Parlamentskorrespondenz Nr. 257 vom 30.04.2003

EU-AUSSCHUSS: PRO UND CONTRA EINER EUROPÄISCHEN STAATSANWALTSCHAFT

Wie soll Betrug mit EU-Geldern effizient geahndet werden?

Wien (PK) - Zu einer ausführlichen und tief greifenden Diskussion über pro und contra einer Europäischen Staatsanwaltschaft kam es heute im Ständigen Unterausschuss in Angelegenheiten der Europäischen Union. Grundlage dafür war das Grünbuch zum strafrechtlichen Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und zur Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft.

Die beiden Oppositionsparteien SPÖ und Grüne sprachen sich für eine solche Institution mit zwei klar begrenzten Funktionen aus: die rechtsstaatliche Kontrolle von Europol und die Verfolgung von Delikten gegen die finanziellen Interessen der Union, sofern sie im zuständigen Mitgliedsstaat nicht oder nicht effizient genug verfolgt werden. Damit soll, so die Argumentation, gewährleistet werden, dass es tatsächlich zur Strafverfolgung kommt, zumal es vor allem im grenzüberschreitenden Bereich große Probleme gebe und in manchen Beitrittsländern noch immer ein rechtsstaatliches Defizit vorhanden sei. Eine effiziente Verfolgung liege auch im Interesse der SteuerzahlerInnen und des Nettozahlers Österreich. SPÖ und Grüne brachten dazu auch einen gemeinsamen Antrag auf Stellungsnahme ein, der jedoch bei der Abstimmung nicht die erforderliche Mehrheit fand.

Die Regierungsfraktionen und der Bundesminister für Justiz Dieter Böhmdorfer hielten dem gegenüber fest, dass eine Europäische Staatsanwaltschaft eine neue supranationale Behörde darstellen würde, von der man nicht wisse, wem sie verantwortlich sei. Sie befürchten darüber hinaus eine Aushöhlung der hohen rechtsstaatlichen Standards in Österreich und meinten, dass man für ein subsidiäres Anklagerecht keiner eigenen Staatsanwaltschaft auf europäischer Ebene bedürfe. In manchen Bereichen könne sich die EU jetzt schon einklinken. Der Justizminister trat darüber hinaus dafür ein, der EU die Position eines Privatbeteiligten in Strafverfahren einzuräumen.

SPÖ UND GRÜNE: EFFIZIENTE VERFOLGUNG VON BETRUGSDELIKTEN IM INTERESSE DER STEUERZAHLER

Abgeordneter Caspar Einem (S) führte aus, dass der Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der EU jährliche Schäden in der Höhe von etwa 1 Mrd. Euro verursache. Die Tendenz sei steigend. Die derzeitigen Rechtsinstrumente der EU gestatteten jedoch keine wirksame Bekämpfung des Betrugs. So würden derzeit nur etwa 5 % der insgesamt von OLAF behandelten Fälle von nationalen Justizbehörden aufgegriffen. Dies führe auch zu einem Glaubwürdigkeitsdefizit bei den Menschen. Das Problem könne sich durch die neuen Mitgliedsstaaten verschärfen, da in einigen die Bemühungen um ein effizientes Justizsystem noch nicht sehr erfolgreich verlaufen seien.

Abgeordnete Evelin Lichtenberger (G) räumte ein, dass es unterschiedliche Rechtssysteme in den Mitgliedsstaaten gebe, sie halte eine europäische Staatsanwaltschaft jedoch für notwendig, um konzentriert gegen Verstöße gegen die Interessen der EU und ihrer Steuerzahler vorgehen zu können. In den Mitgliedsstaaten existierten nämlich keine Systeme, die in die EU implementiert werden könnten. Gleichzeitig stellte Lichtenberger aber klar, dass sie sich lediglich für den im Antrag genannten begrenzten Kompetenzbereich ausspreche und strikt gegen den Präsidiumsvorschlag des EU-Konvents sei, der die Funktion der Europäischen Staatsanwaltschaft sogar bis zum Familienrecht vorsehe. Auch sie wies darauf hin, dass die mangelnde Bekämpfung der Korruption zu einem immer größeren Akzeptanzdefizit bei den EU-BürgerInnen führen werde.

