Parlamentskorrespondenz Nr. 249 vom 29.03.2001

NATIONALRAT IM SCHATTEN DER STÖRFÄLLE VON TEMELIN

Kurzdebatte über Anfragebeantwortung des Umweltministers

Wien (PK) - Donnerstag Nachmittag wurde die Debatte zum Budget 2002 im Nationalrat für zwei Kurzdebatten unterbrochen. Die Grünen hatten eine Debatte über die Anfragebeantwortung 1762 A/B ihrer Anfrage 1742 J an den Umweltminister verlangt, die Fraktionen der Koalition stellten einen Fristsetzungsantrag für ihren Antrag 412/A, betreffend die Ambulanzgebühren.

Es sei bezeichnend, dass es immer die Aufgabe der Opposition sei, die Causa Temelin aufzugreifen, meinte Abgeordnete Dr. GLAWISCHNIG (G) als erste Rednerin der Kurzdebatte zur Anfragebeantwortung durch Minister Molterer. Die Rednerin sprach von einer eklatanten Sicherheitsproblematik und wies darauf hin, dass mittlerweile schon 15 Störfälle aufgetreten und schwere Konstruktionsmängel festgestellt worden sind. Die Anti-Atompolitik der Bundesregierung, vor allem die des "Schweigekanzlers", habe versagt, was auch der Ausstieg der Umweltorganisationen aus der "Melker Vereinbarung" beweise. Sie forderte den Bundeskanzler nachdrücklich auf, neue Verhandlungen zu starten und der Tschechischen Republik ein ernstzunehmendes Ausstiegsangebot zu unterbreiten.

In den letzten Wochen seien bereits in allen Bereichen, die beim Gipfel von Melk angesprochen wurden, gemeinsame Schritte zur Umsetzung erfolgt, stellte Staatssekretär MORAK einleitend fest. Allerdings ergaben und ergeben sich auf tschechischer Seite bedauerlicherweise bisweilen vermeidbare Verzögerungen und leider häufen sich Meldungen über Störfälle in Temelin. Da noch im Jänner wesentliche Fragen der Umsetzung sowohl zum Ablauf als auch zum Inhalt der UVP ungeklärt waren, habe sich der Bundeskanzler persönlich an Premierminister Zeman gewandt und die Umsetzung der Vereinbarung eingemahnt, berichtete Morak. Mit der gemeinsamen Erklärung des Umweltminister Molterer und des tschechischen Außenministers vom 13. Februar 2001 konnten essentielle Elemente der weiteren Vorgangsweise außer Streit gestellt werden. Morak stellte klar, dass Art und Weise der Berücksichtigung der Bereiche Variantenanalyse und schwere Unfälle sowie die Qualität der Öffentlichkeitsbeteiligung die Akzeptanz des gesamten Prozesses aus österreichischer Sicht wesentlich beeinflussen werden. Auf die entscheidende Bedeutung dieser Punkte wurde die tschechische Seite zuletzt im Rahmen einer Intervention im tschechischen Außenamt, die vergangenen Freitag erfolgte, mit Nachdruck hingewiesen.

Sodann informierte er die Abgeordneten über den aktuellen Stand der Umsetzung der Vereinbarung des Gipfels von Melk und machte darauf aufmerksam, dass auf österreichischer Seite die Implementierung unter Leitung des Umweltministers erfolge, wobei es eine enge Zusammenarbeit mit dem Umweltbundesamt gebe. Dass die Bundesregierung dieser Thematik eine sehr hohe Priorität beimesse, könne man allein schon daran erkennen, dass ein außerordentlicher Ausgabenrahmen von bis zu 45 Mill. S zur Umsetzung der "Melker Vereinbarung" bereitgestellt wurde. Bereits in der nächsten Woche werden weitere wichtige Gespräche auf Expertenebene sowohl zur UVP als auch zu Sicherheitsfragen in Prag stattfinden. Eine ganz konkrete Zwischenbilanz werde man am 10. April zu ziehen haben, erläuterte Morak, da an diesem Tag die tschechische Seite die Umweltverträglichkeitserklärung veröffentlichen müsse. Im Anschluss daran gibt es die Möglichkeit, innerhalb der nächsten 30 Tage Stellungnahmen abzugeben. Eine Anhörung in Österreich ist für die erste Maihälfte anberaumt, teilte der Staatssekretär mit.

