Parlamentskorrespondenz Nr. 504 vom 01.07.2003

LIEBSCHER: KEINE DEFIZITAUSWEITUNG FÜR STEUERREFORM

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Wien (PK) - Geldpolitik für sich genommen sei nicht in der Lage, allein für dauerhaftes und nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung im Euro-Währungsgebiet zu sorgen. Vielmehr seien Strukturreformen, die grundlegende Schwächen beseitigen und dringend erforderliche Anpassungen in Angriff nehmen, unerlässlicher Input zur Förderung des Wirtschaftswachstums. Eine nachhaltige Eindämmung des Ausgabenwachstums würde letztendlich auch für weiteren Spielraum sorgen, um den künftigen, vom Pensions- und Gesundheitsbereich ausgehenden Druck zu vermindern und künftige Steuersenkungen durchzuführen. Eine Steuerreform dürfe allerdings nicht das Ziel des Stabilitäts- und Wachstumspaktes in Frage stellen, sondern müsse durch Ausgabenkürzungen gegenfinanziert werden. Das war eine der zentralen Aussagen des Gouverneurs der Österreichischen Nationalbank Klaus Liebscher, die er heute gegenüber den Mitgliedern des Finanzausschusses machte.

Liebscher trat dafür ein, den stabilitätsorientierten Konsolidierungskurs in Österreich grundsätzlich fortzusetzen, diesen jedoch kurzfristig nicht zu überziehen. Das für heuer prognostizierte Defizit sei zwar kein ausgeglichenes Budget, liege aber innerhalb der zulässigen Grenzen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und gefährde diesen auch nicht. Unbestritten bleibe für ihn, dass die Bundesregierung weiterhin bestrebt sein müsse, die Ziele des Stabilitäts- und Wachstumspaktes im Sinne von mittelfristig ausgeglichenen Budgets strikt einzuhalten.

Demgegenüber argumentierte der dritte Präsident des Nationalrates Thomas Prinzhorn, dass eine Steuersenkung durchaus kurzfristig zur Ausweitung der Verschuldung führen könne. Er regte an, die Möglichkeiten des Stabilitätspaktes voll auszuschöpfen. Angeordneter Christoph Matznetter (S) wiederum kritisierte die Schwächung der Massenkaufkraft durch die Maßnahmen der Bundesregierung und forderte Schritte zu einer effizienteren Verwaltung ein, wodurch gleiche staatliche Leistungen billiger würden.

LIEBSCHER GEGEN VORZIEHEN DER STEUERREFORM - KEINE DEFLATIONSGEFAHR

Hinsichtlich des Vorziehens der Steuerreform zeigte sich Liebscher eher skeptisch. Für ihn stelle sich die Frage, ob eine derartige Maßnahme vor dem Hintergrund eines unsicheren Szenarios tatsächlich die erwünschten Erwartungen erfüllen werde, oder ob sie nicht eher zu einer Steigerung der Sparquote beitrage.

Eine Deflationsgefahr für den Euro-Raum sieht Liebscher nicht, auch wenn es, wie er sagte, durchaus sein könne, dass die Inflationsrate in der einen oder anderen Region niedrig oder sehr niedrig sein werde. Anlass zur Sorge sei dies nicht, sondern es verbessere sogar die Wettbewerbssituation. Er ging damit auf eine Frage des Abgeordneten Dietmar Hoscher (S) ein.

GEBREMSTE WACHSTUMSAUSSICHTEN FÜR ÖSTERREICH

Die Entwicklung der Weltkonjunktur gestaltet sich nach den Aussagen Liebschers weiterhin schwierig, jedoch sei vorsichtiger Optimismus durchaus angebracht. Während sich die Wirtschaft der USA nur zögerlich entwickle und auch in Europa derzeit wenig Anzeichen für einen raschen Konjunkturaufschwung zu erkennen seien, entwickelten sich die Wirtschaften der EU-Beitrittsländer sowie Russlands dynamisch. Der vorsichtige Optimismus für die europäische Konjunktur gründe sich auf den deutlich verbesserten Ifo-Geschäftklimaindex im Juni 2003.

