Parlamentskorrespondenz Nr. 351 vom 11.05.2001

DIE UNIVERSITÄTSREFORM WIEDER IM MITTELPUNKT EINER DEBATTE

Dringlicher Antrag der SP fand keine Mehrheit

Wien (PK) - Mit einem Dringlichen Antrag zum Thema Grundsätze einer Reformpolitik für die österreichischen Universitäten stellten die Sozialdemokraten die Universitätsreform einmal mehr in das Zentrum einer Plenardebatte. Der Antrag blieb bei der Abstimmung in der Minderheit.

Abgeordneter Dr. CAP (S) stellte in seiner Begründung des Antrags fest, die Universitäten würden sich im Würgegriff der blau-schwarzen Koalition befinden. Heftige Kritik übte er an der Einführung der Studiengebühren, die er als unsoziale Maßnahme ablehnte. Der freie Zugang zur Hochschulbildung müsse erhalten bleiben, Kosten dürften nicht wieder zu sozialen Barrieren bei der Bildung führen, mahnte Cap.

Mit Nachdruck wandte sich Cap aber auch gegen Bestrebungen auf Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft in der Hochschülerschaft. Er warf in diesem Zusammenhang der Bundesregierung vor, an dem Grundwert der Mitbestimmung an den Hochschulen zu rütteln und wieder den Weg in Richtung einer Ordinarien-Universität einzuschlagen.

Zentrale Punkte des von Cap eingebrachten Dringlichen Antrages waren die Streichung der Studiengebühren bei gleichzeitiger Ausweitung des Bezieherkreises von Stipendien, die Einbeziehung von Betroffenen in die Dienstrechtsreform, die sofortige Zuführung von 600 Mill. S an zusätzlichen Mitteln für die Hochschulen sowie die Erhöhung der Forschungsquote auf 2,5 Prozent des BIP.

Eine klare Absage erteilte Cap der restriktiven Budgetpolitik im Hochschulbereich. Außer Streichungen sei der Koalitionsregierung bis jetzt nichts eingefallen, stellte er fest und warf ÖVP und FPÖ Konzeptlosigkeit vor.

Bundesministerin GEHRER wiedersprach der Darstellung Caps und betonte, im Hochschulbereich gehe es nicht um Sparmaßnahmen, sondern um eine Weiterentwicklung, die die österreichischen Universitäten international konkurrenzfähig machen soll. Die gegenständlichen Vorhaben seien schon längst begonnen und zwischen den Wissenschaftssprechern der vorigen Regierung und jenen der jetzigen Regierung ausdiskutiert worden. Den Grundstein für die Maßnahmen bilde die UOG-Reform 1993.

Die Universitätsreform verfolgt nach den Worten Gehrers das Ziel, mit den Mitteln der Steuerzahler sparsam umzugehen und den Studierenden die beste Ausbildung in kürzester Zeit zu ermöglichen. Die Einführung der Studiengebühren verteidigte die Ministerin ausdrücklich, eine soziale Barriere sei darin nicht zu sehen, meinte sie. Jeder, der studieren wolle, werde dies auch weiterhin können, versicherte sie.

Auch werde es zu keinerlei Einschränkungen bei der Qualität der studentischen Mitbestimmung kommen. Es gehe bloss um eine zeitgemässe Konzentration der Mitbestimmung auf die wichtigen Bereiche, betonte Gehrer.

Abgeordneter DDr. NIEDERWIESER (S) befürchtete eine nachhaltige Schädigung der Universität durch die Politik der Bundesregierung und untermauerte die Kritik der SPÖ an der Einführung der Studiengebühren und an den Plänen der Dienstrechtsreform.

Niederwieser warf den Regierungsparteien vor, zahlreiche Versprechen gebrochen zu haben. So gebe es nach wie vor kein Darlehensmodell für Studierende, Maßnahmen für berufstätige Studierende seien noch immer ausständig, auf das angekündigte einklagbare Recht auf Ablegung einer Prüfung würden die Studierenden vergebens warten, meinte der Redner.

