Parlamentskorrespondenz Nr. 203 vom 21.03.2002

NATIONALRAT NIMMT BERATUNGEN ÜBER TEMELIN-VOLKSBEGEHREN AUF

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Wien (PK) Der Nationalrat hat heute seine Beratungen über das Temelin-Volksbegehren in Erster Lesung aufgenommen. Die Fraktionen legten in einer teilweise sehr emotional geführten Diskussion ihre Ablehnung des grenznahen Atomkraftwerks wie ihre unterschiedlichen Auffassungen über die möglichen Maßnahmen dagegen dar. Das von der FPÖ initiierte Volksbegehren war Ende des Vorjahrs von rund 915.000 Menschen unterschrieben worden.

Der geschäftsführende Klubobmann der Sozialdemokraten, Abgeordneter Dr. CAP, konstatierte bei den Freiheitlichen nach dem Engagement vor dem Volksbegehren eine "weit geringere Bereitschaft", sich nachher damit zu beschäftigen. Er warf der FP "Rosstäuscherei" vor: Selbst die Betreiber hätten gewusst, wie sinnlos es sei, das Volksbegehren zu unterschreiben. In einem Rückblick hielt der Redner den Regierungsfraktionen eine Reihe von "Sündenfällen" - vom Verzicht auf optimale Sicherheit durch einen Entschließungsantrag im Parlament über das in Brüssel mit dem tschechischen Ministerpräsidenten Zeman ausgehandelte Abkommen und den Verzicht einer Bindung der Außenministerin für Laeken durch den Hauptausschuss bis zum Abschluss des Energiekapitels - vor. Seit dem Volksbegehren sei nichts getan worden, nichts für einen europaweiten Atomausstieg, nichts gegen die vielen anderen Atomkraftwerke. Die Unterzeichner des Volksbegehrens müssten daher zur Kenntnis nehmen, dass sie getäuscht wurden, sagte Cap.

Der Vorsitz führende Präsident Dr. FISCHER gab bekannt, dass ein Vierparteien-Antrag eingebracht worden sei, dem zufolge zur parlamentarischen Behandlung des Volksbegehrens ein besonderer Ausschuss eingesetzt werden solle. Diesem Ausschuss sollen 25 Mitglieder und ebenso viele Ersatzmitglieder angehören, und zwar im Verhältnis 9:7:7:2.

Wenn es nach der SPÖ gegangen wäre, hätte Österreich heute ein Atomkraftwerk Zwentendorf, replizierte Klubobmann Ing. WESTENTHALER (F) auf seinen sozialdemokratischen Widerpart. Er gab eine Garantie dafür ab, dass das Volksbegehren ordentlich behandelt werde: "Wir geben so lange keine Ruhe, bis Temelin zugesperrt ist." Als Erfolg des Volksbegehrens sei zu werten, dass das Thema Temelin europäisiert worden sei, führte Westenthaler weiter aus und dankte in diesem Zusammenhang den Unterzeichnern der Initiative. Der neuen Regierung in Prag werde man klar machen, dass Temelin "ein Unsinn" sei. Für den Sonderausschuss nannte er dann vier programmatische Bereiche: Man werde den technischen Bereich analysieren, man werde sich die Sache ökonomisch ansehen, man werde die Umweltaspekte durchleuchten und man werde Alternativen finden, auch auf europäischer Ebene. Man werde im Interesse der kommenden Generationen eine atomfreie Zukunft gestalten und Prag davon überzeugen, dass es mit Temelin einen Irrweg gehe, schloss der freiheitliche Klubobmann.

