Parlamentskorrespondenz Nr. 52 vom 31.01.2002

NATIONALRAT: FRAGESTUNDE MIT AUSSENMINISTERIN FERRERO-WALDNER

Die Themen: EU-Erweiterung, Tschechien, Afghanistan, Transit, Balkan

Wien (PK) - Insgesamt neun Fragen zu aktuellen außenpolitischen Themenkreisen beantwortete Außenministerin Dr. FERRERO-WALDNER in der Fragestunde, mit der der Nationalrat den zweiten Sitzungstag dieser Woche einleitete.

Abgeordneter Dr. EINEM (S): Ist die von Ihnen angekündigte "Strategische Partnerschaft" mit den mittel- und osteuropäischen Nachbarstaaten aus heutiger Sicht ein politischer Erfolg?

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Außenministerin Dr. FERRERO-WALDNER charakterisierte die Partnerschaft als einen langfristigen, bereits sehr lebendigen Prozess, in dem es erstens um die Erleichterung der EU-Erweiterung und zweitens um die Vertiefung der EU nach der Erweiterung gehe. In beiden Bereichen befinde sich die Partnerschaft auf einem guten Weg. Die beiden bisher stattgefundenen Konferenzen in Wien und in der Slowakei haben laut Ferrero-Waldner nützliche Beiträge geleistet.

In Gesprächen mit dem tschechischen Außenminister Kavan sei es ihr überdies gelungen, die zuletzt sehr emotionalen Diskussionen "auf eine sachliche Ebene zu bringen", sagte die Ministerin auf eine diesbezügliche Zusatzfrage.

Große Bedeutung habe die Zusammenarbeit im Kulturbereich. Die "Plattform Kultur Mitteleuropa" wurde geschaffen und bereits in Brüssel vorgestellt, erfuhr Abgeordnete Mag. HARTINGER (F).

Die langfristigen Ziele der Partnerschaft mit den mitteleuropäischen Nachbarn bezeichnete die Außenministerin als die bedeutenderen, da es Österreich darum gehen müsse, in der erweiterten EU durch Allianzbildungen nach dem Vorbild Skandinaviens und der Benelux-Länder erfolgreich agieren zu können (Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. SPINDELEGGER, V).

Die pointierte Frage der Abgeordneten Mag. LUNACEK (G) nach der "strategischen Partnerschaft zwischen FPÖ und ÖVP in der Frage der EU-Erweiterung" beantwortete die Ministerin mit dem Hinweis auf das Regierungsprogramm.

Abgeordneter Mag. SCHWEITZER (F): Wie beurteilen Sie die derzeitige Situation im Nahen Osten?

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Bundesministerin Dr. FERRERO-WALDNER beurteilte die Lage im Nahen Osten äußerst kritisch, es bestehe wenig Anlass zur Hoffnung, da die extremistischen Kräfte auf beiden Seiten den Ton angeben. Zudem würde neuerdings die Glaubwürdigkeit Präsident Arafats von Israel und den USA angezweifelt. Die Europäische Union versuche, auszuloten, welche Maßnahmen sie setzen könne, habe den Kontakt mit Vertretern der Arabischen Liga gesucht und bemühe sich um eine Initiative des Quartetts EU, USA, Russland und UNO. Gelinge dies nicht, werde die EU durch eine Initiative tätig werden. Österreich trage durch Kontakte in der Region und in der EU zur Deeskalation bei.

Die Zerstörung von mit EU-Unterstützung erbauten Einrichtungen durch Israel, stand im Mittelpunkt von Fragen der Abgeordneten MURAUER (V), Mag. LUNACEK (G) und Dr. HEINDL (S).

Die Außenministerin wies auf einen Brief an Außenminister Peres hin, in dem sie ihre Sorge und ihr Befremden über diese Zerstörungen zum Ausdruck gebracht habe. Eine Schadenersatzforderung behalte sich Österreich vor, erklärte die Außenministerin. An den laufenden Projekten in den besetzten Gebieten werde weiter gearbeitet, teilte die Ministerin mit.