Abgeordnete Dr. BRINEK (V) wies die im Dringlichen Antrag enthaltenen Behauptungen zurück und erwiderte, über die Universitätsreform sei mehr als je zuvor mit den Betroffenen gesprochen worden, eine Demontage der ÖH und die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft stehe überhaupt nicht zur Diskussion.

Für Brinek war klar, dass moderne Universitätspolitik einen selbständigen Umgang mit dem Budget, effiziente Entscheidungs- und Führungsstrukturen sowie ein neues Verhältnis zwischen Universität und Staat braucht. Diese Grundsätze seien, wie sie betont, schon im UOG 1993 enthalten.

Die SPÖ habe mit ihrem Dringlichen Antrag heute wieder einmal offen gelegt, dass sie sich von dem richtigen Prinzip der Universitätsautonomie verabschiedet und lieber im Dirigismus der Vergangenheit verharrt, stellte Brinek resümierend fest.

Abgeordneter Dr. GRAF (F) unterstützte grundsätzlich die Ziele des SP-Antrages, schränkte jedoch ein, über den Weg dort hin sei noch zu diskutieren. Wichtig war für Graf allerdings, dass die Teilrechtsfähigkeit der Universitäten nun zur Vollrechtsfähigkeit weiterentwickelt werde. Die Qualität der Mitbestimmung und der Lehre sei jedenfalls auch ein Anliegen dieser Bundesregierung, betonte Graf, der die Opposition einlud, in den Dialog über die Universitätsreform einzutreten.

Für Abgeordneten Dr. GRÜNEWALD (G) sind Universitäten eine Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden. Er sprach sich für ein Globalbudget, für Leistungsverträge, für mobilitätsfördernde Maßnahmen und den Rückbau von Ein-Mann-Instituten sowie für die Erhaltung der Mitbestimmung aus. Die Studiengebühren widersprächen einem offenen und freien Universitätszugang, so die Meinung des G-Mandatars. Auch eine wirtschafts- und berufsnahe Ausbildung sei nicht abzulehnen, meinte der Redner, genauso wenig wie eine wirtschaftliche Betrachtung bei der Umgestaltung der Universitäten. Wenn aber die Wirtschaft mehr investieren soll, dann stelle sich die Frage, warum man die Universitäten reformiere und nicht die Wirtschaft. Grundsätzlich sprach sich Grünewald für eine umfassende Diskussion über eine Universitätsreform aus, in der andere nicht nur angehört werden sollten, sondern die auch offen sei, andere Meinungen einfließen zu lassen.  

Abgeordnete Mag. KUNTZL (S) glaubt angesichts der derzeitigen Politik, dass es Leitlinie geworden sei, bestimmten Bevölkerungsgruppen das Leben schwer zu machen. Bei der Einführung der Studiengebühren handle es sich ihr zufolge aber auch um einen "persönlichen Sündenfall" der Ministerin. Sogar die eigenen Experten hätten sich gegen Studiengebühren ausgesprochen, weil sie eine finanzielle Schlechterstellung bedeuteten und das Arbeiten neben dem Studium notwendig machten, was die Studiendauer verlängere und die Abbrecherquote erhöhe. Dem Studiensystem würde durch die Maßnahmen der Bundesregierung ein nachhaltiger Schaden zugefügt, stellte Kuntzl fest, denn es würden damit im Bildungssystem Hürden eingebaut.

Abgeordneter AMON (V) meinte, dass die SPÖ nach dem Grundsatz agiere, "lasst uns unsere Vorurteile, und stört uns nicht durch Tatsachen". Wahr sei, dass sich die Debatte über Studiengebühren, vor allem für Senioren und LangzeitstudentInnen, bereits seit Jahren hinziehe. Er wies auch darauf hin, dass es noch nie ein so hohes Bildungsbudget gegeben habe. Im Zuge der Einführung von Studiengebühren sei auch ein umfassendes Studienförderungsprogramm einschließlich begünstigter Darlehen eingeführt worden, merkte Amon an. Die SPÖ aber lebe in der Vergangenheit und lehne jegliche Reform ab. Mit dieser parlamentarischen Aktion betreibe sie im Vorfeld der Hochschülerschaftswahlen reinen Wahlkampf.

