Parlamentskorrespondenz Nr. 139 vom 19.03.2003

BARTENSTEIN IM WIRTSCHAFTSAUSSCHUSS: KEIN GRUND ZUR SORGE WEGEN GATS

SP/G für öffentliche Debatte und Bewertung bisheriger Erfahrungen

Wien (PK) - Einziges Thema im heutigen Wirtschaftsausschuss, der unter dem Vorsitz seines Obmannes Reinhold Mitterlehner tagte, waren die am 31. März 2003 in Genf beginnenden Verhandlungen zum General Agreement on Trade in Services (GATS), über deren Vorbereitungen Bundesminister Martin Bartenstein im Rahmen einer allgemeinen Aussprache mit den Abgeordneten diskutierte. Im Mittelpunkt der Debatte stand das Bemühen des Ministers, die von den Abgeordneten der SPÖ und der Grünen vorgetragen Besorgnisse wegen möglicher negativer Auswirkungen weitergehender Liberalisierungen bei den Dienstleistungen auf den heimischen Arbeitsmarkt und die Qualität öffentlicher Dienstleistungen zu zerstreuen. 

Zunächst erläuterte Bartenstein, dass das Handelsabkommen GATS der Liberalisierung des Welthandels im Bereich der Dienstleistungen diene, ein Prozess, der Ende 2001 in Doha eingeleitet wurde. Das Abkommen zeichne sich durch große Flexibilität aus und sei für Österreich wichtig. Unser Land sei in hohem Maße in die Weltwirtschaft verflochten und daher interessiert, Marktzugangshindernisse sowie Diskriminierungen von Dienstleistungsanbietern zu reduzieren und die Rechtssicherheit im internationalen Dienstleistungsverkehr zu erhöhen. Der Wirtschaftsminister untermauerte diese Aussage mit dem Hinweis darauf, dass Österreich fast zwei Drittel seines Bruttoinlandsprodukts im Dienstleistungssektor erwirtschaftet und mit einem Anteil von 2,1 % an den weltweiten Dienstleistungsexporten an der 13. Stelle der internationalen Dienstleistungsanbieter liege. Zum Vergleich: Bei den Warenexporten liege Österreich mit 1 % an den weltweiten Warenexporten an 24. Stelle. Großes Interesse am Dienstleistungsexport habe auch die EU, deren Anteil am globalen Dienstleistungshandel 25 % betrage (USA: 19%, Japan: 5%).

Nun gehe es darum, bis 31. März ein Angebot der WTO-Mitglieder vorzulegen, das dokumentiert, in welchen Bereichen die Mitgliedsstaaten zu weiteren Liberalisierungen bereit seien, wobei keine weiterführenden Verpflichtungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Wasserversorgung, audiovisuelle Dienste sowie Personenverkehr vorgesehen seien. Die WTO-Kompetenz in der EU liege bei der Kommission.

Gegenüber dem Tenor in der öffentlichen Diskussion, in der GATS zuletzt für Deregulierungen und Privatisierungen verantwortlich gemacht wurde, hielt Minister Bartenstein zunächst fest, dass GATS auch im Interesse der Entwicklungsländer liege, weil es darum gehe, deren Anteil am Wohlstandsgewinn zu vergrößern. "Wer gegen die Marginalisierung der Entwicklungsländer eintritt, muss für GATS sein", sagte der Wirtschaftsminister. Besorgnisse hinsichtlich der Qualität öffentlicher Dienstleistungen in Österreich bemühte sich Bundesminister Bartenstein mit dem Hinweis darauf zu zerstreuen, dass Dienstleistungen im Bereich der persönlichen Daseinsvorsorge dreifach abgesichert bleiben und weiterhin sowohl durch öffentliche als auch durch private Anbieter erbracht werden können. Er sehe auch hier keinen Grund zur Besorgnis.

Im Einzelnen ging der Wirtschaftsminister auf "Personenbewegungen zum Zweck der Dienstleistungserbringung" (Mode 4) ein. Da Entwicklungsländer in Dienstleistungen, bei denen die Arbeitskomponente eine starke Rolle spiele, Wettbewerbschancen haben, werde diesem Bereich verstärktes Augenmerk geschenkt. Befürchtungen sozialdemokratischer Abgeordneter wegen Auswirkungen auf den heimischen Arbeitsmarkt zerstreute der Wirtschaftsminister, indem er auf eine Berechnung seines Ressorts verwies, die die zusätzlichen Arbeitskräfte aus dem Ausland mit 250 pro Jahr beziffert.

Österreich wird seine Interessen im Rahmen der GATS-Verhandlungen bestmöglich vertreten, sagte der Wirtschaftsminister und unterstrich, dass das Parlament in den GATS-Prozess voll eingebunden sei, der Minister fügte aber hinzu, dass der EU-interne Abstimmungsprozess in der Substanz vertraulich sei.

