Parlamentskorrespondenz Nr. 732 vom 14.10.2003

UMWELTAUSSCHUSS STARTET ARBEIT ZUM VOLKSBEGEHREN ATOMFREIES EUROPA

Unterausschuss will bis Dezember 4-Parteien-Antrag erarbeiten

Wien (PK) - Der Umweltausschuss nahm heute Mittag unter der Vorsitzführung seiner Obfrau Eva Glawischnig das Volksbegehren "Atomfreies Europa" (206 d.B.) in Verhandlung und beschloss auf Antrag des Abgeordneten Mattias Ellmauer (VP) einstimmig, das Volksbegehren in einem Unterausschuss vorzuberaten. Dieser Unterausschuss wurde unmittelbar nach der Ausschusssitzung in der Stärke von 5 VP-, 4 SP- und je einem Abgeordneten von FPÖ und Grünen  konstituiert, wobei Eva Glawischnig und Karlheinz Kopf jeweils einstimmig zu Obfrau und Obfrau-Stellvertreter gewählt wurden.

Die öffentliche Generaldebatte, mit der der Unterausschuss seine Arbeit sogleich aufnahm, eröffneten die Vertreter des Volksbegehrens, Erwin Mayer und Bernhard Drumel.

BERNHARD DRUMEL: ÖSTRREICH SOLL IN BRÜSSEL MIT EINER STIMME SPRECHEN

Es sei der richtige Zeitpunkt, sich mit dem Thema "atomfreies Europa" zu befassen, sagte Bernhard Drumel, weil wichtige europäische Entscheidungen in der Sache anstehen, in der das Parlament eine zentrale Rolle spielen und die Bundesregierung gebunden werden solle. "Die Anti-Atom-Politik darf auf europäischer Ebene keine Verhandlungsmasse sein", lautete das Credo Drumels. Denn Österreich könne in der europäischen Anti-Atompolitik eine größere Rolle als bisher spielen, sagte Drumel und sprach seinen Wunsch nach einem parteiübergreifenden Konsens aus. "Die Atompolitik soll nicht zum Zankapfel der Parteipolitik werden. Österreich soll mit einer Stimme sprechen".

ERWIN MAYER: MINISTERBINDUNG KEIN NOVUM IN DER VERFASSUNG ÖSTERREICHS

Erwin Mayer ging dann konkret auf die zentralen atompolitischen Entscheidungen ein, die auf europäischer Ebene getroffen werden. Es gehe um die Zukunft des Euratom-Vertrages, der die Vormachtstellung der Atomindustrie in Europa beschütze. Auf Österreich werde es in der Frage ankommen, ob die EURATOM-Kredite aufgestockt werden. Überdies sollen schon im kommenden Frühjahr ein "Nuklearpaket" mit einer Kommissionierungsrichtlinie und einer Atommülldeponierungsrichtlinie beschlossen werden. Dabei hoffe die Atomindustrie, dass ihre größten Stolpersteine auf dem Weg zum Bau neuer und zur Erneuerung alter AKWs beseitigt werden können.

Wegen des prononcierten bilateralen Auftretens Österreichs in der Atompolitik habe Europa die Möglichkeiten bilateralen Engagements eingeschränkt und nach Brüssel verlagert. Dieser Umstand erfordere konsequenterweise, auch die Anti-AKW-Politik künftig in Brüssel stattfinden zu lassen, erklärte Mayer.

Das Anliegen einer Ministerbindung stelle im österreichischen Verfassungsrecht nichts Neues dar, führte Mayer aus, der Hauptausschuss habe etwa die Möglichkeit, einem Minister zu sagen, was er in Brüssel zu tun habe. Auch die Atomfreiheit sei in der österreichischen Verfassung verankert. Dem Volksbegehren gehe es darum, die Minister in den entscheidenden Brüsseler Gremien, vor allem in den Räten, an einen strikten Anti-Atom-Kurs zu binden. Auch Erwin Mayer äußerte die Hoffnung auf einen Vier-Parteien-Konsens und wies abschließend auf positive Reaktionen aus den Bundesländern für die Anliegen des Volksbegehrens hin.

