Parlamentskorrespondenz Nr. 571 vom 10.07.2003

NATIONALRATSSITZUNG BEGINNT MIT EINWENDUNGSDEBATTE

----

Wien (PK) - Nationalratspräsident Dr. KHOL eröffnete die 29. Nationalratssitzung und wies zunächst auf eine Neuerung im Plenarsaal hin: Die Stirnseite des Saales schmückt seit heute nicht nur die rot-weiß-rote Fahne der Republik Österreich, sondern auch die blau-goldene der Europäischen Union.

Die Mitteilung von Präsident Khol, dass Bundeskanzler Schüssel und Infrastrukturminister Gorbach, die Absicht haben, zu Beginn der Sitzung Erklärungen "Zur wirtschaftlichen Lage und Maßnahmen für den Wirtschaftsstandort Österreich" abzugeben, veranlasste SP-Klubobmann Dr. CAP, Einwendungen gegen die Tagesordnung zu erheben und darüber eine Debatte zu verlangen. Cap meinte, statt des Bundeskanzlers und des Verkehrsministers wären der Finanzminister und der Wirtschaftsminister berufen, sich zur wirtschaftlichen Lage zu äußern.

Der Klubobmann der Grünen, Abgeordneter Dr. VAN DER BELLEN, schloss sich Cap an. Er wollte das Recht von Ministern, Erklärungen abzugeben, nicht in Zweifel ziehen, kritisierte aber die Art, wie bei der Änderung der Tagesordnung vorgegangen wurde. "Wenn das Schule macht, wird ein geordneter parlamentarischer Ablauf unmöglich".

Die Klubobleute der Koalitionsparteien, Mag. MOLTERER (V) und SCHEIBNER (F) begrüßten hingegen die angekündigten Erklärungen, weil sie die Möglichkeit geben, die wichtigsten Fragen des Landes, Wirtschaft und Arbeit, zu diskutieren. Molterer und Scheibner bedauerten unisono, dass die Opposition darüber nicht debattieren wolle.

DIE EINWENDUNGSDEBATTE

Die Einwendungsdebatte eröffnete V-Abgeordneter Dr. LOPATKA mit dem Vorwurf an die SPÖ, sie habe "Phantomschmerzen, weil die wirtschaftspolitische Kompetenz bei Ihnen amputiert ist". Die ÖVP hingegen betrachte die Fragen der Wirtschaft und der Beschäftigung als Schlüssel dafür, dass es den Menschen in unserem Land gut geht; daher sei es richtig, über die wirtschaftliche Lage und Maßnahmen für den Wirtschaftsstandort zu diskutieren. Die ÖVP nehme dieses Thema ernst, sie setze ihre Kompetenz dafür ein, das sei im Interesse der Österreicher und der Österreicherinnen. Lopatka forderte die SPÖ auf, sich nicht darauf zu beschränken, einzelne Minister anzugreifen, und damit aufzuhören, wirtschaftspolitisch notwendige Reformen zu blockieren. "Es geht um Wachstum und Arbeitsplätze!" sagte der Abgeordnete.

Abgeordneter Dr. CAP (S) warf Abgeordnetem Lopatka Themenverfehlung vor. Er habe eine Hilfsrede für den Bundeskanzler gehalten. Die SPÖ sei für eine Erklärung zur wirtschaftlichen Lage, zuständig dafür sei aber der Finanzminister. Karl-Heinz Grasser halte aber um 10 Uhr eine Pressekonferenz zum Thema ÖIAG, statt dem Parlament zur Verfügung zu stehen. Die Regierung wolle den Finanzminister "verstecken", weil er nicht mehr in der Lage sei, sich zur wirtschaftlichen Lage zu äußern. Er komme wegen seiner vielen Malversationen nicht mehr dazu, sich um die Wirtschaft und die Menschen zu kümmern. "Die Menschen brauchen keine Regierung, die sich dauernd mit sich selbst beschäftige und sich nur noch darum kümmert, dass ihr Finanzminister nicht zurücktreten muss".

Abgeordneter SCHEIBNER (F) gab den Vorwurf der Themenverfehlung an Cap zurück und verteidigte das geschäftsordnungsmäßige Recht des Bundeskanzlers und des Infrastrukturministers, jederzeit Erklärungen im Nationalrat abzugeben. Die Argumentation der SPÖ sei widersprüchlich, weil sie einerseits zugebe, dass es wichtig sei, über die Wirtschaft zu diskutieren, aber trotzdem Einwendungen gegen eine Tagesordnung erhebe, die das vorsehe. Der FPÖ sei diese Diskussion wichtig, weil sie sich ihrer Verantwortung für den Wirtschaftsstandort bewusst sei, der SPÖ hingegen gehe es nur um Parteipolitik. Er könne auch nichts Skandalöses daran erkennen, wenn der Finanzminister eine Pressekonferenz zum Thema ÖIAG abhält, fügte Scheibner hinzu.

