Parlamentskorrespondenz Nr. 265 vom 05.05.2003

GEDENKVERANSTALTUNG GEGEN GEWALT UND RASSISMUS IM PARLAMENT

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Wien (PK) - "Vergiss das Wort, vergiss das Land. Flucht und Exil im Spiegel österreichischer Literatur." Unter diesem Motto stand heuer die Gedenkveranstaltung gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus, die heute im historischen Sitzungssaal des Parlaments abgehalten wurde.

Neben Reden von Nationalratspräsident Andreas Khol (Wortlaut siehe PK Nr. 266!) und Bundesratspräsident Herwig Hösele (Wortlaut siehe PK Nr. 267!) stand ein umfangreiches kulturelles Programm im Mittelpunkt der Veranstaltung, für welches das Kantoralensemble Wien und der Schauspieler Miguel Herz-Kestranek verantwortlich zeichneten.

Den Auftakt des künstlerischen Rahmenprogramms machte das Kantoralensemble Wien unter der Leitung von Dirigent Rami Langer, das eine Schubert-Vertonung des 92. Psalms ("Tow L´hodos") in hebräischer Sprache darbot. Danach folgte eine Lesung von Texten österreichischer Autorinnen und Autoren, die zwischen 1938 und 1945 von den Nationalsozialisten ins Exil gezwungen und/oder verfolgt wurden. Gelesen wurden die literarischen Stücke von Miguel Herz-Kestranek, Vizepräsident des österreichischen P.E.N.-Klubs, der selbst Spross einer verfolgten und in die Emigration gedrängten Familie ist.

Die Lesung begann mit einem Text von Hermann Broch (1886-1951), der 1938 in die USA zu emigrieren gezwungen gewesen war. Es folgten Texte von Alfred Polgar (1873-1955), der 1938 in die Schweiz und weiter nach Frankreich geflüchtet war, ehe er 1940 in die USA reiste, von wo er zwar 1949 nach Europa zurückkehrte, allerdings, um sich wieder in der Schweiz niederzulassen. Auch Mimi Grossberg (1905-1997), die 1938 in die USA ausgewandert war, kehrte nach 1945 nicht mehr nach Österreich zurück. Sie starb in New York.

Walter Lindenbaum, von dem Herz-Kestranek das Gedicht "Juden am Bahnhof" vortrug, war im Alter von 38 Jahren von den Nazis im KZ Buchenwald ermordet worden. Von Berthold Viertel (1885-1953), der über Frankreich und Großbritannien in die USA geflüchtet war, stammt das Motto der Lesung, heißt es doch in seinem Gedicht "Auswanderer": "Wir sind, mein Kind, nie mehr zuhause. Vergiss das Wort, vergiss das Land und mach im Herzen eine Pause. Dann gehen wir. Wohin? Unbekannt."

Nach einem Poem von Stella Rotenberg, die 1916 in Wien geboren wurde und heute in Großbritannien lebt, rezitierte der Künstler Jean Amery (1912-1978), der als einer der wenigen vertriebenen Literaten später nach Österreich zurückgekehrt war und der in seinem Essay "Jenseits von Schuld und Sühne" die Frage stellte: "Wieviel Heimat braucht der Mensch?" Erich Fried (1921-1988) lieferte zwar ein "Bekenntnis zu Wien" ab, doch auch er blieb nach 1945 im Ausland.

Weiters las Herz-Kestranek Werke von Theodor Kramer (1897-1958) und Hilde Spiel (1911-1990), Friedrich Torberg (1908-1979) und Alfred Farau (1904-1972), um schließlich mit Hermann Broch zu enden: "Die Zurückführung des Menschen in das offene System der Humanität ist die Aufgabe der Demokratie."

Zum Abschluss des künstlerischen Teils kam wieder das Kantoralensemble zu Wort, das Franz Schuberts "Glaube, Hoffnung und Liebe" intonierte, welches dieser aus Anlass der Glockenweihe der Dreifaltigkeitskirche 1828 komponiert hatte. (Fortsetzung)