Parlamentskorrespondenz Nr. 939 vom 03.12.2003

DER NATIONALRAT GANZ IM ZEICHEN EUROPAS

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Wien (PK) - Europa war das zentrale Thema der heutigen Sitzung des Nationalrats. Den Anfang machte dabei die Aktuelle Stunde, als deren Thema die Volkkspartei "EU-Regierungskonferenz - Stand der Beratungen" gewählt hatte. Abgeordneter Dr. SPINDELEGGER (V) eröffnete die Debatte und unterstrich, dass der heutige Tag ein wichtiger für Europa und Österreich sei. Der Nationalrat werde nicht nur seine Zustimmung zu den Beitrittsverträgen geben, sondern auch die Verhandlungen der Regierungskonferenz zu einer EU-Verfassung stünden an einer Schwelle.

Spindelegger zeigte sich außerordentlich erfreut darüber, dass es gelungen ist, nun doch über Veränderungen gegenüber dem Konventsentwurf zu einer EU-Verfassung zu sprechen. Die Äußerungen der Kleinmütigkeit seien nun verstummt und mittlerweile gebe es eine Liste von österreichischen Vorhaben, die mehr und mehr an Bedeutung gewännen. Dies sei ein Erfolg der Hartnäckigkeit des Bundeskanzlers, sagte Spindelegger.

Das Ergebnis des Konvents könne sich durchaus sehen lassen, so der außenpolitische Sprecher der ÖVP, mit einzelnen Punkten könne Österreich aber keinesfalls leben. So sei der Grundsatz des Gleichgewichts aller Staaten auch weiterhin ernst zu nehmen, weshalb jedes Mitgliedsland in jeder Institution vertreten sein müsse. Die Forderung Österreichs nach einem stimmberechtigten Kommissar für jedes Land werde zunehmend auch von den großen Ländern mitgetragen. Ähnlich sei es in Bezug auf den Vorschlag zur Teampräsidentschaft, über die nun ernsthaft nachgedacht werde. Ein weiterer Punkt von enormer Bedeutung sei die Daseinsvorsorge, wo man europäische Regeln für die Wasserversorgung, Müllentsorgung und Abfallentsorgung habe aufstellen wollen. Ein derartiger Eingriff in die Kompetenzen der Gebietskörperschaften sei untragbar und müsse auch weiterhin bei diesen geregelt bleiben. Österreich wolle auch eine Neuverhandlung des Euratom-Vertrages in einer eigenen Konferenz, bekräftigte Spindelegger.

Einen breiten Raum widmete der Redner auch der derzeitigen Diskussion über die Beistandspflicht, worüber man seiner Meinung nach nachdenken sollte. Keinesfalls gehe es aber an, sofort mit "Keulenschlagargumenten" zu kommen, ohne darüber zu diskutieren, ob eine solche Beistandpflicht nicht Vorteile für Österreich bringen könnte. Jedenfalls sei es nicht konsequent, dass eine Gemeinschaft mit Binnenmarkt und gemeinsamer Währung keine gemeinsame Verteidigungspolitik hat. Für Spindelegger bedeutet die Beistandspflicht keineswegs den Anfang vom Ende der Neutralität.

Bundeskanzler Dr. SCHÜSSEL (V) betonte, dass sich in Europa mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt habe, dass man den Konventsentwurf nachhaltig verbessern müsse, ohne ihn aber in der Substanz in Frage zu stellen. Grundsätzlich zeigte sich der Kanzler zuversichtlich, dass man in wenigen Tagen bei den Schlussverhandlungen zu einem politischen Gesamtpaket kommen werde und damit eine neue europäische Verfassung aus der Taufe heben könne.

Schüssel ging in der Folge auf konkrete Punkte ein und zollte der Außenministerin Anerkennung dafür, dass sie durch die Schaffung eines Netzwerkes eine deutliche Mehrheit zu Stande gebracht hat, die sich für die Veränderung des Konventsentwurfs ausspricht. So trete in der Zwischenzeit die überwiegende Mehrheit für einen stimmberechtigten Kommissar pro Mitgliedsland ein, jedoch mit begrenzter Zuständigkeit. Als absolut sinnvoll und mittlerweile akzeptiert bezeichnete Schüssel die rechtliche Kontrolle der Beschlüsse des Rates durch den EuGH. Als weiteren positiven Aspekt nannte der Bundeskanzler die Stärkung der Euro-Zone durch die Verbesserung der Entscheidungsstrukturen innerhalb der Euro-Länder. Dies habe sich vor kurzem bei der Diskussion um den Stabilitätspakt als notwendig erwiesen, den er, Schüssel, in der Substanz nicht in Frage stellen wolle, der aber seiner Auffassung nach in der Flexibilität der Anwendung verbessert werden müsse. Man brauche einen Stabilitäts- und Wachstumspakt mit Biss, so die Worte des Regierungschefs.

