Parlamentskorrespondenz Nr. 385 vom 28.05.2002

VOLLLIBERALISIERUNG DES GASMARKTS SOLL KUNDEN 180 MILL. ��� BRINGEN

Parteien verhandeln über einstimmige Lösung bis 13. Juni

Wien (PK) - Österreich verfolgt bei der Liberalisierung des Gasmarktes überaus ehrgeizige Ziele. Bereits mit dem 1. Oktober 2002 ist laut geltendem Gaswirtschaftsgesetz (GWG) die Vollliberalisierung vorgesehen. Um auch kleinen Betrieben und privaten Haushalten einen fairen Zugang zum freien Gasmarkt zu sichern, empfahl der Wirtschaftsausschuss heute unter der Vorsitzführung seines Obmannes Reinhold Mitterlehner dem Plenum eine GWG-Novelle 2002 (1116 d.B.) mit allen rechtlichen, technischen und organisatorischen Voraussetzungen für das reibungslose Funktionieren des voll liberalisierten Gasmarktes.

Die Novelle wurde in der Fassung eines umfangreichen V-F-Abänderungsantrages mit der Mehrheit der Regierungsparteien beschlossen und mit - auch von den Grünen unterstützten - Rechtsanpassungen in weiteren Gesetzen ergänzt. Trotz der heutigen Ablehnung durch die Oppositionsparteien zeigten sich die Vertreter aller vier Parteien aufgrund der bereits aufgenommenen Gespräche über weitere Abänderungen zuversichtlich, die für die Verfassungsbestimmungen erforderliche Zweidrittelmehrheit bzw. eine einstimmige Beschlussfassung im Plenum am 13. Juni herbeiführen zu können.

Als Eckpunkte für eine Zustimmung der SPÖ nannte deren Energiesprecher Georg Oberhaidinger eine möglichst einfache Regelung des "Unbundlings" (Entflechtung der Geschäftsbereiche der Energieunternehmen), eine Missbrauchsaufsicht für Kleinkunden, eine politische Kontrolle der Regulatoren, die Einrichtung von Schlichtungsstellen und eine wirksame bundeseinheitliche Ökostrom-Regelung. Für die Grünen deponierte Abgeordnete Eva Glawischnig (G) die Forderung nach einer unabhängigen Gas-Control Kommission, nach starken Regulatoren, einer wirksamen Kartellkontrolle, dem "Unbundling", einer "Rucksack"-Regelung und wirksamen Vorkehrungen gegen Missbräuche bzw. eine Schlichtungsstelle. Die Vertreter der Regierungsparteien, die Abgeordneten Karlheinz Kopf, Ulrike Baumgartner-Gabitzer (beide VP) und Thomas Prinzhorn (F) zeigten sich stolz über die Vorreiterrolle Österreichs bei der Liberalisierung des Gasmarkts, sprachen von einem wichtigen Meilenstein für die Energiewirtschaft und betonten die auch für die Kleinkunden zu erwartenden Preisvorteile von insgesamt bis zu 180 Mill. Euro.

DER LIBERALISIERTE GASMARKT IN STICHWORTEN

Im Zentrum der Novelle steht der Übergang vom bisherigen Modell des "verhandelten" zum "regulierten" Netzzugang. Die Tarife für die Nutzung der Fernleitungen und Verteilernetze werden unabhängige Regulierungsbehörden vorweg festlegen. Die vielen kleinen Betriebe und Haushalte können so zu fairen Bedingungen am freien Gasmarkt teilnehmen und müssen Gleichbehandlung und Preisangemessenheit nicht erst in langwierigen und kostspieligen Prozessen vor Gericht durchsetzen. Der Wirtschaftsminister wird als oberste Aufsichtsbehörde mit Richtlinienkompetenz für den Gasmarkt fungieren, die operativen Überwachungs-, Aufsichts- und Regulierungsfunktionen wird die bestehende Elektrizitäts-Control GmbH, künftig "Energie-Control GmbH", als umfassender Regulator für alle leitungsgebundenen Energieträger übernehmen. Als unabhängige Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag wird - nach Annahme des von den Abgeordneten Mitterlehner und Hofmann vorgelegten Abänderungsantrages - eine dreiköpfige Energie-Control Kommission bei der Energie-Control GmbH angesiedelt werden. Der Abänderungsantrag enthält unter anderem auch eine Liste mit den konkreten Aufgaben der Energieregulatoren und er schreibt vor, dass der Energie-Control Kommission ein Richter anzugehören habe. Bei der Bestellung der Kommission hat die Bundesregierung auf einen Dreiervorschlag des Obersten Gerichtshofes Bedacht zu nehmen. Die für die Einrichtung der Energieregulierungsbehörden notwendigen Rechtsanpassungen in anderen Gesetzen sind Gegenstand eines von den Abgeordneten Mitterlehner und Hofmann in der Debatte aufgrund von § 27 GOG eingebrachten und mit F-V-G-Mehrheit beschlossenen Antrages.

