Parlamentskorrespondenz Nr. 149 vom 06.03.2002

VERWALTUNGSGERICHTSHOF NACH WIE VOR NOTORISCH ÜBERLASTET

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Wien (PK) - Der Verwaltungsgerichtshof ist nach wie vor notorisch überlastet. Obwohl sowohl im Jahr 1999 als auch im Jahr 2000 die Zahl der anhängig verbliebenen Beschwerdefälle verringert werden konnte, war eine ins Gewicht fallende Reduktion der Anzahl der besonders lange anhängigen Verfahren nicht möglich. Die durchschnittliche Erledigungsdauer der im Jahr 2000 mit Sachentscheidung erledigten Bescheidbeschwerden betrug fast 20 Monate, 1.021 Beschwerdefälle waren bereits länger als drei Jahre anhängig. Das geht aus einem Bericht hervor, den Bundeskanzler Wolfgang Schüssel vor kurzem dem Nationalrat vorgelegt hat und der die Abgeordneten über die Tätigkeit des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes in den Jahren 1999 und 2000 informiert. (III-140 d.B.)

Noch offen ist, inwieweit die im Rahmen des Verwaltungsreformgesetzes 2001 verankerte verstärkte Heranziehung der Unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern als Berufungs- und Rechtskontrollbehörde in zahlreichen Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung die Situation verbessern wird. Zwar rechnet die Bundesregierung mit einer gewissen Entlastung des Verwaltungsgerichtshofes, dieser ist jedoch der Ansicht, dass eine dauerhafte strukturelle Verbesserung nur durch eine umfassende Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit und damit zusammenhängend die Einführung von Verwaltungsgerichten erster Instanz möglich ist.

Insgesamt wurden im Jahr 2000 6.565 neue Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof herangetragen, dazu kamen 2.188 Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Gleichzeitig waren 9.332 Beschwerden und 421 Anträge auf aufschiebende Wirkung aus früheren Jahren beim VwGH anhängig, davon knapp über die Hälfte bereits länger als ein Jahr. 386 Fälle, die zu Beginn des Jahres 2000 offen waren, stammten sogar aus dem Jahr 1995.

Erledigt wurden im Jahr 2000 7.104 Beschwerden und 2.323 Anträge auf aufschiebende Wirkung, womit die Zahl der Erledigungen etwas über jener der neu eingelangten Beschwerdefälle lag. In 97 Fällen wurden beim Verfassungsgerichtshof Normenprüfungsverfahren anhängig gemacht, in fünf Beschwerdefällen entschied sich der VwGH für eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof. Die 7.104 Beschwerde-Erledigungen führten in 2.506 Fällen bzw. 35,28 % zu einer Aufhebung des angefochtenen Bescheids, in 2.037 Fällen wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Die übrigen Erledigungen erfolgten nicht in Form von Sachentscheidungen, die Beschwerden wurden beispielsweise zurückgewiesen, vor der Behandlung abgelehnt, zurückgezogen oder das Verfahren eingestellt.

Insgesamt 8.796 Beschwerden und 304 Anträge auf aufschiebende Wirkung blieben im Jahr 2000 unerledigt. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Abbau dieser Rückstände und eine Reduzierung der durchschnittlichen Verfahrensdauer, die mittlerweile fast 20 Monate beträgt, bei gleich bleibenden Belastungsverhältnissen nicht möglich. Auch macht VwGH-Präsident Clemens Jabloner darauf aufmerksam, dass die zum Teil lange Verfahrensdauer - 1.021 Akten waren 2000 länger als drei Jahre anhängig - nicht mit Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention und mit dem vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als angemessen angesehenen Maß in Einklang steht. Aus diesem Grund sind eine Reihe von Verfahren vor dem EGMR anhängig, in einigen Fällen ist eine Verurteilung der Republik Österreich bereits erfolgt.

Die Verwaltungsrichter warnen in diesem Zusammenhang davor, dass eine - nicht auszuschließende - Serie von "Verurteilungen" durch den EGMR den Eindruck erwecken könnte, Österreich käme seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen auf dem Gebiet der Menschenrechte nicht hinreichend nach. Zudem sind aufgrund der vom EGMR regelmäßig festgesetzten Entschädigungszahlungen auch finanzielle Konsequenzen zu erwarten.

Bemerkt wird im Bericht darüber hinaus, dass die 7.104 Beschwerde-Erledigungen nur unter Arbeitsbedingungen erreicht werden konnten, bei deren Beibehaltung auf Dauer die Qualität der Entscheidungen in Frage gestellt sein könnte. So hat ein Richter zur Erarbeitung eines Entscheidungsentwurfs pro Beschwerdefall im Durchschnitt nicht einmal zwei Arbeitstage zur Verfügung. Dazu kommt, so der Bericht, dass die Komplexität des Normenmaterials steigt und der Verwaltungsgerichtshof verstärkt mit einer Vielzahl besonders umfangreicher Verfahren konfrontiert ist, deren rasche Erledigung von großer Bedeutung für das Wirtschaftsleben wäre.