Abgeordnete Sburny (G) eröffnete die Debatte mit der Frage an den Wirtschaftsminister, woher er wisse, was die Österreicher in der GATS-Frage wollen, sei doch die Diskussion bislang nicht öffentlich geführt worden. Da aber ein großes Bedürfnis nach öffentlicher Diskussion bestehe, verlangen die Grünen - die 1994 gegen GATS gestimmt haben -, die GATS-Verhandlungen zu unterbrechen und eine öffentliche Diskussion über die neuen Forderungen und Vorschläge zu führen. Dies sei im Sinne einer vertrauensbildenden Vorgangsweise notwendig.

Abgeordneter Hans Moser (S) sah eine neue Marktordnung und in Verbindung damit neue Formen der Herrschaft entstehen, wie sie der Schweizer Soziologe Jean Ziegler beschrieben habe. Für Österreich entstünden neue Chancen, zugleich sei aber darauf zu achten, dass soziale und ökologische Standards erhalten bleiben. Die Protestbewegung gegen GATS sei entstanden, weil die Öffentlichkeit nicht ausreichend eingebunden worden sei. Die Entstehung einer neuen Weltordnung müsse demokratisch abgewickelt und öffentlich diskutiert werden. Der Abgeordnete verlangte die Einbindung der nationalen Parlamente und des EU-Parlaments und eine offensive Informationstätigkeit, um Ängste zu nehmen und Spekulationen zu vermeiden. Seitens seiner Fraktion forderte der Abgeordnete darüber hinaus die nunmehr bereits achtjährigen Erfahrungen mit GATS zu bewerten und die These Jean Zieglers zu überprüfen, dass die Unterschiede zwischen den Entwicklungsländern und den entwickelten Ländern durch GATS noch größer werden.

Abgeordneter Caspar Einem (S) wollte positive Auswirkungen von GATS nicht in Abrede stellen, gerade Österreich sei ein Beispiel für die Vorteile, die die Integration in die Weltwirtschaft biete. Es gebe aber auch Risken, weil das GATS-Regime Konsequenzen nach sich ziehe, die auf den ersten Blick nicht sichtbar seien. Daher sei absolute Transparenz notwendig, um die Sorgen der Bevölkerung zu vermindern. Abgeordneter Einem verlangte mehr und regelmäßigere Information über den GATS-Prozess.

Abgeordneter Christoph Matznetter (S) stellte klar, dass die SPÖ nicht auf der Seite des Protektionismus stehe, sondern für Regelungsmechanismen eintritt, die dafür sorgen, dass österreichische Standards erhalten bleiben und zugleich Schwellenländer wohlfahrtsstaatliche Standards gewinnen können. Besorgt zeigte sich der Abgeordnete hinsichtlich der Vertretung der Menschen in der Dritten Welt, da deren Regierungen oft nur die Interessen kleiner Gruppen vertreten. Beim Thema Mode 4 etwa wies Abgeordneter Matznetter auf die Gefahr des Lohndumpings hin und nannte das Rechnungswesen als Beispiel dafür, dass es nicht im Interesse von Schwellen- und Entwicklungsländern liege, ihnen hochqualifizierte Arbeitskräfte zu entziehen.

Abgeordnete Heidrun Silhavy (S) unterstrich die Forderung ihrer Fraktion nach Evaluierung der bisherigen Erfahrungen mit der Globalisierung und stellte Detailfragen zur Überwachung der GATS-Vereinbarungen in Österreich und auf dem Binnenmarkt.

Abgeordnete Erika Scharer (S) machte auf die stark steigende Arbeitslosigkeit und die sich ständig verschlechternden Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt aufmerksam, sie vermisste eine Gegenstrategie der Bundesregierung. Die EU-Osterweiterung werde Probleme mit dem Lohndumping und dem Verdrängungswettbewerb weiter verschärfen, befürchtete die Rednerin, und erkundigte sich nach Maßnahmen der Bundesregierung, um die Rahmenbedingungen und die Kontrollmechanismen zu verbessern.

Wirtschaftsminister Martin Bartenstein teilte den Abgeordneten mit, dass Österreich seine Interessen hinsichtlich der Personenbewegung zum Zweck der Dienstleistungserbringung in die Verhandlungen einbringen werde und sagte den Abgeordneten ein hohes Maß an Transparenz im Verhandlungsprozedere zu. Eine Unterbrechung des Verhandlungsprozesses, wie es die Grünen forderten, hielt der Minister nicht für sinnvoll.