Österreich, so Liebscher, könne sich von diesen mäßigen internationalen Rahmenbedingungen nicht abkoppeln, dennoch zeige die Republik insgesamt eine "gute Performance" und schneide bei den wichtigsten makroökonomischen Zielsetzungen gegenüber der EU vergleichsweise recht gut ab. So weise Österreich bei der Inflation, der Arbeitslosigkeit, dem Budgetdefizit und der Leistungsbilanz Werte auf, die teilweise besser bzw. im guten europäischen Mittelfeld lägen. Selbst beim Wirtschaftswachstum habe die österreichische Wirtschaft die markante Schwäche seiner traditionellen Exportmärkte, Deutschland, Italien und Schweiz, durch eine zeitgerechte und starke Positionierung in Mittel- und Osteuropa teilweise kompensieren können.

Der neue OeNB-Konjunkturindikator erwarte sich für Österreich ein reales BIP-Wachstum in der Höhe von 0,2 % im zweiten Quartal 2003, womit sich die Wachstumsschwäche der letzten beiden Jahre auch in der ersten Jahreshälfte 2003 fortsetze. Im Jahr 2003 ist nach der Einschätzung des Gouverneurs mit einer realen BIP-Zunahme von 0,7 % zu rechnen, erst für die Jahre 2004 und 2005 erwarte man eine Beschleunigung auf 1,6 bzw. 2,5 %.

OPPOSITION FÜR AKTIVERE WÄHRUNGSPOLITIK - LIEBSCHER GEGEN AKTIONISTISCHE GELDPOLITIK

Mit leichter Kritik ging Abgeordneter Christoph Matznetter (S) auf die Aussagen Liebschers ein, indem er auf die Bereitschaft der USA hinwies, im Interesse einer Steuersenkung Defizite zu machen. Er vermisste auch eine selbstkritische Reflexion über die letzten Jahre der EZB-Politik, ob das Korsett, das Europa derzeit habe, auch für die Zukunft Geltung haben solle. Er selbst bezweifelte die Sinnhaftigkeit, durch einschneidende Maßnahmen im Pensions- und Gesundheitssystem die Massenkaufkraft zu schwächen und durch Verängstigung die Sparquote zu erhöhen. Damit erreiche man eher das Gegenteil einer florierenden Volkswirtschaft, sagte Matznetter. Seiner Meinung nach sollte die EZB mehr aktive Wirtschaftspolitik betreiben und weniger Priorität auf die Währungsstabilität setzen. Er hält es auch für falsch, mit Zinssenkungen deshalb so lange zuzuwarten, um die Unabhängigkeit gegenüber den Finanzministern der Mitgliedsstaaten unter Beweis zu stellen.

Mit ähnlich kritischem Unterton äußerten sich seine Klubkollegen Dietmar Hoscher und Hans Moser. Hoscher forderte insbesondere konkrete Maßnahmen, um das Vertrauen der Wirtschaft zu stärken und sprach die Vermutung aus, dass sich die derzeitige Geldpolitik und Maastricht-Kriterien mit der Lissabon-Strategie zur Ankurbelung der Beschäftigung nicht vereinbaren lassen. Auch Moser bezeichnete das Maastricht-Korsett als dramatisch und mahnte eine aktivere Zins- und Währungspolitik ein. Ein "Strukturputsch" bedürfe begleitender Maßnahmen, sagte er und betonte die Notwendigkeit nationaler Schritte, zumal man 2003 praktisch mit einem Nullwachstum rechnen müsse.

Demgegenüber verteidigte Gouverneur Liebscher die Geldpolitik der EZB und verlieh abermals seiner Überzeugung Ausdruck, dass die Strategie bisher richtig gewesen sei. Dezidiert lehnte er es ab, eine aktionistische Geldpolitik zu betreiben. Die Aufgabe der Notenbank könne es nicht sein, Ersatz für die Konjunkturpolitik zu spielen. Sie habe für Preisstabilität zu sorgen, was der beste Beitrag für das Wachstum und für die Stärkung des Vertrauens der KonsumentInnen sei.

LIEBSCHER: EURO-DOLLAR-KURS NÄHERT SICH DER NORMALITÄT AN

Abgeordneter Alexander Van der Bellen (G) replizierte auf die Aussagen Liebschers, wonach der EZB-Rat klargestellt habe, dass er beim Streben nach Preisstabilität darauf abzielen werde, mittelfristig eine Preissteigerungsrate von "unter, aber nahe 2 %" beizubehalten. Liebscher bestätigte in seiner Antwort später diese Interpretation und unterstrich, dass die EZB keineswegs eine Entwicklung in Richtung 0 % anstrebe. Van der Bellen schnitt auch den Euro-Dollar-Wechselkurs an und fragte, was da passiert sei, denn aus ökonomischen Daten könne die Entwicklung des Dollar-Kurses nicht herausgelesen werden.