Abgeordneter Mag. SCHENDER (F) zeigte sich von den Ausführungen des Abgeordneten Cap enttäuscht und vermutete auf Grund dessen Ablehnung jeglicher Reform, dass dieser ein "Reaktionär" sei. Er, Schender, halte den Dringlichen Antrag für eine "inszenierte Aufregung" wenige Tage vor der ÖH-Wahl. Die niedrige Wahlbeteiligung führte der Abgeordnete auf die Pflichtmitgliedschaft zurück sowie darauf, dass viele Funktionäre nur am Machterhalt der eigenen Position interessiert seien. Abschließend brach er eine Lanze für die Vollrechtsfähigkeit der Universitäten.

Abgeordneter BROSZ (G) erinnerte an die Enquete zur Universitätsreform und warf auf deren Ablauf sowie auf die Auswahl der ReferentInnen einen kritischen Blick. Es sei offenbar auch nicht daran gedacht gewesen, die Ergebnisse in den Begutachtungsentwurf zur Universitätsreform einfließen zu lassen, meinte Brosz. Die Begutachtungsfrist von drei Wochen stelle zusätzlich unter Beweis, dass die Regierung kein Interesse daran habe, einen Dialog darüber zu führen und sich mit inhaltlichen Anregungen auseinanderzusetzen. 

Abgeordnete Mag. PLANK (S) warf Abgeordnetem Schender Diffamierung von MandatarInnen vor, da dieser über Studienzeiten von SP-Abgeordneten abschätzig gesprochen hatte. Die Einführung der Studiengebühren sei in einer Nacht-und-Nebel-Aktion erfolgt und der freie Studienzugang sei nur mehr eine Worthülse, sagte Plank. Sorge bereite ihr, dass daran gedacht sei, den Universitäten die Entscheidung über die Höhe der Studiengebühren zu übertragen. Wo sich der Staat so aus den Universitäten zurückziehe, ziehe er sich aus der Verantwortung für Bildung und Forschung zurück und betrachte diese Bereiche offensichtlich nicht mehr als eine seiner Kernaufgaben. Kuntzl fürchtet vor allem, dass sozial Schwache und Behinderte dabei auf der Strecke bleiben würden.

Abgeordneter Dr. MITTERLEHNER (V) sprach kritisch die lange Studiendauer und die hohen Kosten für die Studierenden an. Bei den SozialdemokratInnen herrsche eine Angst vor wirtschaftlicher Betrachtungsweise, mutmaßte Mitterlehner. Auch er halte eine rein wirtschaftliche Betrachtungsweise für falsch, dennoch sei eine Balance in Richtung Wirtschaftlichkeit notwendig. Daher erachte er eine bestimmte Ressourcensteuerung für unbedingt erforderlich, und unter diesem Aspekt sei auch die Einführung von Studiengebühren zu sehen. Man habe damit mehr Möglichkeiten für finanzielle Unterstützung der Studierenden geschaffen, meinte der Redner. Auch die Globalbudgets und das neue Dienstrecht führten zu den notwendigen Verbesserungen und entsprechender Nutzung des Humankapitals und nicht das Verharren in der Kameralistik.

Für Abgeordnete Dr. PAPHAZY (F) zeigt der Dringliche Antrag, dass auch die SozialdemokratInnen Reformen für notwendig erachten. Die Studiengebühren kämen den Universitäten zugute und das neue Dienstrecht ermögliche die Karriere des hervorragenden wissenschaftlichen Nachwuchses. Die Autonomie bringe positiven Wettbewerb und schaffe Raum, sich am "Kunden Student" zu orientieren. Der Ausbau der Fachhochschulen weise ebenfalls in die richtige Richtung. Paphazy trat abermals für den Ausbau der Privatuniversitäten und für entsprechende steuerliche Erleichterungen ein.

Abgeordneter Dr. GROLLITSCH (F) kann die Klage des Abgeordneten Niederwieser nicht teilen. Wie er ausführte, gehe die Entwicklung der Autonomie auf die Minister Busek, Scholten und Einem zurück. Diese Konzepte seien nun vor einer Umsetzung. In Richtung Cap appellierte er, in Zukunft von der Polarisierung in der Bildungspolitik Abstand zu nehmen. Der eingeschlagene Weg beim neuen Dienstrecht weise seiner Meinung nach in die richtige Richtung.     

