Parlamentskorrespondenz Nr. 487 vom 26.06.2002

NATIONALBANKSPITZE INFORMIERT ÜBER GELD- UND WÄHRUNGSPOLITIK

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Wien (PK) - Gouverneur und Vizegouverneurin der Oesterreichischen Nationalbank, Klaus Liebscher und Gertrude Tumpel-Gugerell, haben dem Finanzausschuss heute den 1. Halbjahresbericht 2002 über geld- und währungspolitische Maßnahmen vorgelegt.

Der Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank, Klaus Liebscher, führte in seinem Bericht über die wichtigsten Entwicklungen der einheitlichen Geldpolitik für den Euro-Raum vor dem Hintergrund einer langsamen konjunkturellen Erholung aus, dass der EZB-Rat im ersten Halbjahr 2002 keine Veränderungen des Zinsniveaus beschlossen hat. Der Mindestbietsatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte und die Zinssätze für die Einlage- und Spitzenrefinanzierungsfazilität liegen seit 8.11.2001 unverändert bei 3,25 %, 2,25 % bzw. 4,25 %. Im Mittelpunkt der EZB-Analyse stand eine leichte Verringerung des Drei-Monats-Durchschnitts bei den Jahreswachstumsraten der Geldmenge M3 im bisherigen Verlauf des Jahres 2002.

EUROSTAT bestätigte die Erwartung einer allmählichen Erholung des BIP-Wachstums im Euro-Raum, wobei der Außenhandel einen negativen Beitrag der Inlandsnachfrage überkompensierte. Das Vertrauen von Industrie und Verbrauchern habe im Mai 2002 zugenommen. Alle Experten rechnen mit einem Anziehen der Inlands- als auch der Auslandsnachfrage. Für 2002 werde ein reales BIP-Wachstum zwischen 0,9 % und 1,5 % erwartet, für 2003 eine weitere Belebung und ein Wachstum zwischen 2,1 % und 3,1 %. Unsicherheiten gehen von der Ölpreisentwicklung und Ungleichgewichten in anderen Teilen der Weltwirtschaft aus.

Die Inflationsrate habe sich im Euro-Raum von 2,7 % Anfang des Jahres auf 2 % im Mai zurückgebildet. Besonders deutlich ging die Teuerung in Deutschland, Finnland, Frankreich, Luxemburg und Belgien zurück, wo sie, wie in Österreich (1,6 %), unter der Zwei-Prozent-Marke liegt. Preiseffekte durch die Euro-Bargeldumstellung bezeichnete der Notenbankgouverneur als marginal. Übereinstimmende Analysen von OeNB und EU-Kommission beziffern die Preiseffekte infolge der Euro-Umstellung mit 0,1 bis 0,2 Prozentpunkte.

Die Inflationsrate dürfte sich im zweiten Halbjahr 2002 um 2 % bewegen. Für 2003 erwarten die Prognostiker eine Rate zwischen 1,3 und 2,5 %. Das ungünstigere Bild der Inflationsentwicklung gehe auf Entwicklungen bei den Verbraucherpreisen, darunter die Ölpreissteigerungen Anfang des Jahres, zurück. Die anhaltende Aufwertung des Euro trage zur Eindämmung des Inflationsdrucks bei. Die mittelfristigen Aussichten für die Preisstabilität sah Gouverneur Liebscher unbeeinträchtigt, vorausgesetzt, die vergangenen Teuerungstrends verfestigen sich nicht in den Inflationserwartungen. Besorgt zeigte sich Liebscher allerdings angesichts der Ergebnisse der jüngsten Tarifverhandlungen in einigen Ländern des Euro-Gebiets.

Alle Mitgliedsstaaten sollten in ihrer Finanzpolitik eine mittelfristige Perspektive im Einklang mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt beibehalten. Denn der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist für das Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion unerlässlich, betonte Liebscher. Daher müssen die Mitgliedsländer ihrer Verpflichtung, bis 2004 annähernd ausgeglichene Haushalte zu erreichen, erfüllen. Dazu kommen Reformen bei Umfang und Struktur der öffentlichen Ausgaben, um Spielraum für Steuersenkungen zu schaffen und die Budgetbelastung durch die Alterung der Gesellschaft zu verringern. In diesem Zusammenhang begrüßte der Nationalbank-Gouverneur das Ziel der Bundesregierung, die Steuerbelastung auf unter 40 % des BIP zu senken und ein ausgeglichenes Budget sicherzustellen.