Wie Van der Bellen ging Präsident Thomas Prinzhorn (F) auf die mittel- und kurzfristige Wirksamkeit von Zinssenkungen ein und meinte, dass diese von gravierender Bedeutung seien, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt erfolgten. Auch teilte er den Optimismus Liebschers hinsichtlich der Auswirkungen des Euro-Dollar-Kurses nicht.

Dazu führte Liebscher aus, dass der derzeitige Wechselkurs historisch nicht sensationell sei und erinnerte daran, dass ein Dollar schon einmal zwanzig Schilling wert gewesen ist. Der jetzige Wechselkurs bedeute sicherlich eine Verschärfung für die Exporteure, man nähere sich jedoch eher der Normalsituation. Momentan seien wir der Realität näher als wir es vor zwei Jahren gewesen seien. Zur Wirksamkeit von Zinssenkungen bemerkte Klaus Liebscher, dass diese nie eine kurzfristige Angelegenheit seien, sondern langfristig wirkten. Über Investitionen entschieden nicht allein niedrige Zinsen, sondern hier spielten auch andere Faktoren eine Rolle.

LIEBSCHER WARNT VOR ENTWICKLUNG BEI DEN FREMDWÄHRUNGSKREDITEN

Abgeordneter Jakob Auer (V) sprach die Wichtigkeit des Vertrauens der KonsumentInnen in Österreich an und erkundigte sich nach der Entwicklung der Fremdwährungskredite vor allem im Hinblick auf die privaten Haushalte.

Die Frage der Fremdwährungskredite bereitet dem Gouverneur der Nationalbank insofern Sorgen, als diese zunehmend von Privaten in Anspruch genommen werden, ohne ein Ansicherungsinstrument zu haben. Das Kursrisiko dürfe nicht unterschätzt werden, sagte der Gouverneur, und vor allem wiesen einige Banken einen hohen Anteil ihrer Bilanzsumme an Fremdwährungskrediten auf. Der Marktanteil des Schweizer Frankens liege bei den Fremdwährungskrediten bei 30 %, des Yen bei 40 % und des Euro bei 3 %. Er habe zwar keine Instrumente gegenzusteuern, wolle aber eine Warnung aussprechen, dass hier für den Konsumenten ein großes Risiko bestehe.

Gegenüber der Kritik insbesondere durch die SPÖ-Abgeordneten verteidigte Staatssekretär Alfred Finz die Politik der Bundesregierung. Diese habe zwei Konjunkturpakete auf die Schiene gebracht, die Steuerreform zum richtigen Zeitpunkt realisiert und die Kaufkraft durch  eine vernünftige Pensionsreform und das Kinderbetreuungsgeld gestärkt. Er könne nicht verstehen, dass manche Politiker die Pensionsreform weiter hinausschieben wollen, da sämtliche Experten die Auffassung verträten, diese hätte bereits viel früher erfolgen müssen. Nicht die Pensionsreform an sich mache den Leuten Angst, sondern die verantwortungslose Gegenpropaganda. Er könne auch die Auffassung Matznetters nicht teilen, wonach die Wirtschaftspolitik der USA, die auf Kosten anderer Länder erfolge, beispielgebend sei.

LIEBSCHER: ERFOLGREICHE GELDPOLITIK DER EZB

In seinen anfänglichen Ausführungen war Liebscher näher auf die Geldpolitik des Euro-Systems im Kontext der konjunkturellen Situation und auf die konjunkturelle Einschätzung für Österreich im Umfeld der Weltwirtschaftslage eingegangen.

Dank einer umsichtigen und vorausschauenden Geldpolitik des EZB-Rates habe man im Euro-Raum Preisstabilität gewährleisten und damit Kaufkraft erhalten können. Die durchschnittliche Inflationsrate im Jahr 2003 habe 2,3 % betragen. Der EZB-Rat habe die Leitzinsen im Zeitraum Dezember 2002 bis Juni 2003 um insgesamt 125 Basispunkte zurückgenommen und habe damit nominell wie real das niedrigste Niveau seit 1945 erreicht. Die EZB gehe davon aus, dass das Wachstum im heurigen Jahr schwach bleiben werde, sich im zweiten Halbjahr 2003 schrittweise erholen und sich dann im Jahr 2004 beschleunigen könne. Liebscher unterstrich dabei, dass diese Prognosen aufgrund der Akkumulation von makroökonomischen Ungleichgewichten außerhalb des Euro-Raums, der Unsicherheit über den Restrukturierungsbedarf des Unternehmenssektors im Euro-Gebiet und der in Asien herrschenden Lungenkrankheit SARS unsicher seien. Für das Jahr 2003 sei eine Inflationsrate von 1,8 % bis 2,2 % zu erwarten, die sich im Jahr 2004 auf 0,7 % bis 1,9 % verlangsamen dürfte.

