Parlamentskorrespondenz Nr. 544 vom 09.07.2002

KOALITIONSFRAKTIONEN LOBEN, OPPOSITION KRITISIERT REGIERUNG

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Wien (PK) - Die erste Plenarsitzung des Nationalrats wurde heute mit einer Aktuellen Stunde eröffnet. Die Regierungsfraktionen nutzten die Gelegenheit, eine positive Bilanz der Regierungsarbeit zu ziehen, die Opposition übte an einzelnen Maßnahmen scharfe Kritik.

Abgeordneter Ing. WESTENTHALER (F) begründete die Aktuelle Stunde mit den hervorragenden sozialpolitischen Leistungen der Bundesregierung, die auch international Anerkennung gefunden hätten. So sei zum Beispiel das Kinderbetreuungsgeld Wahlkampfschlager aller Parteien in Deutschland und auch andere europäische Länder, wie Italien, wollten es kopieren. Die Abfertigung neu bezeichnete der freiheitliche Klubobmann als einen sozialpolitischen Meilenstein, der die finanzielle Absicherung aller ArbeitnehmerInnen bringe. Als weitere positive Maßnahmen kämen die Familienhospizkarenz, das Pflegegeld für behinderte Kinder ab der Geburt und die Gleichstellung von ArbeiterInnen und Angestellten im Gesundheitsbereich hinzu. Darüber hinaus habe man einen ausgeglichenen Haushalt erreichen können. In Österreich sei heute auch die höchste Beschäftigungsquote zu verzeichnen, unterstrich Westenthaler.

Westenthaler schnitt auch die geplante Steuerreform an, deren oberste Priorität die Entlastung der Einkommen bis 3000 € monatlich sei, wovon ca. 80 % der EinkommensbezieherInnen betroffen wären. Ziel sei es, die Massenkaufkraft zu stärken und damit auch eine Dynamik für die Wirtschaft zu erzeugen. Als weitere Eckpunkte der Steuersenkung nannte der Abgeordnete die Anhebung des Existenzminimums, die Senkung der Lohnnebenkosten und die Senkung von Unternehmenssteuern, etwa die Abschaffung der 13. Umsatzsteuer-Vorauszahlung. Die Regierung werde unter Beweis stellen, dass Steuerreform und Nulldefizit zu vereinbaren seien, zeigte sich Westenthaler überzeugt.

Die SPÖ argumentiere sich in ein "Nulldefizitchaos" hinein, und jede Kritik werde letztendlich der Unwahrheit überführt, sagte Westenthaler. Gusenbauer habe kürzlich sogar zugegeben, im Falle einer SPÖ-Regierung nicht am Kinderbetreuungsgeld rütteln zu wollen. Die Arbeitslosenzahlen seien heute um rund 100.000 geringer als zu SPÖ-Zeiten; während die SPÖ Defizite von 5,2 % im Jahr 1995 und 2,2 % in den Jahren 98 und 99 zu verzeichnen gehabt hätte, kritisiere sie heute ein mögliches Defizit von 0,4 %. Sie habe der Bundesregierung auch ein Krankenkassendefizit überlassen, dass einem "nur schaudern könne", so der Redner. Die jetzige Bundesregierung sei aber auf dem besten Weg, sozialpolitische Geschichte zu schreiben, und auch 63 % der Bevölkerung beurteilten die Sozialpolitik nach neuesten Umfragen als "gut" beziehungsweise "sehr gut".

Bundesminister Mag. HAUPT bekräftigte die Ausführungen seines Vorredners und meinte, dass sich die Sozialbilanz der letzten zweieinhalb Jahre sehen lassen könne. Das Kindergeld komme nicht nur den Intentionen der Frauen zu Gute, sondern ginge zu mehr als 60 % in den Konsum, wodurch vor allem die Infrastruktur der österreichischen Dörfer und Gemeinden profitiere. Der Bundesminister versuchte die Sozialbilanz der Regierung mit umfangreichem Zahlenmaterial zu untermauern. So habe die Frauenbeschäftigung im Jahr 2001 60,1 % betragen, während sie EU-weit nur bei 54,9 % gelegen sei. Österreich hätte seit dem Jahr 2000 heute 50.000 beschäftigten Frauen mehr und damit  die höchste Frauenbeschäftigungsquote in der Zweiten Republik . Die Beschäftigungsquote allgemein sei mit 68,2 % zu beziffern, in der EU mit 63,2 %. Die Arbeitslosenquote betrage 3,7 %, im EU-Durchschnitt 8,2 %. Österreich sei auch innerhalb der EU das Land mit der geringsten Jugendarbeitslosigkeitsquote von 2,9 %. Die Langzeitarbeitslosenquote betrage 1 %, in der EU 3,6 %. Der Anteil der Sozialausgaben sei von 28,7 % auf 30,2 % gestiegen, in der EU betrage dieser Wert 27,6 %. Auch das Armutsrisiko sei in Österreich besonders niedrig und habe gesenkt werden können; die Kluft zwischen den Reichsten und den Ärmsten sei in Österreich im Vergleich zu anderen EU-Staaten besonders gering.

