Parlamentskorrespondenz Nr. 849 vom 12.11.2003

AKTUELLE STUNDE: WO BLEIBT DIE ÖSTERREICHISCHE AUSSENPOLITIK?

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Wien (PK) - In der Aktuellen Stunde, mit der der Nationalrat seine heutige Plenarsitzung einleitete, stellte die SPÖ, der die Themenwahl zukam, die Außenpolitik von Ministerin Ferrero-Waldner zur Diskussion, die sich in der Folge kontroversiell entwickelte. Abgeordneter Dr. CAP (S) begründete die Themenwahl mit der Absicht, eine Möglichkeit zu schaffen, sich im Parlament grundsätzlich mit Außenpolitik auseinander zu setzen, da der außenpolitische Bericht nicht mehr im Plenum verhandelt wird. Die Außenministerin mache sich im Parlament generell rar, klagte der SP-Klubobmann, die Außenpolitik sei kaum erkennbar und werde kaum präsentiert. Cap bemängelte, dass die Ratifizierung der Beitrittsverträge nur deshalb nicht heute im Plenum behandelt werde, weil der Kärntner Landeshauptmann in der Transitfrage die Veto-Keule schwingen möchte. Cap lehnte es auch ab, die Beitrittsländer statt dessen als "alte Partner" zu bezeichnen und - im Sinne einer "Habsburger-Nostalgie" - mit den "Kronländern" gemeinsam nach Brüssel marschieren zu wollen. Das Konzept der regionalen Partnerschaft sei falsch, die EU dürfe nicht in geopolitische unterschiedlich motivierte Fraktionen zerfallen.

Im Hinblick auf den eben zu Ende gegangenen Italienbesuch des Bundeskanzlers bedauerte Cap, wie selten sich die Außenministerin zur Transitfrage geäußert und wie wenig sie ihre Aufgabe erfüllt habe, diplomatische Beziehungen zu entwickeln und eine Lobby zu bilden. Cap fragte auch danach, wo es der Außenministerin gelungen sei, eine Anti-Atom-Lobby aufzubauen und was sie im Hinblick auf eine Euratom-Revisionskonferenz erreicht habe. Dürftig nannte Cap auch die Ergebnisse der Außenwirtschaftspolitik, er hätte sich einen Beitrag der Außenministerin zu einer europäischen Wachstumsinitiative erwartet.

In der Irak-Frage schließlich habe sich Ministerin Ferrero-Waldner zwischen alle Stühle gesetzt und müsse sich die Frage gefallen lassen, wo der Sicherheitsgewinn ihrer Politik liege. Ein wahrer Freund hätte die USA davor gewarnt, sich in dieses Abenteuer zu stürzen.

Außenministerin Dr. FERRERO-WALDNER hielt grundsätzlich fest, sie stehe für eine Außenpolitik, in der österreichische Interessen klar vertreten werden. Zudem setze sie sich für Menschenrechte, Vertrauen und Verlässlichkeit ein. Ferrero-Waldner erinnerte daran, wie sehr sie in der Zeit der EU-Sanktionen gefordert worden sei und wie sie darum gekämpft habe, ein von den Medien völlig verzerrtes Bild Österreichs in Europa wieder herzustellen. Es sei ihr auch gelungen, die Beziehungen mit Israel zu normalisieren.

Das Kernprojekt der österreichischen Außenpolitik stelle die EU-Erweiterung dar. Das Verhandlungsergebnis sei sowohl im Interesse Österreichs als auch im Interesse der Partnerländer als gut zu bezeichnen, sagte die Ministerin und erwähnte die siebenjährige Übergangsperiode bei der Freizügigkeit für Arbeitnehmer.

Beim "dornigen Thema Transit" erinnerte die Ministerin an ihre Initiativen zur Wahrung der österreichischen Interessen und sprach ihr Bedauern über das Verhalten des europäischen Parlaments aus. Zu begrüßen sei der Schulterschluss zwischen den Fraktionen im Bundesrat, denn Einigkeit sei in dieser Frage besonders wichtig.

Der Melker Vertrag und die Brüsseler Vereinbarung haben umfangreiche Vorarbeitungen ihres Ressorts und des Umweltministeriums erfordert. Die Euratom-Revisionskonferenz sei ein wesentliches österreichisches Anliegen in der Regierungskonferenz, berichtete die Außenministerin, es seien aber nur wenige Staaten, die die österreichische Position vertreten.