Die Volkspartei sei "immer gegen die Nutzung der Kernkraft" gewesen, eröffnete VP-Klubobmann Dr. KHOL seinen Beitrag. Das Volksbegehren habe seine Partei aber nicht unterstützt, weil sie der Meinung sei, dass ein Veto gegen den EU-Beitritt Tschechiens für die Sicherheit Österreichs nicht der richtige Weg sei. Seine Fraktion sei aber an der Sicherheit Österreichs maximal interessiert, sie nehme die Ängste der Österreicher ernst und wolle im Sonder-Aausschuss die Zeit nützen. Bisher sei man mit einem Vier-Parteien-Konsens sehr erfolgreich gewesen, sagte Khol, und er habe "den Traum", dass man im Ausschuss wieder zu einem Konsens kommen werde. Als Erfolg wertete Khol, dass es jetzt einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag gebe, der Tschechien zur Behebung der 21 festgestellten Sicherheitsmängel verpflichte. Österreich sei und bleibe kernkraftfrei, es gehe jetzt um Fortschritte beim europaweiten Ausstieg aus der Atomkraft, um verbindliche Standards für hunderte AKW. Jedes Land sei frei in der Wahl seiner Energieträger; Temelin müsse aber dem höchsten Stand der Technik entsprechen. Darüber werde man im Ausschuss "ernsthaft, sorgsam und ohne Polemik" reden - und, "wenn es geht", auch mit der neuen tschechischen Regierung über eine Nullvariante.

Abgeordneter EDLINGER (S) stellte in einer Tatsächlichen Berichtigung zu Khol fest, dass die ÖVP keineswegs immer gegen die Nutzung der Atomenergie gewesen sei. Als Belege führte er an, dass seinerzeit die Landeshauptmänner von Niederösterreich und der Steiermark um Standorte für Atomkraftwerke "öffentlich gestritten" hätten, dass Wirtschaftskreise der ÖVP massiv für die Inbetriebnahme des AKW Zwentendorf eingetreten seien und dass die ÖVP im Wiener Gemeinderat die Errichtung eines AKW in Wien Donaustadt beantragt habe.

Wieder in die Gegenwart kehrte dann Abgeordnete Dr. GLAWISCHNIG (G) zurück. Sie zeigte sich enttäuscht, dass in den zwei Monaten seit dem Ende des Volksbegehrens nichts geschehen sei. Auf die Pannen in Temelin, darunter einem schweren Störfall im Primärkreislauf, habe es nichts gegeben als "lautes Schweigen", kritisierte sie die Regierungsfraktionen. Den Freiheitlichen warf Glawischnig vor, die Situation noch verschlimmert zu haben. An die Adresse des Bundeskanzlers, der Vizekanzlerin und des FP-Klubobmanns richtete sie die Frage nach deren Aktivitäten und Konzepten. Im Blick auf den zu bildenden Sonder-Ausschuss befürchtet Glawischnig eine Verschleppungstaktik und begründete dies mit der Erwartung Khols, dies werde Monate dauern, und mit Äußerungen Westenthalers bezüglich einer Ausstiegsvariante. Die Grünen hätten ein Umsetzungspaket vorbereitet; nach der massiven Verschärfung des Problems sei aber ein neuer Anfang nötig, schloss Glawischnig.

Umweltminister Mag. MOLTERER bekannte sich nachdrücklich zu den beiden Zielen der Bundesregierung, einen europaweiten Atomausstieg zu erreichen und gleichzeitig maximale Sicherheitsstandards für die Menschen in Österreich zu gewährleisten. In Verfolgung dieser Ziele habe die derzeitige Bundesregierung mehr erreicht als jede andere Regierung vor ihr, insbesondere sei es ihr gelungen, die Frage der nuklearen Sicherheit zum Thema der Erweiterungsverhandlungen zu machen. Die Initiative Österreichs habe zu konkreten Schließungsplänen für die kritischen Reaktoren Ignalina, Kosloduj und Bohunice geführt. Österreich habe auch erreicht, dass sich eine gemeinsame europäische Gruppe mit den Sicherheitsstandards in allen Kernkraftwerken der Kandidatenländer beschäftigt. Sicherheitsauflagen wurden für alle Kandidatenländer verankert und es wurde erstmals offensiv über einheitliche europäische Standards in der nuklearen Sicherheit auf möglichst hohen Niveau verhandelt.