Morak machte weiters darauf aufmerksam, dass die Regierungsvertreter die Umweltorganisationen von Anbeginn an regelmäßig informiert und nach Möglichkeit eingebunden hätten. So wurde am 23.1. eine mehrstündige Informationsveranstaltung im Umweltministerium abgehalten. Auch nächste Woche würden wieder zwei derartige Treffen stattfinden, und zwar am 4. April in Linz und am 6. April in Wien. Zusätzlich werden auf der Internet-Seite des Umweltbundesamtes laufend relevante Informationen zum KKW Temelin, insbesondere zur UVP und zu den Sicherheitsfragen, der interessierten Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht. Er glaube, dass damit deutlich klar gelegt wurde, welche Bedeutung die Bundesregierung dieser Frage beimesse. Zudem versicherte er, dass sich die Regierung mit allen zur Gebote stehenden Mitteln für den Schutz der österreichischen Bevölkerung und der Umwelt vor Nukleargefahren einsetzen werde.

Abgeordnete Mag. SIMA (S) konnte sich der Argumentation Moraks nicht anschließen und beklagte, dass die Umweltorganisationen allen Informationen nachlaufen müssten. Gestern sei der 15. Störfall seit Inbetriebnahme des KKW Temelin aufgetreten, die Bundesregierung habe jedoch in keiner Weise auf die unglaubliche Pannenserie reagiert. Nach wie vor gebe es noch viele ungeklärte Fragen im Zusammenhang mit der UVP, z. B. was den Zeitplan, die öffentliche Anhörung und die Bürgerbeteiligung anbelangt, bemängelte Sima. Die Grünen werden den Widerstand der Bürger in Oberösterreich unterstützen, weil wirklich "Feuer am Dach" sei.

Die Schwierigkeiten mit der tschechischen Seite seien hinlänglich bekannt, erklärte Abgeordneter KOPF (V), umso beachtlicher sei es daher, dass es der Bundesregierung gelungen sei, das "Melker Abkommen" abzuschließen. Dort wurde eine UVP vereinbart, die die österreichische Bevölkerung und die NGOs einbindet. Da man am 10. April mit der Vorlage einer Umweltverträglichkeitserklärung rechnen könne, sei es für ihn unverständlich, weshalb die Umweltorganisationen aus dem Prozess jetzt aussteigen wollen. 

"Wir stehen mit Sicherheit vor einer der größten Bedrohungen der Menschheit", unterstrich Abgeordneter Ing. FALLENT (F), da Temelin ein Hochrisikoreaktor sei. Er forderte alle Fraktionen zur Zusammenarbeit auf, um gemeinsam etwas zu erreichen. Die "Melker Vereinbarung" müsse auf Punkt und Beistrich erfüllt werden, ein gänzlicher Ausstieg Europas aus der Atomenergie in einem kurzfristigen Zeitraum angestrebt und energiesparende Maßnahmen forciert werden. Die heimische Energiewirtschaft dürfe nicht in die Hände der ausländischen Atomenergieproduzenten gelangen, betonte Fallent.

Umweltminister Mag. MOLTERER betonte neuerlich, dass die Stärke der österreichischen Anti-Atompolitik darin liege, dass es eine gemeinsame Basis aller Parteien gebe. Dies komme auch dadurch zum Ausdruck, dass es eine intensive Abstimmung aller Schritte mit den betroffenen Bundesländern gebe. Er sei der Auffassung, dass die Chance des "Melker Abkommens" ergriffen werden sollte. Was die 29 Punkte anbelangt, so wurden diese als Fragen definiert und im Internet öffentlich zugänglich gemacht, erläuterte er. Er ersuchte alle Fraktionen, dazu beizutragen, diesen offenen und transparenten Prozess zum Wohle der Sicherheit aller Menschen in diesem Land zu unterstützen.

Abgeordnete Dr. MOSER (G) hielt es für dringend notwendig, dass von Seiten der Regierungsspitze endlich aktiv eingegriffen werde. Besonders kritisierte sie, wie das tschechische Umweltministerium mit der Umweltverträglichkeitsprüfung umgehe. Hier werde "drübergefahren" und nicht detailliert geprüft, bemängelte sie. Es müsse eine Nachdenkpause geben und von Seiten der EU - mit Unterstützung Österreichs - ein offensives Ausstiegsszenario angeboten werden.

