Parlamentskorrespondenz Nr. 259 vom 11.04.2002

ALLGEMEINE AUSSPRACHE IM HAUPTAUSSCHUSS ZU FRAGEN DER ZUKUNFT DER EU

Abgeordnete wollen Klärung der Kompetenzfrage durch EU-Konvent

Wien (PK) - Um die zukünftige Entwicklung der Europäischen Union ging es heute bei einer aktuellen Aussprache im Hauptausschuss des Nationalrates, die die Abgeordneten gemeinsam mit österreichischen Vertretern im EU-Konvent zur Zukunft Europas, Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Außenministerin Benita Ferrero-Waldner abhielten. Dabei gab es in weiten Bereichen Übereinstimmung zwischen den Fraktionen, in manchen Punkten wurden von den Abgeordneten und Konventsmitgliedern aber durchaus divergierende Positionen vertreten.

Auf allen Seiten einig war man sich darüber, dass es auf EU-Ebene mehr Transparenz, Bürgernähe und Demokratie geben müsse. So sprachen sich etwa sowohl SPÖ-Abgeordneter Caspar Einem als auch FPÖ-Abgeordneter Reinhard Bösch für die Einführung von Elementen direkter Demokratie auf EU-Ebene aus. SPÖ und Grüne forderten darüber hinaus eine Stärkung des Europäischen Parlaments ein, während FPÖ-Abgeordneter Bösch auf die zentrale Bedeutung des Rates verwies, die seiner Ansicht nach auch in Zukunft beibehalten werden müsse.

Von allen Diskussionsteilnehmern für notwendig erachtet wurde eine Klärung der Kompetenzfrage, wobei die Abgeordneten und Konventsmitglieder unterschiedliche Schwerpunkte setzten. So sprach sich der frühere Wirtschaftsminister und Vertreter der Regierung beim EU-Konvent Hannes Farnleitner für eine direkte Rechtssetzung der EU in jenen Bereichen aus, die in Zukunft in ihre Kompetenz fallen, und begründete dies damit, dass die Umsetzung von EU-Beschlüssen heute viel zu lange dauere. ÖVP-Klubobmann Andreas Khol unterstrich, die EU-Mitgliedstaaten müssten "Herren der Verträge" bleiben, auch künftig müssten sie darüber entscheiden können, welche Materien in die Kompetenz der EU und welche in die Kompetenz der Nationalstaaten fallen.

Seitens der FPÖ-Abgeordneten nannte Karl Schweitzer die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie die Umweltpolitik als klassische Bereiche, wo einheitliche Regelungen Sinn machen würden und ein stärkeres Engagement der EU notwendig wäre. Prinzipiell trat die FPÖ jedoch dafür ein, in manchen Bereichen eine Renationalisierung der Kompetenzen zu überlegen.

Der geschäftsführende Klubobmann der SPÖ Josef Cap hielt fest, man solle die Einrichtung eines Europaministeriums ins Auge fassen, um die "Koordinationsqualität" in der österreichischen EU-Politik zu verbessern.

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel mahnte, die österreichische Position habe nur dann Chancen, gehört zu werden, wenn die österreichischen Konventsmitglieder mit einer Stimme sprechen. Zudem warnte er die Konventsmitglieder davor, sich in einen Kompetenzkampf der einzelnen EU-Institutionen untereinander einspannen zu lassen. Eine Stärkung des Europäischen Parlaments dürfe nicht zu Lasten der Kommission oder des Europäischen Rates gehen. Außenministerin Benita Ferrero-Waldner wandte sich erneut gegen die Schaffung eines Europaministeriums und sprach sich in Bezug auf die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union dafür aus, einen einzigen Sprecher zu installieren, der das entsprechende Pouvoir habe und mit einem entsprechenden Budget ausgestattet sei.

Eingeleitet wurde die Diskussion durch Abgeordneten und Konventsmitglied Caspar Einem (S). Er hielt fest, dass er noch nicht viel über den bisherigen Verlauf des Konvents berichten könne, da es erst eine einzige allgemeine Aussprache gegeben habe. Eines der wichtigsten Ziele des Konvents ist es seiner Ansicht nach, deutlich und spürbar zu machen, dass die EU ein Instrument im Interesse der Bürger und Bürgerinnen ist.