Die Verhandlungen mit Tschechien habe die Bundesregierung auf der Basis der Formulierungen dieses Hauses geführt und diesen Auftrag auf Punkt und Beistrich erfüllt. "Wir haben in Brüssel einen substanziellen Fortschritt im Interesse der Sicherheit der Österreicherinnen und Österreicher erreicht", sagte Molterer und listete auf: Ausbau des Nuklearinformationsübereinkommen für Tschechien und Österreich, Stärkung der Energiepartnerschaft für erneuerbare Energien und Öko-Effizienz, Umsetzung der sieben zentralen Sicherheitspunkte und Umsetzung der 21 UVP-Punkte. Dieses Ergebnis ist völkerrechtlich verbindlich und kann im Falle der Mitgliedschaft Tschechiens bei der EU beim Europäischen Gerichtshof eingeklagt werden, weil es Teil der Beitrittsakte wird, teilte der Umweltminister mit.

In seinen weiteren Ausführung berichtete von der Zusicherung der spanischen Präsidentschaft, im Rat von Sevilla über die Umsetzung der europäischen Sicherheits-Arbeitsgruppen zu beraten und machte darauf aufmerksam, dass über die Umsetzung einer Reihe von Projekten der Energiepartnerschaft mit Tschechien verhandelt werde. Die Bundesregierung behalte sich vor, auf das Energiekapitel zurückzukommen, wenn sich die tschechischen Behörden nicht an die Vereinbarungen halten würden. Sie strebt in der Energiepartnerschaft die Nullvariante an und wird jede Chance nutzen, im Sinne der Gesamtstrategie "europaweiter Atomausstieg" mit einer neuen tschechischen Regierung die Nullvariante wieder zu erörtern.

Demgegenüber registrierte Abgeordnete Mag. SIMA (S) einen Stillstand in der Anti-Atom-Politik und machte dafür auch den massiven Streit der Regierungsparteien in der Temelin-Politik verantwortlich. "Sie haben Temelin durch den Abschluss des Energiekapitels vollinhaltlich akzeptiert", lautete die Kritik der SP-Umweltsprecherin. Auch sei Temelin nicht sicherer geworden, auch wenn die Freiheitlichen neuerdings zu erkennen scheinen, dass auch ein Veto Temelin nicht sicherer mache. In Wahrheit seien die Freiheitlichen in der Anti-AKW-Politik "skandalös untätig". Sima wies darauf hin, dass Block II des AKW Temelin demnächst ans Netz gehen werde, mit denselben Sicherheitsmängeln wie Block I. Das sei von der Regierung bei ihren Verhandlungen mit Tschechien völlig vergessen worden, klagte Sima.

Das Volksbegehren, das viele Menschen unterschrieben haben, um in letzter Minute etwas gegen Temelin zu unternehmen, sei von der FPÖ sofort "schubladisiert" worden. So werde das Doppelspiel deutlich, dass die FPÖ bei Temelin betreibe, und niemand wundere sich mehr darüber, dass keinerlei Fortschritt in der Anti-AKW-Politik erzielt werden.

Abgeordneter Mag. SCHWEITZER (F) konterte mit dem Hinweis darauf, dass Temelin nicht erst seit Februar 2000 bestehe und erinnerte daran, dass der ehemalige Bundeskanzler Klima und die ehemalige Umweltministerin Prammer - in der letzten Regierung für die Anti-AKW-Politik zuständig - absolut nichts erreicht zu haben. Eine der ersten Taten der Abgeordneten Prammer in der Opposition sei es laut Schweitzer gewesen, mit der guten Tradition der Parlamentsfraktionen zu brechen, gemeinsam gegen Kernkraftwerke vorzugehen. Mit dem Sonder-Ausschuss bestehe nun eine neue Chance, einen gemeinsamen Weg gegen Temelin einzuschlagen. Man werde nachweisen, dass Temelin nie sicher sein könne, dass es keine wirtschaftliche Zukunft für dieses AKW gibt, weil der dort produzierte Strom für den liberalisierten europäischen Strommarkt viel zu teuer sei. Sobald es eine neue tschechische Regierung geben wird, werde die Bundesregierung mit den Ergebnissen des Sonder-Ausschusses nach Tschechien gehen und über Temelin weiter verhandeln. Außerdem werde sie im Rahmen der internationalen Gemeinschaft gegen Temelin vorgehen. Denn es gehe um Österreich, seine Sicherheit und seine Zukunft, unterstrich Karl Schweitzer.

