, über eine Milliarde Dollar bzw. 16 Mrd. S ausgezahlt. Bösch betonte, dass es bereits zuvor eine umfassende Entschädigungsgesetzgebung gegeben habe und nunmehr nur jene wenigen Lücken geschlossen werden müssten, die bisher nicht davon erfasst gewesen seien.

Abgeordneter ÖLLINGER (G) nannte die Einigung mit den USA eine historische Leistung, bedauerte aber, dass dieser historischen Leistung keine "historische Rede" von Bundeskanzler Schüssel gefolgt sei. Er warf Schüssel vor, oftmals geschwiegen zu haben, und machte geltend, dass auch viele Österreicher an Gräueltaten nicht nur im Bereich der SS, sondern auch im Bereich der Wehrmacht beteiligt gewesen seien. Öllinger zufolge hätte dem "Versuch der Entschuldigung" Schüssels für die späten Leistungen an die NS-Opfer eine klare Entschuldigung des Landes gegenüber den Betroffenen folgen müssen.

Dritter Nationalratspräsident Dr. FASSLABEND (V) sprach von einer "historischen Stunde", die auch persönliche Bekenntnisse erfordere. Er sieht die Verpflichtung, das Gedenken an die "unvorstellbaren Ereignisse", die es vor etwas mehr als einem halben Jahrhundert gegeben habe, an die zukünftigen Generationen weiterzugeben. Fasslabend erinnerte außerdem daran, dass es viele Opfer des Nationalsozialismus auch nach 1945 nicht gewagt hätten, nach Hause zurückzukehren und auch kein Zeichen Österreichs in diese Richtung erfolgt sei.

Die Änderung des Nationalfonds-Gesetzes und das Entschädigungsfonds-Gesetz wurden vom Nationalrat ebenso einstimmig beschlossen wie der Vier-Parteien-Entschließungsantrag betreffend das Ergebnis der Restitutionsverhandlungen. Der Abänderungsantrag der Grünen zum Entschädigungsfonds-Gesetz fand keine Mehrheit. (Schluss)