Parlamentskorrespondenz Nr. 657 vom 23.09.2002

KLUBOBMANN, MINISTER, BÜRGERMEISTER, NATIONALRATSPRÄSIDENT

Leopold Gratz, geb. 1929, bekleidete viele politische Ämter

Wien (PK) - Leopold Gratz hat im Laufe einer langen politischen Karriere viele wichtige Ämter der Republik bekleidet. Der einstige Klubsekretär war Klubobmann, zweimal Minister und lange Zeit Wiener Bürgermeister, ehe er zum Präsidenten des Nationalrats gewählt wurde. Am 4. November 1929 in Wien geboren, schloss Gratz sich bereits im Alter von 16 Jahren der Sozialdemokratie an und wurde in der Sozialistischen Jugend aktiv, wo er wenig später unter dem damaligen Landesobmann Hubert Pfoch das Amt des Sekretärs übernahm. Daneben absolvierte Gratz sein Studium, welches er mit dem Titel Magister abschließen sollte.

Nach einem Zwischenspiel als Vertragsbediensteter des Wiener Arbeitsamtes holte ihn der spätere Klubobmann der SPÖ-Parlamentsfraktion, Bruno Pittermann, 1953 als Klubsekretär - diese Funktion entspräche heute der des Klubdirektors - ins Hohe Haus. Im Rahmen dieser Tätigkeit sollte Gratz später auch mit seinem Nachnachfolger als Nationalratspräsident, Heinz Fischer, zusammenarbeiten.

Weitere Stationen in seiner Parteikarriere waren u.a. die Funktion des Zentralsekretärs der SPÖ ab 1963 und jene des Bundesobmanns der Jungen Generation in der SPÖ. Im Oktober 1963 wurde Gratz vom Land Wien in den Bundesrat entsandt, dem er bis zu seiner Wahl in den Nationalrat im März 1966 angehören sollte. Gemeinsam mit Hannes Androsch, Heinz Fischer und Karl Blecha zählte Gratz ab 1967 zu jener jungen Garde um den neuen Parteivorsitzenden Kreisky, die dessen mannigfaches Reformprogramm unterstützen und umsetzen sollte.

Gratz hatte sich dabei besonders mit Ausbildungsfragen befasst, und so kam es nicht überraschend, dass er nach der Bildung der ersten sozialistischen Alleinregierung im April 1970 Unterrichtsminister wurde. In dieser Funktion legte er den Grundstein zur Schulreform und ermöglichte vor allem minderprivilegierten Kindern einen besseren Zugang zu den heimischen Bildungseinrichtungen. Gemeinsam mit Fred Sinowatz, der Gratz im November 1971 als Minister nachfolgte, setzte Gratz zahlreiche Initiativen im Interesse der arbeitenden Menschen, so das Gratisschulbuch, die Schülerfreifahrt und vor allem die Abschaffung des Schulgeldes. Auch etliche Schulversuche wurden bereits während seiner Amtszeit initiiert. Unter Gratz wurden aber im Sommer 1970 auch erstmals die Kunstagenden dem Unterrichtsministerium zugeschlagen. Besondere Verdienste erwarb sich Gratz in diesem Zusammenhang um die Reform der Bundestheater.

Auf eigenen Wunsch schied Gratz 1971 aus der Bundesregierung aus, um sich als Klubobmann der SPÖ um die Agenden der Fraktion zu kümmern. Nachdem aber im Juni 1973 Felix Slavik als Bürgermeister von Wien nach der Auseinandersetzung um den Sternwartepark zurückgetreten war, beriefen ihn die Wiener Sozialisten an die Spitze ihrer Organisation und wählten ihn sodann auch zum Stadtoberhaupt. Wenig später wurde Gratz auch stellvertretender Bundesparteiobmann.

Bei den vorgezogenen Gemeinderats- und Landtagswahlen 1973 erzielte Gratz einen durchschlagenden Erfolg und verfehlte die Zweidrittelmehrheit im Rathaus nur um ein einziges Mandat. Ein solcher Triumph blieb in der Geschichte der Zweiten Republik bislang singulär. Auch bei den Wahlen 1978 und 1983 war Gratz Spitzenkandidat seiner Partei und erzielte dabei jedes Mal komfortable absolute Stimmen- und Mandatsmehrheiten. In seine Amtszeit als Bürgermeister fallen nicht nur die konsequente Fortsetzung des Wohnbauprogramms, es wurden auch erstmals stärkere Akzente in Richtung Umweltschutz gesetzt. Die Donauinsel und das Wiener U-Bahn-Netz sind bleibende Denkmäler des Wirkens von Leopold Gratz als Bürgermeister der Bundeshauptstadt. Bemerkenswert auch die Wiener Internationale Gartenschau 1974 und der Bau des Konferenzzentrums sowie der UNO-City, nachdem Wien neben Genf und New York dritte UNO-Stadt geworden war.

Nach der Umbildung des Kabinetts Sinowatz im September 1984 kehrte Gratz nach 13 Jahren auf die Regierungsbank zurück und folgte Erwin Lanc als Außenminister. In dieser Funktion setzte er den Kurs seiner Vorgänger fort und betrieb eine aktive Neutralitätspolitik. Nach der Wahlniederlage des SPÖ-Bundespräsidentschaftskandidaten Steyrer trat Bundeskanzler Sinowatz von seinem Amt zurück, und im Zuge der Neubildung einer Regierung durch Franz Vranitzky zog auch Leopold Gratz aus dem Außenamt aus. Nach einem kurzen "Urlaub" von der Politik kehrte Gratz allerdings im Dezember 1986 in die politische Arena als Nationalratspräsident zurück, in welchem Amte er Anton Benya nachfolgte. Gratz übte diese Funktion mit größter Unparteilichkeit aus und legte 1988 auch seinen Vorsitz der Wiener SPÖ zurück.

Zu diesem Zeitpunkt geriet Gratz allerdings auch in den Dunstkreis zweier Skandale, wurde sein Name doch im Zusammenhang mit der "Affäre Lucona" genannt, da ihn bekanntermaßen eine Freundschaft mit Udo Proksch verband. Auch hinsichtlich der "Affäre Noricum" wurde er als ehemaliger Außenminister befragt. Wenn ihm auch persönlich nichts vorzuwerfen war, so beschloss Gratz dennoch, das hohe Amt des Präsidenten des Nationalrats nicht einmal annähernd belasten zu lassen und trat daher im Februar 1989 von allen öffentlichen Funktionen zurück. Seitdem genießt der ungebrochen populäre Politiker im Kreise seiner Familie einen aktiven Ruhestand. Sein Bild im Empfangsalon des Parlaments stammt von Prof. Robert H. Pippal. (Schluss)