Abgeordneter KOPF (V) erinnerte daran, dass die Volkspartei schon sehr lange und sehr konsequent Anti-Atom-Politik betreibe und sich dafür einsetze, die Bedrohung AKW generell aus Europa zu verbannen. In dieser Zielsetzung seien sich alle Parteien einig, die SPÖ aber konzentriere sich auf Polemik und spreche von Versäumnissen der Bundesregierung, obwohl sie selbst in der Ära Klima-Prammer für einen Stillstand in der Anti-AKW-Politik verantwortlich sei.

Alle wissen, dass niemand den Erweiterungskandidaten vorschreiben könne, aus welchen Quellen sie ihren Energiebedarf decken. Umso erfreulicher sei es, dass Bundeskanzler Schüssel und Umweltminister Molterer über den Melker Prozess einklagbare Sicherheitsbestimmungen für unsere Bevölkerung erreicht haben. Es sei gelungen, eine europaweite Diskussion über AKW-Sicherheitsstandards zu Stande zu bringen. Ein Nicht-Beitritt Tschechiens zur EU würde Temelin nicht sicherer machen, betonte Kopf, im Gegenteil, es würde Tschechien von den im Temelin-Vertrag verankerten Sicherheitsbestimmungen entbinden. Kopf unterstrich auch das Engagement Österreichs in der Engergiepartnerschaft mit Tschechien und kündigte an, die Umsetzung des Temelin-Vertrags und die Sicherheitsnachrüstung dieses Kernkraftwerks auf Punkt und Beistrich einzufordern. "Wir haben einen konsequenten und zugleich realitätsbezogenen Weg eingeschlagen, um die Sicherheit Österreichs zu gewährleisten". 

Abgeordneter Dr. PILZ (G) sah den Konsens in der Anti-AKW-Politik nicht durch die Grünen und die SPÖ aufgekündigt, sondern durch den Streit der Regierungsparteien. Es sei die skurrile Situation eingetreten, dass eine Regierungspartei ein Volksbegehren gegen die andere startet und dann von den Oppositionsparteien verlangt, sich für dieses Volksbegehren einzusetzen. Diese Bundesregierung könne auf europäischer Ebene keine Verbündeten für eine Anti-AKW-Politik finden, weil niemand in Brüssel oder Straßburg mit den Freiheitlichen reden will. Österreich brauche aber Partner, gegen den EURATOM-Vertrag ebenso wie für die Erneuerung des Transit-Vertrags.

In seinen weiteren Ausführungen setzte sich Abgeordneter Pilz mit dem Temelin-Volksbegehren auseinander und bezweifelte, dass dies ein Volksbegehren gewesen sei. Es handle sich um das Begehren einer Partei und eines marktbeherrschenden Mediums. Das Instrument Volksbegehren sei lediglich missbraucht worden. Demgegenüber handle es sich beim Sozialstaat-Volksbegehren um ein echtes Volksbegehren, dessen Ergebnis zeigen werde, wie ernst die Menschen das Instrument Volksbegehren nehmen.

Verteidigungsminister SCHEIBNER verwahrte sich gegen die Unterscheidung "echter" von "unechten" Volksbegehren und stellte fest, jedes Volksbegehren sei ein legitimes Instrument der Demokratie. Das Temelin-Volksbegehren sei kein FP-Volksbegehren gewesen, hielt der Minister fest und meinte, die Einsetzung eines Sonder-Ausschusses sei ein taugliches Instrument, um dieses Volksbegehren im Parlament zu behandeln. Die Bundesregierung sei entschlossen, ihrer Verantwortung für die Sicherheit der Österreicher nachzukommen, so wie sie mit Entschlossenheit für den Sozialstaat Österreich eintrete.

