Parlamentskorrespondenz Nr. 238 vom 29.04.2003

AKTUELLE STUNDE IM NATIONALRAT ZUM THEMA FAMILIENPOLITIK

----

Wien (PK) - Ehe Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Vizekanzler Herbert Haupt in der heutigen (12.) Plenarsitzung des Nationalrates, die Präsident Andreas Khol um 10 Uhr eröffnete, ihre mit großer Spannung erwarteten Erklärungen zur geplanten "Pensionssicherungsreform" abgaben, befasste sich der Nationalrat im Rahmen der Aktuellen Stunde auf Initiative der FPÖ mit der österreichischen Familienpolitik.

Während Generationenminister Haupt und die Vertreter der Regierungsparteien die Einführung des Kinderbetreuungsgeldes als einen familienpolitischen Meilenstein auf dem Weg Österreichs zum familienfreundlichsten Land der Welt schilderten, klagten die Oppsitionsparteien über steigende Scheidungszahlen, die zunehmende Armut von AlleinerzieherInnen sowie Mehrkindfamilien und immer schlechter werdenden Chancen von Frauen, nach der Kindererziehung in den Beruf zurückzukehren. Von Seiten der Regierungsparteien wurden weitere Verbesserungen angekündigt, unter anderem für Familien nach Mehrlingsgeburten, die Ausdehnung pensionsbegründender Kindererziehungszeiten und eine familienfreundlichere Arbeitswelt.

Abgeordnete ROSENKRANZ (F) leitete die Aktuelle Stunde mit der Feststellung ein, dass die Familienpolitik ein zentrales Anliegen der FPÖ darstelle. Daher hätten die Freiheitlichen die Familien zu einem Schwerpunktthema ihrer ersten Regierungsbeteiligung gemacht und das Kinderbetreuungsgeld umgesetzt, das von den Bürgerinnen und Bürgern mit großem Wohlwollen angenommen wurde. Die Familien sind nicht nur die Grundlage des Staates, sondern insbesondere auch die Grundlage des Sozialstaates, betonte Rosenkranz. Die aktuellen Probleme des Sozialstaates kommen daher, weil die Generationenabfolge aus dem Lot geraten sei. Familienpolitik ist für Rosenkranz nicht als Ausgabenpolitik zu betrachten, sondern als Investitionspolitik. Zugleich sei Familienpolitik aber auch viel mehr als nur die Sicherung der ökonomischen Grundlagen des Staates, da jeder Mensch darauf angewiesen sei, unter seinesgleichen leben zu können. In gut funktionierende Familien gedeihen Kinder am besten. Daher sollte es der Politik ein Anliegen sein, dass die Eltern zumindest in den frühen Lebensjahren des Kindes bei ihren Kindern bleiben können. Keine noch so gute Krippe und kein noch so guter Kindergarten könne das Engagement der Eltern für ihr eigenes Kind ersetzen, zeigte sich die Abgeordnete überzeugt und warnte davor, die Einheit zwischen Mutter und Kind "aufgrund von ideologischen Scheuklappen" zu relativieren.

Bundesminister für Soziale Sicherheit und Generationen Mag. HAUPT leitete seine Ausführungen mit der Aussage ein, das Schicksal des Staates hänge vom Zustand der Familien ab. Diese alte Erkenntnis habe sich auch unter modernen Bedingungen bestätigt. Daher sei es ein öffentliches Anliegen, die Rahmenbedingungen für die Familien zu verbessern. Die Familien haben große Bedeutung für den Zusammenhalt der Generationen und bieten dem Einzelnen Schutz und soziale Sicherheit. Minister Haupt bekannte sich zu einer umfassenden politischen Verantwortung für die Familien, die in der Sicherheitspolitik beginne und über die Sicherung der Arbeitsplätze und Rahmenbedingungen für die Familien bis zur Pflege der älteren Mitbürger reiche. Mit ihren Maßnahmen habe die Bundesregierung Österreich in der Familienpolitik an die Weltspitze geführt. Allen Unkenrufen zum Trotz habe sich die Einführung des Kinderbetreuungsgeldes als erfolgreich herausgestellt, sagte der Sozialminister und verwies auf eine Zunahme der Geburten um 3,6 %. Die Bundesregierung wird das Familienland Österreich weiter ausbauen, kündigte der Minister an und wies konkret auf Absichten zur Verbesserung de Unterstützung von Mehrlingsgeburten und die Erhöhung der Entscheidungsfreiheit für Eltern hin. Haupt bekannte sich auch dazu, Kinderbetreuungszeiten im Ausmaß von 24 Monaten (derzeit 18 Monate) als pensionsbegründend gelten zu lassen. Denn es sei ihm ein wichtiges Anliegen, die Wahlfreiheit der Menschen in ihrer Lebensgestaltung zu sichern.