Schließlich ging Gouverneur Liebscher auf die erfolgreiche Euro-Währungsumstellung ein und machte auf die wachsende internationale Bedeutung des Euro als Anker-, Reserve-, Transaktions- und Anlagewährung aufmerksam. Das Jahrhundertprojekt der Währungsumstellung konnte in Kooperation der Nationalbank mit den Geschäftsbanken, den Sicherheitskräften, der Bundesregierung, der öffentlichen Verwaltung und den Sozialpartnern bewältigt werden, weil die OeNB über ein ausgezeichnetes Kompetenzzentrum für Zahlungsmittel und Zahlungsverkehr verfügt.

Euroumstellungsbedingten Preisanstiegen haben sowohl institutionelle Vorkehrungen als auch Marktkräfte entgegengewirkt. Österreich gehöre mit seiner tendenziell rückläufigen Preissteigerung von 1,7 % im April bzw. 1,6 % im Mai zu den preisstabilsten Ländern innerhalb des Euro-Raums. Da immer noch zwei Drittel der Österreicher in Schilling umrechnen, setzte die OeNB gemeinsam mit dem ORF Informationsaktivitäten zur Verbesserung des Euro-Wertgefühls. Die Diskussion um die Einführung einer Zwei-Euro-Banknote sei in den letzten Monaten verebbt, schloss Gouverneur Liebscher.

Vize-Gouverneurin Gertrude Tumpel-Gugerell befasste sich mit der konjunkturellen Situation und stellte fest, dass die konjunkturelle Talsohle der Weltwirtschaft im vierten Quartal 2001 erreicht wurde, in den ersten beiden Quartalen 2002 ein moderater Aufschwung einsetzte, von dem anzunehmen sei, dass er sich in der zweiten Jahreshälfte verstärken werde. Unsicherheiten gehen von Ungleichgewichten in den USA und Japan und von der schwer prognostizierbaren Ölpreisentwicklung aus. Der Konjunkturaufschwung im Euro-Raum wird zunächst vor allem vom Außenhandel, in weiterer Folge aber auch vom privaten Konsum und von Unternehmensinvestitionen unterstützt werden. Eine etwaige Dollar-Schwäche zähle zu den externen Risken für den Euro-Raum, weil sie die Exporte belasten, auf der anderen Seite aber über die Ölpreise inflationsdämpfend wirken.

Damit Europa sein inflationsfreies Wachstumspotential nützen und die Arbeitslosigkeit senken kann, bedürfe es weiterer struktureller Reformen auf den Produkt-, Finanz- und Arbeitsmärkten sowie Verbesserungen in Ausbildung und Forschung.

In Mittel- und Osteuropa lagen die Wachstumsraten im Jahr 2001 zwischen 3 % und 4 %, wobei die Situation in Polen ungünstiger war, Russland hingegen ein starkes Wachstum von 4,9 % zeigte. Im Durchschnitt dürften die zentraleuropäischen Kandidatenländer im Jahr 2002 Wachstumsraten von 2,5 % erzielen.

In Österreich haben sich die Vertrauensindikatoren seit Jahresbeginn deutlich gebessert, an den Produktionsdaten sei der erwartete Aufschwung aber noch nicht abzulesen. Vor allem der Kfz-Handel kämpfe nach wie vor mit massiven Problemen infolge eines Rückgangs bei den Neuzulassungen. Der Tourismus verzeichnete hingegen neuerlich eine gute Wintersaison. Der Arbeitsmarkt leide nach wie vor unter der schwachen Inlandskonjunktur, was zu einer Zunahme der Arbeitslosigkeit um 18,9 % im Mai 2002 gegenüber dem Vorjahr führte. Im Laufe des Jahres 2002 wird für Österreich ein Konjunkturaufschwung durch Exporte, Investitionen und Lageraufbau vorausgesagt, auch der private Konsum sollte an Dynamik gewinnen.

Infolge der schwächeren Konjunktur wird der gesamtstaatliche Budgetsaldo 2002 und 2003 ein Defizit von 0,2 % und nach verbesserter Konjunktur im Jahr 2004 ein Plus von 0,2 % betragen. In diese Berechnungen sind eine Lohnnebenkostensenkung von 450 Mill. Euro und eine Erhöhung der Kinderbeihilfe in der Höhe von 145 Mill. Euro eingerechnet. Die Berechnung könne aber nur gehalten werden, wenn sich die Einnahmen/Ausgaben-Relation, die derzeit von Mindereinnahmen und Mehrausgaben gekennzeichnet sei, umkehre und keine defiziterhöhenden Maßnahmen gesetzt werden.