Hinsichtlich Temelin unterstrich der Verteidigungsminister seine Auffassung, nur ein abgeschaltetes Kernkraftwerk sei sicher. Der Ausstieg aus der Kernenergie müsse daher das Ziel Österreichs sein, in Temelin und in ganz Europa. Eine von Bundesheer und Zivilschutzorganisationen gemeinsam durchgeführte Übung in Oberösterreich habe klar gemacht, dass von einem Super-GAU in Temelin Millionen von Österreichern betroffen wären. Die Bundesregierung stelle sich auch ihrer Verantwortung hinsichtlich der Sicherheitsstandards in Temelin und sie werde mit der neuen tschechischen Regierung über den Atomausstieg verhandeln. "Wir brauchen eine klare Stimme für die Sicherheit in Europa, dazu gehöre der Ausstieg aus der Atomenergie", schloss Verteidigungsminister Scheibner.

Abgeordneter OBERHAIDINGER (S) erinnerte daran, dass nur 7 von insgesamt 37 Anti-Atom-Anträgen im Nationalrat von den Freiheitlichen mitgetragen worden seien, und berichtete aus eigener Erfahrung, wie schwer es jeweils gewesen sei, die Freiheitlichen mit ins Boot zu bringen. Oberhaidinger verteidigte den ehemaligen Bundeskanzler Klima und die ehemalige Umweltministerin Prammer gegen den Vorwurf der Untätigkeit in der Anti-AKW-Politik und erinnerte an deren Initiativen für einen europaweiten Ausstieg aus der Atomenergie.

Abgeordnete ACHATZ (F) erinnerte die SPÖ daran, dass 30 % der Volksbegehrensunterzeichner SPÖ-Wähler waren und registrierte den Versuch der Grünen, auf das erfolgreiche Volksbegehren "aufzuspringen". Achatz wiederholte den Vorwurf an die ehemalige Umweltministerin Prammer, in der Anti-AKW-Politik untätig gewesen zu sein und Scheinverhandlungen ohne Ergebnis geführt zu haben. Jetzt müsse sich Tschechien bewegen und seine arrogante Haltung aufgeben, sagte Achatz und machte auf die 30 Störfälle in Temelin aufmerksam, die das Anliegen des Volksbegehrens deutlich machten. Es gibt kein sicheres AKW, nur ein stillgelegtes AKW sei sicher, schloss Abgeordnete Achatz und sprach die Hoffnung auf eine gute Zusammenarbeit der Fraktionen im Temelin-Sonder-Ausschuss aus. 

Abgeordnete RAUCH-KALLAT (V) sprach sich klar gegen ein Veto Österreichs gegen einen EU-Beitritt Tschechiens aus. Die ÖVP wolle größtmögliche Sicherheit für die österreichische Bevölkerung, bekräftigte sie, dies sei durch ein Veto aber nicht zu erreichen. Ein solches mache Temelin nicht sicherer. Lob äußerte Rauch-Kallat für Bundeskanzler Schüssel und Umweltminister Molterer, denen es gelungen sei, die österreichische Anti-Atom-Politik zu einer europäischen Frage zu machen. Es sei notwendig, Bewusstseinsbildung in der EU zu betreiben, erklärte sie.

Abgeordnete Dr. MOSER (G) ortet einen Stillstand in der österreichischen Anti-Atom-Politik. Ihrer Ansicht nach hätte Umweltminister Molterer auf Nachverhandlungen in Bezug auf das Energieprotokoll zwischen der EU und Tschechien bestehen müssen, da darin lediglich zwei der sieben Punkte des Melker Übereinkommens zum AKW Temelin enthalten seien, die Koalition habe aber "klein beigegeben". Das Anti-Temelin-Volksbegehren wertet Moser als in keiner Weise überparteilich, vielmehr werde es von der FPÖ benutzt, um Ressentiments gegen Tschechien zu schüren und Stimmung gegen die EU-Osterweiterung zu machen.

Abgeordnete Mag. PRAMMER (S) betonte, die mehr als 900.000 Unterschriften des Anti-Temelin-Volksbegehrens seien ernst zu nehmen. Sie zeigte sich überzeugt, dass die Mehrzahl der Unterzeichner gegen das AKW Temelin unterschrieben habe und nicht, weil sie einen EU-Beitritt Tschechiens verhindern wollten. Der Koalition warf Prammer vor, immer nur dann etwas gegen Atomkraftwerke getan zu haben, "wenn Feuer am Dach war" und die Medien und die Opposition öffentlichen Druck gemacht hätten. Sie mahnte u.a. ein stärkeres Engagement der Regierung zur Änderung des Euratom-Vertrages ein.

