Parlamentskorrespondenz Nr. 79 vom 12.02.2002

AGENTUR FÜR GESUNDHEIT UND ERNÄHRUNGSSICHERHEIT BESCHLOSSEN

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Wien (PK) - Am Nachmittag stand zunächst das "Ernährungssicherheitsgesetz" auf der Agenda des Landwirtschaftsausschusses, über das bereits am 13.11. des Vorjahres beraten wurde und das heute nach einer dreistündigen Debatte und 32 Wortmeldungen - in der Fassung eines Abänderungsantrages - mit den Stimmen der Regierungsparteien angenommen wurde.

Dadurch kommt es zur Einrichtung der "Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit" sowie des Bundesamtes für Ernährungssicherheit per 1. Juni 2002. Als weitere Punkte standen legistische Änderungen in Forstgesetzen sowie Entschließungsanträge der Grünen (BSE- bzw. TSE-Vorsorgeprogramm) und der Sozialdemokraten (grundlegende Neuausrichtung des Agrarsystems) auf der Tagesordnung.

Zur Wahrung des Schutzes der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen, zur wirksamen und effizienten Evaluierung und Bewertung der Ernährungssicherheit sowie zur epidemiologischen Überwachung und Abklärung übertragbarer und nicht übertragbarer Infektionskrankheiten beim Menschen werden mit 1. Juni 2002 die "Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH" und das Bundesamt für Ernährungssicherheit eingerichtet werden. (744 d.B.)

Der von der Regierung vorgelegte Entwurf eines "Ernährungssicherheitsgesetzes" zielt auf eine Bündelung und Konzentration hoheitlicher Zuständigkeiten in den Bereichen Ernährungsproduktion sowie Qualitätssicherung ab und soll zudem alle Forschungs- und Untersuchungskapazitäten zusammenfassen. Im besonderen soll die Kompetenzzersplitterung entlang der Ernährungskette - beginnend von Futtermitteln über Veterinär- bis hin zu Lebensmittelkontrollen - sowie dadurch bedingte Koordinations- und Informationsprobleme behoben werden. Die Agentur umfasst mit 1. Juni 2002 folgende nachgeordnete Dienststellenbereiche (19 Dienststellen): Bundesanstalten für Lebensmitteluntersuchung und veterinärmedizinische Bundesanstalten; die bundesstaatlichen bakteriologisch-serologischen Untersuchungsanstalten in Wien, Graz, Klagenfurt, Linz und Salzburg; das Bundesamt und Forschungszentrum für Landwirtschaft, ausgenommen die Abteilungen Feldbodenkunde oder bodenkundliche Auswertung des Institutes für Bodenwirtschaft; die Bundesanstalt für Milchwirtschaft sowie das Bundesamt für Agrarbiologie, ausgenommen das Institut für biologische Landwirtschaft und Biodiversität. Für die Beratung der Agentur sowie des Sozial- und des Landwirtschaftsministers werden wissenschaftliche Beiräte für Gesundheit und Ernährungssicherheit installiert (z.B. Beirat für Veterinärwesen, Beirat für landwirtschaftliche Betriebsmittel).

Alleiniger Gründer und Eigentümer der Agentur ist zum Zeitpunkt der Errichtung der Bund, vertreten durch den Landwirtschafts- und den Sozialminister, die auch gemeinsam die Gesellschafterrechte wahrnehmen. Eine spätere Beteiligung der Länder ist möglich. Der Sitz der Agentur ist in Wien, das Stammkapital beträgt 1 Million Euro. Die Agentur kann, soweit es im Allgemeininteresse gelegen ist und es die Erfüllung der Aufgaben zulässt, gegenüber Dritten einschlägige Leistungen erbringen. Im Jahr 2002 hat der Bund der Agentur eine Basiszuwendung in der Höhe von 33,0661 Mill. Euro zur Verfügung zu stellen. 2003 und 2004 beträgt diese Summe 56,6848 Mill. Euro jährlich, in den folgenden Jahren gehen die Zuschüsse leicht zurück (2006: 54,5046 Mill. Euro). Zudem ist vorgesehen, dass der Sozialminister und der Landwirtschaftsminister eine Bareinlage von insgesamt 14,5345 Mill. Euro, in die das Stammkapital von 1 Mill. Euro einzurechnen ist, bis zum 28. Mai 2002 einbringen.

Mit der Leitung des Bundesamtes wird ein Mitglied der Geschäftsführung betraut, wobei der Ernennungsbescheid vom Landwirtschaftsminister im Einvernehmen mit dem Sozialminister erlassen wird. Gegen Bescheide des Bundesamtes für Ernährungssicherheit ist Berufung an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft zulässig, wobei dieser auch sachlich in Betracht kommende Oberbehörde ist.