Liebscher wies eindringlich darauf hin, dass der Euro-Raum einer langfristigen stabilitätssichernden Wirtschaftspolitik bedarf, um im verschärften internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig zu bleiben. Auf mittlerer Sicht müssten daher die Ziele des Stabilitäts- und Wachstumspaktes im Sinne von mittelfristig ausgeglichenen Budgets strikt eingehalten werden.

Die geldpolitische Strategie der EZB bestehe aus drei Hauptelementen: Einer quantitativen Definition von Preisstabilität, einer herausragenden Rolle der Geldmenge bei der Beurteilung der Risiken für die Preisstabilität und einer breit angelegten Beurteilung der Aussichten für die Preisentwicklung. Die über vier Jahre lang erfolgte Umsetzung dieser Strategie sei zufrieden stellend, so Liebscher.

Die Weltkonjunktur bezeichnete Liebscher als zögerlich und nannte die Wachstumsaussichten für Österreich "gebremst". Von den USA gehe noch kein wirtschaftlicher Schwung aus, laut aktueller Prognosen erwarte man jedoch für 2003 rund 2 % Wachstum und gehe von einer Beschleunigung auf bis zu 4 % im Jahr 2004 aus. Japan habe zwar ein leichtes Wirtschaftswachstum zu verzeichnen, die Gefahr, dass das Land in die Rezession zurückfalle, sei jedoch noch nicht gebannt. Im übrigen asiatischen Raum seien die Wachstumsaussichten jedoch vergleichsweise besser, vor allem expandiere Chinas Wirtschaft kräftig.

Die Aufwertung des Euro wirke sich auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Euro-Raumes aus, sagte Liebscher, wobei vor allem Deutschland betroffen sei. Die EU-Kommission gehe daher in ihrer Prognose von einem Wachstum im dritten Quartal 2003 von jeweils 0 bis 0,4 % aus (Vorquartalsvergleich). Die makroökonomische Projektion des Euro-Systems erwarte für das Jahr 2003 ein Wirtschaftswachstum in der Bandbreite von 0,4 % bis 1 % und für das Jahr 2004 eine Bandbreite von 1,1 % bis 2,1 %.

Für Österreich betrug das BIP-Wachstum im ersten Quartal 2003 0,5 % im Vorjahresvergleich. Die aktuellen Konjunkturumfragen deuteten noch nicht auf eine Verbesserung hin. Das Ansteigen der KFZ-Zulassungen von über 8 % im heurigen Jahr signalisierten jedoch Impulse seitens des privaten Konsums, sagte Liebscher. Der private Konsum wachse aber eher mäßig und werde über einen Rückgang der Sparquote finanziert. Man erwarte sich jedoch für das Jahr 2004 ein Ansteigen der heimischen Nachfrage. Auch für die Exportaktivitäten würden erst 2004 und 2005 wesentliche Steigerungen prognostiziert. Insgesamt rechne man noch im Jahr 2003 mit einem schwachen Wachstum von 0,7 %, erst 2004 und 2005 werde eine Beschleunigung auf 1,6 % bzw. 2,5 % erwartet. Auch die Beschäftigung werde erst im Jahr 2004 wieder zunehmen und man gehe von einer Arbeitslosenquote von 4,4 % sowohl für das Jahr 2003 als auch für das Jahr 2004 aus. Durch die sinkende Teuerungsrate auf knapp 1 % zähle Österreich zu den Ländern mit den günstigsten Inflationsaussichten im Euro-Raum.

Abschließend trat Liebscher nochmals für eine nachhaltige Eindämmung des Ausgabenwachstums ein und bezeichnete die jüngst beschlossene Pensionsreform als einen "wichtigen Meilenstein". Als weitere geeignete Strukturmaßnahmen für Österreich nannte er die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte und der Ladenöffnungszeiten, die Entbürokratisierung sowie Anreize für Innovation, Forschung und Entwicklung und Bildung.

Die Aussprache mit dem Gouverneur der Nationalbank über geld- und währungspolitische Maßnahmen erfolgte auf Grund § 32 Abs. 5 des Nationalbankgesetzes und gemäß § 34 Abs. 5 der Geschäftsordnung des Nationalrates. (Schluss)