Der Sozialminister erörterte auch kurz die Abfertigung neu und wies auf die Informationskampagne "vorgesorgt" hin, um auch die junge Generation auf die Möglichkeit, eine Zusatzpension steuerfrei lukrieren zu können, aufmerksam zu machen. 

Die Steuerreform ist nach Auffassung des Ministers "höchst notwendig", um die kleinsten Einkommen zu entlasten, die Binnennachfrage und damit die Wirtschaft zu stärken und den Arbeitsmarkt zu beleben. Besonderen Wert lege er auf eine gerechte Tarifreform. Abschließend zeigte sich Haupt über die steigenden Geburtenraten erfreut, da das Sozialsystem auf dem Generationenvertrag aufgebaut sei.

Abgeordneter Dr. GUSENBAUER (S) beurteilte die Bilanz dieser Bundesregierung als eine "Bankrotterklärung". Man sei heute, nachdem ca. 20 Mal Steuern und Abgaben erhöht worden seien, der massivsten Belastungswelle ausgesetzt. Die Steuer- und Abgabenquote habe den Höchststand erreicht, mit der Ambulanzgebühr habe man eine Zwei-Klassen-Medizin geschaffen und die Unfallrentenbesteuerung treffe die Ärmsten. Das Nulldefizit werde nicht zu halten sein, so der SPÖ-Chef, die realen Einkommen wüchsen in Österreich weit weniger als im übrigen Europa, beim Wirtschaftswachstum belege man die vorletzte Stelle. Diese Tatsachen bewiesen, dass die Bundesregierung das Eine sage und das Andere tue, denn Österreich hätte mehr Arbeitslose als im Vorjahr, wir hätten mehr Arme und wir zahlten mehr Steuern.

Das Symbol für die Sozialpolitik von ÖVP und FPÖ trage den Namen Gaugg, den Gusenbauer als "größten Absahner und Abzocker der Zweiten Republik" bezeichnete. Damit werde die sozialpolitische Rhetorik der FPÖ entlarvt, sagte der Redner. Gusenbauer bedauerte auch, dass die Regierung nicht bereit sei, über die Steuerreformvorschläge der SPÖ zu diskutieren.

Abgeordnete RAUCH-KALLAT (V) konterte, dass Gusenbauer wohl die Zustände der rot-grünen Regierung in Deutschland geschildert habe und kritisierte die SPÖ, dass in der Koalition mit ihr das Kinderbetreuungsgeld nicht durchsetzbar gewesen sei. Vor allem habe sich die damalige Frauenministerin Prammer quergelegt und jetzt betreibe die SPÖ in diesem Zusammenhang einen Zick-Zack-Kurs. Offensichtlich habe sie sich besonnen, denn erstmals können Frauen auch während der Karenz ihren Fuß im Beruf belassen, wodurch der Wiedereinstieg erleichtert werde. Wie gelebte Sozialpolitik aussehe, habe diese Bundesregierung auch durch die Erhöhung der Familienbeihilfe, durch das Pflegegeld für behinderte Kinder ab der Geburt und durch die Erhöhung des Mehrkinderzuschlages vorgezeigt. Auch die Abfertigung neu werde sich positiv für die Frauen auswirken, sowie für Saisoniers und Lehrlinge, sagte Rauch-Kallat.

Abgeordneter Mag. SCHWEITZER (F) versuchte die Argumentation Gusenbauers zu widerlegen und warf ihm vor, nur Vergleiche mit dem Vorjahr angestellt zu haben und nicht mit vorangegangenen SPÖ-dominierten Regierungen. Dieser Vergleich wäre laut Schweitzer katastrophal ausgefallen, denn die SPÖ habe es zur höchsten Verschuldung gebracht, die es je gegeben habe. Sogar in Hochkonjunkturzeiten sei die Arbeitslosigkeit bei 300.000 gelegen, heute betrage sie rund 200.000. Diese Regierung habe aber mit dem Abschieben der Probleme Schluss gemacht und den Haushalt konsolidiert. Man habe die Ziele trotz schwieriger Bedingungen erreicht und habe dafür sogar von der EU-Kommission ein hervorragendes Zeugnis ausgestellt bekommen. Schweitzer nannte in diesem Zusammenhang unter anderem das Lob der Kommission für die Budgetsanierung, für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, für die Pensionsreform und die Schritte zur Wissensgesellschaft.