Die Geschäftsführung der Agentur besteht aus bis zu drei Mitgliedern, die unter Anwendung der Bestimmungen des Stellenbesetzungsgesetzes zu bestellen sind; die Funktionsperiode beträgt fünf Jahre. Die Geschäftsführung hat bis Mai 2003 ein Unternehmenskonzept vorzulegen, das der Genehmigung des Landwirtschaftsministers und des Sozialministers bedarf. Den beiden Ministern sind alle zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Auskünfte zu erteilen und die Ressortchefs können zudem der Geschäftsführung - insbesondere in Erfüllung des Aufsichtsrechtes - allgemeine Weisungen oder Weisungen im Einzelfall erteilen. Zudem ist ein Aufsichtsrat einzurichten, der aus sieben Mitgliedern besteht.

Ein von den Regierungsparteien eingebrachter weiterer Antrag betraf Änderungen im Krankenanstaltengesetz, im Umweltkontrollgesetz, im Behörden-Überleitungsgesetz und im Bundesfinanzgesetz. In einer Ausschussfeststellung wird nachdrücklich darauf hingewiesen, dass die Amtssachverständigen der Wahrheitspflicht unterliegen und schon aus (straf)rechtlichen Gründen der Beeinflussung durch Weisungen weitgehend entzogen sind.

Abgeordneter Johann Maier (S) bezeichnete die Vorlage als nicht ausgereift, da es eine Reihe von offenen Fragen gebe. Wenn man von der Zusammenführung der Anstalten absehe, ändere sich im Grunde genommen nichts, beklagte er. Er könne auch keine Synergieeffekte erkennen, außer dass Geld und Personal eingespart werden sollen. Im besonderen kritisierte er, dass ein wesentlicher Bereich, nämlich die Veterinärkontrolle, nicht vom Gesetz erfasst ist und weiterhin den Landeshauptleuten obliege. Der Slogan, "Kontrolle vom Feld bis zum Teller" werde seiner Meinung nach daher nicht erfüllt. Weiters monierte er, dass die Europäische Lebensmittelbehörde ganz anders konstruiert sei als das österreichische Modell. Überdies vermisste er ein konkretes Anstaltenkonzept sowie Finanzierungsmöglichkeiten für Krisenfälle. Mit der Ausgliederung verlieren die Abgeordneten zudem ihr Interpellationsrecht gegenüber der Agentur; es gibt auch keine Kontrollmöglichkeit mehr durch die Volksanwaltschaft. Aus all diesen Gründen schlug Maier vor, diese Materie einem Unterausschuss zuzuweisen, um eingehend über alle Details diskutieren zu können. - Bei der Abstimmung wurde sein Verlangen von der Ausschussmehrheit abgelehnt.

Dieses Vorhaben trage ambitionierte Züge, räumte Abgeordnete Gabriela Moser (G) ein, aber eine neue Namensgebung und die Beseitigung der Schnittstellen auf Bundesebene sei ihrer Meinung nach nicht ausreichend. Sie trat daher dafür ein, neue vernetzte Systeme zu entwickeln, die wirklich einen Durchgriff vom "Feld zum Teller" gewährleisten. Einen weiteren Kritikpunkt sah die Mandatarin in der mangelnden Grundfinanzierung, da insgesamt Mittel in der Höhe von 1,3 Mrd. S notwendig wären.

Abgeordneter Hermann Schultes (V) sprach von einem Reformwerk, das - wie er meinte - in weiten Teilen die Zustimmung der Opposition gefunden hat. Er hätte sich zwar über eine Beteiligung der Länder gefreut, aber es sei wichtig, dass ein "erster guter Schritt" gesetzt wurde.

Abgeordneter Ulrike Sima (S) fragte sich, wie das Szenario aussehe, wenn die zwei weisungsberechtigten Minister divergierende Auffassungen haben. Was passiere dann? Aus dem Umstand, dass bereits bestehende Institutionen einfach zusammengefasst werden, könne man keine automatische Verbesserung der Lebensmittelsicherheit ableiten, fuhr sie fort, zumal die Probleme weniger im Kontrollbereich sondern vielmehr aufgrund des "Kompetenz-Wirrwarrs" aufgetreten sind. Unbedingt erforderlich sei zudem eine klare Trennung zwischen Produktion und Kontrolle, was mit diesem Gesetz wieder nicht garantiert sei. Dies sei eine "unerträgliche Praxis", meinte auch Abgeordnete Ludmilla Parfuss (S), nämlich dass eine Hand die andere kontrolliere. Als Beispiele nannte sie in diesem Zusammenhang den Tierschutz und die Schlachtbetriebe. Weitere Fragen galten den BSE-Maßnahmen.

