Parlamentskorrespondenz Nr. 561 vom 09.07.2003

ALLE FRAKTIONEN FÜR EIN BEHINDERTEN-GLEICHSTELLUNGSGESETZ

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Wien (PK) – Der nächste Punkt der Tagesordnung betraf den V-F- Antrag betreffend die Änderung der Nationalrats-Wahlordnung 1992, des Bundespräsidentenwahlgesetzes 1971, der Europawahlordnung, des Wählerevidenzgesetzes 1973, des Europa-Wählerevidenzgesetzes, des Volksbegehrengesetzes 1973, des Volksabstimmungsgesetzes 1972 und des Volksbefragungsgesetzes 1989.

Die Sozialdemokraten können dem Antrag leider nicht zustimmen, bedauerte Abgeordneter PRÄHAUSER (S), weil man der Auffassung sei, dass die kleinen Gemeinden eindeutig gegenüber den größeren Städten bevorzugt werden. In Niederösterreich z.B. wurden in der Vergangenheit bereits einige Vereinfachungen durchgeführt, was auch gut funktioniert habe. Im vorliegenden Gesetz gebe es zwar einige administrative Erleichterungen, diese führen jedoch zu keinen echten Einsparungen, urteilte der S-Redner. Er verstehe auch nicht, warum nicht gleich die Klarstellung der Stichtage für die Erstwähler heute beschlossen wird, zumal man eine Vier-Parteien-Einigung erreichen hätte können.

Es werde zwar immer Bürokratieabbau und eine Modernisierung der Verwaltung gefordert, aber wenn man spürbare und rasche Erleichterungen für die Gemeinden einführen will, dann stimmen die Sozialdemokraten nicht zu, gab Abgeordneter Jakob AUER (V) zu bedenken. Waren bisher etwa 24 Blätter notwendig, um den Stundennachweis für die Mitarbeiter zu erbringen, so soll es in Hinkunft eine automatische Pauschalierung geben. Er könne sich der Argumentation der SPÖ nicht anschließen, denn warum sollen in einer größeren Stadt wie z.B. in Wien höhere Kosten anfallen. Sodann brachte er noch einen V-F-Abänderungsantrag ein, der u.a. eine unverzügliche Weiterleitung der Pauschalentschädigungen an die Gemeinden vorsieht.

Abgeordnete Dr. GLAWISCHNIG (G) sprach von einer sehr oberflächlichen Vorbereitung des Gesetzes. Es wurde wenig Datenmaterial zur Verfügung gestellt, das belegen könnte, warum genau diese Pauschalierung gewählt wurde und warum man der Forderung des Gemeindebundes zu 100 % entspricht und der Forderung des Städtebundes nicht. Grundsätzlich sei die Pauschalierung jedoch gut und richtig, meinte Glawischnig, denn sie erspare Kosten im Verwaltungsbereich. Die Grünen hätten dem Gesetz gerne zugestimmt, wenn es mehr Transparenz bei der Diskussion gegeben hätte.

Aufgrund des hohen Verwaltungsaufwandes bei den Wahlkostenersätzen sei es nicht sinnvoll, die bisherige Regelung weiterzuführen, stellte Abgeordneter SCHEIBNER (F) fest. Natürlich sind kleinere Gemeinden krass benachteiligt gewesen, weil sie geringere Ressourcen und nur eingeschränkte Möglichkeiten haben, flexible Lösungen zu finden. Was den Wahlrechtsänderungsantrag betrifft, so hätte er es sich auch gewünscht, diesen Punkt auf die Tagesordnung zu setzen. In einer der ersten Nationalratssitzungen im Herbst soll jedoch über das Wahlrecht und die vorgesehenen Änderungen ausführlich diskutiert werden, kündigte er an.

Abgeordneter KRAINER (S) bedauerte, dass der Antrag bezüglich der Wahlrechtsänderung heute nicht eingebracht wurde. Er wies zudem darauf hin, dass der im Ausschuss eingebrachte Vier-Parteien-Antrag zu 90 % dem SPÖ-Antrag vom März entspricht. Er unterstütze natürlich die Intention, unnötige bürokratische Vorschriften abzubauen, unterstrich Krainer. Der vorliegende Antrag führe jedoch dazu, dass Ungleiches gleich behandelt werde. Denn eine Wahl in einem Dorf mit einigen hundert Einwohnern könne nicht mit einer Wahl z.B. in Klagenfurt verglichen werden, wo Wahllokale angemietet werden müssen.