Abgeordnete STEIBL (V) gab ihrer Freude darüber Ausdruck, dass es der Bundesregierung unter der Führung Wolfgang Schüssels gelungen sei, Österreich zum familienfreundlichsten Land Europas zu machen. Die Geburtenrate sei wieder gestiegen, obwohl sie im Jahr 2002 in der EU um 0,8 % zurückgegangen sei. Die Zahl der Bezieher des Kinderbetreuungsgeldes habe sich verdoppelt, zugenommen habe auch die Väterkarenz, was der Volkspartei ganz besonders wichtig sei. Den Vorwurf, das Kinderbetreuungsgeld dränge Frauen "zurück an den Herd", wies die Abgeordnete mit dem Hinweis darauf zurück, dass die Frauenerwerbstätigkeit nicht zurückgegangen sei, obwohl viel mehr Frauen das Kinderbetreuungsgeld in Anspruch nehmen als zuvor das Karenzgeld. Zu einer familienfreundlichen Politik zählen laut Steibl auch Maßnahmen für familienfreundliche Arbeitsplätze, die Ausdehnung der Öffnungszeiten von Kindergärten und der Ausbau der Betreuungseinrichtungen in den schulfreien Zeiten. Im internationalen Jahr der Familie 2004 wird sich die Regierung schwerpunktmäßig mit der Familienpolitik befassen und konsequent ihr Ziel weiterverfolgen, Österreich zum familienfreundlichsten Land der Welt zu machen, schloss Steibl.

Als "gelernte Österreicherin" warnte Abgeordnete Mag. KUNTZL (S) vor einem familienpolitischen Schwerpunkt dieser Regierung und meinte, Familienpolitik sei für sie mehr als das Kinderbetreuungsgeld. Was die österreichischen Familien heute wirklich bewege, sei die Sorge, sich in ihrer Lebensplanung auf nichts mehr verlassen zu können. Kein Wort habe der Minister über die versprochenen Nachbesserungen bei der Pensionsreform gesagt, klagte Kuntzl und zeigte sich entsetzt darüber, dass die ohnehin niedrigen Durchschnittspensionen - für Frauen 760 Euro, für Männer 1.400 Euro - um 20 % bis 30 % niedriger werden sollen. "Wie sollen die Pensionisten ihren Alltag bestreiten, wenn die Regierung ihnen soviel Geld wegnimmt, wenn gleichzeitig die Mieten immer teurer werden und Selbstbehalte bei jedem Arztbesuch eingeführt werden sollen?", fragte Abgeordnete Kuntzl.

Abgeordnete Dr. BLECKMANN (F) forderte ihre Vorrednerin auf, zuzugeben, dass es die SPÖ in ihrer 30-jährigen Regierungsverantwortung verabsäumt habe, Maßnahmen zugunsten der Familien zu setzen. Die schlechte Lage vieler Familien und allein erziehender Frauen sei das Ergebnis sozialdemokratischer Politik. Die Freiheitlichen hingegen wollen das Pensionssystem langfristig sichern und dafür sorgen, dass der Generationenvertrag eingehalten wird. Während die Sozialdemokraten es verabsäumt haben, Kindererziehungszeiten in die Pensionsbegründung einzubeziehen, sei dies der FPÖ gelungen und künftig werde der Zeitraum von 18 Monaten auf 24 Monate ausgedehnt. Die FPÖ halte ihre Wahlversprechen, sie stärke die Familien und sichere die Pensionen, während die SPÖ Verunsicherung betreibe.

Abgeordnete MANDAK (G) gab zu bedenken, dass die Zahl der Scheidungen steige, die Armut der AlleinerzieherInnen und der Familien mit mehreren Kindern zunehme und die Chancen von Frauen, nach der Zeit der Kindererziehung in den Beruf zurückzukehren, abnehme. Das Kinderbetreuungsgeld werde nur von sehr wenigen Vätern in Anspruch genommen, klagte die Abgeordnete weiter und sprach von einer zunehmenden Tendenz, die Kindererziehung noch stärker zur alleinigen Aufgabe der Frauen zu machen. Von "Wahlfreiheit" zu sprechen, sei angesichts solcher Realitäten reine Augenauswischerei. In vielen Gemeinden gebe es keine ausreichenden Kinderbetreuungseinrichtungen, kritisierte Mandak und wies es zurück, von Wahlfreiheit zu sprechen, wo Frauen mangels eigenständiger Altersvorsorge - wie sie die Grünen vehement fordern - gar keine Möglichkeit haben, Entscheidungen zu treffen.

Abgeordnete Mag. SCHEUCHER-PICHLER (V) beschrieb die österreichischen Frauen als Frauen mit Gefühl und Engagement, die daran interessiert seien, Familie und Beruf zu vereinbaren. Die Tendenz der Grünen, Familienpolitik gegen Frauenpolitik auszuspielen, bedauerte die Rednerin und unterstrich die Wertschätzung ihrer Fraktion für die Familien - Familienpolitik und Frauenpolitik haben für die ÖVP einen gemeinsamen Kern. Scheucher-Pichler erinnerte an das Eintreten der Volkspartei dafür, dass alle Frauen, auch Hausfrauen und Studentinnen, das Kinderbetreuungsgeld erhalten und sprach weitere Dimensionen der Familienpolitik an: eine bessere Betreuung der Zehn- bis Fünfzehnjährigen und neue Formen der Kinderbetreuung, die den Herausforderungen der Arbeitswelt besser gerecht werden. Sie unterstrich die Forderung nach Teilzeitbeschäftigung bis zum Schuleintritt der Kinder und sprach sich dafür aus, dass Frauen keine Nachteile bei ihrer Pensionsbemessung wegen Kindererziehungszeiten haben sollen.