Regionale Partnerschaft bedeute für sie gemeinsame Interessen gemeinsam einzubringen und nannte dazu zwei konkrete Beispiele: Maßnahmen gegen das Schlepperunwesen und das Anliegen, jedem EU-Mitgliedsland einen Kommissar in Brüssel zu sichern. Es geht um eine gute Europäische Union für alle Bürger, die von niemandem dominiert werde, hielt die Außenministerin fest.

Schließlich wies die Ressortleiterin auf die Erfolge ihrer Außenwirtschaftspolitik hin, die in einer positiven Handelsbilanz, niedriger Inflation und überdurchschnittlichen volkswirtschaftlichen Eckdaten zum Ausdruck kommen. Zudem unterstrich die Außenministerin ihr Eintreten für Menschenrechte und Menschlichkeit und machte auf die Aufstockung der Mittel für die Entwicklungshilfe im Rahmen einer erneuerten Entwicklungszusammenarbeit aufmerksam. "Ich stehe für eine Außenpolitik, die die Interessen der Österreicher mit einer starken Stimme in der Welt vertritt."

Abgeordneter Dr. SPINDELEGGER (V) warf der SPÖ vor, die Außenministerin im Hinblick auf Wahlkämpfe des kommenden Jahres "anpatzen" zu wollen, bevor sie noch als Kandidatin feststehe. Benita Ferrero-Waldner sei eine exzellente Außenministerin, die im Ausland und im Inland beliebt sei, lobte der Abgeordnete. In der Außenpolitik gehe es darum, österreichische Interessen im Ausland zu vertreten und nicht darum, sich in Konflikte einzumischen. Die SPÖ habe in der Zeit der EU-Sanktionen auf Seiten der Sanktionierer gestanden und verschweige sich nun in der Frage der künftigen Zusammensetzung der EU-Kommission, kritisierte Spindelegger.

Die Stimme Österreichs soll in der Welt gehört werden, sagte der außenpolitische Sprecher der Volkspartei und wies darauf hin, dass die Außenministerin als Gesprächspartnerin auf der ganzen Welt geschätzt sei, vom UN-Generalsekretär bis hin zu den Außenministern von USA und China. Benita Ferrero-Waldner erfülle ihre Aufgabe exzellent, schloss Abgeordneter Spindelegger.

Abgeordneter SCHIEDER (S) bekannte sich dazu, in der Außenpolitik nicht schwarz-weiß zu malen und nicht die Konfrontation zu suchen, brachte aber zugleich seine Sorge um die österreichische Außenpolitik zum Ausdruck. Die Außenpolitik soll sichtbar sein und müsse eine klare Linie haben, sagte Schieder und kritisierte zunächst den "Mittelweg" der Außenministerin im Irak-Krieg als falsch. Bei Krieg und Frieden könne es keinen Mittelweg geben, sondern nur das nachdrückliche Eintreten für die Herrschaft des Rechts auch auf internationaler Ebene. In der Außenpolitik gehe es auch darum, ein Netzwerk von Freunden für das eigene Land zu schaffen. Dies sei der Außenministerin nicht gelungen, wie die Isolation Österreichs in den Fragen Euratom und Transit zeige. Die Strategie der regionalen Partnerschaft lehnte Schieder ab, sie entspreche dem Habsburg-Mythos und werde als gönnerhaft empfunden und kritisiert. Schließlich wies der Abgeordnete darauf hin, dass eine moderne Außenpolitik niemals bloß Ressortpolitik sei, sondern das ganze Land zum Ausdruck bringen müsse. Dies aber setze Kommunikation mit der Opposition und dem Parlament voraus. Außenpolitik müsse gemeinsam betrieben werden, nur dann könne sie Erfolg haben.

Abgeordneter SCHEIBNER (F) stimmte seinem Vorredner hinsichtlich der Grundsätze zu, widersprach ihm aber in der Beurteilung der aktuellen Außenpolitik. Sie werde mit klaren Positionen, und in möglichst großem Konsens betrieben und es sei der Bundesregierung und der Außenministerin auch gelungen, ein Netzwerk von Freunden zu schaffen. Die SPÖ müsse sich hingegen vorwerfen lassen, noch mit Honecker Sekt getrunken zu haben, als der Kommunismus schon zusammenbrach und am Ansprechpartner Belgrad festgehalten zu haben, statt den Befreiungskampf der Slowenen und Kroaten zu unterstützen. Außerdem erinnerte der FP-Klubobmann daran, dass die Sozialdemokraten den österreichischen Luftraum sperrten, als es darum ging, das Morden und das Vertreiben im Kosovo zu beenden.