Entscheidend sei doch, dass die Wahlkosten aufgrund des hohen Verwaltungsaufwandes pauschaliert werden, erklärte Abgeordneter Mag. LANGREITER (V). Insbesondere den kleinen Gemeinden werde nun auch die Möglichkeit eröffnet, einen Wahlkostenersatz zu bekommen. Er verstehe daher nicht, warum die Opposition dieser sinnvollen Maßnahme nicht zustimmen könne.

Abgeordnete MACHNE (V) illustrierte anhand des Wahlkostenersatzbescheides für die Gemeinde Piesting den großen bürokratischen Aufwand, den die bisherige Regelung verursachte. Es sei höchste Zeit, dass ein einfach zu vollziehendes und gerechtes Gesetz erlassen wird.

Die Aussagen des Kollegen Krainer zeugen davon, dass er von der Materie keine Ahnung hat, urteilte Abgeordneter Dr. LOPATKA (V). Der Antrag der Regierungsparteien sei ein Beitrag zu mehr Gerechtigkeit zwischen den großen und den kleinen Gemeinden, war der Redner überzeugt. Das Ziel der Bundesregierung sei es zudem eine möglichst hohe Wahlbeteiligung zu erreichen. In diesem Punkt sind die kleinen Gemeinden weit effizienter als die Bundeshauptstadt Wien, unterstrich er. Lopatka bedauerte zudem, dass die SPÖ beim Briefwahlrecht auf der Bremse steht.

Die zur Diskussion stehende Neuregelung der Wahlordnung sei ein klassisches Beispiel für den Bürokratieabbau in Österreich, stellte Staatssekretär Mag. SCHWEITZER fest. Die bisher gültige Regelung habe zur Benachteiligung kleinerer Gemeinden geführt und es habe auch sehr große Schwankungsbreiten hinsichtlich der Bezahlung der Mitarbeiter gegeben. Der hohe Verwaltungsaufwand insbesondere bei der Vergütung der Kosten für die Führung der Wählerevidenz habe insgesamt 1.500 Gemeinden davon abgehalten, einen Antrag zu stellen, gab Schweitzer zu bedenken. Für den Bund sei diese Maßnahme aufkommensneutral. Nur für jene Gemeinden, die sich bisher wenig Gedanken um die Kosten gemacht haben, werde es ein wenig problematisch.

Der vorliegenden Gesetzentwurf wurde unter Berücksichtigung des V-F-Abänderungsantrages vom Nationalrat mit den Stimmen der beiden Koalitionsparteien verabschiedet.

In der Debatte über den Vier-Parteien- Entschließungsantrag betreffend Einsetzung einer Arbeitsgruppe beim Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes zur Erarbeitung eines Behinderten-Gleichstellungsgesetzes unter Einbindung von selbst betroffenen Experten betonte Abgeordneter Dr. HUAINIGG (V), die Regierung habe es sich zur Aufgabe gemacht, die Lebenssituation behinderter Menschen zu verbessern. Der Artikel 7 der Bundesverfassung, dem zufolge niemand aufgrund seiner Behinderung diskriminiert werden dürfe, solle mit Leben erfüllt werden. Zu diesem Zweck sei eine Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung eines Behinderten-Gleichstellungsgesetzes eingesetzt worden. Wichtig ist für Huainigg, dass dort auch Betroffene mitarbeiten und ihre Lebenserfahrung einbringen können.

Dass die Arbeitsgruppe noch sehr viel Arbeit vor sich hat, zeigen Huainigg zufolge immer wieder stattfindende Vorkommnisse im Alltag. So könne es passieren, dass man, wie es jüngst eine Rollstuhlfahrerin erlebt hat, im Flugzeug einfach nicht mitgenommen werde. Geistig Behinderte hätten keinen Verein gründen dürfen, weil sie alle "besachwaltet" waren. Ein wichtiges Anliegen ist dem Abgeordneten auch die Anerkennung der Gebärdensprache.