Abgeordneter Dr. VAN DER BELLEN (G) erinnerte die FPÖ daran, welches Donnerwetter sie gemacht hätte, wäre ihr in ihrer Oppositionszeit ein Finanzminister gegenüber gestanden, der nur 10 % der Probleme gehabt hätte, mit denen Karl-Heinz Grasser derzeit kämpfe. Es sei wichtig über die wirtschaftliche Lage zu diskutieren, sagte der Abgeordnete, dies sei aber einerseits bereits vor zwei Tagen geschehen, andererseits stünden heute ein Dutzend Tagesordnungspunkte mit Themen aus dem Bereich des Infrastrukturministers auf dem Programm - Minister Gorbach brauche nicht noch einen 13. Tagesordnungspunkt. Wenn diese Vorgangsweise einreiße, sei eine Planung des parlamentarischen Prozedere nicht mehr möglich. Abschließend ging Van der Bellen auf die Causa Grasser ein und sagte, Grasser habe von Banken Honorare für Vorträge erhalten, damit das Erwerbsverbot umgegangen und sich dem Verdacht der Steuerhinterziehung ausgesetzt. Es stelle sich auch die Frage, ob es in Ordnung sei, dass der Finanzminister, der für die Bankenaufsicht zuständig sei, sich von Banken bezahlen lasse. Er geniere sich für die ÖVP, die das in Ordnung finde und darin kein Thema für den Unvereinbarkeitsausschuss sehe, sagte Van der Bellen.

Abgeordneter GRILLITSCH (V) hielt es für notwendig, den Menschen darzulegen, in welchem Zustand die Bundesregierung den Wirtschaftsstandort übernommen habe, und was sie bisher erreicht habe. Die Menschen wollen, dass Entscheidungen getroffen werden und sie wollen wissen, was realpolitisch machbar sei. Grillitsch gratulierte dem Bundeskanzler, mit dem Schuldenmachen und den Steuererhöhungen Schluss gemacht zu haben. Die Leistungen der Bundesregierung können sich sehen lassen, sagte Grillitsch, erinnerte an den Beschluss des Doppelbudgets und der Pensionsreform und an die vielen zukunftsorientierten Entscheidungen zur Stabilisierung der Entwicklung im ländlichen Raum. Grillitsch machte  auf das Ergebnis der Verhandlungen zur GAP-Reform aufmerksam und warf der SPÖ vor, keine anderen Vorschläge zu haben als Schulden zu machen und bäuerliche Einkommen zu kürzen. Grillitsch will die Potenziale des ländlichen Raumes sowie neue Technologien nutzen, um den Menschen Arbeit zu geben und stellte dazu fest: "Wir sind auf dem richtigen Weg".

Abgeordneter BROUKAL (S) meinte, die Regierungsparteien verteidigten den Finanzminister deshalb, weil er für den Kern ihrer Wirtschaftspolitik stehe. "Wir lehnen das Verscherbeln von Betrieben ab", sagte Broukal. "Wir haben keine Phantomschmerzen, sondern reale Schmerzen und Sorgen", dass die Freunde des Karl-Heinz Grasser Betriebe zerschneiden, zerstören und filetieren. Auch für Broukal war es ein Skandal, dass der Finanzminister nicht anwesend sei. Am Nachmittag werde Minister Grasser bei der Dringlichen Anfrage die Fragen beantworten, "die Sie ihn jetzt nicht beantworten lassen wollen", schloss der Redner.   

Die Bemerkung des Abgeordneten Broukal, auch Präsident Khol habe Unbehagen darüber geäußert, dass sich die Regierung in der öffentlichen Darstellung Vorteile gegenüber den Abgeordneten verschaffe, wies Präsident Dr. KHOL zurück, er habe als Präsident weder Behagen noch Unbehagen.

Abgeordnete Dr. PARTIK-PABLE (F) vermisste ernsthafte Begründungen für die Einwendungen der Opposition gegen die vorliegende Tagesordnung. Auch könne sie nicht erkennen, wieso es einen Skandal darstelle, wenn der Finanzminister eine Pressekonferenz abhält. Auch die Klagen der Opposition über die Abwesenheit des Finanzministers seien nicht gerechtfertigt. Er sei stets anwesend, wenn die Opposition Dringliche Anfragen und Misstrauensanträge gegen ihn einbringe. Die FPÖ mache niemandem die Mauer, wie die Opposition sage, der Unterausschuss des Rechnungshofausschusses werde morgen tagen und es werde alles geprüft werden. "Wir wollen aber nicht, dass eine Menschenhatz angezettelt wird, ohne dass klar ist, worum es eigentlich geht". Zu den Erklärungen des Bundeskanzlers und des Infrastrukturministers stellte Partik-Pable fest, die Abgeordneten sollten die Gelegenheit nützen, über die wirtschaftliche Lage Auskunft zu erhalten, um darüber zu diskutieren. Es sei wichtig darzustellen, dass Österreich zu den Ländern mit dem geringsten Defizit und den meisten Unternehmensgründungen zähle.

Abgeordneter ÖLLINGER (G) sah den Skandal im Fall Grasser darin, wieviel Geld der Finanzminister für seine Präsentationen ausgebe, dass er lieber mit Journalisten über die ÖIAG diskutiere als mit Abgeordneten "und dass er als oberstes Aufsichtsorgan für die Banken bei den Banken um Spenden keilt". Öllinger unterstrich einmal mehr die Notwendigkeit, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Man müsse klären, ob es bei der Finanzierung der persönlichen Homepage von Karl-Heinz Grasser sauber und korrekt zugegangen sei. Grasser habe Geld von der Industriellenvereinigung für seine Homepage genommen und den Magna-Vertreter Wolf in den ÖIAG-Aufsichtsrat entsandt. "Ein Finanzminister, der nicht einmal seine eigenen Steuern unter Kontrolle hat, muss zurücktreten", schloss Öllinger.

Bei der Abstimmung wurde weder den S- noch den G-Einwendungen Rechnung getragen. Somit blieb es bei der ausgegebenen Tagesordnung für die heutige Sitzung.

(Schluss Einwendungsdebatte/Forts. NR)