Abgeordneter Dr. GRAF (F) erinnerte daran, dass auch der ehemalige sozialdemokratische Bundeskanzler Viktor Klima erklärt habe, es werde keinen EU-Beitritt Tschechiens mit einem AKW Temelin geben. Massive Kritik übte er an der SPÖ. Diese vertrete immer nur den Standpunkt ausländischer Regierungen und nicht die Interessen der österreichischen Bevölkerung, beklagte er, sei es in der Frage der Atompolitik, in Bezug auf die Benes-Dekrete oder in der Frage der EU-Erweiterung.

Abgeordneter Mag. MÜHLBACHLER (V) wies darauf hin, dass im Bezirk Freistadt 32,5 % der Stimmberechtigten das Anti-Temelin-Volksbegehren unterschrieben hätten. Freistadt liege damit österreichweit an der Spitze. Durch die vielen Störfälle herrsche tiefstes Misstrauen der Bevölkerung gegen die ständigen Sicherheitsbeteuerungen der Betreiber, unterstrich Mühlbachler, er verstehe, dass die Bevölkerung besorgt und zutiefst beunruhigt sei. Seiner Ansicht nach hätte viel "in andere Bahnen gelenkt werden können", hätten sich auch frühere Bundeskanzler der Frage Temelin so intensiv gewidmet, wie dies Bundeskanzler Schüssel und Umweltminister Molterer tun.

Abgeordnete Dr. PETROVIC (G) hielt fest, die Motive, die hinter dem Anti-Temelin-Volksbegehren stünden, seien mehr als fragwürdig. Es seien stets antitschechische Ressentiments und eine klare Haltung gegen die EU-Erweiterung mitgeschwungen. Bezüglich des Umgangs mit Volksbegehren richtete Petrovic einen "massiven Vorwurf" an beide Koalitionsparteien. Es gehe nicht an, meinte sie, dass erfolgreiche Volksbegehren wie das Frauen-Volksbegehren, das Tierschutz-Volksbegehren, das Gentechnik-Volksbegehren oder das Anti-Temelin-Volksbegehren "in Schubladen landen". Beispielsweise vermisst sie ein seriöses Angebot an Tschechien bezüglich eines Ausstiegsszenarios.

Abgeordneter Dr. WITTMANN (S) hielt der Regierung vor, die 915.000 Unterschriften des Anti-Temelin-Volksbegehrens nicht ernst zu nehmen. Seit Vorliegen des Ergebnisses habe die Regierung keinen einzigen Verhandlungsschritt gegenüber Tschechien gesetzt, skizzierte er. Wittmann betonte, er selbst stehe auf der Seite von Umweltminister Molterer, der das Volksbegehren als schädlich bezeichnet habe. Temelin werde durch eine Vetodrohung nicht sicherer. Wenn Tschechien nicht der EU beitrete, könnten die Sicherheitsauflagen für das AKW nicht durchgesetzt werden.

Abgeordneter DI HOFMANN (F) fragt sich, ob Abgeordneter Wittmann angesichts seiner Haltung zum Volksbegehren geeignet sei, den Vorsitz in jenem Ausschuss zu übernehmen, der sich mit dem Anti-Temelin-Volksbegehren befassen wird. Sowohl der SPÖ als auch den Grünen warf er vor, aus dem "rot-weiß-roten Volksbegehren" ein Partei-Volksbegehren machen zu wollen. Er selbst vertrat die Auffassung, vieles wäre nicht auf europäischer Ebene thematisiert worden, hätte es das Volksbegehren nicht gegeben.

Abgeordneter DONABAUER (V) führte aus, wie sehr die Koalition das Anti-Temelin-Volksbegehren ernst nehme, zeige sich allein daran, dass es innerhalb kürzester Frist auf die Tagesordnung einer Nationalratssitzung gesetzt worden sei und man einen eigenen Ausschuss zu dessen Behandlung einrichten werde. Die ÖVP habe der Sicherheit immer oberste Priorität eingeräumt, unterstrich er. Auch Temelin müsse auf europäisches Sicherheitsniveau gebracht werden. Dies könne aber, so der Abgeordnete, nicht durch ein Veto gegen den EU-Beitritt Tschechiens erreicht werden. "Diesen leichtfertigen, fatalen Weg gehen wir nicht."