Schüssel thematisierte auch die Daseinsvorsorge, die die kommunalen Dienstleistungen betreffen, und berichtete den Abgeordneten, dass die österreichischen Außenministerin einen Textvorschlag unterbreitet habe, gegen den es bisher keinen Einspruch gegeben habe. Sollte dieser durchgehen, käme es zu einer gewaltigen Verbesserung sogar gegenüber dem heutigen Status quo. Ferrero-Waldner hatte vorgeschlagen, dass ein europäisches Gesetz über Grundsätze und Bedingungen die Kompetenz der Mitgliedsstaaten beachten müsse, solche Dienste zur Verfügung zu stellen, in Auftrag zu geben oder zu finanzieren. Dies wäre für die Subsidiarität ein großer Erfolg, sagte Schüssel. Der Außenministerin sei es auch gelungen, bei der rechtlichen Basis für die Strukturfonds und die Kohäsionspolitik klar zu stellen, dass diese Politiken auch Fragen der Grenzregionen und Berggebiete besonders zu beachten haben.

Der Bundeskanzler gab zu, dass es hinsichtlich der Revision des Euratom-Vertrags nur wenig Unterstützung gebe. Zur europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik bemerkte er, dass man die vorliegenden Texte genau ansehen müsse, wobei er die Kritik mit einschloss, dass man vorher nie darüber diskutiert habe. Der zweite Text zur strukturierten Zusammenarbeit sei besser als der erste, Österreich wolle aber, dass die Prinzipien im Rat entschieden werden. In Bezug auf die Beistandspflicht werde die militärische Komponente im zweiten Text weniger betont. Grundsätzlich hält der Kanzler eine solidarische Hilfeleistung innerhalb der europäischen Familie für sinnvoll und fügte hinzu, dass der zweite Textvorschlag in die richtige Richtung gehe. Jedenfalls stelle dieser keine Entsorgung der Neutralität dar, da man ja bereits jetzt den Artikel 23f B-VG habe. Er appellierte an die Opposition, in Gespräche darüber einzutreten, um eine gemeinsame österreichische Position vorlegen zu können.

Abgeordneter Dr. FASSLABEND (V) hält die Erweiterung für bewältigbar, wenn es eine neue Verfassung gibt. Als wesentliches Element dafür empfindet er die Gleichberechtigung und Vollberechtigung aller Mitgliedstaaten in allen Institutionen. Als einen Erfolg der österreichischen Außenpolitik bewertete Fasslabend die Tatsache, dass Österreich noch vor drei Jahren isoliert gewesen sei, diese Situation aber nicht nur durchgestanden habe, sondern nun von mehr als zwei Dritteln als Sprecher einer Gruppe in Europa anerkannt werde. Fasslabend meinte dabei unter anderem die Forderung Österreichs nach einem stimmberechtigten Kommissar für jedes Land.

Der ÖVP-Politiker sprach sich auch für eine gegenseitige Beistandspflicht innerhalb der gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik aus, da die Probleme auf dem Balkan, im Nahen Osten, in Zentralasien, in Nordafrika sowie die Gefahr des Terrorismus und der biologischen Kampfstoffe die Kapazität einzelner Staaten übersteige.

Als "Schummeln, Beschwindeln und Schlawinern" bezeichnete Abgeordneter Dr. CAP (S) die Außenpolitik Österreichs und ortete hier ein "Desaster". Im Hinblick auf die Beistandspflicht müsse man in der EU die verfassungsrechtlichen Verpflichtungen Österreichs klar auf den Tisch legen, gleichzeitig habe man gegenüber der Bevölkerung eine offene und ehrliche Politik zu betreiben und nicht durch die Hintertür ein "Fait Accompli" zu schaffen. Als weitere Beispiele für seine Vorwürfe nannte der SPÖ-Klubobmann die Tatsache, dass die Außenministerin im Sommer 2001 auf die Obergrenze bei den Transitfahrten verzichtet habe, ohne Gegenleistungen einzufordern. Er habe auch Kommissar Fischler bei der Diskussion um die Übergangslösung des Transitvertrags vermisst. Österreich habe falsche Zahlen nach Brüssel geliefert, so Cap, gleichzeitig die Österreicherinnen und Österreicher beschwindelt und die Eisenbahn nicht entsprechend ausgebaut, obwohl vertragliche Verpflichtungen dazu vorlägen. Scharf kritisierte Cap den "Geheimpakt" Grassers im ECOFIN, den er als "Verschwörung der Finanzminister" bezeichnete, um sich in Zukunft alles unter sich auszumachen. Allgemein warf er der Regierung vor, alles kaputt zu sparen, wichtigen Anliegen aber wie Wachstum und Schaffung von Arbeitsplätzen kaum Augenmerk zu schenken.

