Parlamentskorrespondenz Nr. 522 vom 04.07.2001

NATIONALRAT: AKTUELLE STUNDE ÜBER ERGEBNISSE DES RATS VON GÖTEBORG

Renate Csörgits, Heribert Donnerbauer und Maria Rauch-Kallat angelobt

Wien (PK) - Bevor der Nationalrat heute auf Wunsch der ÖVP die Ergebnisse von Göteborg zum Thema der Aktuellen Stunde machte, nahm Präsident Heinz Fischer die Angelobung von drei neuen Abgeordneten vor. Auf das SP-Mandat des nunmehrigen Volksanwalts Peter Kostelka rückte Abgeordnete Renate Csörgits nach. Anstelle der ebenfalls in die Volksanwaltschaft gewechselten Rosemarie Bauer und des aus dem Nationalrat ausgeschiedenen Ing. Leopold Maderthaner übernahmen Mag. Heribert Donnerbauer und Maria Rauch-Kallat die frei gewordenen VP-Mandate.

Die Aktuelle Stunde leitete Abgeordneter Dr. SPINDELEGGER ein, indem er auf die Ängste der Bevölkerung im Zusammenhang mit der Erweiterung einging und eine Reihe von "Hürden" nannte, die auf dem Weg zur EU-Erweiterung genommen werden müssen. Die erste Hürde müssten die Kandidatenländer selbst überwinden, indem sie die Voraussetzungen für den Beitritt erfüllen. Dazu kommen die notwendigen Begleitmaßnahmen, die Übergangsfristen für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Dienstleistungen, den Bodenerwerb und den Umweltschutz.

Die schwedische Präsidentschaft habe bemerkenswerte Fortschritte erzielt, Verhandlungskapitel abgeschlossen und für Österreich Übergangsfristen für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer vereinbart, um unterschiedliche Lohnniveaus anzugleichen und zu verhindern, dass Österreich von Tagespendlern überrannt wird.

Die schwedische Präsidentschaft hatte auch mit dem Ergebnis des irischen Referendums zu kämpfen, erinnerte Spindelegger und hielt es für entscheidend, wie man mit diesem Ergebnis umgehe. Falsch wäre es jedenfalls, die irischen Stimmen vom Tisch zu wischen. "Wir müssen diese Abstimmung ernst nehmen, daraus lernen und Konsequenzen ziehen", sagte Spindelegger. Die Bevölkerung sei ständig über die Erweiterungsschritte und die Begleitmaßnahmen zu informieren, die Eröffnung der Europaplattform für den Dialog mit der Bevölkerung sei daher zu begrüßen. Zweitens plädierte Spindelegger dafür, im Rahmen des Post-Nizza-Prozesses die Bürger mit Rechten auszustatten, die sie auf europäischer Ebene einklagen können. Drittens liegt für Spindelegger "zu viel Europa auf dem Tisch". Er trat daher dafür ein, offen über die Generalklausel zu Gunsten der EU zu reden und sie enger zu fassen. Viertens sollten die nationalen Parlamente in den europäischen Entscheidungsprozess eingebunden werden, da die nationalen Abgeordneten näher am Bürger sind als die EU-Abgeordneten. Konkret kann sich Spindelegger ein Interpellationsrecht der nationalen Parlamente an die EU-Kommission vorstellen. - Österreich sei auf einem guten Weg, der Dialog über die EU-Erweiterung habe gut begonnen; Spindelegger zeigte sich zuversichtlich, dass es gelingen werde, die Österreicher vom Erweiterungsprozess zu überzeugen.

Bundeskanzler Dr. SCHÜSSEL sprach von einem guten, zugleich aber auch beunruhigenden Gipfel in Göteborg, der von Ausschreitungen überschattet war, wie es sie in der jüngsten europäischen Geschichte nicht gegeben habe. Die Europäische Union dürfe sich nun nicht "einbunkern", müsse aber klar zum Ausdruck bringen, dass Gewaltanwendung von ihr verurteilt wird.

Auf dem Gipfel in Göteborg sei die Zukunftsdiskussion Europas offen und im Konsens geführt worden, berichtete der Bundeskanzler mit Stolz und teilte mit, dass österreichische Positionen durchgesetzt werden konnten. Positiv bewertete Dr. Schüssel auch, dass das irische Referendum in Göteborg Ernst genommen worden sei und bezeichnete das erste Treffen mit dem amerikanischen Präsidenten Bush und Verteidigungsminister Powell mit einer Aussprache über die Fortsetzung des Kyoto-Prozesses als wichtig.

Bedeutsam für Österreich sei die Debatte über die Verkehrspolitik gewesen, in der man sich darüber verständigen konnte, die sozialen und die Umweltkosten des Verkehrs zu internalisieren - die Preise der verschiedenen Verkehrsträger sollen die tatsächlichen Kosten besser widerspiegeln. Ebenso wichtig für Österreich sei die siebenjährige Übergangsfrist auf dem Arbeitsmarkt und bei den Dienstleistungen, wie sie Österreich und Deutschland eingeräumt werden sollen. Schüssel wertete dies als konkrete Lösung und Antwort auf Ängste der Bevölkerung im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung.