Einem trat in diesem Sinn dafür ein, Grundrechte auf EU-Ebene zu verankern und sie für den einzelnen durchsetzbar zu machen, die Gewichtung der EU-Institutionen in Richtung einer Stärkung des Europäischen Parlaments - auch zu Lasten des Rates - zu verschieben, Elemente direkter Demokratie auf europäischer Ebene zu schaffen und die Transparenz zu erhöhen. Zudem müsse klar gestellt werden, dass primäres Ziel der EU die Wohlstandsverbesserung der Menschen sei und der Binnenmarkt lediglich ein Mittel dazu und nicht eigentliches Ziel sein könne.

Abgeordneter Reinhard BÖSCH (F), der ebenfalls vom österreichischen Parlament in den EU-Konvent entsandt wurde, wies darauf hin, dass es bei der Plenarsitzung am kommenden Montag darum gehen werde, welche Aufgaben die EU in Zukunft erledigen solle. Prinzipiell betonte er, der Konvent habe vor allem politische Bedeutung, seine Beschlussfassungskompetenz sollte nicht in den Vordergrund gerückt werden. Für ihn ist es Aufgabe des Konvents, die vielen Vorschläge zur Zukunft der EU zu sammeln und im Bericht auch verschiedene Optionen zu präsentieren.

Als inhaltliche Ziele des Konvents nannte Bösch die Schaffung von Bürgernähe, Transparenz und Subsidiarität auf EU-Ebene. So solle man sich überlegen, ob gewisse Bereiche nicht besser von den Nationalstaaten erledigt werden könnten und damit renationalisiert werden sollten. Für wichtig erachtet es Bösch, dass das Einstimmigkeitsprinzip in wichtigen Bereichen erhalten bleibt und die historischen und kulturellen Unterschiede zwischen den Ländern respektiert werden. Der Integration Europas solle Zeit gegeben werden. Weites plädierte der Abgeordnete für die Schaffung von Elementen direkter Demokratie auf EU-Ebene, die Überprüfung der Funktion der einzelnen EU-Organe und die Weiterführung des Prinzips, dass alle Staaten in allen EU-Institutionen vertreten sind. Der Rat hat für ihn als Gremium der Mitgliedsstaaten zentrale Bedeutung, die auch in Zukunft beibehalten werden müsse.

Der frühere Wirtschaftsminister Hannes Farnleitner, der von der Regierung in den EU-Konvent entsandt wurde, hält es für die Aufgabe des Konvents, Europa demokratischer, transparenter und effizienter zu machen. Konkret regte er u.a. an, die Förderungen wieder zu dezentralisieren und zertifizierte Institute auf nationaler Ebene damit zu betrauen. Zudem soll die EU seiner Auffassung nach in jenen Bereichen, die künftig in ihre Kompetenz fallen, verbindliche Regelungen für die Mitgliedsstaaten beschließen können. Derzeit gehe, so Farnleitner, die Umsetzung von EU-Beschlüssen viel zu langsam vonstatten, hier sei die EU den USA unterlegen.

Abgeordnete Evelin Lichtenberger (G), ebenfalls Mitglied im EU-Konvent, nannte als wichtigste Schlagworte des Konvents Bürgernähe, Transparenz und Subsidiarität. Man müsse zu einer Einigung darüber kommen, auf welcher Ebene welche Materie am besten zu erledigen sei. Dabei macht es ihrer Meinung nach aber keinen Sinn, die Kompetenzen der EU exakt aufzuzählen, da diese immer stärker untereinander verflochten seien, es sei jedoch notwendig, Mechanismen für die Festlegung von Kompetenzen zu verankern. Darüber hinaus sprach sich Lichtenberger für eine Stärkung der Rolle des Europäischen Parlaments aus. Beklagt wurde von ihr die geringe Frauenrepräsentanz im Konvent.

Dritter Nationalratspräsident Werner Fasslabend (V) meinte, für ihn beruhe die europäische Erfolgsgeschichte auf einer Verknüpfung von Vision und Pragmatik. Dies werde auch beim Konvent notwendig sein. Als wichtige Fragen sieht Fasslabend die Vollendung des Binnenmarktes, die Weiterentwicklung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und die Hervorhebung der sozial- und umweltpolitischen Ausrichtung der EU, da sich Europa dadurch von anderen internationalen Blöcken abhebe. Er wies etwa darauf hin, dass es nunmehr zwar eine einheitliche Währung gebe, dahinter aber noch keine einheitliche Wirtschaftspolitik stehe. Im Zusammenhang mit der GASP geht es ihm zufolge nicht nur um Fragen der Kompetenzgestaltung, sondern auch darum, mit welchen Instrumentarien die gemeinsame Politik ausgestaltet werde. Als zentrales Anliegen nannte Fasslabend schließlich die Verbesserung der Effizienz.