Abgeordneter DI PIRKLHUBER (G) meinte hingegen, die heutige Debatte habe klar gezeigt, dass die Bundesregierung die Bevölkerung in der Frage Temelin in Stich lasse. Es sei deutlich geworden, dass - mit Zustimmung Österreichs - zuerst das Energiekapitel zwischen Tschechien und der EU abgeschlossen worden und erst danach das Volksbegehren abgehalten worden sei. Zudem habe Infrastrukturministerin Forstinger zugestimmt, dass 30 Mill. S österreichischer Steuergelder für Nuklearforschung verwendet werden. Pirklhuber kritisierte darüber hinaus, dass man bisher kein Ausstiegsszenario in die Wege geleitet habe, obwohl man für die Schließung des AKW Temelin mit 300 Mill. € lediglich 15 % der Anschaffungskosten für Abfangjäger benötigen würde.

Abgeordnete PFEFFER (S) machte darauf aufmerksam, dass mehr als 900.000 Österreicher gegen das AKW Temelin unterschrieben haben. Es gelte daher, sowohl das Ergebnis des Volksbegehrens als auch die Sorgen der Bevölkerung ernst zu nehmen. Sie warnte jedoch davor, dass diese Unterschriften als Propagandamittel gegen die Osterweiterung eingesetzt werden. Unser Ziel müsse ein gänzlicher Ausstieg aus der Atomenergie in Europa sowie der Umstieg auf alternative Energieträger (Sonne, Wind, Biomasse) sein, betonte sie.

Abgeordnete Dr. POVYSIL (F) wies auf die zahlreichen Gefahren der Atomenergie hin. So gebe es z.B. weltweit kein Konzept, Atommüll sicher zu entsorgen und ein schwerer Atomunfall lasse eine angemessene medizinische Versorgung nicht zu. Risikostudien stellen immer wieder fest, dass ein Reaktorunfall in Temelin Ausmaße wie in Tschernobyl haben würde. In der Ukraine erkranken noch immer mehr als 600 Kinder an Leukämie und man müsse mit Missbildungen über Generationen rechnen, zeigte Povysil auf. Das Volksbegehren sei ihrer Auffassung nach ein klarer Auftrag, sich für eine atomfreie Zukunft einzusetzen und es sei zudem gelungen, das Thema Temelin zu europäisieren.

Abgeordneter Mag. GASSNER (S) erinnerte Abgeordneten Khol daran, dass die ÖVP - nicht wie er behauptet hat - immer gegen die Kernenergie eingetreten sei, sondern sich ausdrücklich für Zwentendorf ausgesprochen hat. Es sei äußerst betrüblich, dass die Sorgen der Bevölkerung, vor allem in den Grenzregionen, nicht ernst genommen werden. Zudem habe die tschechische Seite ein leichtes Spiel, denn sie wisse genau, dass die Regierungskoalition in dieser Frage zerstritten ist; und dieser Konflikt werde auf dem Rücken jener Leute ausgetragen, die in der "Todeszone" leben.

Die Erinnerung an Tschernobyl sowie die nunmehr 30 Störfälle im tschechischen "Schrottreaktor" haben dazu geführt, dass fast eine Million Menschen das "rot-weiß-rote Volksbegehren" unterschrieben haben, meinte Abgeordneter Dr. PUMBERGER (F). Gerade als Arzt und Gesundheitspolitiker müsse er darauf hinweisen, dass Atomkraft niemals sicher sein könne und um 20 % mehr Leukämiefälle in der Umgebung von AKW im Normalbetrieb auftreten. Die Freiheitlichen kämpfen daher dafür, dass die Nullvariante umgesetzt wird, weil wir uns der Bevölkerung gegenüber verpflichtet sehen, unterstrich Pumberger.

