Parlamentskorrespondenz Nr. 130 vom 18.03.2003

REGIERUNG UND OPPOSITION UNEINIG ÜBER BESCHÄFTIGUNGSPOLITIK

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Wien (PK) - Eines der großen Themen der heutigen Hauptausschusssitzung im Vorfeld des kommenden Europäischen Rates in Brüssel behandelten die Abgeordneten die Fortschritte im Bereich der so genannten "Lissabon-Strategie". Im März 2000 hatte sich der Europäische Rat in Lissabon zum Ziel gesetzt, Europa innerhalb von zehn Jahren zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Europa müsse daher Maßnahmen zu dauerhaftem Wirtschaftswachstum, zu mehr Beschäftigung, zu einer wissensbasierten Wirtschaft und zu einer Modernisierung des europäischen Gesellschaftsmodells setzen, waren und sind sich die EU-Mitgliedstaaten einig.

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel betonte in seiner Stellungnahme, dass sich die Position Österreichs innerhalb der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union verbessert habe, woraus man schließen könne, dass wir mit unseren Strukturreformen richtig liegen. Insbesondere werde in allen Bereichen auf Nachhaltigkeit Wert gelegt. In punkto Nachhaltigkeit, in der Herstellung des Gleichgewichts zwischen Wirtschaft, Beschäftigung und Umwelt sei Österreich europaweit auch das beste Land, berichtete er. Dennoch müsse Österreich noch einige Anstrengungen unternehmen, um die gesetzten Ziele erreichen zu können. Erschwerend dabei wirke sich, so der Bundeskanzler, das derzeitige schwache Wirtschaftswachstum aus. Als wesentliche Eckpunkte bezeichnete der Kanzler die Änderung der Struktur der öffentlichen Haushalte, da derzeit die Abgabenbelastung sehr hoch sei. Demgegenüber würden noch zu wenig Zukunftsinvestitionen in Bildung und Forschung geleistet. Man müsse daher eine Umschichtung von bürokratischen in zukunftsorientierte Bildungs- und Infrastrukturausgaben vornehmen. Das Problem bei der Finanzierung von Forschung und Entwicklung sei der zu geringe Beitrag der Wirtschaft.

Schüssel plädierte für einen weiteren Abbau von Markthindernissen sowie für den Verzicht auf überflüssige Gesetze auf EU-Ebene und sprach sich für eine Beschleunigung der Durchsetzung der Charta für Kleinunternehmer aus. Was die Beschäftigungsquote allgemein und die der Frauen betreffe, so habe diese Österreich bereits erfüllt. Allein die Beschäftigungsquote der über 55jährigen stelle ein großes Problem dar. Ein weiterer Nachholbedarf sei hinsichtlich der noch großen Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen festzustellen. Hier seien vor allem die Sozialpartner gefragt, sagte der Kanzler. Auf europäischer Ebene soll es eine European Employment Task Force geben, die kurzfristig Maßnahmen zur Unterstützung der Gesamtstrategie vorschlagen soll, berichtete Schüssel. Darüber hinaus soll der Dialog der Sozialpartner auf europäischer Ebene gestärkt werden.

Vizekanzler Herbert Haupt ergänzte, dass die Beschäftigungspolitik Kernstück des europäischen Sozialmodells sei. Besonders am Herzen liege ihm das Gender Mainstreaming, das nur dann durchgesetzt werden könne, wenn es höchste politische Unterstützung erfahre. Was die Sicherung der Sozialsysteme betreffe, lege er den Schwerpunkt nicht nur auf die Finanzierungslast, sondern betone auch die sozialen Aspekte, wie die Angemessenheit der Sozialleistungen und die Anpassung der Sozialsysteme an die gesellschaftlichen Änderungen, beteuerte Haupt. Der Sozialminister stellte auch die Einführung einer europäischen Krankenversicherungskarte in Aussicht, die die derzeitigen Formulare ersetzen soll. Bei all den Maßnahmen werde jedoch die Subsidiarität der Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt.

SPÖ FÜR NEUORIENTIERUNG DER LISSSABON-STRATEGIE

Die SPÖ brachte dazu einen umfassenden Antrag auf Stellungnahme ein, der von den Regierungsparteien abgelehnt wurde.