Abgeordnete Mag. LUNACEK (G): Werden Sie, sehr geehrte Frau Ministerin, dafür eintreten, dass in der von Ihnen angekündigten österreichisch-tschechischen Erklärung zu den Benes-Dekreten, analog zur deutsch-tschechischen Erklärung von 1997, auch ein kritisches Bekenntnis zur Verantwortung von Österreicherinnen und Österreichern innerhalb des NS-Regimes sowie das Bedauern über das daraus entstandene Leid und Unrecht ausgedrückt werden?

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Außenministerin Dr. FERRERO-WALDNER führte aus, dass sich die Situation Österreichs grundsätzlich von der Deutschland unterscheide. Deutschland ist Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs, während Österreich von 1938 bis 1945 als Staat nicht handlungsfähig war. Da auch Österreicher an den Verbrechen des Nazi-Regimes mitschuldig geworden seien, habe Österreich Maßnahmen zur Restitution, zugunsten von NS-Opfern sowie von Sklaven und Zwangsarbeitern ergriffen, die auch tschechischen Staatsbürgern zugute kommen. Aber auch die Tschechische Republik habe die Pflicht, historisches Unrecht einzugestehen. Sie erwarte sich Gesten und Symbole der Versöhnung und der Völkerverständigung, sagte Ferrero-Waldner. Eine ruhige und gelassene Aufarbeitung der Vergangenheit erwarte sie sich überdies von der Historikerkommission.

Die Frage des Abgeordneten HEINZL (S), ob sie ein Veto gegen einen EU-Beitritts Tschechiens ausschließen könne, beantwortete die Ministerin, indem sie auf die diesbezügliche Entschließung des Nationalrates und auf ihre Arbeit an der Lösung der bilateralen Probleme hinwies, wobei sie sich zuversichtlich zeigte, dass es zu einer Lösung kommen werde.

Zur Frage des Abgeordneten Mag. SCHWEITZER (F), ob die Benes-Dekrete den Kopenhagener Kriterien für EU-Beitrittskandidaten entsprächen, erinnerte die Außenministerin daran, dass die EU mehrfach zum Ausdruck gebracht habe, dass die Tschechische Republik die politischen Kriterien für einen EU-Beitritt erfülle. Die Benes-Dekrete seien kein Thema der EU-Beitrittsverhandlungen, sie seien eine bilaterale Frage.

Die Benes-Dekrete und Temelin seien aber keineswegs die einzigen Themen zwischen Tschechien und Österreich, betonte die Außenministerin in einer Antwort auf eine Frage des Abgeordneten Mag. MÜHLBACHLER (V). Sie erinnerte an die enormen Vorteile der österreichischen Wirtschaft durch die Ostöffnung, die Rekordergebnisse im beiderseitigen Handel sowie darauf, dass Österreich der drittstärkste Investor in Tschechien sei. Sehr gut entwickle sich auch der kulturelle Austausch zwischen beiden Ländern.

Abgeordneter Dr. SPINDELEGGER (V): Welche nächsten Projekte planen Sie im Rahmen der regionalen Partnerschaft?

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Die AUSSENMINISTERIN listete eine Reihe von Projekten mehrere Regierungsmitglieder auf und ging im Einzelnen auf die Zusammenarbeit der Innenminister in der Terrorismus- und in der Drogenbekämpfung ein. Dazu kommen Projekte in der Jugendarbeit und die Zusammenarbeit der Unterrichtsminister im Bemühen um ein neues Geschichtsbild in den Schulbüchern.

Nach dem Wahlkampf in Tschechien werden sich die Beziehungen zwischen Tschechien und Österreich wieder verbessern, zeigte sich die Ministerin überzeugt und wies darauf hin, dass der Gesprächston in den Wirtschaftskreisen Tschechiens und Österreichs durchaus von Sachlichkeit geprägt sei. (Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. HEINDL, S). 