  

Der Netztarif wird nach einem punktgenauen "Briefmarkenmodell" ermittelt werden. Anträge der Kunden auf Netzzugang wird der lokale Netzbetreuer als "One Stop Shop" entgegennehmen. Das Leitungssystem wird in drei "Regelzonen" (Ost, Tirol, Vorarlberg) unterteilt, wobei in jeder Regelzone ein "Regelzonenführer" für Stabilität im Leitungsnetz sorgen wird. Durch den Abänderungsantrag wurde den Betreibern der vorgelagerten Netze vorgeschrieben, miteinander zivilrechtliche Verträge abzuschließen, um den Erdgastransport über ihre Leitungen zu den Netzzugangsberechtigten zu ermöglichen.

Erzeuger, Lieferanten und Verbraucher werden "Bilanzgruppen" bilden, deren Verantwortliche Summenfahrpläne erstellen und versuchen, den Bedarf an (teurer) Ausgleichsenergie für ihre Gruppe möglichst gering zu halten. Preisbestimmung und Verrechnung der Ausgleichsenergie wird der "Verrechnungsstelle für Transaktionen und Preisbildung für Ausgleichsenergie (Clearing and Settlement)" obliegen. Beim Zugang zu den Erdgasspeicheranlagen bleibt es beim "Verhandlungsmodell", die Verträge sind der Energie-Control Kommission vorzulegen, die deren Angemessenheit nachträglich kontrollieren wird. "Kommitierungsverträge", mit denen Leitungskapazitäten reserviert und andere Kunden vom Wettbewerb ausgeschlossen werden, sind in Zukunft ausgeschlossen, weil sie im Widerspruch zum Wettbewerbsrecht der EU stehen und ein nicht genehmigungsfähiges Kartell darstellen würden, gegen das die Regulatoren des Gasmarktes beim Kartellgericht Einspruch erheben können.

AUF DEM WEG ZU EINER EINSTIMMIGEN GASWIRTSCHAFTSGESETZ-NOVELLE?

In der Debatte unterstrich Abgeordneter Karl-Heinz Kopf (V) die Notwendigkeit, saubere Rahmenbedingungen für die volle Liberalisierung des Gasmarktes zu schaffen, wobei der Einrichtung einer Regulierungsbehörde analog zum liberalisierten Strommarkt große Bedeutung zukomme. Der vorliegende Abänderungsantrag sehe vor, statt einer eigenen Kommission für den Gasmarkt, eine einzige Energie-Control Kommission für Strom und Gas zu schaffen. Dazu bedürfe es der Zustimmung der Länder und im Hinblick auf Verfassungsbestimmungen auch der Zustimmung der SPÖ, wobei Kopf von zufriedenstellenden Gesprächen mit der Opposition sprach. In Diskussion stünden noch mehrere Positionen, beispielsweise auch der Umfang des "Unbundling".