KARLHEINZ KOPF: ZU ENGE AUFTRÄGE AN MINISTER SIND KONTRAPRODUKTIV

Abgeordneter Karl-Heinz Kopf (V) hielt für die Volkspartei fest, dass sie dieses Volksbegehren sehr ernst nehme und sich für eine ausführliche Debatte darüber einsetze, wobei Kopf an den klaren politischen Auftrag des Atomsperrgesetzes erinnerte. Zu eng gefasste Aufträge hinsichtlich des Verhaltens von Ministern könnten aber Bindungen mit sich bringen, die zum Gegenteil des gewünschten Effekts führen können, befürchtete Kopf. "Wenn ein Minister ohne Spielraum am Verhandlungstisch sitzt, kann das dazu führen, dass Schritte in die richtige politische Richtung verhindert werden".

Dass es nicht zu einem europäischen Atomausstieg gekommen sei, liege nicht an Österreich, sondern an anderen Ländern, die sich dagegen vehement wehren, stellte Kopf klar und äußerte Bedenken dagegen, das Verhalten von Bundesministern verfassungsrechtlich festzulegen. Die Minister seien ohnehin dem Parlament verantwortlich. Die Bundesverfassung sei nicht dazu da, das Verhalten von Ministern so eng und apodiktisch festzuschreiben. Inhaltlich identifizierte sich Abgeordneter Kopf mit der Zielsetzung des Volksbegehrens und brachte seinerseits die Hoffnung auf einen gemeinsamen Vier-Parteien-Antrag bis zur Sitzung des Umweltausschusses im Dezember dieses Jahres zum Ausdruck.

ULRIKE SIMA: WIR BRAUCHEN EINE NEUE ANTI-ATOM-STRATEGIE 

Abgeordnete Ulrike Sima (S) besprach das Volksbegehren positiv und hielt fest, dass sie den EURATOM-Vertrag als Schlüssel der Anti-AKW-Politik betrachte. Der Ansatz, ein Kernkraftwerk nach dem anderen einzeln zu bekämpfen sei gescheitert, bekannte Sima und betonte die Notwendigkeit einer neuen Strategie, wobei sie darauf hinwies, dass Kernkraftwerke so lange gebaut werden, so lange es dafür europäische Kredite gebe. In diesem Zusammenhang zeigte sich die Abgeordnete besorgt darüber, dass es im Dezember möglicherweise schon zu spät sein und dann bereits wichtige Entscheidungen in Europa gefallen sein könnten. Der Ministerbindung könne sie etwas abgewinnen, sagte Sima, sie könnte eine Rückenstärkung für den Minister darstellen und müsste nicht als Einschränkung empfunden werden.

ELKE ACHLEITNER: FPÖ NUR FÜR AUSSTIEGSSZENARIEN BEREIT

Abgeordnete Elke Achleitner (F) unterstrich die eindeutige Haltung der Freiheitlichen in der Anti-Atom-Politik, die auch darin zum Ausdruck komme, dass ihre Partei in der Diskussion um den EURATOM-Vertrag nur zur Unterstützung von Ausstiegsszenarien bereit sei. Beim Volksbegehren gegen Temelin habe ihre Partei die Unterstützung der anderen Parteien vermisst, sagte Achleitner und berichtete vom großen Wunsch ihres Bundeslandes Oberösterreich, einen gemeinsamen 4-Parteien-Antrag zu Stande zu bringen.

EVA GLAWISCHNIG FÜR HARTES VERFASSUNGSRECHT STATT SCHÖNER WORTE 

Abgeordnete Eva Glawischnig (G) sah die im Volksbegehren vorgesehene Ergänzung der Bundesverfassung positiv. Die Atomfreiheit sei in der Bundesverfassung mehrfach verankert, es fehle nicht an Verfassungspathos und schönen Worten, aber an "hartem Verfassungsrecht mit konsequenten Wirkungen". Denn man könne sich nicht immer sicher sein, dass die Vertreter Österreichs in Brüssel immer einen Anti-Atom-Kurs vertreten, sagte Glawischnig und nannte als mögliches Beispiel etwa einen Finanzminister, der sich im ECOFIN  "irrt oder falsch beraten ist". Konkret machte die Abgeordnete auf unterschiedliches Abstimmungsverhalten der österreichischen Abgeordneten im Europäischen Parlament und auf EURATOM-Beschlüsse zugunsten der Kernfusion aufmerksam. Bei Temelin etwa sei die Rechtsverbindlichkeit des Brüsseler Abkommens zwar versprochen und beteuert worden, aber nicht zustande gekommen. Es sei daher gut, eine "verfassungsrechtliche Wirbelsäule" in die österreichische Anti-AKW-Politik einzuziehen.

