Parlamentskorrespondenz Nr. 893 vom 25.11.2003

START DER PARLAMENTARISCHEN VERHANDLUNGEN ZUR ÖBB-REFORM

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Wien (PK) - Der Unterausschuss des Verkehrsausschusses zur Vorbehandlung des zuletzt heftig umstrittenen Bundesbahnstrukturgesetzes startete heute Vormittag unter dem Vorsitz von Obmann Kurt Eder seine Arbeit mit einem Expertenhearing, wobei - gemäß  Vereinbarung zwischen Regierung und Gewerkschaft - nur der strukturrechtliche, nicht aber der dienstrechtliche Teil der Regierungsvorlage zur Diskussion stand. Den diesbezüglichen Abänderungsantrag der Koalitionsparteien legte eingangs der Sitzung VP-Abgeordneter Werner Miedl vor.

Die neue Bundesbahnstruktur sieht eine Aufteilung der ÖBB in mehrere Teilgesellschaften mit einer koordinierenden ÖBB-Holding AG an der Spitze des Unternehmens vor. Die Kerngeschäfte nehmen Aktiengesellschaften wahr: Personenverkehr, Güterverkehr sowie Betrieb und Neubau der Schieneninfrastruktur. Traktion, technische Services, Personal und Immobilien sollen Gesellschaften mit beschränkter Haftung obliegen. Der Bund sichert auf Basis mehrjähriger Rahmenpläne durch Zuschüsse und Haftungsübernahmen Investitionen in die Schieneninfrastruktur. Die zügige Umsetzung des Generalverkehrsplanes gewährleistet eine eigenständige ÖBB-Infrastruktur Bau AG unter Einbindung der HL-AG und der BEG.

Der Finanzierungsteil der Schieneninfrastrukturfinanzierungs-GesmbH soll in die ÖBB Infrastruktur Bau AG integriert und der verbleibende Teil der SCHIG in eine Schieneninfrastruktur-Dienstleistungs-GesmbH des Bundes umgewandelt werden, die die Abwicklung von Public-Private-Partnership-Modellen sowie Finanzierungs- und Kontrolltätigkeiten für das Verkehrsministerium übernimmt.

EXPERTE ERHARD FÜRST: MIT DIESER NEUEN ÖBB-STRUKTUR STARTEN

Dr. Erhard Fürst leitete das Expertenhearing ein, indem er darlegte, warum er die Reform der ÖBB für notwendig halte: Der Wettbewerb nehme einerseits europaweit auf der Schiene zu und zweitens gehe es darum, den ÖBB die Chance zu geben, die Möglichkeiten zu nutzen, die sich ihr bei der Osterweiterung bieten. Der Wettbewerb auf der Schiene schafft für die ÖBB die Voraussetzung dafür, gegen die Straße zu bestehen. Denn dies erfordere Kosteneffizienz, Flexibilität und Kundenorientierung. Dies bedürfe einer dezentralen Organisationsstruktur mit selbstverantwortlichen Einheiten. Fürst fügte hinzu, dass es heute in der Wirtschaft selbstverständlich sei, Betriebe alle drei bis fünf Jahre umzustrukturieren und zwischenzeitlich laufend kleinere Strukturanpassungen vorzunehmen.

Die Vorteile der neuen Organisationsstruktur für die Bundesbahnen seien die größere Transparenz in den Finanzflüssen, die Erleichterung der Kooperation zwischen den einzelnen Tochterunternehmen, der Einsatz von Private-Public-Partnership-Modellen und die Konzentration auf das Kerngeschäft.

Die organisatorische Trennung von Infrastruktur und Absatz stehe außer Streit, ebenso selbstverständlich sei die Aufspaltung in eine Personen- und eine Güterverkehrsgesellschaft, weil diese es mit unterschiedlichen Kundenbereichen zu tun hätten, was eine unterschiedliche Geschäftspolitik erfordere. Die Aufspaltung des Infrastrukturbereichs in Betrieb und Bau sei wegen des Benützungsentgeltes wichtig. Denn jener Teil der Bahn, der immer von der öffentlichen Hand abhängig sein wird, soll von jenem Teil getrennt werden, der wirtschaftlich selbständig arbeiten soll.

Kritik am Verlust von Synergieeffekten hielt der Experte entgegen, dass solche Verluste durch entsprechende Verträge kompensiert werden können und sollten.

Erhard Fürst schloss seine Ausführungen mit einem Blick in die Zukunft, in der sich die Bahn als eigenständiger Player in Mittel- und Osteuropa etablieren soll. Diese Mitteleuropastrategie werde sehr viel Geld erfordern.

Abgeordneter Josef Broukal (S) bezweifelte, dass die Holding mit einem schwachen Zweiervorstand eine Chance haben werde, sich innerhalb des Unternehmens durchzusetzen, und verlangte darüber hinaus eine Schuldenentlastung für die ÖBB.

Dr. Erhard Fürst gab Broukal recht, eine Entschuldung wäre für das Unternehmen gut, sollte dies aus staatsfinanziellen Gründen jetzt nicht möglich sein, bestehe aber jederzeit die Möglichkeit, nachzubessern.