Abgeordnete Dr. PETROVIC (G) fragte sich, ob der Staat nicht in der letzten Zeit in den Bereichen Forschung und Wissenschaft seine volkswirtschaftlichen Zielsetzungen vergessen hat. Die "Megaflops in der Gentechnik" sowie die Irrtümer im Bereich der Landwirtschaft (z.B. BSE-Krise) seien ihrer Auffassung nach Beispiele dafür, dass die Wissenschaft allzu sehr im "Windschatten der Wirtschaftslobbys" gesegelt sei. 

Abgeordneter Mag. MAIER (S) brachte einen Entschließungsantrag betreffend der Sicherung der finanziellen Mittel für den Universitätsstandort Salzburg ein. Damit soll u.a. die naturwissenschaftliche Fakultät ausgebaut werden, erläuterte er. Er sei gespannt, wie die Salzburger Abgeordneten darüber abstimmen werden.

Abgeordneter Dr. EINEM (S) wies darauf hin, dass viele der Projekte von Ministerin Gehrer auf Vorarbeiten, die in seiner Amtsperiode begonnen wurden, zurückgehen. Kritisch bewertete er die Einführung von Studiengebühren, da es vielmehr darum gehe, ordentliche Rahmenbedingungen für die Studierenden zu schaffen.

Die heutige Debatte war wieder einmal durch einen grundsätzlichen Unterschied hinsichtlich des Zugangs zu Problemen gekennzeichnet, argumentierte Abgeordneter Dr. BRUCKMANN (V). Auf der einen Seite stehe nämlich das alte Anspruchsdenken, das durch ein Verantwortungsdenken abgelöst werden soll. Er glaube, dass im Hochschulbereich die Weichen in die richtige Richtung gestellt werden, weil nunmehr junge Menschen die Chance bekommen, Posten in den Universitäten zu erhalten, die bis jetzt vom pragmatisierten Mittelbau besetzt wurden.

Bei der Abstimmung wurden sowohl der selbständige Antrag des Abgeordneten Cap betreffend Grundsätze einer Reformpolitik für die österreichischen Universitäten als auch der S-Entschließungsantrag abgelehnt.  

KURZE DEBATTE ÜBER ANFRAGEBEANTWORTUNG 2041/AB

Hier gehe es um eine Anfrage der Abgeordneten Stoisits an die Außenministerin, als diese gerade einen Staatsbesuch in die Türkei durchgeführt hat, erläuterte Abgeordnete Mag. LUNACEK (G). Laut Pressemitteilungen habe Ferrero-Waldner die Meinung vertreten, dass man der Türkei eine Chance geben müsse, um innere Prozesse zu fördern. Derzeit sterben täglich Häftlinge in türkischen Gefängnissen, die aus Protest gegen die menschenunwürdigen Haftbedingungen und gegen eine fragwürdige Gefängnisreform in Hungerstreik getreten sind, berichtete Lunacek. Es sei für sie daher unverständlich, warum öffentlich nicht mehr Druck gegen die Türkei, der seit Dezember 1999 der EU-Beitrittskandidatenstatus gewährt wurde, ausgeübt wird.