Abgeordneter Werner Kummerer (S) kam zu dem Schluss, dass sich die Länder bei dieser Vorlage durchgesetzt haben. Bedauerlicherweise haben die Agrarlandesräte nichts aus den Vorfällen der letzten Monate gelernt und gehen weiterhin nach der Devise vor "kontrolliert wird, was wir bestimmen". Negativ beurteilte er auch, dass die EU-Kompatibilität nicht gegeben ist und die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird.

Abgeordneter Wolfgang Pirklhuber (G) sah eine Gefahr darin, dass nun begonnen werde, Kernbereiche auszugliedern. Dies könnte bedeuten, dass in Zukunft mit einer stärkeren Beteiligung von privaten Firmeninteressen zu rechnen sei. Einerseits werde zwar die gesamte Lebensmittel-, Landwirtschafts- und Betriebsmittelkontrolle ausgegliedert, andererseits aber gleichzeitig ein "doppelköpfiger Janus entwickelt", meinte der Abgeordnete in Bezug auf die neue Organisationsstruktur. Das grundlegende Problem, nämlich die Kompetenzzersplitterung, sei nicht durch diese Agentur zu lösen, befürchtete er.

Abgeordneter Jakob Auer (V) machte zunächst darauf aufmerksam, dass der EU-Kommissar für Konsumentenschutz, David Byrne, die österreichische Lösung gelobt habe. Er sei überzeugt davon, dass mit dieser Gesetzesinitiative die Kontrolle optimiert und die "Kontrollkette dicht gemacht" werde.

Bundesminister Wilhelm Molterer bedankte sich für die sachliche Diskussion, bei der ein gemeinsames Ziel, nämlich die Gewährleistung einer hohen Lebensmittelsicherheit, im Mittelpunkt stand. Er glaube, dass mit dieser Regierungsvorlage ein "großer Wurf" gelungen sei, da das sektorale Denken von einer integralen Sichtweise abgelöst wurde und nunmehr die gesamte Lebensmittelkette umfasst ist. Aufgrund der Erfahrungen in den letzten Monaten wurde die organisationsrechtliche Struktur auf Bundesebene auf eine neue Basis gestellt, um alle Kräfte zu bündeln, die Synergien auszunützen und den Datenfluss zu verbessern. Damit soll gewährleistet werden, dass der Steuerschilling bestmöglich eingesetzt wird, betonte er.

Auch er sei der Auffassung, dass die Diskussion mit den Bundesländern bezüglich einer Mitwirkung weitergeführt werden soll. Was die EU-Kompatibilität betrifft, so werde die EU-Lebensmittelbehörde ganz andere Aufgaben wahrnehmen. Es wurde jedoch sichergestellt, dass die Grundprinzipien der EU-Richtlinie zum Lebensmittelrecht auch in dieser Vorlage berücksichtigt wurden. Laut David Byrne liege die Stärke Österreichs nun darin, dass wir der EU als Erste ein klares Vis-a-vis anbieten können, hob Molterer hervor. Hinsichtlich der Erteilung von Weisungen, stellte er fest, dass diese nur schriftlich und begründet erteilt werden können. Er halte es für sinnvoll, dass dort, wo es um hoheitliche Aufgaben geht, ein Bundesamt geschaffen wird, und auf der anderen Seite eine Agentur eingerichtet wird, die auch die Möglichkeit hat, Drittmittel zu lukrieren. Auch die Kritik bezüglich der Finanzierungsbasis könne er nicht teilen, da verantwortlich und vernünftig gehandelt wurde und zudem eine Überprüfungsklausel vorgesehen ist.

Auch Bundesmininster Herbert Haupt hob die zahlreichen Synergieeffekte hervor, die sich durch eine bessere Nutzung der Infrastruktur, wie etwa der Laboreinrichtungen etc. ergeben. Es sei seiner Auffassung nach sinnvoller, Fachkräfte anzustellen als für leerstehende Räume an die BIG zu zahlen. Ebenso wie Abgeordneter Auer wies der Minister auf die Aussagen des EU-Kommissars Byrne hin, der das österreichische Konzept positiv beurteilt hat. Er hoffe, dass in Zukunft auch die Länder mitwirken werden, eine entsprechende Beteiligungsmöglichkeit wurde im Gesetz vorgesehen.

Bei der Abstimmung wurde die Regierungsvorlage in der Fassung eines Abänderungsantrages mit F-V-Mehrheit angenommen; ebenfalls mehrheitlich verabschiedeten die Mandatare der Regierungsparteien den im Rahmen der Beratungen eingebrachten Antrag sowie die Ausschussfeststellung. Der Antrag der Opposition (Absicherung des Interpellationsrechtes sowie der Kontrolle durch die Volksanwaltschaft) fand hingegen keine Zustimmung. (Fortsetzung)