Hinsichtlich der Sozial- und Umweltstandards machte Minister Bartenstein darauf aufmerksam, dass sich die Entwicklungsländer keine Vorschriften machen lassen wollen, sondern sich von Öko- und Sozialprotektionismus bedroht sehen. Das Europäische Parlament sei in den GATS-Prozess eingebunden. Die von Abgeordnetem Matznetter angesprochene Gefahr, dass Österreich seine Umweltstandards durch eine "Notwendigkeitsprüfung" rechtfertigen müsse, bestehe nicht, da eine solche Prüfung nicht auf Umweltverfahren angewendet werden soll. Für eine bessere Trinkwasserversorgung der Menschen in der Dritten Welt seien, so Bartenstein, Preisbildungsmechanismen wichtig, weil sich gezeigt habe, dass Trinkwasser deshalb nicht bei den Menschen ankomme, weil es für Bewässerungszwecke verwendet werde.

In einer zweiten Verhandlungsrunde nannte Abgeordneter Georg Oberhaidinger (S) die Energie-Liberalisierung als Beispiel dafür, dass Österreich in einem höheren Ausmaß bereit sei, seinen Markt zu öffnen als die Nachbarländer. Auch bei der Bahnliberalisierung gelte es, Rahmenbedingungen zu gewährleisten, die die Sicherheit der Passagiere erhalten. Man dürfe Liberalisierung nicht mit Privatisierung verwechseln, sagte der Abgeordnete, darin ausdrücklich von seinem Fraktionskollegen Hannes Bauer unterstützt.

Abgeordnete Sburny (G) appellierte an den Minister, eine neue Form für die öffentliche Diskussion schwieriger Themen zu entwickeln. Es werde nicht genügen, dem Parlament ein Abkommen zur Ratifikation vorzulegen, wo der Abgeordnete nur mehr ja oder nein sagen könne.

Abgeordneter Matznetter (S) befürchtete, dass die EU mit der Aufforderung konfrontiert werden wird, ihre Wasserwirtschaft zu liberalisieren, wenn sie dies von anderen WTO-Mitgliedern verlange. Eine internationalisierte Wirtschaft brauche nicht weniger Regeln, sondern mehr, zeigte sich der Redner überzeugt und meinte, wenn man immer nur dereguliert, ende man zuletzt in der Steinzeit.

Abgeordnete Silhavy (S) wollte wissen, wie ein möglicher Missbrauch der Liberalisierungsbestimmungen bei den Dienstleistungen kontrolliert werden soll.

Abgeordneter Karlheinz Kopf (V) forderte die Sozialdemokraten auf, das Wort "Privatisierung" nicht wie einen Teufel an die Wand zu malen und erinnerte an die richtigen Schritte, die die Parlamentsparteien gemeinsam zur Strom- und Gasliberalisierung gesetzt haben.

Abgeordneter Hans Moser (S) wies auf die Notwendigkeit hin, Marktversagen durch entsprechende Rahmenbedingungen zu vermeiden und den Menschen in den Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik zu stellen. Angesichts eines Fünftels der Weltbevölkerung, das am Rande des Verhungerns lebe, müsse es ein Ziel sein, die sozialen und arbeitsrechtlichen Standards der Industriestaaten auch den Menschen der Dritten Welt näher zu bringen. Mosers konkrete Frage richtete sich auf Vorbehalte im Bildungsbereich.

Abgeordneter Maximilian Hofmann (F) unterstrich den Erfolg der österreichischen Energieliberalisierung und meinte, man könne nicht gegen alle Missbrauchsmöglichkeiten der GATS-Vereinbarungen schon jetzt Rezepte anbieten. Sollte es sich als notwendig herausstellen, werde man Maßnahmen ergreifen.

Abgeordneter Reinhold Mitterlehner (V) betonte, dass die Entwicklungsländer in der Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs Chancen sehen. Die GATS-Verhandlungen werden am 31. März beginnen, die Interessenvertretungen und die NPOs waren optimal eingebunden, der Ausschussobmann räumte aber ein, dass ein Spannungsfeld zwischen Vertraulichkeit und Informationsbedürfnis bestehe.

Abgeordneter Josef Trinkl (V) unterstrich, dass Liberalisierung nichts mit der Eigentümersituation zu tun habe, es könne aber niemand etwas dagegen haben, dass öffentliche Einrichtungen sich dem Wettbewerb stellen müssen.

Auf die einzelnen Fragen eingehend, führte der Wirtschaftsminister aus, dass das Thema Liberalisierung und Privatisierung mit GATS nichts zu tun habe, denn dieses Abkommen beschäftige sich mit Ausländergleichstellung und Marktzugang.

Bei den Kontrollmechanismen möchte der Bundesminister mit den vorhandenen Ressourcen auskommen, sollten sich spezielle Erfordernisse ergeben, werde man sich das anschauen müssen. Hinsichtlich des Verhandlungsprozederes könne er sich einen Unterausschuss vorstellen. Die Gefahr eines Lohndumpings auf dem österreichischen Arbeitsmarkt sehe er in Zusammenhang mit GATS nicht, schloss der Wirtschaftsminister. (Schluss)