Den Vorwurf des "Schummelns, Beschwindelns und Schlawinerns" gab Abgeordneter SCHEIBNER (F) an die SPÖ zurück und bezichtigte diese, über ein Kurzzeitgedächtnis zu verfügen. Er erinnerte an die Verfassungsänderung 1999 unter einer SPÖ-geführten Regierung, als durch den Artikel 23f B-VG die gemeinsame Verteidigung in die Verfassung kam sowie Kampfeinsätze im Rahmen friedenschaffender Maßnahmen zulässig wurden. Die erste Stufe dazu sei eben die Beistandspflicht. Ein UNO-Mandat für derartige Kampfeinsätze sei keine verfassungsrechtliche Voraussetzung und trotzdem habe man damals die Bevölkerung nicht gefragt.

Dass die SPÖ immer wieder versuche, bei Wahlen mit der Neutralität Parteipolitik zu machen, hält er für unverantwortlich. Die SPÖ habe gewusst, sagte Scheibner, dass die Vollmitgliedschaft Österreichs in der EU, die volle Teilnahme an der GASP und die volle Teilnahme an der Verteidigungspolitik mit dem klassischen Begriff der Neutralität unvereinbar sei. Daher habe man auch das Bundes-Verfassungsgesetz in diese Richtung verändert. Er selbst trete für die Beistandspflicht ein, sei aber gegen den Vorschlag der SPÖ zur EU-Armee. Denn da habe Österreich keine souveräne Entscheidungsbefugnis mehr, er, Scheibner, wolle aber das Bundesheer erhalten, dieses jedoch solidarisch ausrichten.

Abgeordnete LICHTENBERGER (G) kritisierte, dass die österreichischen Interessen von der Regierung im Hinterzimmer definiert würden, ohne die Bevölkerung zu fragen. Das zeige sich besonders bei der Sicherheitspolitik, bei der es offensichtlich darum gehe, möglichst schnell in ein Militärbündnis hineinzugehen, ohne eine klare Abgrenzung zur NATO zu schaffen. Der jetzige Vorschlag verschärfe die bereits gemachten Verschlechterungen gegenüber dem Konventsentwurf nochmals und lasse die Sicherheitspolitik von der demokratischen Kontrolle völlig entkleiden. Es sei unrichtig, dass die Beistandspflicht mit der Neutralität kompatibel ist, bemerkte Lichtenberger und knüpfte daran den Verdacht, dass die Neutralität scheibchenweise entsorgt werden soll, ohne dass die Bevölkerung das wolle. Durch die österreichische Position bei der Regierungskonferenz ziehe sich ein roter Faden, der da heiße "Demokratie raus und Regierung rein". Wenn es jedoch um konkrete Interessen der Bevölkerung gehe, sei die Regierung nicht bereit, sich entsprechend einzusetzen.

Abgeordneter Dr. MITTERLEHNER (V) trat dafür ein, die Dinge ernsthaft zu diskutieren, ohne vorher alles rundweg abzulehnen. Hinsichtlich des Transitvertrages beschuldigte er die Grünen, durch ihr Stimmverhalten die einfache Mehrheit für die Interessen Österreichs verhindert zu haben. Er bestritt auch, dass Österreich die Mengenbegrenzung von 108 % aufgegeben habe.

Zum Thema Regierungskonferenz bemerkte Mitterlehner, dass diese auch für die Wirtschaft von Bedeutung sei, zumal wesentliche Voraussetzungen für das Wachstum in einer wachstumsorientierten und ökonomisch orientierten Politik sowie nachvollziehbaren Entscheidungen lägen. Vor dem Hintergrund der Erweiterung hielt er die neue Definition für die Grenzregionen von grundlegender Wichtigkeit, da hier Ausgleichsmöglichkeiten durch Förderungen geschaffen werden. Bei der Daseinsvorsorge unterstrich er die Notwendigkeit, nationale Elemente und die Subsidiarität in den Vordergrund zu stellen.