In der Transitfrage erinnerte Scheibner an den "heldenhaften Kampf" der FP-Verkehrsminister und stellte die Frage, warum beim Abschluss des Transitvertrages keine Nachfolgeregelung vereinbart wurde. Die österreichische Außenpolitik ist bei der Bundesregierung und bei der Außenministerin gut aufgehoben, schloss der Klubobmann der FPÖ.

Abgeordnete Mag. LUNACEK (G) vermisste die Bereitschaft der Außenministerin, im Parlament über Außenpolitik zu sprechen, obwohl konkrete Diskussionen im Ausschuss sehr notwendig wären. Lunacek bezeichnete es als Widerspruch, die EU-Erweiterung als Kernprojekt auszuweisen, gleichzeitig aber die Gelegenheit nicht zu nützen, in der Ratifizierung der Beitrittsverträge voran zu gehen. Versäumnisse ortete die Rednerin auch in der Politik für die Grenzregionen. Es fehle eine Strategie für die Beschäftigung an den Grenzen. Beim Thema Menschenrechte müsse sich die Außenministerin wegen ihrer Vorgangsweise gegenüber inhaftierten Österreichern beim Globalisierungsgipfel in Genua kritisieren und fragen lassen, warum sie andererseits einen österreichischen Polizisten so rasch aus dem Kosovo geholt habe. Kritik übte Lunacek auch am fehlenden Protest Österreichs gegen Berlusconis Lob für Putins Tschetschenien-Politik.

Abgeordneter Dr. FASSLABEND (V) bekannte sich zu einer "sichtbaren" Außenpolitik und hielt fest, dass die Außenpolitik in Österreich derzeit einen Stellenwert habe wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Besonderes Lob zollte der Redner der Außenministerin für die klare Linie, die sie in ihrem Kampf gegen die Sanktionen eingehalten habe und mit der sie auch erfolgreich gewesen sei. Österreich habe ein Netzwerk von Freunden, das die Außenministerin mit ihrer modernen Außenpolitik aufgebaut habe. Diese Politik verdiene die Unterstützung der Opposition, nicht deren Kritik, schloss Abgeordneter Fasslabend.

Abgeordneter Dr. EINEM (S) bekannte sich zu der Ansicht, dass Österreich eine starke und klare Stimme im Ausland brauche. Zugleich brauche die Außenpolitik aber auch eine starke Stimme in der Bundesregierung. Beides vermisse er, sagte Einem und erinnerte, dass es der Außenministerin seit zwei Jahren nicht gelinge, das Grenzgängerabkommen mit Tschechien in den außenpolitischen Ausschuss zu bringen. Die Außenministerin hätte auch ihr Wort in der Regierung erheben müssen, als es darum ging, am ursprünglichen Termin für die Ratifizierung der Beitrittsverträge festzuhalten, statt ihn um drei Wochen zu verschieben. Mit ihrer Forderung nach einem Kommissar pro Mitgliedsland wolle die Außenministerin nur vergessen machen, dass Bundeskanzler Schüssel am EU-Gipfel in Nizza zugestimmt habe, dass bei mehr als 27 Mitgliedsländern nicht mehr jedes Land einen Kommissar haben soll. Auch in den Beziehungen zu Israel sehe er keinen Erfolg, denn nach wie vor gebe es keinen israelischen Botschafter in Wien, sagte Abgeordneter Einem.

Abgeordneter Mag. MAINONI (F) warf der SPÖ vor, heute im Rahmen der Aktuellen Stunde über außenpolitische Themen zu diskutieren und nicht über das aktuellste Thema, den ÖBB-Streik. Er vermutet, dass man dies aus Solidarität gegenüber der Gewerkschaft tue. Klar ist für ihn, dass mit der Debatte über die Außenpolitik frühzeitig der Präsidentschaftswahlkampf eröffnet werde. Kritisch merkte er auch an, dass die sozialdemokratischen Redner in ihren Beiträgen die Neutralität nicht angesprochen hätten, und trat seinerseits für eine gute, ausgewogene und auf Neutralität bedachte Außenpolitik ein.