Abgeordneter Josef Cap (S) gab zu bedenken, dass sich die EU erst in der Phase des Zusammenwachsens befinde und es eine Ausbalancierung zwischen Effizienz und Transparenz geben müsse. Er glaubt darüber hinaus, dass der Konvent eine Entwicklung in Gang setzen wird, die zu einer neuen Balance zwischen der Kommission, dem Europäischen Parlament, den nationalen Parlamenten und dem Rat führt.

Zur Diskussion über die Einrichtung eines eigenen Europa-Ministeriums in Österreich merkte Cap an, man sollte einen solchen Schritt überlegen, um die "Koordinationsqualität" der EU-Politik zu verbessern. Seiner Auffassung nach ist es außerdem fragwürdig, dass "eine 27-Prozent-Partei die Europa-Politik zu 100 % belegt".

Abgeordneter Karl Schweitzer (F) hielt fest, bei der Diskussion der Frage, was gemeinschaftliche Aufgaben und was nationale Aufgaben sind, würden immer wieder die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und eine gemeinsame Umweltpolitik als wichtige EU-Kompetenzen genannt. So hält es Schweitzer beispielsweise für notwendig, dass die EU eine gemeinsame Haltung zur Nahost-Krise einnimmt und etwa die Handelsverträge mit Israel aussetzt. Auch müsse man, so Schweitzer, Israel klar machen, dass der Schaden zu ersetzen sei, wenn Infrastruktur zerstört werde, die von der EU mitfinanziert wurde. Um zu verhindern, dass es zu Umweltdumping komme, müssen laut Schweitzer in kürzester Zeit gleiche Umweltstandards für alle EU-Staaten beschlossen werden.

ÖVP-Klubobmann Andreas Khol unterstrich, es sei wichtig, dass die Kompetenz-Kompetenz auch in Zukunft bei den Mitgliedsstaaten der EU bleibe. Diese müssten auch weiterhin die "Herren der Verträge" sein und darüber entscheiden können, wer welche Kompetenzen habe. Weiters sprach sich Khol dafür aus, die EU-Kompetenzen taxativ aufzuzählen und eine Generalklausel zu schaffen, der zufolge alles, was nicht ausdrücklich in die Kompetenz der Union falle, in der Zuständigkeit der einzelnen Staaten bleibe. Ein von der EU einzurichtender Kompetenzsenat soll bei Kompetenzstreitigkeiten angerufen werden können.

Abgeordneter Hannes Bauer (S) gab zu bedenken, dass die Effizienz eng mit der Kompetenzverteilung zusammenhänge. Unterschiedliche Steuersysteme und Wirtschaftsordnungen hätten zudem unterschiedliche Standortgegebenheiten zur Folge, was zu Wettbewerbsverzerrungen führe. Die Europäische Zentralbank müsste bei ihrer Finanzpolitik nach Ansicht Bauers nicht nur die finanzielle Stabilität im Auge haben, sondern auch Fragen des Wachstums und der Beschäftigung berücksichtigen.

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel sieht, wie er sagte, eine große Gefahr, dass die österreichischen Positionen im EU-Konvent "marginalisiert werden". Deshalb sei es wichtig, eine gemeinsame Linie zu vertreten, die österreichischen Positionen würden dadurch besser gehört. Schüssel räumte allerdings ein, dass es nicht in allen Punkten möglich sein werde, mit einer Stimme zu sprechen.

Österreich dürfe sich darüber hinaus nicht in einen Kompetenzkampf der EU-Institutionen untereinander einspannen lassen, warnte Schüssel. Jede Institution habe ihre Bedeutung und sei demokratisch legitimiert, eine Stärkung des Europäischen Parlaments dürfe nicht zu Lasten der Kommission oder zu Lasten des Rates gehen. Verhindert werden müsse außerdem, dass wichtige Themen wie Kompetenzfragen und Subsidiarität an den Rand gedrängt würden.