Das Organigramm der neuen ÖBB beurteilte der Experte im Vergleich zu anderen erfolgreich umstrukturierten Großunternehmen, etwa zur VOEST, eher bescheiden.

Die Durchsetzung einer einheitlichen strategischen Ausrichtung durch die Holding muss für Erhard Fürst sichergestellt werden. Er glaube aber nicht, dass dies in einem zentralistischen Mammutbetrieb leichter sei, als aufgrund der für die ÖBB vorgeschlagenen Struktur, die er vom Ansatz und von den Zielsetzungen her als gut beurteilte. "Ich würde so starten."

Abgeordnete Evelin Lichtenberger (G) hielt es ebenfalls für besser, die ÖBB jetzt zu entschulden. Ihre Fragen richteten sich auf Private-Public-Partnership-Projekte, auf das Durchgriffsrecht der Holding sowie darauf, ob das Schienenbenützungsentgelt einen Marktpreis darstellen werde oder von der Regierung festgesetzt werde.

Fürst erinnerte zuerst an die finanziellen Restriktionen, die einer Entschuldung der ÖBB entgegenstehen. Private-Public-Partnership-Projekte kommen leichter zustande, wenn der private Partner mit einer kleineren Einheit statt mit dem ganzen Mammutbetrieb verhandeln und Vereinbarungen treffen muss. Generell fallen Entscheidungen in dezentralen Strukturen leichter, zeigte sich der Experte überzeugt.

Die Holding soll keine Durchgriffsrechte haben, sagte Fürst, er hielt es aber für notwendig, die Holding und die vier Töchter personell miteinander zu verflechten: die Chefs der Töchter sollen im Vorstand der Holding sitzen und umgekehrt. Dies soll gemeinsame Entscheidungen und Lösungen erleichtern.

Das Schienenbenützungsentgelt soll Betrieb, laufende Kosten und die Erhaltung abdecken. Bis zur Abdeckung auch der Baukosten wird noch ein langer Weg zurückzulegen sein.

Auf eine diesbezügliche Frage des Abgeordneten Werner Miedl (V) bezeichnete Erhard Fürst die höhere Kosteneffizienz einer dezentralen Struktur mit eigenverantwortlichen Aktiengesellschaften, die Bilanzen vorweisen müssen, als unbestreitbar.

Auch die stärkere Marktorientierung - eine Frage des Abgeordneten Klaus Wittauer (F) - zähle zu den Vorteilen der neuen Struktur, so der Experte. Denn die Kunden treffen ihre Entscheidung, mit welchem Verkehrsträger sie ihre Waren transportieren, nicht nur nach Kostenkriterien, sondern auch nach dem Kriterien der Flexibilität und Pünktlichkeit, wobei der Experte auf Just in time-Services hinwies.

Noch einmal auf das Thema Synergien eingehend sagte Erhard Fürst, es könne sinnvoll sein, auf die Synergieeffekte eines Mammutbetriebs zu verzichten, um zu einer schlankeren und effizienteren Struktur zu gelangen.

Grundsätzlich sagte der Experte, dass er nichts von einer Privatisierung der Infrastruktur nach dem englischen Beispiel halte. Er sei dafür, Wettbewerb auf der Infrastruktur stattfinden zu lassen. Dass in der Zukunft Betriebe privatisiert werden sei möglich, da die Daseinsvorsorge auch von privaten Gesellschaften wahrgenommen werden könne, wenn die Kosten dafür abgegolten werden.

STAATSSEKRETÄR KUKACKA: ÖBB-REFORM ERFOLGT NACH KLAREN WIRTSCHAFTLICHE UND ORGANISATORISCHEN GRUNDSÄTZEN 

Staatssekretär Helmut Kukacka hielt fest, dass die Bundesregierung bei der Umstrukturierung der ÖBB nach klaren betriebswirtschaftlichen und organisationstheoretischen Grundsätzen vorgegangen sei. Das Modell entspreche dem, was in der Privatwirtschaft üblich sei und sich im Ausland bewährt habe. Im Übrigen erinnerte der Staatsekretär daran, dass der ehemalige ÖBB-Generaldirektor Draxler Vorschläge für eine wesentlich weitergehende Zergliederung der ÖBB unterbreitet habe. Der Vorstand der Holding werde nicht schwach sein, sondern sechs Personen umfassen. Seine Aufgabe werde die Koordination sein, ebenso wichtig werde es sein, starke operative Aktiengesellschaften zu haben.

Die Finanzierung der Infrastruktur erfolge durch Zuschüsse des Bundes und durch außerbudgetäre Finanzierungen. Dazu sei eine gesetzliche Verpflichtung des Bundes, eine harte Patronanzerklärung des Bundes, so der Staatssekretär, vorgesehen. Es bestehe eine klare Verpflichtung des Bundes und eine klare Finanzstruktur. Für ihn besteht keine vernünftige und akzeptable Alternative zur vorliegenden neuen ÖBB-Struktur.

Auf eine Frage des grünen Experten Bruno Rossmann führte Erhard Fürst schließlich aus, dass er kurzfristig nicht mit höheren Güter- und Personenverkehrspreisen rechne, weil die neue Struktur der Bahn die Möglichkeit gebe, neue Marktchancen zu nützen. "Langfristig sollen es Marktpreise werden." (Fortsetzung)