Abschließend ging Erwin Mayer auf die vorgebrachten Argumente gegen eine Ministerbindung ein. Er verstehe die Sorge um die notwendige Flexibilität in der Anti-AKW-Politik nicht. Es bestehe keine Gefahr, dass Minister wegen verhandlungstaktischen Verhaltens vom Verfassungsgerichtshof verurteilt würden, die Ministerbindung sei vielmehr als Rückenstärkung und Unterstützung der Bundesregierung in der Anti-AKW-Politik zu verstehen. Das Volksbegehren sei nicht gegen die Regierung gerichtet, hielt der Proponent des Volksbegehrens fest.

DAS VOLKSBEGEHREN "ATOMFREIES EUROPA"

"Der Nationalrat wolle durch verfassungsgesetzliche Maßnahmen sicherstellen, dass die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung verpflichtet sind, sich bei Verhandlungen und Abstimmungen in der Europäischen Union für einen Ausstieg der E U-Mitgliedsstaaten aus der Kernenergienutzung einzusetzen". So lautet der Text des Volksbegehrens "Atomfreies Europa", das von 131.772 Österreichern unterstützt wurde und damit die Grenze von 100.000 Stimmen übersprang, was den Nationalrat zur Behandlung des Volksbegehrens verpflichtet.

In der Begründung erinnern die Initiatoren des Volksbegehrens an den breiten gesellschaftlichen Konsens gegen die militärische und friedliche Nutzung der Kernenergie in Österreich, den der Nationalrat durch die Verabschiedung des "Bundesverfassungsgesetzes für ein atomfreies Österreich" zum Ausdruck gebracht hat.

Im Hinblick auf die andere rechtliche und faktische Lage in der Europäischen Union, in der acht Staaten KKWs betreiben, von denen Frankreich, Finnland und Großbritannien nicht beabsichtigen, aus der Atomenergie auszusteigen und sieben der zwölf Beitrittsländer und -kandidaten (Bulgarien, Litauen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn) KKWs in Betrieb haben, zielt das Volksbegehren auf eine rechtlich verbindliche Weichenstellung zu einem "atomfreien Europa". Konkret verlangen die Initiatoren einen Genehmigungsstopp für neue Anlagen und die Festlegung verbindlicher Stilllegungstermine für bestehende Anlagen auf der Ebene der Europäischen Union.

Durch eine Änderung des Bundesverfassungsgesetzes für ein atomfreies Österreich sollen die Regierungsmitglieder darauf verpflichtet werden, auf den Ausstieg der Mitgliedstaaten aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie hinzuwirken, wobei ein solcher Ausstiegsbeschluss auf Vorschlag der Kommission vom Rat einstimmig zu fassen wäre.

Zudem sollen die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung für die Integration des Euratom-Vertrages in den EG-Vertrag eintreten müssen, um dafür zu sorgen, dass die vom Euratom-Vertrag erfassten Industriezweige den Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages, von denen sie bislang ausgenommen sind, unterliegen.

Um die neue Verpflichtung der Regierungsmitglieder, auf EU-Ebene für ein "atomfreies Europa" einzutreten, wirksamer einmahnen zu können, schlagen die Initiatoren des Volksbegehrens eine Erweiterung der parlamentarischen Kontrollrechte vor: Das Recht zur Ministeranklage soll von einem Recht der parlamentarischen Mehrheit zum Recht einer qualifizierten parlamentarischen Minderheit werden. Schließlich soll auch das Volk - in Analogie zum Volksbegehren - die Möglichkeit haben, gegebenenfalls eine Ministeranklage zu erheben. (Schluss)