Der Umfang des Programms für die Grenzregionen wurde von 6 Mrd. S auf mehr als 10 Mrd. S aufgestockt um es möglich machen, die Grenzregionen für die Erweiterung fit zu machen. In diesem Zusammenhang appellierte der Bundeskanzler an die EU-Kommission, den Zeitplan für die Grenzlandförderung einzuhalten und ihr Programm rechtzeitig vorzulegen. Positiv resümierte der Bundeskanzler auch die stark intensivierten bilateralen Kontakte und erinnerte an die erfolgreichen Besuche des luxemburgischen Premierministers Juncker, des serbischen Regierungschefs Djindjic und des Führers der Kosovo-Albaner Rugova.

Abgeordneter Dr. EINEM erinnerte daran, dass die Skepsis der Iren gegenüber dem Vertrag von Nizza auf deren Befürchtung zurückzuführen sei, die EU könnte zu einem Militärbündnis und ihre Freiheit eingeschränkt werden. In Österreich sei es wichtig, dass die Menschen in ihrem Alltag die Vorteile der EU-Erweiterung spüren könnten. Die Vereinbarung über die siebenjährige Übergangsfrist sei ein Erfolg der schwedischen Präsidentschaft. Dies allein werde aber nicht ausreichen, wenn nicht gesetzliche Bestimmungen geschaffen und eine Behörde bestehe, die die Einhaltung der Fristen kontrolliert. Angebote der Sozialdemokraten, den Erweiterungsprozess mitzutragen und für Arbeitnehmer, die um ihre Arbeitsplätze zittern müssen, Qualifikationsprogramme anzubieten, seien von den Regierungsparteien bislang nicht angenommen worden, bedauerte Dr. Einem.

Dieser Aussage trat Abgeordneter Mag. SCHWEITZER (F) entgegen, indem er auf die Übereinstimmung zwischen den Parteien hinwies, die Grenzregionen auf die EU-Erweiterung vorzubereiten. In seinen Ausführungen konzentrierte sich Schweitzer zunächst auf die Strategie für eine nachhaltige Entwicklung, die für Österreich besonders wichtig sei. Dann trat er dafür ein, die Kluft zwischen den Mächtigen und den Vielen in der Europäischen Union zu schließen. Denn er registriere die Abwendung von Millionen EU-Bürgern von der Europäischen Union und interpretierte das Ergebnis des irischen Referendums als ein Zeichen für Unverständnis und Misstrauen. Schweitzer kritisierte die Absicht, das Volk so lange abstimmen zu lassen, bis ein Ergebnis vorliege, das den "EU-Granden" passe. Die EU müsse viel transparenter gestaltet, die Bürger in die EU-Erweiterung einbezogen werden und sie müssten über die Konfiguration der EU mitentscheiden können. "Die direkte Demokratie ist ein wichtiges Instrument für Entscheidungen auf europäischer Ebene", schloss Schweitzer.

Abgeordnete RAUCH-KALLAT (VP) beschäftigte sich ebenfalls mit der EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung und sprach von einem österreichischen Erfolg, insofern das Prinzip der ökosozialen Marktwirtschaft auch auf europäischer Ebene greifen soll. Rauch-Kallat hob hervor, dass die Initiative der Bundesregierung im Bereich der Verkehrspolitik zur Geltung gebracht werden konnte. Der Verkehr sei einer der stärksten Umweltverschmutzer, sagte die ehemalige Umweltministerin und begrüßte die Zielsetzungen, die sozialen und Umweltkosten vollständig zu internalisieren und den Verkehr von der Straße auf umweltfreundlichere Verkehrsträger zu verlagern. Die Umwelt wurde nun als dritte Dimension des Lissabonner Prozesses verankert und die Mitgliedstaaten aufgefordert, nationale Nachhaltigkeitsstrategien zu erarbeiten, ein Auftrag, dem Österreich durch die Vorlage eines Grün-Buches nachgekommen ist.

Abgeordnete Mag. LUNACEK (G) nannte es schlichtweg lächerlich, wenn die ÖVP die Nachhaltigkeitsstrategie der EU als ihren Erfolg zu verkaufen versuche. Gäbe es in Österreich eine ökosoziale Marktwirtschaft, wäre der Anteil der Biobauern wesentlich höher als bloß 10 Prozent und die Verlagerung der Verkehrsströme auf die Schiene hätte längst stattgefunden, hielt die Abgeordnete fest.

Als Verdienst der schwedischen Präsidentschaft sah Lunacek die Fristsetzung für den Abschluss der Beitrittsverhandlungen und die Aussicht für die Beitrittskandidaten, an den EU-Wahlen des Jahres 2004 teilzunehmen. Lunacek bemängelte aber, dass die Verabschiedung der Nachhaltigkeitsstrategie keine Wende in der europäischen Atompolitik sichtbar gemacht habe.