Abgeordneter ÖLLINGER (G) stellte in Abrede, dass die Regierung eine Politik mit Herz und Verstand mache. Vielmehr gebe sie ein Schauspiel eines erbärmlichen Postenschachers und errege mit den Aussagen von Volksanwalt Stadler negatives internationales Aufsehen. Obwohl die Arbeitslosigkeit steige, mache der Minister nichts und gebe nicht einmal die nötigen Gelder frei, kritisierte der grüne Mandatar. Auch Unfallrentenbesteuerung, Ambulanzgebühren und Studiengebühren könnten nicht als eine Politik mit Herz und Verstand bezeichnet werden. Die Krankenkassen würden auf Jahre hinaus verschuldet, anstatt Geld für die Gesundheit auszugeben, werde Kriegsmaterial angeschafft. Dies alles mache offenbar, dass ÖVP und FPÖ die Zukunft belasteten, sich bei der Jugend verschuldeten und für den eigenen Vorteil arbeiteten.

Bundesminister Dr. BARTENSTEIN hielt dem entgegen, dass Hospizkarenz, Kinderbetreuungsgeld und Abfertigung neu sehr wohl für eine Sozialpolitik mit Herz stünden und die Tatsache, dass dies auch finanzierbar sei, zeige den Verstand, der dahinter stehe. Mit all den sozialpolitischen Maßnahmen habe man im Interesse der Menschen Neuland betreten. So sei die Abfertigung bisher nur ein Privileg für einige Wenige gewesen, nun hätten alle einen Anspruch. Der Wirtschafts- und Arbeitsminister bedankte sich explizit bei den Unternehmern für ihr Verständnis und kündigte an, dass über den Sommer ein Zukunftsvorsorgemodell ausgearbeitet werde. Damit soll auch Bauern, Selbstständigen und Hausfrauen ein besserer Zugang zur zweiten und dritten Säule der Pensionssicherung ermöglicht werden.

Für Abgeordnete BURES (S) erweist sich diese Aktuelle Stunde als eine Märchenstunde. Denn dass für 107.000 Unfallrentenbezieher das Einkommen um ein Drittel gekürzt wurde, habe nichts mit einer Politik mit Herz zu tun, sondern sei unsozial. Das Gleiche gelte für die Ambulanzgebühren, die eher unter der Bezeichnung "arrogante Politik" zu subsumieren seien. Die Bundesregierung habe offensichtlich auch kein Problem mit 190.000 Arbeitslosen und bekämpfe diese auch noch, indem sie ihnen die Kinderzuschüsse wegnehme. Herz habe man offensichtlich nur für Waffenhändler, so Bures. Mit dem Geld für einen Abfangjäger könne man beispielsweise 15.000 Kinderbetreuungsplätze oder 10.000 Lehrlingsarbeitsplätze schaffen, rechnete die Rednerin vor. Mit einer Politik mit Verstand habe auch die Verscherbelung von Wald und Wasser nichts zu tun, schloss Bures.

Abgeordneter Dr. STUMMVOLL (V) sieht es als gut an, dass die heutige aktuelle Stunde im Fernsehen übertragen wird, könne doch die Bevölkerung klar den Unterschied zwischen einer positiven Politik, wie sie von der derzeitigen Regierung gemacht werde, und einer Oppositionspolitik, die nur mit Schlagworten arbeitet, Schwarzmalerei und Krankjammerei betreibt, erkennen. Mit dem Kindergeld werde eine Vision Wirklichkeit und mit der Abfertigung neu ein Meilenstein in der Sozialpolitik gesetzt, meinte Stummvoll und sprach von der Entwicklung einer Strategie bis zum Jahr 2010. Dieser Zeitraum solle von Stabilität im Staatshaushalt, von Investitionen in die Zukunft und von der Entlastung der Betriebe und Bürger geprägt sein.

Abgeordnete ZIERLER (F) zeigte sich erstaunt über die aggressive Politik der Oppositionsparteien, der eine konstruktive gelebte Politik von FPÖ und ÖVP gegenüberstehe. Dass die jetzige Politik eine Politik "mit Herz und Verstand" sei, sei auf die FPÖ zurückzuführen, erklärte sie stolz. Dass die Menschen mit der jetzigen Politik einverstanden sind, erkennt man ihrer Meinung nach daran, dass die Familien das Kindergeld wollen. Auch hat die Bevölkerung registriert, dass es sich dabei um die Umsetzung eines Wahlversprechens der FPÖ handelt.

Abgeordnete Dr. PETROVIC (G) sah im Zusammenhang mit dem Kindergeld kein Wahlversprechen eingelöst, da das Kindergeld nicht für alle gelte, sonst hätte man keine Zuverdienstgrenze eingeführt. Demnach - die ersten Fälle gibt es bereits - erhalten Frauen, die im Jahr mehr als 200.000 S verdienen, kein Kindergeld mehr. Kritisch meinte sie auch, die Regierung denke sehr wohl an die Stiftungs-Milliardäre, sei aber nicht im Stande, soziale Wärme den Menschen, die nicht auf der Butterseite des Lebens stehen, zu geben. (Schluss Aktuelle Stunde(Forts. NR)