Abgeordneter Fritz Verzetnitsch (S) kritisierte, dass es zwar gelungen sei, die Stabilität sicherzustellen, die Zielsetzungen in Bezug auf Wachstum und Beschäftigung seien jedoch nicht erreicht worden. Dazu betonte er, dass die Flexibilität des Stabilitätspaktes von den Mitgliedsstaaten nicht ausgenützt werde. Er zeigte sich daher auch von der österreichischen Position enttäuscht, weil diese zu sehr ihren Schwerpunkt auf den Stabilitätspakt lege, während seiner Meinung nach der Beschäftigung sowie Forschung und Entwicklung mehr Augenmerk geschenkt werden müsse.

Der Antrag auf Stellungnahme, der von Abgeordnetem Christoph Matznetter eingebracht wurde, spricht sich daher auch für eine Neuorientierung der Lissabon-Strategie aus. Darin werden u.a. verstärkte Anstrengungen für Wachstum und Schaffung neuer Arbeitsplätze sowie für die Verbesserung der Qualität der öffentlichen Finanzen zu höheren Investitionsquoten gefordert. Die SPÖ-Abgeordneten treten weiters für mehr Maßnahmen mit dem Ziel eines größeren sozialen Zusammenhalts und mehr Investitionen in Humanressourcen sowie für umweltfreundliche Produktion und Forschung ein. Sie fordern einen Wechsel der Steuerbelastung von Arbeit zu Kapital und Ressourcenverbrauch und verlangen, die Reform der Rentensysteme nicht nur unter dem Aspekt der Finanzierbarkeit, sondern auch unter jenem der Steigerung der Beschäftigungsquoten zu sehen. Die SPÖ-Abgeordneten sprechen sich darüber hinaus für eine Revision der Richtlinie über den Europäischen Betriebsrat, insbesondere hinsichtlich der Unterrichtung und der Anhörung der ArbeitnehmerInnen aus und verlangen EU-Maßnahmen zur Bekämpfung der illegalen Erwerbstätigkeit. Schließlich treten sie für die Harmonisierung aller wettbewerbsrelevanten Steuern und für eine Schwerpunktsetzung im Bereich Forschung und Innovation in mittleren und kleineren Unternehmen ein.

Matznetter beklagte, dass Bundeskanzler Schüssel nur vom Stabilitätspakt spreche, obwohl es sich in Wahrheit um einen Stabilitäts- und Wachstumspakt handle. Stabilität könne nur erreicht werden, wenn man ausreichend Wachstumsquoten habe, betonte der Budgetsprecher der SPÖ, setze man auf Stabilität alleine, könne das zur Stagnation von Märkten führen.

Auch Abgeordnete Ulrike Lunacek (G) ortete eine zu starke Konzentration Österreichs auf das rigide Instrument des Stabilitätspaktes, mit dem ihrer Ansicht nach die gesetzten Ziele nicht erreichbar sind. Man müsse die makroökonomischen Vorgaben neu einschätzen, meinte die Grün-Mandatarin und sprach sich gegen eine weitere Flexibilisierung des Arbeitsmarktes aus. Sie kritisierte, die Regierung sehe wirtschaftliche Reformen nur unter dem Aspekt des Wachstums, nicht aber unter dem Aspekt der Beschäftigung. Ihrer Ansicht nach müssten die beiden Punkte jedoch zumindest den gleichen Stellenwert haben. Zum Antrag der SPÖ kündigte sie ihre Zustimmung an.

Lunacek merkte auch an, dass von der Regierung geplante und gesetzte Maßnahmen Nachteile für Frauen gebracht hätten und sie daher die Bemühungen um das Gender Mainstreaming nicht erkennen könne. So habe das Kinderbetreuungsgeld, wie dem Bericht der Kommission zu entnehmen sei, nicht zur Erhöhung der Frauenbeschäftigung beigetragen. Lunacek urgierte auch die Aufrechterhaltung des Moratoriums hinsichtlich gentechnisch veränderter Pflanzen, stärkere Investitionen in die Bahn sowie intensivere Bemühungen, die Treibhausgase zu reduzieren.