Die Frage, warum das Wirtschaftswachstum in Österreich seit der zweiten Hälfte der neunziger Jahre unter dem Durchschnitt des Euro-Raums liege, beantwortete Vize-Gouverneurin Tumpel-Gugerell mit dem Hinweis auf Staaten, die sich in einem wirtschaftlichen Aufholprozess befinden. Bereinigt man die EU-Daten um die Werte von Griechenland, Irland, Portugal und Spanien, liege Österreich im Durchschnitt. Verbesserungswürdig sei in Österreich die Frauenerwerbsquote, die Beschäftigungsquote der 50- bis 60-jährigen, die zielgerichtete Berufsausbildung und die Investitionen in Forschung und Entwicklung, die zuletzt auf 1,95 % gesteigert werden konnten, aber noch weit von den angepeilten 2,5 % des BIP entfernt sind.

In der Debatte erkundigten sich die Abgeordneten Jakob Auer (V) und Werner Kogler (G) nach den Wirtschaftsaussichten in Asien bzw. im arabischen Raum sowie nach der Entwicklung des Außenhandels.

Abgeordneter Rudolf Edlinger (S) konnte die "Euphorie" angesichts der Zielsetzung der Bundesregierung, die Steuerquote auf unter 40 % zu senken, nicht teilen, weil er um das Sozialsystem und die Investitionstätigkeit fürchtete. Außerdem wollte Edlinger wissen, ob Gouverneur Liebscher die Auffassung des Kärntner Landeshauptmanns Haider teile, dass die OeNB seit der Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion keine Funktion mehr habe.

Abgeordneter Günter Stummvoll (V) dankte den Mitarbeitern der Nationalbank für ihre gewaltige Leistung bei der Euro-Umstellung und erkundigte sich nach einem Ranking der Wachstumsimpulse wie Infrastruktur, Ausbildung und Liberalisierung.

Abgeordneter Gerhard Hetzl (F) erinnerte an die Kritik an der Berechnung des Verbraucherpreisindex und fragte, ob hier Handlungsbedarf bestehe.

Abgeordneter Hannes Bauer (S) problematisierte Konjunkturberechnungen für osteuropäische Beitrittsländer und drängte darauf, die Zahlengrundlagen der Prognosen zu verbessern.

Staatssekretär Alfred Finz führte aus, dass die Euro-Entwicklung die Bundesregierung nicht euphorisch stimme, weil sie an stabilen Währungsrelationen interessiert sei. Eine Senkung der Abgabenquote bedeute keine Senkung der Sozialquote, sie sei aber notwendige Voraussetzung für die Erhaltung des Wirtschaftsstandorts Österreich. Hinsichtlich einer Steuerreform riet der Staatssekretär, ausstehende Wirtschaftsdaten abzuwarten, das Budget für das Jahr 2003 festzulegen und erst dann die Frage einer Steuerreform zu beurteilen. Ein Zugriff auf Nationalbank-Reserven zur Finanzierung der Steuerreform sei aus EU-rechtlichen Gründen nicht möglich.

Gouverneur Liebscher interpretierte die veränderte Relation Euro - Dollar als Ausdruck einer Dollar-Schwäche. Die EZB habe kein Währungsrelationsziel, sondern ein Preisstabilitätsziel, daher seien die preisdämpfenden Wirkungen, die von einem starken Euro ausgehen, positiv zu sehen. Eine Senkung der Abgabenquote sei zu begrüßen. Die Heranziehung der Nationalbank zur Finanzierung der Steuerreform sei als "klassische Staatsfinanzierung" abzulehnen.

Die Funktion der Nationalbank sei durch die Gründung der EZB nicht schwächer geworden, der Umfang ihrer Aufgaben habe sich vielmehr erhöht. Das subjektive Inflationsgefühl müsse mit der tatsächlichen Inflationsrate nicht übereinstimmen, räumte Gouverneur Liebscher ein, weil es möglich sei, dass einzelne Verbraucher Waren kaufen, die von einer höheren Teuerung betroffen sind. Es bestehe aber keinerlei Anlass für irgendeine Inflationshysterie.

Vize-Gouverneurin Tumpel-Gugerell sah Japan nach einem Jahrzehnt der Stagnation nach wie vor in einer Wirtschaftskrise, die etwa in einem Angstsparen der Bevölkerung ihren Ausdruck finde. Positiv sei die zuletzt belebte Exporttätigkeit. Unter den Wachstumsfaktoren strich Tumpel-Gugerell die Berufsqualifikation sowie Forschung und Entwicklung heraus. An der Verbesserung der wirtschaftsstatistischen Datenbasis für Osteuropa arbeite die Nationalbank derzeit im Auftrag der EZB, teilte die Vizegouverneurin abschließend mit. (Schluss)