Bei der Abstimmung wurde der von der Abgeordneten Moser eingebrachte Antrag, die Anfragebeantwortung nicht zur Kenntnis zu nehmen, mehrheitlich abgelehnt.

KURZDEBATTE ÜBER FRISTSETZUNGANTRAG BETR. AMBULANZGEBÜHR

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Abgeordneter Dr. PUMBERGER (F) erläuterte den Fristsetzungsantrag und wies darauf hin, dass der Behandlungsbeitrag-Ambulanz mittlerweile von allen Experten als Lenkungsmaßnahme akzeptiert werde. Da der Verfassungsgerichtshof auf Grund eines reinen Formalfehlers diese Bestimmungen aufgehoben hat, müsse nun rasch gehandelt werden. Trotz der "Arbeitsverweigerung" der Opposition, die keinem Ausschusstermin zugestimmt habe, sei es nunmehr möglich, am 2. April einen Beschluss zu fassen. Sodann erläuterte er die neuen Regelungen und nannte als Beispiel die Erleichterungen bei der Administrierbarkeit sowie die Tatsache, dass auch Kinder vom Behandlungsbeitrag ausgenommen sind. 

Abgeordneter LACKNER (S) kritisierte, dass die Neuregelung der Ambulanzgebühren im Husch-Pfusch-Verfahren durch das Parlament geschleust werden soll. Für diese "unsoziale und unüberlegte Ambulanz-Strafsteuer", die im Eilzugstempo beschlossen werde, geben sich die Sozialdemokraten sicherlich nicht her. Es gebe weder ein Begutachtungsverfahren noch eine ordentliche Ausschussarbeit und es werden auch keine Experten beigezogen, kritisierte Lackner.

Abgeordneter Dr. LEINER (V) bezichtigte die SPÖ, "Blödsinn" hinauszutragen und die Menschen damit zu verunsichern, was "unverantwortlich" sei. Die Ambulanzgebühr sei kein Finanzierungsinstrument, sondern ein Lenkungsinstrument. Gleichzeitig sprach sich der Redner für den Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur, vor allem im ländlichen Raum, aus und  forderte die Opposition auf, gemeinsam mit der Ärztekammer und der Sozialversicherung daran mitzuwirken. Bisher habe nämlich die SPÖ die Einrichtung von Gruppenpraxen verhindert, so die kritische Bemerkung Leiners.

Für Abgeordnete Dr. POVYSIL (F) heißt Reform Veränderung. Durch das Urteil des Verfassungsgerichtshofes bestehe ihr zufolge nun die Chance, Verbesserungen des bisherigen Vorschlages durchzuführen. Als Beispiel dafür nannte sie, dass Kinder allgemein ausgenommen seien und für Schwangere die Unentgeltlichkeit an den Mutter-Kind-Pass gekoppelt werde. Die Sozialversicherungsträger seien nun gefordert, beim Aufbau der Gruppenpraxen mitzuwirken und die eigenen Vertragsärzte zu stärken, damit der Lenkungseffekt auch eintrete. Insgesamt solle es zu einem Miteinander zwischen öffentlichem und privatem Angebot, zwischen ambulanter und stationärer Betreuung kommen, sagte Povysil abschließend.

Abgeordneter Dr. GRÜNEWALD (G) stellte die Frage, welche Erleichterungen denn nun einträten, wenn der Kreis der Betroffenen größer werde. Bei der Einführung der Ambulanzgebühr habe man wenig Sachkenntnis walten lassen. Der Verfassungsgerichtshof habe das Gesetz zwar aus formalen Gründen aufgehoben, er habe aber kein Wort zum Inhalt verloren, bemerkte Grünewald warnend. Der G-Mandatar bezweifelt auch, dass man ein Gesetz mit so vielen unklaren Begriffen innerhalb von drei Tagen ausreichend beraten könne, und sprach sich daher dafür aus, gemeinsam die Dinge zu überlegen und eine faire Diskussion zu führen. Zu "Feigenblättern einer Pseudodemokratie" würden sich die Grünen jedenfalls nicht machen lassen. Aus Achtung vor dem Parlament würden sie daher den Plenarsaal vor der Abstimmung verlassen.

Im Zuge dieser wurde dann der Fristsetzungsantrag mit F-V-Mehrheit angenommen.

(Schluss Kurzdebatten, Forts. Budget)