Aus all diesen Gründen urgiert der Verwaltungsgerichtshof die rasche Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz. Gleichzeitig wendet er sich gegen eine "Aushöhlung" der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch die Auslagerung bedeutender Verwaltungsmaterien zu neuen Kollegialbehörden. Mit einem Ausschluss des VwGH von der Rechtskontrolle in bestimmten Materien wäre nicht nur ein Abbau rechtsstaatlicher Standards, sondern unvermeidlicher Weise auch eine Zersplitterung der Rechtsordnung, insbesondere des Verfahrensrechts, verbunden, heißt es im Bericht. Besonders kritisch setzt sich der VwGH in diesem Zusammenhang mit dem im Nationalrat zur Diskussion stehenden Objektivierungsgesetz und den damit verbundenen Begleitgesetzen auseinander.

1998 waren im Verwaltungsgerichtshof neben dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten 12 Senatspräsidenten und weitere 49 Richter tätig.

VERFASSUNGSGERICHTSHOF: 34 GESETZE ZUMINDEST TEILWEISE AUFGEHOBEN

An den Verfassungsgerichtshof wurden im Jahr 2000 2.789 neue Fälle herangetragen, 2.902 Fälle konnten erledigt werden. Damit ging die Zahl der offenen Fälle von 1.742 zum Jahresende 1999 auf 1.629 Fälle zum Jahresende 2000 zurück, wobei 16 der offenen Fälle aus dem Jahr 1997 und 115 aus dem Jahr 1998 datieren.

Wie bereits in den vorangegangenen Jahren betraf ein Großteil der neu an den VfGH herangetragenen 2.789 Fälle, nämlich 2.405, Beschwerden von Bürgern, die sich durch einen Bescheid in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt sahen oder meinten, der betreffende Bescheid beruhe auf einer gesetzeswidrigen Verordnung bzw. einem verfassungswidrigen Gesetz. Darüber hinaus gingen beim VfGH 173 Gesetzesprüfungsanträge, davon 132 bezogen auf Bundesgesetze, 39 bezogen auf Landesgesetze und zwei nicht hinreichend spezifizierte, sowie 145 Anträge auf Prüfung von Verordnungen ein. Die restlichen Fälle betrafen Kompetenzkonflikte, Wahlanfechtungen, vermögensrechtliche Ansprüche und Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Rechnungshof und geprüften Rechtsträgern hinsichtlich der Prüfungszuständigkeit.

249 Gesetzesprüfungsverfahren konnten vom Verfassungsgerichtshof im Jahr 2000 abgeschlossen werden. Von den im Rahmen dieser Verfahren geprüften 42 Normen hoben die Richter immerhin 34 zumindest teilweise auf, acht Gesetze hielten der Prüfung durch den VfGH stand.

Der Verfassungsgerichtshof hob aber nicht nur Gesetze auf, sondern übt in seinem Tätigkeitsbericht 2000 auch Kritik an der Gesetzwerdung. Vor allem die verstärkt zu beobachtende Praxis, so genannte Sammelgesetze zu erlassen, sowie Änderungen ein und derselben Rechtsvorschrift in kürzesten Abständen rufen Unmut bei den Verfassungsrichtern hervor. Diese Umstände führten dazu, dass die Rechtsordnung immer schwerer zu durchschauen sei, meint der VfGH, was in weiterer Folge zu einem Konflikt mit einem Grundprinzip der Verfassung, dem rechtsstaatlichen Prinzip, führen könnte.

Darüber hinaus urgiert der VfGH im Hinblick auf ein im März 2000 ergangenes Erkenntnis eine Annäherung der Rechtsstellung des Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes an jene des Präsidenten des Nationalrates, des Rechnungshofes oder des Vorsitzenden der Volksanwaltschaft. Konkret soll insbesondere die Personalhoheit betreffend den VfGH nicht mehr in die Kompetenz des Bundeskanzlers fallen, sondern an den VfGH-Präsidenten übertragen werden und die bisher vom Bundeskanzleramt gehandhabte Vollzugszuständigkeit wegfallen. Zudem will der VfGH, dass die Vertretung des Verfassungsgerichtshofes durch den Bundeskanzler bei den den VfGH betreffenden Budgetberatungen im Nationalrat entfällt. Schließlich mahnt VfGH-Präsident Ludwig Adamovic eine Lösung des Problems "Massenverfahren" und in bestimmten Fällen die Ausweitung der Möglichkeit, den Verwaltungsgerichtshof anzurufen, ein.

Die Verfahrensdauer der vom VfGH behandelten Fälle ist dem Bericht zufolge im internationalen Vergleich äußerst positiv zu sehen. Dennoch urgieren die Richter eine Aufstockung der verfassungsrechtlichen Mitarbeiter und machen in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass sich zwar die Zahl der neuen Fälle im Großen und Ganzen stabil hält, die zu behandelnden Rechtsfragen aber immer schwieriger werden.

Der Verfassungsgerichtshof setzt sich neben dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten aus 12 weiteren Mitgliedern und sechs Ersatzmitgliedern zusammen, wobei drei der vierzehn Mitglieder und zwei der sechs Ersatzmitglieder Frauen sind. Darüber hinaus gab es im Jahr 2000 in den Referaten 22 verfassungsrechtliche Mitarbeiter.

Sowohl der Verwaltungsgerichtshof (www.vwgh.gv.at) als auch der Verfassungsgerichtshof (www.vfgh.gv.at) verfügen über eine eigene Website, die Entscheidungen der beiden Gerichtshöfe sind zudem über das kostenlose Rechtsinformationssystem des Bundes (www.ris.bka.gv.at) abrufbar. (Schluss)