Parlamentskorrespondenz Nr. 906 vom 26.11.2003

HAUPT STELLT VALORISIERUNG DES PFLEGEGELDS FÜR 2005 IN AUSSICHT

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Wien (PK) - Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hatte heute eine umfangreiche Tagesordnung zu bewältigen. Die Themenpalette reichte vom Behindertenbericht, der der Enderledigung zugeführt wurde, über das 2. SVÄG 2003 und der Änderung des Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetzes, basierend auf einem Antrag der beiden Regierungsparteien, bis hin zur Änderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes.

Aus dem Bericht über die Lage der behinderten Menschen geht hervor, dass laut einer Mikrozensuserhebung zu körperlichen Beeinträchtigungen – der Befragte konnte bis zu vier Krankheiten/Beeinträchtigungen angeben - 2,129.000 Personen mindestens eine körperliche Beeinträchtigung aufweisen, das sind 29,9 % der österreichischen Bevölkerung. Beinahe jeder vierte Österreicher (1,663.000 Personen) hat eine chronische Krankheit angegeben, wobei an erster Stelle Herz- und Kreislaufstörungen genannt wurden (732.000 Personen).

476.000 Personen (6,7 % der Bevölkerung) führten zumindest eine Bewegungsbeeinträchtigung an. Die Zahl der Personen mit Querschnittslähmungen betrug 4.000, mit halbseitiger Lähmung 14.000, auf den Gebrauch eines Rollstuhles waren 24.000 Personen angewiesen.

456.000 Personen (6,4 % der Bevölkerung) sind hörbeeinträchtigt, wobei Schwerhörigkeit an beiden Ohren am häufigsten vorkommt; von 9.100 Personen wurde Taubheit an beiden Ohren angegeben.

3,087.000 Personen (43,4 % der Bevölkerung) weisen mindestens eine Sehbeeinträchtigung auf. Von diesen Personen gaben allerdings 86,9 % an, dass diese durch eine Brille, Kontaktlinsen bzw. operativ behoben werden konnte. Volle Blindheit auf beiden Augen gaben 4.600 Personen an.

Mit zunehmendem Alter treten zumeist auch mehrere Beeinträchtigungen nebeneinander auf. Ältere und betagte Personen sind besonders betroffen: 60 % aller 60- bis 69-jährigen und 72 % aller 70- bis 79-jährigen sind körperlich beeinträchtigt. Chronische Krankheiten weisen die höchste Häufigkeit auf: 733.000 Betroffene, die 60 Jahre oder älter sind.

Jede fünfte körperlich beeinträchtigte Person lebt allein. Während 27,2 % der beeinträchtigten Frauen allein wohnen, ist dies nur bei 11,6 % der Männer der Fall (höhere Lebenserwartung der Frauen, dadurch höherer Anteil der verwitweten bzw. geschiedenen Personen).

Zirka 80.000, das ist 1 % der Bevölkerung, weisen eine psychische Behinderung auf; diese Zahl geht auf eine Schätzung von Univ.-Prof. Wancata zurück. In der Studie "Zur Lebenssituation behinderter Menschen in Österreich" von Badelt/Österle wird die Zahl geistig Behinderter auf etwa 48.000 (0,6 % der Bevölkerung) geschätzt.

2001 erhielten im Jahresdurchschnitt 189.544 Personen Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe, davon waren 30.403 Menschen mit Behinderung (16 %). Die durchschnittliche Leistungshöhe (Arbeitslosengeld und Notstandshilfe) für behinderte Menschen lag 2001 bei 568,8 Euro monatlich (nicht Behinderte: 647,8 Euro). Das bedeutet, dass das Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe Behinderter geringer sind als die Leistungen für Nichtbehinderte.

31,3 % der weiblichen und 28,4 % der männlichen Bevölkerung sind körperlich in irgendeiner Weise beeinträchtigt, wobei mit steigendem Alter körperliche Beeinträchtigungen rapide zunehmen. Bei den unter 5-jährigen weisen 5,5 % mindestens eine Beeinträchtigung auf. Dieser Prozentsatz steigt bei Personen über 80 Jahre auf 84,9 %.

Erwerbstätig sind 26,5 % der körperlich beeinträchtigten Frauen, 48 % sind Pensionistinnen. Demgegenüber sind 45,5 % der Männer erwerbstätig und nur 42 % befinden sich bereits in Pension.