Dem widersprach Bundeskanzler Schüssel heftig und hielt es für schlecht, den Stabilitätspakt in Frage zu stellen. Die Krise in Deutschland, Portugal und Frankreich sei vor der Irak-Krise entstanden, so Schüssel, und der Stabilitätspakt sehe ausreichend flexible Maßnahmen vor.

Abgeordnete Silhavy und Abgeordnete Prammer übten Kritik an der Sozialpolitik der Regierung. Silhavy fürchtet etwa, dass durch die von der Regierung geplante Pensionsreform die Altersarbeitslosigkeit weiter ansteigen wird und forderte die Entwicklung politischer Perspektiven im Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung ein. Abgeordnete Prammer gab zu bedenken, dass zwar die Zahl der beschäftigten Frauen gestiegen, die Zahl der Vollzeitbeschäftigten aber gesunken ist. Vielen Frauen sei es nicht möglich, von ihrer eigenen Erwerbstätigkeit unabhängig von Partnerschaften zu leben.

Abgeordnete Helene Partik-Pable (F) wies dem gegenüber auf die Initiativen der Bundesregierung zur Konjunkturbelebung sowie auf die Strukturmaßnahmen hin, verlieh aber ihrer Sorge um die Beschäftigungsquote der über 55jährigen Ausdruck. Es gehöre auch der Wille der Arbeitgeber dazu, Menschen mit über 55 Jahren zu beschäftigen und sie nicht zum alten Eisen zu zählen.

Abgeordneter Wilhelm Molterer (V) erinnerte daran, dass die Regierungserklärung die Zielsetzungen der Lissabonner Strategie, wie Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, Deregulierung und Innovation zum Inhalt habe. Österreich habe auch wesentliche Maßnahmen zur Beschäftigungspolitik gesetzt, so der ÖVP-Klubobmann weiter, und modernisiere die Sozialsysteme. Dazu gebe es keine Alternative, sagte er. Österreich setze mit seinem Regierungsprogramm innovative Punkte.

Vizekanzler Herbert Haupt machte geltend, dass Österreich auch nach der geplanten Pensionsreform jenes Land unter den 15 EU-Staaten sein werde, wo aus dem Titel Generationenvertrag der größte Anteil an den Pensionszahlungen erfolgt. Um den Generationenvertrag auch in Zukunft abzusichern, kann er sich vorstellen, eine Art Reservefonds für die Pensionsversicherung aufzubauen.

Zum Thema Wachstum merkte Haupt an, das 2. Strukturpaket 2002, das unter Einbindung der Sozialpartner entwickelt wurde, habe gewirkt. Er gab zudem jenen Recht, die meinten, Stabilität könne nicht die einzige Zielsetzung sein, betonte aber gleichzeitig, dass die schwarz-blaue Regierung bei ihrem Amtsantritt im Jahr 2000 eine Situation vorgefunden habe, wo auch in guten Zeiten Schulden gemacht worden seien.

Was die Beschäftigungssituation älterer Arbeitnehmer betrifft, wies der Vizekanzler darauf hin, dass die Regierung flankierende Maßnahmen zu ihrem Schutz in ihr Programm aufgenommen habe. Zudem soll es für arbeitslose ältere Arbeitnehmer, denen es nicht mehr möglich sei, in Frühpension zu gehen, ein Altersübergangsgeld geben. Auch der Jugend- und der Frauenbeschäftigung wird Haupt zufolge großes Augenmerk gewidmet. Die Regierung werde in der Sozial- und Beschäftigungspolitik den bewährten Weg der letzten drei Jahre fortschreiten, bekräftigte er.

In Bezug auf eine Bemerkung von SP-Abgeordnetem Niederwieser hielt Haupt fest, dass sich die österreichische Regierung um eine Transitregelung bemühe. Es müssten aber auch die anderen Parteien im Europäischen Parlament Lobbyismus betreiben, unterstrich er.

Der Antrag der SPÖ auf Fassung einer Stellungnahme erhielt nur die Zustimmung der Opposition und blieb damit in der Minderheit. Schluss)