Über 915.000 Menschen, die das Volksbegehren unterschrieben, haben sich im guten Glauben erwartet, dass sich die Bundesregierung mit aller Kraft für dieses Anliegen einsetzen wird, erklärte Abgeordneter REHEIS (S). Aber leider war das Gegenteil der Fall, denn die blau-schwarze Regierung habe die Politik der Untätigkeit fortgeführt und keine Aktivitäten weder auf bilateraler noch auf europäischer Ebene gesetzt. Die Menschen wurden im Stich gelassen und verraten, kritisierte Reheis, und mittlerweile sei der zweite Reaktorblock betriebsbereit. Die Sozialdemokraten haben hingegen ein klare Linie, sie sagen ja zu mehr Sicherheit und stehen für einen europaweiten Ausstieg aus der Kernenergie und für die EU-Erweiterung.

Die SPÖ habe wohl vergessen, dass Temelin seit 1989 gebaut wird, erwiderte Abgeordneter Ing. FALLENT (F) seinem Vorredner, und dass die Sozialdemokraten die ganzen Jahre hindurch nichts dagegen unternommen haben. Das Volksbegehren war der richtige Weg, da es 15 % der Österreicher unterschrieben haben, führte der F-Redner weiter aus. Die Freiheitlichen nehmen die Sorgen der Bürger ernst und fordern daher die Schließung von Temelin, die Einführung von EU-weiten Standards, den mittel- und langfristigen Ausstieg aus der Kernenergie sowie den Umstieg auf erneuerbare Energien. Temelin stelle ein russisches Roulette dar, und deshalb sei er erfreut darüber, dass über diese Frage in einem Ausschuss weiterberaten wird.

Abgeordneter Ing. WEINMEIER (F): Österreich habe mit diesem Volksbegehren ein sehr kräftiges Signal für den Ausstieg aus der Kernenergie gesetzt. Diese 900.000 Unterschriften sind seiner Meinung nach ein Hilferuf der Bevölkerung, diesen Pannenreaktor zu schließen. Bedauerlicherweise werden diese Sorgen jedoch weder von Tschechien noch von der EU ernst genommen.

Abgeordneter Ing. GRAF (F) kam auf die zahlreichen von Experten festgestellten technischen Mängel im AKW Temelin zu sprechen. So müsse man etwa mit schweren Turbinenschäden rechnen, befürchtete er.

Die Bevölkerung sorge sich deshalb mit Recht und ihre Meinungsäußerung sollte mit Respekt behandelt werden, forderte er. Die SPÖ habe es leider in der Vergangenheit verabsäumt, rechtzeitig etwas gegen Temelin zu unternehmen.

Abgeordnete ZIERLER (F) kritisierte das Demokratieverständnis der Opposition, die das Volksbegehren als peinliches Debakel bezeichnet hat. Zudem habe man wohl total vergessen, was in Tschernobyl passiert ist, wo noch immer Millionen von Menschen internationale Hilfe brauchen, da sie mit den Langzeitfolgen, wie z.B. vermehrtes Auftreten von Schilddrüsenkrebs, Genmutationen etc., leben müssen. Die Freiheitlichen geben sich daher nicht zufrieden mit Verhandlungen, die nicht in unserem Sinn gelaufen sind, erklärte Zierler, sondern wir stellen uns auf die Füße.

Temelin und die Anti-Atompolitik sollten gemeinsame politische Anliegen sein und nicht für parteipolitische Polemik missbraucht werden, plädierte Abgeordneter Mag. KUKACKA (V). Er bedauere daher die Haltung der Opposition in dieser Frage. Man müsse sich auch darüber klar sein, dass Österreich die Schließung von Atomkraftwerken nicht allein erzwingen könne. Als Nachbarstaat haben wir aber das Recht, auf die Einhaltung von hohen Sicherheitsstandards zu pochen und wir werden auch nicht locker lassen, betonte Kukacka.

Der vorsitzführende Präsident Dr. FASSLABEND gab bekannt, dass ein Antrag vorliegt, zur Vorberatung des Volksbegehrens "Veto gegen Temelin" einen besonderen Ausschuss zu wählen, der 25 Mitglieder und ebensoviele Ersatzmitglieder umfassen soll. - Der Antrag wurde einstimmig angenommen. (Fortsetzung)