G-Abgeordnete Theresia Haidlmayr bemängelte in ihrer Wortmeldung, dass der Bericht viele Dinge enthalte, die gar nicht stimmten, und sprach von „reiner Selbstbeweihräucherung“. Niemand könne sagen, fuhr sie fort, woher das Zahlenmaterial etwa über die Anzahl behinderter Menschen in Österreich stamme; jedenfalls nicht von der Sozialversicherung oder der AUVA. Die wirtschaftliche Situation der Menschen mit Behinderung nannte sie „katastrophal“; wenn die Lage dieser Personen nicht so schlecht wäre, bräuchte man die Spendenaktionen nicht, unterstrich sie. Ein besonderes Anliegen war ihr das Pflegegeld und dessen Valorisierung. Sie gab auch bekannt, dass sich der Bund im Zeitraum 1993 bis Ende 2000 3,1 Mrd. € an Mitteln für die Pflegesicherung erspart habe; dies habe sie aus Zahlenmaterial des Ministeriums errechnet.

Abgeordnete Christine Lapp (S) meinte, der Bericht der Bundesregierung sei eine gute Grundlage und ein aufschlussreiches Nachschlagewerk. Besonders interessierte sie sich für den Vorschlag der Wirtschaftskammer, den Kündigungsschutz aufzuheben, für die Inanspruchnahme von Förderungen bei Einstellung von behinderten Menschen und für die Richtlinien und Maßnahmen, um geschützte Werkstätten weiter am Leben zu erhalten und den Behinderten den Zugang zum Arbeitsmarkt zu gewährleisten. Im Zusammenhang mit der Aufhebung der Unfallrentenbesteuerung sprach sie von einer „Vernebelungsaktion“, denn nach wie vor müssen die Unfallrentner für das Jahr 2003 ihre Rente versteuern.

Bundesminister Herbert Haupt wies darauf hin, dass der Bericht die letzten zehn Jahre umfasse und im Internet abgerufen und herunter geladen werden kann. Gedruckt wurden 5.000 Exemplare; das öffentliche Interesse sei gut, fügte er hinzu.

Es werde zu einer Neuordnung der Unfallrentenbesteuerung kommen; ab 1.1.2004 werde es keine Unfallrentenbesteuerung mehr geben, weil „diese Gruppe das Geld notwendig braucht“. Solange er, Haupt, Minister sei, werde es zu keiner Unfallrentenbesteuerung kommen. Geplant sei außerdem, ab 2005 eine Valorisierung des Pflegegeldes vorzunehmen.

Abgeordnete Ridi Steibl (V) vermerkte stolz, dass im Jahr der Menschen mit Behinderung alle Ministerien gemeinsam einen Bericht über die Situation von behinderten Menschen vorlegen. Die Bundesregierung habe nicht nur die Behindertenmilliarde eingeführt, sondern auch die Tätigkeit des Bundessozialamtes neu geregelt; vor allem in der Steiermark wurden Neuerungen in Angriff genommen. Weiter befasste sie sich mit dem barrierefreien Zugang insbesondere zu Bundesgebäuden und gab zu, dass auf Landesebene noch Maßnahmen gesetzt werden müssen. In Erinnerung brachte sie auch u.a. die erhöhte Kinderbeihilfe und die Familienhospizkarenz.

Abgeordneter Karl Öllinger (G) kam auf die Integration Behinderter im schulischen Bereich zu sprechen und sah das Problem, dass durch die bevorstehenden Frühpensionierungen im Lehrerbereich diese schulische Integration auf Null sinken werde. Allgemein meinte er zum Bericht, dieser befasse sich in erster Linie mit der „Verwaltung von Behinderungen“. Im Hinblick auf die Unfallrentenbesteuerung machte Öllinger darauf aufmerksam, dass jene Personen, die am 30.6.2001 zum ersten Mal eine Unfallrente bekommen haben, keine Möglichkeit haben, aus dem Fonds entschädigt zu werden, und daher die Unfallrente besteuert wird.

Abgeordnete Helene Partik-Pable (F) wies darauf hin, dass die Behindertenmilliarde weitergeführt wird, dass die Arbeitslosigkeit von behinderten Personen gesunken sei und das Pflegegeld, das seit zehn Jahren unverändert ist, valorisiert werde. Die Regierung bemühe sich, aber es habe noch viel zu geschehen, sagte sie. Hinsichtlich der Spendenaktionen meinte sie, kein Staat könne so gut sein, dass man die privaten Spenden nicht brauche. Zum Kündigungsschutz erklärte sie, dass strengere Kündigungsschutzbestimmungen ein Anstellungshindernis darstellen und die jetzigen Regelungen im Einvernehmen mit den Behindertenverbänden einer Änderung bedürfen.

Abgeordnete Barbara Prammer (S) hinterfragte die Situation behinderter Frauen bzw. Pensionistinnen. Eine weitere Anfrage betraf das Behindertengleichstellungsgesetz.

Abgeordneter Sigisbert Dolinschek (F) unterstrich, dass in den letzten Jahren viel für behinderte Menschen getan wurde, vor allem in Richtung Integration. Wir wollen das Beste für die behinderten Menschen, sagte er, vieles sei noch zu tun.