Heftige Kritik übte die Rednerin an der siebenjährige Übergangsfrist für die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Das sei keine vernünftige Lösung, sondern ein falsches Signal an die Beitrittsländer. Abschließend mahnte Lunacek klare Zusagen des Bundeskanzlers darüber ein, dass es keine Volksabstimmung über die Osterweiterung geben werde.

Abgeordneter SCHIEDER (SP) nannte es ein gutes Ergebnis von Göteborg, den Erweiterungsprozess der EU unumkehrbar gemacht zu haben. Das Ziel, die Beitrittsverhandlungen Ende des Jahres 2002 abzuschließen, ist für Abgeordneten Schieder ein klares Signal zur Erweiterung, womit die Erwartungen vieler übertroffen worden seien. Für die Zukunft drängte Abgeordneter Schieder auf eine Demokratisierung der EU, eine klare Kompetenzverteilung, eine bessere Einbindung der nationalen Parlamente, eine stärkere Partnerschaft zwischen europäischem Parlament und den nationalen Parlamenten sowie auf eine Vereinfachung der Verträge und der Grundrechtscharta. "Es wird zu einer Demokratisierung der EU kommen und das wird ihr gut tun", sagte Schieder. Darüber hinaus plädierte der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses dafür, die Kontakte zwischen EU und Vereinten Nationen auszubauen und anzuerkennen, dass dem Sicherheitsrat die Hauptverantwortung für die Aufrechterhaltung des Friedens in der Welt zukommt. Froh zeigte sich der Abgeordnete über die klaren Worte des Bundespräsidenten in Moskau zum ABM-Vertrag, zumal eine Aufkündigung durch die USA eine Gefährdung der Stabilität bedeuten könnte. Kritik äußerte Abgeordneter Schieder daran, dass die Eröffnung der Europaplattform als "schwarz-blaue Initiative verwertet" worden sei.

Abgeordneter Dr. KURZMANN (F) würdigte die Informationspolitik der Bundesregierung über die Entwicklungen in der Europäischen Union und dankte dem Bundeskanzler für seine umfassende Darlegung des Gipfelergebnisses von Göteborg. So werde das Entstehen einer Kluft zwischen Regierung und Bevölkerung vermieden, denn viele Bürger störe die Arroganz der Mächtigen in der EU, die das wichtige Projekt Europäische Integration gefährden könnte. In diesem Zusammenhang stellte Abgeordneter Dr. Kurzmann fest, dass der Vertrag von Nizza mit seinen Bestimmungen für die Institutionenreform der EU eine Vorbedingung für die Erweiterung darstelle. Europa habe die Chance, eine Großmacht, nicht nur auf wirtschaftlichem Gebiet, zu werden. Außerdem habe die EU Verantwortung für die Länder, die unter dem Kommunismus zu leiden hatten. Auch Österreich habe das Interesse, die EU zu erweitern, sagte Kurzmann, sprach sich aber gegen eine überhastete Erweiterung aus.

Abgeordneter KISS (V) dankte vorerst dem Innenminister und den 3.000 Beamten dafür, dass in Salzburg die Sicherheit gewährleistet war. In diesem Zusammenhang unterstrich er sein Ja zum Demonstrationsrecht. Sein Nein galt der Gewalt und Randalen. Der Redner regte deshalb eine umfassende Koordination gegen Gewalttäter an, die aus sozialistischen, kommunistischen und Grünen Kreisen kommen. Besonders Gusenbauer und Cap, so Kiss, stehen für die klare Linie: Vorwärts, Genossen, zurück in die Vergangenheit.

In einer Wortmeldung zur Geschäftsbehandlung sprach S-Abgeordneter Dr. CAP von einem Anschlag auf die politische Kultur in diesem Haus. - Präsident Dr. Fischer stellte klar, dass es sich um keine Wortmeldung zur Geschäftsbehandlung gehandelt habe.

Bundeskanzler Dr. SCHÜSSEL nahm zu einigen Fragen Stellung, wies darauf hin, dass in Göteborg kein Datum für den Beitritt der Werberländer beschlossen wurde und dass das Beitrittsdatum nicht für alle 13 Kandidaten das Gleiche sein werde. Die Übergangsfristen bezeichnete der Regierungschef als gute Lösung; 3 Beitrittskandidaten hätten bereits diesen zugestimmt: Ungarn, die Slowakei und Lettland.

Zur Frage der Volksabstimmung meinte Schüssel, es werden die individuellen Beitrittsverträge vorgelegt und jeder Vertrag ratifiziert werden. Zudem - strich er heraus - könne es über einen Staatsvertrag keine Volksabstimmung geben.

Abgeordnete Dr. GLAWISCHNIG (G) hinterfragte die Linie der ÖVP zur tschechischen Republik und zu Temelin. Auch den Freiheitlichen warf sie einen Zickzackkurs vor und sprach zudem von Orientierungslosigkeit und außenpolitischem Chaos. Die Position der Regierung ist für sie außen- und umweltpolitisch katastrophal. Die Grünen wollen einen raschen Beitritt Tschechiens, jedoch auch, dass Temelin abgeschaltet wird.

(Schluss Aktuelle Stunde/Forts. NR)