Abgeordnete TRUNK (S) griff in ihrer Wortmeldung scharf den Bundeskanzler an und stellte die rhetorische Frage, was ihm noch die Neutralität wert sei. Der Transit liefere ein dramatisches Beispiel dafür, was durch die Bundesregierung verspielt werde. Es sei eine Politik des "Diktierens, des Drüberfahrens und des Koste-es-was-es-wolle". Das sehe man genau bei der Zerschlagung der ÖBB, bei den Arbeitslosenraten, in Fragen der Sicherheit, der Rechtsstaatlichkeit und des sozialen Friedens. Den Kärntner Landeshauptmann und den Bundeskanzler verbindet laut Trunk die Tatsache, dass sie fahrlässig den renommierten Ruf der Republik zerstört haben. Schüssel verwechsle das Verhandeln auf internationaler Ebene mit einem Pokerspiel. So viel Fahrlässigkeit, Eitelkeit und Pokerspiel hätten sich die Menschen in Österreich nicht verdient, sagte Trunk. Kritik übte sie auch an Minister Gorbach, der daran gehe, die ÖBB als einzige Alternative zur Straße kaputt zu machen, und an Außenministerin Ferrero-Waldner, die im Bärental nicht Zukunftsthemen für Österreich, sondern lediglich die eigene Zukunft verhandelt habe.

Abgeordneter Dr. BÖSCH (F) bewertete den Konventsvorschlag für eine EU-Verfassung als über weite Strecken akzeptabel, es gebe aber Punkte, die für Österreich lebens- und überlebenswichtig seien, und die man so nicht übernehmen könne. Wäre es nach SPÖ und Grünen gegangen, hätte die österreichische Bundesregierung zu allem Ja und Amen sagen müssen, bemerkte Bösch. Allen Unkenrufen zum Trotz sei es aber gelungen, darüber zu diskutieren, ohne den ganzen Vertragsentwurf zu zerstören. Für Bösch ist dies ein Beweis dafür, dass man zeitgerecht Lobbying betreiben müsse, so wie man es in der Transitfrage bereits vor zehn Jahren hätte beginnen müssen.

Zum Thema Sicherheitspolitik stellte Bösch fest, dass die Neutralität in der Prägung des Jahres 1955 mit dem Artikel 23f B-VG aufgehoben worden sei. Man müsse sich selbstverständlich die vorliegenden Texte genau anschauen, aber es gehe nicht an, dass Europa eine Wirtschafts- und Währungsunion und vielleicht auch einmal eine Sozialunion sei, und dann einzelne Länder sagen können, es geht uns nichts an, wenn ein anderer Staat angegriffen wird. Wenn es aber zu einer Beistandspflicht kommt, müsse das Volk befragt werden, bekräftigte Bösch.

Abgeordnete GLAWISCHNIG (G) bedauerte, dass das Bemühen des Verfassungskonvents um eine größere Transparenz und mehr Demokratie ins Gegenteil verkehrt werde. Die Regierung versuche, die Minister gegenüber dem europäischen Parlament zu stärken, was man genau nachverfolgen könne, rufe man sich die Vorhaben des ECOFIN und der Verteidigungspolitik ins Gedächtnis. Das sei kein Europa der BürgerInnen mehr, betonte Glawischnig. Sie vermutete, dass bei der Sicherheitspolitik die Unwahrheit gesagt wird, da die Klausel zur Beistandspflicht strikter formuliert sei als im NATO-Bündnis. Der Bundeskanzler solle daher klar sagen, dass er am 13. Dezember den Schlussstrich unter die Neutralität setzen wolle. Die vom Bundeskanzler heute angeschnittenen Verbesserungen zum Konventsentwurf beurteilte Glawischnig als vage, da sie keine demokratische Grundlage für die Sicherheitspolitik und keine klare Abgrenzung zur NATO bringen. Die Ausrichtung sei eine ausschließlich militärische. Gegenüber diesen Fragen habe die Problematik des Verkehrs und des Euratom einen wesentlich geringeren Stellenwert eingenommen, kritisierte die Rednerin.

(Schluss Aktuelle Stunde/Forts. NR)