Abgeordneter Reinhold Mitterlehner (V) bezog zu der von der Wirtschaft geforderten Lockerung der Kündigungsbestimmungen Stellung: Es habe sich gezeigt, dass die Kündigungsschutzbestimmungen kontraproduktiv sein können. Viele Gruppierungen von behinderten Menschen wollten eine normale Behandlung haben, weil sich dadurch ihre Chancen am Arbeitsmarkt vergrößern. Aus diesem Grund will man gemeinsam mit den Betroffenen eine Evaluierung vornehmen, damit sich die Kündigungsbeschränkungen nicht negativ auf die Betroffenen und die Wirtschaft auswirken, unterstrich er das Anliegen der Wirtschaft.

Abgeordnete Andrea Kuntzl (S) beschäftigte sich mit der Familienbeihilfe und dem erschwerten Zugang für Eltern mit behinderten Kindern zu dieser sowie mit den Integrationsmaßnahmen im schulischen Bereich. Abgeordnete Theresia Haidlmayr (G) kam auf einzelne Bereiche, wie die Invaliditätspension der Frauen, die Rehabilitation und das Behindertengleichstellungsgesetz, zu dem nun das Ressort einen eigenständigen Entwurf ausarbeiten soll, zu sprechen. Abgeordnete Ulrike Königsberger-Ludwig (S) hinterfragte die Qualifizierungsmaßnahmen von Jugendlichen, ihr Fraktionskollege Walter Schopf meinte, die Wirtschaft hätte auch eine soziale Verantwortung gegenüber den behinderten Personen, und wollte wissen, wie viele begünstigte behinderte Personen aufgrund der 2001 gestarteten Offensive einen Arbeitsplatz erhalten haben. Abgeordneter Franz Riepl (S) erkundigte sich nach der Inanspruchnahme von sozialen Diensten; die schlechteste Versorgungssituation solle es in Kärnten geben.

Bundesminister Herbert Haupt nahm Stellung zu der Frage des Behindertengleichstellungsgesetzes und erklärte, aufgrund des Vorschlags der ersten beiden Sitzungen des Arbeitskreises werde nun an Vorschlägen für einen Gesetzestext aus Sicht der Regierung gearbeitet. Mit diesem Entwurf würden sich dann auch die Behindertenorganisationen befassen können.

Im Ressort werde ein Maßnahmen- und Änderungspaket für jene Menschen mit Behinderung ausgearbeitet, die sich am Arbeitsmarkt stabilisieren wollen, letztlich jedoch scheitern. Anfang nächsten Jahres werde der Entwurf vorliegen. Auf dieses Problem habe bereits Volksanwalt Kostelka hingewiesen.

Anfang nächsten Jahres werde es auf Basis der Haushaltsbögen auch näheres Datenmaterial über behinderte Frauen geben.

Die Bundessozialämter habe er, Haupt, „gerettet“, wollte man doch diese Einrichtung auflösen. Im Zusammenhang mit den sozialen Diensten verwies der Ressortleiter auf das Pilotprojekt „Altwerden zu Hause“, das in Kärnten gestartet werde. Ablehnend äußerte sich Haupt zur Ausgabe von Pflegeschecks. Dass Menschen mit guter Qualifikation, aber mit schlechten Voraussetzungen im psychischen Bereich eine Chance haben sollen, eine Berufsausbildung zu erhalten, die anerkannt ist, ist dem Sozialminister ein besonderes Anliegen.

Der Behindertenbericht wurde mehrheitlich zur Kenntnis genommen und damit enderledigt.

Zu Sitzungsbeginn gab es eine Debatte darüber, weshalb der Behindertenbericht in der Ausschusssitzung enderledigt und nicht im Nationalratsplenum diskutiert wird. Abgeordneter Walter Tancsits (V) begründete die Enderledigung im Ausschuss mit der Aufwertung der Ausschussarbeit und sprach sich dagegen aus, dass Ausnahmen gemacht werden. Ausnahmen sollte ausschließlich die Präsidialkonferenz festlegen, meinte F-Abgeordneter Sigisbert Dolinschek. Ausschussobfrau Heidrun Silhavy wies darauf hin, dass der Ausschuss selbst entscheiden kann, ob ein Bericht enderledigt wird oder nicht. Abgeordnete Theresia Haidlmayr (G) trat dafür ein, diesen Bericht im Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderung auf die Tagesordnung einer Nationalratssitzung zu stellen, und schloss sich dem Antrag der S-Abgeordneten Christine Lapp an, den Behindertenbericht nicht endzuerledigen. – Der S-Antrag verfiel der Ablehnung. (Forts.)