Abgeordnete HEINISCH-HOSEK (S) gestand, ein "mulmiges Gefühl" zu haben, da der Bundeskanzler in wenigen Minuten die Details der großen "Pensionskürzungsreform" bekannt geben werde, und nannte das Beispiel einer Familie, in der Mann mit 20 %, die Frau mit 36 % und die beruftätige Tochter mit 30 % Pensionskürzung rechnen müsse. Die SPÖ habe in ihrer 30-jährigen Regierungsverantwortung viele Maßnahmen für die Familien und für die Kinder gesetzt. Die schwarz-blaue Regierung habe lediglich das Kinderbetreuungsgeld eingeführt und sage bis heute kein Wort zu den Verbesserungen, die notwendig seien, um die Probleme zu vermeiden, die das Kinderbetreuungsgeld für Frauen beim Wiedereintritt in den Beruf gebracht habe.

  

Abgeordneter DOLINSCHEK (F) bekannt sich nachdrücklich dazu, die Leistungen anzuerkennen, die von Familien und Frauen vielfach unbezahlt erbracht werden. Die FPÖ trete für eine echte Wahlfreiheit ein, betonte Dolinschek und erinnerte daran, welchen Meilenstein das Kinderbetreuungsgeld in der österreichischen Familienpolitik darstelle. Die Regierung habe sich aber nicht darauf beschränkt, sondern auch die Heimfahrtbeihilfe neu eingeführt und sie überdies auch Lehrlingen zugänglich gemacht. Dazu komme die Familienhospizkarenz und das Pflegegeld für Kinder ab dem Zeitpunkt der Geburt. In Zukunft soll das Kinderbetreuungsgeld bei Mehrlingsgeburten erhöht werden. "Wir werden weiter für die Familien arbeiten - unterstützen Sie uns dabei", lautete Dolinscheks Appell an die Abgeordneten.

Abgeordnete Mag. WEINZINGER (G) kritisierte den Familienbegriff von Vizekanzler Haupt, da dieser von der Realität der Familien weit entfernt sei. Heute gebe es viele AlleinerzieherInnen, Patchwork-Familien oder gleichgeschlechtliche Partnerschaften, sagte Weinzinger. Einen Aspekt der Familienrealität wollte die Grün-Mandatarin besonders hervorheben, nämlich die Gewalt. Für 300.000 Frauen bedeute Familie nicht Schutz, sondern Gewalt von Männern und Angehörigen, von vier Mädchen würde eines sexuell misshandelt. Die Bundesregierung streiche aber Unterstützungen, kürze Projekte und sperre entsprechende Einrichtungen zu. Derzeit, so Weinzinger, werde das patriachalische Familienmodell gefördert, in dem die Familie als eine ökonomische Einheit gesehen werde, und in der die Frauen wieder abhängig würden. In diesem Sinne wäre es ihrer Meinung nach konsequent, das Familiensplitting einzuführen.

Im Gegensatz zu den Versprechungen antworte die Bundesregierung auf die Familienarbeit mit einer Pensionsreform, die eine klare Schlechterstellung für Frauen bedeute, betonte Weinzinger. Die Aussagen von Bundesministerin Rauch-Kallat, es werde keine Schlechterstellung für Frauen geben, erachte sie daher als zynisch. Welchen Wert Familienbetreuung habe, zeige sich auch darin, dass die Kinderbetreuungszeiten trotz Steigerung bei der Anrechnung noch immer weit weniger wert als der Präsenzdienst seien. Die Steigerung mache im Übrigen ca. 12,5 % im Jahr aus, meinte Weinzinger abschließend.

Eingangs der Sitzung nahm Nationalratspräsident Dr. Khol folgende Angelobungen vor: Abgeordnete Mag. Brigid WEINZINGER (G) folgt Dr. Madeleine Petrovic nach, Abgeordneter Johann LEDOLTER (V) Dr. Ernst Strasser und Abgeordneter Martin PREINEDER (V) Mag.  Johanna Mikl-Leitner.

Abgeordnete Brigid Weinzinger wird in unserer heutigen Aussendung Nr. 241 vorgestellt; die Porträts der Neoabgeordneten Johann Ledolter und Martin Preineder - beide haben bisher ihr Bundesland Niederösterreich in der Länderkammer vertreten - wurden bereits in der PK am 14.1.1999/Nr. 14 bzw. am 3.1.2003/Nr. 2 veröffentlicht. (Schluss)