Abgeordneter Dr. LICHTENBERGER (G) sicherte die Ressortleiterin zu, dass der Ausbau der TEN-Netze und ihre Anbindung an die Beitrittsländer ein Thema sei, dem auf EU-Ebene und von Seiten der Bundesregierung größte Aufmerksamkeit gewidmet werde.

Abgeordnete JÄGER (S): Wo lagen die inhaltlichen Schwerpunkte bei der Position, die Österreich beim Rat für Allgemeine Angelegenheiten am 28. und 29. Jänner 2002 eingebracht hat?

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Außenministerin Dr. FERRERO-WALDNER nannte die EU-Erweiterung, der sie österreichischerseits eine zentrale Bedeutung beigemessen habe, die Bereiche Landwirtschaft und Regionalpolitik, die Wiederaufbauhilfe für Afghanistan, den Dialog zwischen den Zivilisationen und Kulturen, die schwierige Situation auf dem Westbalkan und das Ziel, Weißrussland und Moldawien näher an die EU heranzuführen.

Abgeordneter Dr. ZERNATTO (V) erfuhr von der Außenministerin, dass es hinsichtlich der Fortsetzung des Erweiterungsprozesses nunmehr auf Vorschläge der spanischen Präsidentschaft zur Lösung der finanziellen Probleme bei der EU-Erweiterung ankomme. 

Abgeordneter JUNG (F): Wie bewerten Sie die Ergebnisse der Geberkonferenz in Tokio zum Wiederaufbau Afghanistans?

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Die BUNDESMINISTERIN berichtete von dieser Konferenz, bei der sie selbst anwesend war, und bekannte sich nachdrücklich zu einem eigenen Beitrag Österreichs zum Wiederaufbau Afghanistans. Österreich leiste - inklusive seines EU-Betrages - 17,6 Mill. €, der Gesamtbetrag der internationalen Hilfe für Afghanistan beträgt 4,5 Mrd. $. Österreich konzentriert sich auf die Förderung der Frauen, die Entminung und die Drogenkontrolle. Wichtig sei die Kontrolle der Projekte, um zu verhindern, dass die Gelder "versickern".

Die Chancen auf eine friedliche Entwicklung in Afghanistan seien günstiger denn je, erfuhr Abgeordneter Mag. HAKL (V). Die Menschen hätten genug vom Krieg, und die internationale Gemeinschaft sei erstmals gemeinsam bei der Friedenssicherung engagiert.

Von Abgeordneter Jäger (S) auf die österreichische Entwicklungshilfepolitik angesprochen, führte die Ministerin aus, dass Österreich im Jahr 2003 0,35 % des BIP für Entwicklungshilfe aufwenden wolle, für die Zukunft hoffe sie, den Anteil der Budgetmittel für die Entwicklungszusammenarbeit steigern zu können.

Die Frage der Abgeordneten Mag. LUNACEK (G) nach der Vorgangsweise der österreichischen UN-Einheiten in Afghanistan im Falle der Gefangennahme von El-Kaida-Mitgliedern werde sie schriftlich beantworten, sagte die Außenministerin.

Abgeordnete Dr. LICHTENBERGER (G): Stimmen die Aussagen von EU-Kommissar Fischler, wonach in den Verhandlungen mit der EU-Kommission über eine Transit-Nachfolgeregelung, die unter Beteiligung Ihres Ressorts erfolgten, Österreich selbst den Entfall der 108 %-Fahrtenzahlgrenze vorgeschlagen hat?