ÖVP UND FPÖ: KEINE NEUE BEHÖRDE; GEFAHR DER AUSHÖHLUNG HOHER STANDARDS

Massive Bedenken gegen eine Europäische Staatsanwaltschaft äußerte Abgeordnete Maria Theresia Fekter (V). Ihr sei es bei dem Gedanken "nicht gut", dass eine Europäische Staatsanwaltschaft mit der Philosophie und den Rechtsgrundsätzen der EU in Österreich handeln könne, sagte sie. So herrsche in Österreich das Legalitätsprinzip vor, in anderen Ländern wiederum das Opportunitätsprinzip. Österreich sei vielen europäischen Ländern im Bereich des Strafrechts, zum Beispiel durch die Einführung der Diversion, voraus. Mit einer supranationalen Staatsanwaltschaft würde die innerstaatliche gute strafrechtliche Ahndung unterlaufen werden. Ein weiteres Problem stelle das Subsidiaritätsprinzip dar. Sie, Fekter, befürchte Verschlechterungen in Österreich, um in anderen Ländern etwas zu verbessern, und das sei unverhältnismäßig. Für ein subsidiäres Anklagerecht brauche man auch keine Europäische Staatsanwaltschaft, da sich die EU in manchen Bereichen jetzt schon einklinken könne. Für problematisch halte sie es auch, dass diese Staatsanwaltschaft nach dem Grünbuch niemandem verantwortlich sein soll. Außerdem würden durch eine solche neue Institution mit der Kompetenz, Finanzdelikte zu verfolgen, andere Delikte wie Kindesmissbrauch oder Gewaltdelikte plötzlich zu Delikten zweiter Klasse gestempelt.

Dieser Argumentation schloss sich Abgeordneter Reinhard Eugen Bösch (F) an und bemerkte, dass auch andere Staaten wie Dänemark, Frankreich und Großbritannien gegen eine neue Institution seien. Anstatt eine neue Behörde zu schaffen, sollte man von den Beitrittsländern verlangen, eine subsidiäre Anklagemöglichkeit für die EU einzurichten. Das Anliegen der Kommission müsse es auch sein, den Missbrauch bei seinen Wurzeln zu verhindern, nämlich in den Nationalstaaten.

Auch Justizminister Dieter Böhmdorfer wandte sich vehement gegen eine neue supranationale Behörde, nur weil man in anderen Staaten den Rechtsstaat nicht verwirklicht habe. Es sei Tatsache, dass in sechs von zehn Beitrittsländern ein rechtsstaatlicher Rückstand zu verzeichnen sei, und dort müsse man ansetzen. Böhmdorfer thematisierte ebenfalls die ungelöste Frage der Verantwortlichkeit dieser Staatsanwaltschaft, wenn sie etwa in Österreich Hausdurchsuchungen beantrage oder Haftbefehle ausstelle. Allein die Umgestaltung des Weisungsrechtes, sagte der Justizminister, bedürfe einer Veränderung des Bundes-Verfassungsgesetzes. Böhmdorfer beklagte in diesem Zusammenhang explizit das Mehrheitsprinzip in der EU in strafrechtlichen Angelegenheiten. Selbstverständlich unterstütze er das gemeinsame Ziel einer ordentlichen Subventionsverwaltung, weshalb er auch vorschlage, der EU die Position eines Privatbeteiligten im Strafverfahren einzuräumen. Dort könne sie Beweisanträge stellen und Rechtsmittel ergreifen.

KOALITION: ZU VIELE GRÜNDE SPRECHEN GEGEN EINE EU-STAATSANWALTSCHAFT

OPPOSITION: ES GEHT UM DEN ZUGANG ZUM GERICHT

Nach dieser ersten Darlegung der Standpunkte entwickelte sich eine intensive Diskussion über die jeweiligen Argumente.