Abgeordneter Georg Oberhaidinger (S) sprach ebenfalls von guten Gesprächsrunden mit den Koalitionsparteien und unterstrich die Bereitschaft seiner Fraktion, bis zum 13. Juni brauchbare Verhandlungsergebnisse zu erzielen. Den Sozialdemokraten gehe es um eine möglichst einfache Lösung des "Unbundlings", einer Missbrauchsaufsicht für Kleinkunden, einer politischen Kontrolle der Regulatoren, die Einrichtung einer Schlichtungsstelle und um eine wirksame bundeseinheitliche Ökostrom-Regelung.

Für die Grünen deponierte Abgeordnete Eva Glawischnig (G) die Forderung nach einer unabhängigen Gas-Control Kommission, nach starken Regulatoren, einer wirksamen Kartellkontrolle, dem "Unbundling", einer "Rucksack"-Regelung und tauglichen Vorkehrungen gegen Missbräuche sowie einer Schlichtungsstelle. Über eine Ökologisierung der Energiewirtschaft wollte Glawischnig nicht im Rahmen der Diskussion über die Regulierung der Energiemärkte, sondern bei der Änderung des Steuersystems sprechen.

Abgeordnete Ulrike Baumgartner-Gabitzer (V) sprach von einer langfristig richtigen Entscheidung und ehrgeizigen Zielen Österreichs, das den Gasmarkt zweieinhalb Jahre vor der EU liberalisiere und damit für einen leistungsfähigen Energiesektor sorge. Sie blicke der Liberalisierung des Gasmarktes mit großer Freude entgegen.

Abgeordneter Thomas Prinzhorn (F) sah einen weiteren Meilenstein der Liberalisierung und Entbürokratisierung erreicht und unterstrich die Notwendigkeit, den Regulierungsapparat mit einer möglichst unbürokratischen Verwaltung auszustatten. Die Freiheitlichen seien sehr zufrieden mit diesem weiteren Liberalisierungsschritt, bei dem sie großen Wert darauf legen, dass auch die Kleinabnehmer in den Genuss der Liberalisierung kommen werden.

Bundesminister Martin Bartenstein zeigte sich optimistisch, dass es gelingen werde, eine Vier-Parteien-Einigung über die Rahmenbedingungen der vollen Gasmarkt-Liberalisierung herbeizuführen. Der Ressortleiter lobte seine Beamten für den exzellent vorbereiteten Entwurf und bezifferte die für die Konsumenten zu erwartenden Einsparungen mit 160 bis 180 Mill. Euro.

ZUSTIMMUNG ZU ABKOMMEN ÜBER KAFFEE UND NAHRUNGSMITTELHILFE  

Einstimmig sprach sich der Wirtschaftsausschuss schließlich dafür aus, das neue Kaffee-Übereinkommen zu ratifizieren, das an die Stelle des abgelaufenen Fünften Internationalen Kaffee-Übereinkommens von 1994 treten soll. Es geht um internationale Zusammenarbeit auf dem Kaffeesektor, den Austausch von Informationen, die Erstellung von Studien, die Errichtung eines Systems von Ursprungszeugnissen, die Verpflichtung zur Beseitigung von Verbrauchshindernissen und um die Herstellung eines Gleichgewichts zwischen Erzeugung und Verbrauch (1037 d.B.).

Auch das neue Nahrungsmittelhilfe-Übereinkommen (1038 d.B.), das an die Stelle des abgelaufenen Übereinkommens aus dem Jahr 1995 treten soll, passierte den Ausschuss ohne Gegenstimme. Mit diesem Abkommen verpflichten sich die EU-Mitgliedstaaten, mindestens 1,32 Mill. Tonnen Weizen oder den Gegenwert von 130 Mill. € an die Entwicklungsländer zu liefern. Aus der EU-internen Aufteilung dieser Gesamtverpflichtung resultiert für Österreich ein Beitrag von 1,48963 Mill. € aus dem nationalen Budget. Das neue Übereinkommen enthält eine erweiterte Liste mit zur Lieferung geeigneter Erzeugnisse über Getreide hinaus, Bestimmungen über Transportkosten und es ermöglicht es den Geberländern, ihre Verpflichtungen in Mengen (Tonnen), in Wert oder in einer Kombination von Mengen und Wert anzugeben. (Fortsetzung)