Klar stellte sich Schüssel hinter den österreichischen EU-Kommissar Franz Fischler. Er betonte, dass sich Österreich in allen kritischen Momenten auf ihn habe verlassen können.

Außenministerin Benita Ferrero-Waldner betonte, die Europäische Union müsse in Richtung einer einzigen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik gehen. Die EU habe zu 21 % Anteil am Welthandel, zahle 36 % der UNO-Beiträge, beteilige sich zu 55 % an humanitären Leistungen und stelle 57 % der Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung, veranschaulichte die Außenministerin, trotzdem entstehe der Eindruck, dass die USA den Weltton angeben würden. Die EU brauche deshalb in Zukunft einen alleinigen Sprecher für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, der als Beauftragter der Außenminister über das entsprechende Pouvoir verfüge und mit einem Budget ausgestattet sei.

Deutlich sprach sich Ferrero-Waldner gegen die Schaffung eines eigenen Europa-Ministeriums und die Einrichtung eines neuen Europaminister-Rates in der EU aus. Dadurch würden lediglich neue Strukturen geschaffen, ohne dass die Effizienz gesteigert werde. "Das wäre keine gute Idee." Ferrero-Waldner strebt dem gegenüber eine Trennung der Tagesordnungen im Rat der Außenminister an, man solle zwischen den Außenbeziehungen und EU-Querschnittsfragen trennen. Ihr zufolge ist zudem nur ein Drittel der EU-Länder für einen eigenen Europaminister-Rat.

DISKUSSION ÜBER AUTOMATISCHE VERLÄNGERUNG DES UNIKOM-EINSATZES

In weiterer Folge befasste sich der Hauptausschuss mit Entsendungen österreichischer Soldaten in das Ausland und Pauschalvergütungen für Rechtsanwälte. Grundsätzlich einverstanden erklärten sich die Redner der Opposition mit der Intention des Antrages der Außenministerin, die Entsendung von bis zu zwei Beobachtungsoffizieren des Bundesheeres im Rahmen der United Nations Iraq-Kuweit Observation Mission (UNIKOM) bis 30. April 2003 fortzusetzen. Ablehnend äußerten sich die Abgeordneten Erwin Niederwieser (S) und Evelin Lichtenberger (G) jedoch hinsichtlich des zweiten Punktes im Antrag, der eine Verlängerungsmöglichkeit des Einsatzes ohne neuerliche Herstellung des Einvernehmens mit dem Hauptausschuss vorsieht. Diese Region könnte innerhalb kürzester Zeit zu einem Kriegsgebiet werden, argumentierte Niederwieser.

Außenministerin Benita Ferrero-Waldner sprach von einer sinnvollen Vorgangsweise. Sie wies darauf hin, dass der Hauptausschuss innerhalb von zwei Wochen, d.h. auch nachträglich, Einspruch gegen eine Verlängerung erheben könne. Zudem werde der Hauptausschuss sofort wieder mit der Materie befasst, falls sich das Mandat des UN-Sicherheitsrates ändern sollte.

Bei der Abstimmung wurde dann der Entsendebeschluss der Bundesregierung einstimmig angenommen; der zweite Punkt mit F-V-Mehrheit.

60 GRUNDWEHRDIENER ABSOLVIEREN ABC-AUSBILDUNG IN TSCHECHIEN

Einstimmig genehmigten die Mitglieder des Hauptausschusses, bis zu 60 Personen, die den Grundwehrdienst leisten, in die Tschechische Republik zu Ausbildungszwecken zu entsenden. Diese Ausbildung im April dient der ABC-Abwehr, und kann im Inland nicht mit gleicher Wirkung bzw. Qualität sichergestellt werden. Sie ist eine der Voraussetzungen zu Erreichung der Einsatzfähigkeit für das ABC-Fachpersonal.

PAUSCHALVERGÜTUNGEN FÜR RECHTSANWÄLTE

Schließlich genehmigte der Hauptausschuss die Verordnung des Justizministers, mit der die Pauschalvergütung für die von RechtsanwältInnen in überdurchschnittlich lang dauernden Verfahren erbrachten Leistungen im Jahr 2000 festgesetzt wird. Der Beschluss erfolgte einstimmig. (Schluss)