Bundesminister Dr. BARTENSTEIN, der die Außenministerin vertrat, machte in seiner Wortmeldung darauf aufmerksam, dass Ferrero-Waldner ausdrücklich festgestellt habe, dass es bei der Achtung der Menschenrechte keine Kompromisse geben dürfe. Sodann verlas er eine Stellungnahme der Ministerin, in der darauf hingewiesen wird, dass Ferrero-Waldner bei ihrem letzten Gespräch mit ihrem türkischen Amtskollegen die Menschenrechtsproblematik in umfassender Weise besprochen hat. Auch Bundeskanzler Dr. Schüssel, der im Juni der Türkei eine Visite abstatten wird, werde diese Fragen sicherlich erneut zur Sprache bringen, führte er weiter aus. Was die konkrete Menschenrechtslage anbelangt, so sei seit der Zuerkennung des Kandidatenstatus einerseits eine starke Sensibilisierung in dieser Frage festzustellen, aber andererseits keine wesentlichen Fortschritte zu erkennen. Eine alarmierende Entwicklung habe sich in den Gefängnissen in Bezug auf die hungerstreikenden Häftlinge ergeben. Derzeit nehmen 571 Häftlinge an den Hungerstreiks teil, wobei 168 von ihnen sogenannte Todesfaster sind. Bisher sind 22 Todesopfer zu beklagen. Man müsse jedoch anerkennen, dass die Türkei immer wieder internationalen Beobachtern die Möglichkeit gibt, sich vor Ort ein Bild über die Lage zu machen und Gespräche mit Politikern und Menschenrechtsaktivisten zu führen. Auch das Anti-Folter-Komitee des Europarates habe sich seit Dezember 2000 wiederholt in der Türkei aufgehalten. Auch im Rahmen der Beitrittspartnerschaft werde mit der Türkei ein ständiger Dialog geführt und die Türkei sei sich auch der Notwendigkeit und der Bedeutung von Reformen bewusst. Abschließend versicherte er, dass Österreich in seinen Anstrengungen in Bezug auf die Menschenrechtssituation in der Türkei nicht nachlassen werde.

Abgeordneter Mag. POSCH (S) pflichtete der Abgeordneten Lunacek bei und meinte, dass es ein bisschen wenig sei, dass sich die Türkei der internationalen Kritik bewusst sei. Natürlich brauche es Zeit, um tiefgreifende legistische Reformen umzusetzen, dies helfe jedoch den Sterbenden in den Gefängnissen nicht. Zudem machte er darauf aufmerksam, dass die Folter noch immer sehr weit verbreitet sei und oft katastrophale hygienische Bedingungen vorherrschen. Bedauerlich sei auch, dass die Initiative von Nationalratspräsident Fischer, eine österreichische Delegation in die Türkei zu schicken, nicht auf fruchtbaren Boden fiel.

Abgeordneter ELLMAUER (V) zeigte sich überzeugt, dass die Außenministerin die Anfrage in den wesentlichen Punkten ausreichend beantwortet hat. Generell sei ein starkes Engagement des Außenministeriums in Menschenrechtsfragen festzustellen, unterstrich er. Überdies wurde auch die große Sorge hinsichtlich der Situation der hungerstreikenden Gefangenen deutlich zum Ausdruck gebracht. Er glaube, dass sich die Möglichkeiten der Einflussnahme durch die Zuerkennung des EU-Beitrittskandidatenstatus an die Türkei vergrößert haben.

Abgeordneter Dr. OFNER (F) befasste sich mit den historischen Entwicklungen in der Türkei, die letztlich zur Kurdenproblematik beigetragen haben. Er berichtete sodann von dem Treffen mit jener Delegation, die sich über die Zustände in den türkischen Gefängnissen beschwert hat. Es sei jedoch etwas viel verlangt, an einen Abgeordneten zu appellieren, er solle die Situation der Hungerstreikenden in der Türkei ändern. Denn wenn jemand die "Waffe Todesfasten" einsetzt, dann bedeutet dies, dass er etwas durchsetzen oder sterben wolle.

Die Anfragebeantwortung der Außenministerin sei nicht deshalb Gegenstand der Debatte, weil sie inhaltlich falsch gewesen ist, meinte Abgeordnete Mag. STOISITS (G). Anlass dafür sei vielmehr tiefe Besorgnis über das Schicksal jener Häftlinge, die sich derzeit in Hungerstreik befinden, erläuterte die Rednerin. Dieses Todesfasten sei ein hilfloser Versuch dieser Menschen auf die Menschenrechtssituation in der Türkei hinzuweisen, führte die Rednerin aus. Denn es gehe um die generelle Frage, wie die Türkei mit Oppositionellen und politischen Kritikern um.

ERSUCHEN DES BEZIRKSGERICHTES INNERE STADT WIEN UM ZUSTIMMUNG ZUR BEHÖRDLICHEN VERFOLGUNG DES G-ABGEORDNETEN DR. PILZ

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Abgeordneter GRADWOHL (S) sagte, seine Fraktion könne dem Wunsch des Abgeordneten Pilz nach Auslieferung nicht entsprechen, weil es sich hier um ein Kollegialrecht handle. Gradwohl regte aber an, sich mit den Fragen von Immunität und Auslieferung prinzipiell zu befassen und entsprechende Überlegungen anzustellen. Generell müsste in diesen Angelegenheiten die nötige Sensibilität an den Tag gelegt werden, so der Redner.