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Die BUNDESMINISTERIN sah die Aussagen des EU-Kommissars Fischler unrichtig wiedergegeben. Überdies erinnerte sie daran, dass Kommissar Fischler bei dem Gespräch mit Verkehrskommissarin De Palacio nicht anwesend war. Es sei Sache der Kommission, Vorschläge zu unterbreiten. Die österreichische Seite sei für die österreichischen Interessen eingetreten und habe die Streichung der 108 %-Regelung, die von der Kommission vehement bekämpft werde, nicht vorgeschlagen. In diesem Zusammenhang führte die Ministerin aus, dass die Öko-Punkte-Regelung eine Reduktion der Fahrten bewirke, sie erweise sich als einzige wirksame Limitierung des Straßengüterverkehrs in Österreich. Aufgrund der Ergebnisse des Gipfels von Laeken zeigte sich die Außenministerin überzeugt, dass es eine Übergangsregelung in der Transitverkehrsfrage geben werde (Zusatzfrage des S-Abgeordneten Dr. EINEM).

Den Stand der Verhandlungen für eine Wegekostenrichtlinie beurteilte die Außenministerin günstig und berichtete von Bemühungen, externe Kosten in der Tarifierung des Straßen- und des Schienenverkehrs zu berücksichtigen, um einen fairen Wettbewerb zwischen den einzelnen Verkehrsträgern herbeizuführen.

Abgeordneter GROSSRUCK (V): Welche Zwischenbilanz kann über das bisherige Engagement der EU zur Stabilisierung Südosteuropas gezogen werden?

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Außenministerin Dr. FERRERO-WALDNER berichtete von großen Verbesserungen, nannte den Balkan aber weiterhin ein Krisengebiet und merkte an, dass ihr die Entwicklungen in Mazedonien, Montenegro und Kosovo Sorgen bereiteten. Die EU habe in ihren nunmehr zehn Jahre laufenden Hilfsprojekten gute Arbeit geleistet. Nun gehe es darum, diese Länder an die EU heranzuführen und ihnen eine europäische Perspektive zu eröffnen. Es werde nicht möglich sein, den Balkan zu stabilisieren, wenn man diese Länder allein lasse. Das gelte auch für Mazedonien, wo nunmehr die Voraussetzungen für eine internationale Geberkonferenz bestehen.

Die neutrale Haltung Österreichs sei auch nach der Ernennung des ehemaligen, auch für die NATO zuständigen Botschafters in Brüssel, Mayr-Harting, zu ihrem Sondervertreter für den Balkan gewährleistet, zerstreute die Ministerin diesbezügliche Bedenken der Abgeordneten Mag. LUNACEK (G).

Abgeordneter Dr. KURZMANN (F) erfuhr von der Außenministerin, dass die Ernennung Erhard Buseks zum EU-Beauftragten für Bosnien-Herzegowina positive Reaktionen hervorgerufen habe.

Schließlich setzte sich Abgeordnete Mag. MUTTONEN (S) für eine Erhöhung des österreichischen Beitrags zur UNO-Flüchtlingshilfe ein.

Abgeordneter Dr. BAUER (S): Hat aus Ihrer Sicht die kolportierte Eingliederung des Generalsekretariats des Außenamtes in das Ministerbüro eine Abwertung dieser Einrichtung zur Folge?

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Die AUSSENMINISTERIN verneinte diese Frage und wies auch die Behauptung zurück, dass das Generalsekretariat in das Ministerbüro eingegliedert werde.

Abgeordneter BURKET (F) teilte die Ministerin mit, dass sie stets offen für Verwaltungsreformen sei, und berichtete, dass in den letzten Jahren fünf Abteilungen und sieben Referate eingespart wurden. Eine weitere Verbesserung der internen Abläufe erwarte sie sich durch das Projekt "Herrengasse", das die Koordination erleichtern werde. Weitere Projekte seien die weltweite PC-Vernetzung und Einsparungen bei Auslandsübersiedlungen (Zusatzfrage der Abgeordneten GATTERER, V).

Die Managementqualitäten des neuen Generalsekretärs Kyrle seien deshalb gefragt, weil es während der häufigen Auslandsreisen der Ministerin notwendig sei, dass jemand für die interne Koordination des Außenministeriums sorge, erfuhr G-Abgeordnete Mag. LUNACEK von Außenministerin Dr. Ferrero-Waldner. (Schluss)