So meinte etwa Abgeordneter Peter Schieder (S), dass viele Einwände der Regierungsfraktionen richtig seien. Diese gälten aber nur für die weit reichenden Kompetenzen einer Europäischen Staatsanwaltschaft, die nicht einmal das Grünbuch und schon gar nicht der Antrag vorsähe. Man brauche eine kumulierte Vorgangsweise, die sicher stelle, dass es zu keiner Einmischung komme, wo das System funktioniere. Wo dies nicht der Fall sei, müsste man die Möglichkeit zur Einleitung eines Verfahrens durch die Europäische Staatsanwaltschaft eröffnen. Es gehe ganz einfach um den Zugang zum Gericht. Abgeordneter Caspar Einem (S) ergänzte, dass es Delikte gebe, in die Institutionen verwickelt seien, die die Verfolgung hintan halten können. Einem unterstrich vehement, dass bei den vorliegenden Betrugsfällen wir alle die Betrogenen seien. Keinesfalls wolle man eine europäische materiell-rechtliche Regelung, und man könne davon ausgehen, dass der Konvent die Fragen der Rechtsstaatlichkeit und Verantwortlichkeit ausführlich diskutiere und auch entsprechende Regelungen vorsehen werde.

Abgeordneter Johann Maier (S) legte anhand von Beispielen dar, dass es derzeit nicht möglich sei, zu kontrollieren, wie die Betrügereien in Österreich tatsächlich behandelt würden, und wie viele Geldmittel zurückgeholt würden. Der Europäische Rechnungshof kritisiere immer wieder, dass es in vielen Mitgliedsstaaten, darunter auch in Österreich, nicht zu einem Verfahren komme. Dies würde durch ungeklärte Zuständigkeiten, insbesondere bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten, dazu führen, dass Strafverfahren unterblieben. Auch OLAF beklage die mangelnden Kontrollbefugnisse, wie die Länder ihre Gelder verwalten. Mit den Beitrittsländern würde es zu zusätzlichen Problemen kommen.

Abgeordnete Evelin Lichtenberger (G) plädierte dafür, an der Weiterentwicklung der Europäischen Staatsanwaltschaft konstruktiv mitzuwirken und sie nicht von vornherein abzulehnen. Nur so könne man erreichen, dass hohe Rechtsstandards gewahrt würden. Denn selbstverständlich bedürfe eine Europäische Staatsanwaltschaft guter, klar begrenzter und auf der Basis hoher Standards formulierter Rahmenbedingungen. Man müsse sich im Klaren darüber sein, so Lichtenberger, dass Österreich mit einer Entwicklung konfrontiert sei, die unsere Rechtsstandards betreffe. Diese schütze man am besten, wenn man sich jetzt einbringe.

Keinen Grund, ein besonderes Rechtsinstrument der Kommission zu schaffen, die selbst Schwierigkeiten habe, in ihren eigenen Reihen die Korruption zu bekämpfen, sah auch Abgeordneter Hermann Schultes (V). Er meine daher, dass der Respekt vor der Eigenrechtlichkeit der Mitgliedsstaaten gewahrt werden sollte, und wolle nicht, dass die Kommission ihre Interessen noch mehr durchsetze. Dies veranlasste Caspar Einem (S) zur Bemerkung, dass die Gelder der Kommission die Gelder der Mitgliedsländer und damit von deren Steuerzahlern seien.

Abgeordneter Werner Fasslabend (V) gab zu, dass vieles für und vieles gegen eine Europäische Staatsanwaltschaft spreche. Bei der Abwägung aller Argumente müsse er aber sagen, dass die Zeit dafür noch nicht reif sei. Auch Bundesminister Dieter Böhmdorfer sprach sich noch einmal vehement gegen eine solche neue Behörde aus und argumentierte, dass Österreich damit eine neue Institution bezahlen und Teile der Souveränität aufgeben müsste. Vielmehr sollte man auf die Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit in allen Ländern drängen. (Schluss)