Abgeordnete Dr. LICHTENBERGER (G) warf Ministerin Ferrero-Waldner vor, in vielen Bereichen zuviel, vor allem Falsches, zu tun, was den österreichischen Interessen schade, und führte in dem Zusammenhang u.a. den EU-Konvent an. Hinsichtlich der Transitproblematik meinte die Rednerin, man stehe nun vor dem Ende einer funktionierenden Regelung, denn weder im Rat noch im Parlament gebe es einen Lösungsvorschlag dafür.

Präsident Dr. KHOL teilte mit, dass von der SPÖ das Verlangen gestellt wurde, die schriftliche Anfrage 1039/J an den Innenminister betreffend „Versagen des Innenministers bei der Kriminalitätsbekämpfung und Zerschlagung des österreichischen Sicherheitssystems“ dringlich zu behandeln. – Der Aufruf der Dringlichen erfolgt um 15 Uhr.

Im Anschluss daran wird es eine Kurzdebatte zu der schriftlichen Anfragebeantwortung des Finanzministers (720/AB zu 722/J) zur G-Anfrage betreffend Verwertung der Bundeswohnbaugesellschaften geben.

Gegen die ausgegebene heutige Tagesordnung hat die SPÖ Einwendungen erhoben, denen sich die G-Fraktion angeschlossen hat. Es geht den Oppositionsparteien darum, auf die heutige Agenda die Ratifizierung der EU-Erweiterungsverträge zu setzen. In der Debatte wies der S-Abgeordnete SCHIEDER darauf hin, dass sich die europäische Öffentlichkeit erwarte, dass das Plenum des Nationalrates die Verträge zur Erweiterung der Union beschließe. Ein Verschieben auf den Dezember könnte dem Ansehen Österreichs schaden. Daher sein Appell, sich heute zu einer klaren Europapolitik zu bekennen.

Die Äußerung von Schieder, die Bundesregierung habe die ÖBB-Belegschaft zum Streik gezwungen, griff V-Abgeordneter Mag. MOLTERER auf und fragte: Wussten Sie, dass Eisenbahnergewerkschafter in St. Pölten arbeitsbereite Postbus-Chauffeure am Arbeiten gehindert haben? Haben Sie mit bekommen, dass sich die Vorstandsvorsitzende der Postbusgesellschaft vom Streik distanziert, weil sie Arbeitswillige auch arbeiten lassen will? Danach kam Molterer auf Vorschläge von ÖVP und FPÖ für die zeitliche Behandlung des Komplexes Beitrittsvertrag und auf eine erste Vereinbarung im November zu sprechen, in der festgelegt wurde, dass heute die Erklärungen erfolgen. Für Molterer ist die „wichtigste Botschaft“, dass im Verfassungsausschuss am 6. November alle vier Parteien dem Erweiterungsvertrag ihre Zustimmung gegeben haben. Am 3. Dezember werde die Beschlussfassung der Erweiterung im Plenum erfolgen.

Abgeordnete Dr. GLAWISCHNIG (G) hätte es als ein Zeichen der Freundschaft und der Verbundenheit zu unseren Nachbarstaaten angesehen, wenn Österreich als eines der ersten EU-Länder diese Verträge beschlossen hätte. Einen Grund für eine Verschiebung sah sie nicht.

Abgeordneter SCHEIBNER (F) machte darauf aufmerksam, dass am 3. Dezember die Beitrittsverträge im Plenum beschlossen werden. Seiner Ansicht nach sei es gleichgültig, ob drei Wochen früher oder später der Beschluss herbeigeführt werde. Unter Bezugnahme auf die Äußerung von Glawischnig betonte Scheibner, das Konjunkturpaket sei von ganz besonderer Bedeutung, gehe es darin doch um arbeitsmarkt-, forschungs- und wirtschaftspolitische Maßnahmen, die den Standort Österreich nicht nur sichern, sondern auch weiter entwickeln sollen. Im Hinblick auf den ÖBB-Streik meinte Scheibner, man habe bis gestern gehofft, dass die Gewerkschafter "vernünftig" seien und ihre politischen Streiks nicht auf dem Rücken von 2 Millionen Österreichern weiterführen würden. Von der Bundesregierung werde niemand gezwungen, zu streiken. Es gehe darum, die ÖBB „fit für den Wettbewerb“ zu machen und Gerechtigkeit zu schaffen.

Der Antrag auf Änderung der Tagesordnung fand keine Mehrheit.

(Schluss Aktuelle Stunde/Forts. NR)