Abgeordneter AUER (V) unterstrich die Bedeutung des Kollegialrechtes und meinte ebenfalls, man sollte sich Gedanken zur Zukunft der Immunität machen, wobei er selbst bereits einige Fragen zu diesem Thema aufwarf. Wie Gradwohl vertrat auch Auer die Ansicht, dass Verfolgungshandlungen jedenfalls erst dann beginnen dürften, wenn das Parlament seine Entscheidung getroffen habe.

Abgeordnete Dr. PETROVIC (G) zeigte sich erfreut darüber, dass hier nun eine allgemeine Debatte beginnen werde und ging sodann auf den konkreten Anlassfall ein. Es sei geboten, über ein modernes Immunitätsrecht zu beraten und zu entsprechenden Beschlüssen zu bekommen.

Abgeordneter Dr. GRAF (F) schloss sich inhaltlich seinen Vorrednern an und votierte ebenfalls für eine zeitgemässe Gestaltung der Immunität. Diese These untermauerte der Redner mit konkreten Fallbeispielen. Er persönlich werde jedenfalls keiner Schlechterstellung eines Abgeordneten, gleich welcher Richtung, zustimmen, betonte Graf.

Abgeordneter Dr. KRÜGER (F) erklärte, er sei für die uneingeschränkte Immunität des Politikers im Hause, es sei aber eine andere Frage, ob Äußerungen, die ausserhalb des Hauses, etwa in Pressekonferenzen, getätigt wurden, eine andere Wertung erfahren sollten als jene andere Politiker. Es wäre inhomogen, wenn Politiker zivilrechtlich in Anspruch genommen würden, Mandatare gleichzeitig aber nicht zur Verantwortung gezogen werden könnten. Er würde daher der Auslieferung des Abgeordneten Pilz zustimmen.

Abgeordneter Dr. PILZ (G) legte seinen Fall dar und plädierte aus "konkreten wie aus prinzipiellen Motiven" für seine Auslieferung. Gleichzeitig meinte er an die Adresse der F, diese würden sich nicht aussuchen können, wer ihre Tätigkeit kontrolliere. Generell verberge sich in dieser Thematik eine grundsätzliche Frage über den Zustand des Rechtsstaates, meinte Pilz, der Kritik an der Politik des Justizministers übte.

Abgeordnete Mag. KUKACKA (V) argumentierte im Sinne seines Fraktionskollegen Auer. Gleichzeitig brach er eine Lanze für den österreichischen Rechtsstaat und wies die Kritik seines Vorredners zurück. Das Rechtsgut der Immunität sei seiner Fraktion jedoch höher als der konkrete Anlassfall.

Abgeordneter Dr. OFNER (F) sprach sich gegen eine Auslieferung des Abgeordneten Pilz aus und begründete dies inhaltlich ähnlich wie andere Redner der Regierungsfraktionen.

Abgeordneter Dr. VAN DER BELLEN (G) wies Abgeordneten Kukacka darauf hin, dass Abgeordneter Pilz wegen des Paragraphen 301 StGB beschuldigt werde. Der Verfassungsrechtler Franz Mayer werte diesen Paragraphen aber als verfassungsrechtlich außerordentlich fragwürdig, da dieser mit der europäischen Menschenrechtskonvention in mehrfacher Hinsicht in Konflikt stehe.

Der Nationalrat stimmte dem Antrag des Immunitätsausschusses, dem Ersuchen des Bezirksgerichts Wien Innere Stadt auf behördliche Verfolgung von Abgeordnetem Dr. Peter PILZ (G) nicht stattzugeben, mit Stimmenmehrheit zu. Zuvor hatten die Abgeordneten einstimmig festgestellt, dass ein Zusammenhang zwischen der behaupteten strafbaren Handlung und der politischen Tätigkeit von Pilz besteht.

(Schluss)