Abgeordnete Mag. LAPP (S) gab zu bedenken, dass Menschen mit Behinderungen immer wieder diskriminiert und benachteiligt würden. So komme es nach wie vor vor, dass behinderte Menschen aus Lokalen verwiesen würden. Die Gesellschaft trachte danach, Behinderungen durch Therapien und andere Maßnahmen auszugleichen, statt die Rahmenbedingungen für Behinderte zu ändern, kritisierte sie.

Lapp unterstrich, es liege in der Verantwortung des Parlaments, dass ein Behinderten-Gleichstellungsgesetz beschlossen werde. In diesem Sinn hält sie es für wichtig, dass "nicht im Nacktschneckentempo gearbeitet wird". Als wichtigen Punkt eines Behinderten-Gleichstellungsgesetzes sieht die Abgeordnete, Behindertenverbänden die Möglichkeit einzuräumen, im Falle von Diskriminierungen Verbandsklagen einzubringen, damit behinderte Menschen ihre Interessen besser durchsetzen könnten.

Abgeordnete Dr. PARTIK-PABLE (F) hielt fest, andere europäische Staaten seien, was die Behandlung von behinderten Menschen betrifft, weit vor Österreich. Dort sei für Behinderte möglich, was in Österreich noch nicht selbstverständlich sei: am ganz gewöhnlichen Leben teilzunehmen. Ziel aller Maßnahmen in diesem Bereich muss es ihr zufolge sein, behinderte Menschen "vom armen Hascherl" zu selbstbewussten, gleichberechtigten Menschen zu machen, die ihre Rechte auch einklagen könnten.

Sie sei sich bewusst, dass das ein schwieriges Unterfangen sei und dass dafür ein einzelnes Gesetz nicht ausreichen werde, meinte Partik-Pable. Die Schwierigkeit für Behinderte, am normalen Leben teilzunehmen, ergibt sich ihrer Ansicht nach nicht zuletzt auch aus der Unsensibilität nichtbehinderter Menschen.

Abgeordnete HAIDLMAYR (G) machte geltend, dass sie seit 1997 für ein Behinderten-Gleichstellungsgesetz kämpfe. Unter dem Motto "steter Tropfen höhlt den Stein" seien irgendwann "die Ohren der anderen Parteien aufgegangen", skizzierte sie. Begrüßt wurde von Haidlmayr, dass in die Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung eines Behinderten-Gleichstellungsgesetzes auch der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes einbezogen wird. Ihr zufolge ist das eine unabdingbare Forderung der Grünen gewesen.

Für besonders wichtig erachtet es die Abgeordnete, dass den Behinderten kein Gesetzentwurf vorgesetzt wird, den sie nicht wesentlich selbst mitgestaltet haben. Zudem sprach sie sich für die Anerkennung der Gebärdensprache aus.

Abgeordnete GRANDER (V) konstatierte, die Stellung von Behinderten in der Gesellschaft habe sich in den letzten Jahren stark verändert. Vorurteile und gegenseitige Ressentiments konnten ihrer Auffassung nach reduziert werden. Behinderte Menschen seien von unsichtbaren Bürgern zu sichtbaren Mitmenschen geworden. Grander zufolge hat die Bundesregierung ein umfangreiches Maßnahmenpaket geschnürt, um die Lebenssituation behinderter Menschen weiter zu verbessern. Neben der Erarbeitung eines Behinderten-Gleichstellungsgesetzes stellte sie auch die Anerkennung der Gebärdensprache in Aussicht.

Staatssekretär Mag. SCHWEITZER verwies darauf, dass die Bundesregierung die Erarbeitung eines Behinderten-Gleichstellungsgesetzes in ihr Regierungsprogramm aufgenommen habe. Inzwischen sei im Sozialministerium eine Arbeitsgruppe eingerichtet worden, an der auch Mitarbeiter des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramtes teilnehmen.

Abgeordnete HAIDLMAYR (G) stellte in einer tatsächlichen Berichtigung klar, dass die Arbeitsgruppe im Vizekanzleramt angesiedelt sei und nicht im Sozialministerium.

Die dem Bericht des Verfassungsausschusses beigedruckte Entschließung wurde vom Nationalrat einstimmig angenommen. (Fortsetzung)