Parlamentskorrespondenz Nr. 12 vom 13.01.2004

VERFASSUNGSAUSSCHUSS BEFASST SICH MIT BERICHTEN DES VFGH UND DES VWGH

Morak kündigt neue Gespräche zum Ortstafel-Streit nach dem 7. März an

Wien (PK) - Staatssekretär Franz Morak kündigte heute im Verfassungsausschuss des Nationalrates neue Initiativen von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel zur umstrittenen Frage zweisprachiger Ortstafeln nach den Landtagswahlen in Kärnten am 7. März an. Das Thema liege dem Bundeskanzler sehr am Herzen, meinte er, eine Wiederaufnahme des Runden Tisches vor den Kärntner Landtagswahlen wäre aber für keinen der Betroffenen zweckmäßig. Morak hält es, wie er sagte, für wichtig, eine von allen akzeptierte und keine "oktroyierte" Lösung zu finden und sieht die Verhandlungen auf einem "guten Weg". Ausdrücklich betonte er, dass das VfGH-Erkenntnis zur Frage der zweisprachigen Topographie unmittelbar wirksam sei und keiner gesetzlichen Umsetzung bedürfe.

Zuvor hatte Grün-Abgeordnete Terezija Stoisits der Regierung vorgeworfen, keine Aktivitäten zur Durchsetzung des VfGH-Erkenntnisses zu setzen, und beklagt, dass die letzte Sitzung der so genannten Konsenskonferenz im September 2002 stattgefunden habe. Seither herrsche "Grabesstille".

Die Grundlage für die Diskussion im Verfassungsausschuss bildeten die Tätigkeitsberichte des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes für die Jahre 2001 und 2002 (III-56 d.B.), wobei die bereits seit Jahren andauernde Überlastung des Verwaltungsgerichtshofes im Mittelpunkt der Beratungen stand. Die Abgeordneten setzen große Hoffnungen in den Österreich-Konvent, wo sich, wie einige Konventsmitglieder berichteten, eine Einigung hinsichtlich der Einrichtung von Landesverwaltungsgerichtshöfen abzeichnet.

Uneinigkeit herrschte zwischen SPÖ und Grünen auf der einen Seite und ÖVP und FPÖ auf der anderen Seite über eine Vertagung der Diskussion, um VfGH-Präsident Karl Korinek und VwGH-Präsident Clemens Jabloner zu den Beratungen beiziehen zu können. Entsprechende Anträge von SPÖ-Abgeordnetem Johannes Jarolim wurden mit VP-FP-Mehrheit abgelehnt. Scharfe Kritik übten die Grünen auch an der "Enderledigung" des Berichts im Verfassungsausschuss und sprachen von einer gröblichen Missachtung der beiden Gerichtshöfe.

Wie aus dem Bericht hervorgeht, wurden im Jahr 2002 2.569 neue Fälle an den Verfassungsgerichtshof (VfGH) herangetragen - Beschwerden von Bürgern ebenso wie Gesetzesprüfungsanträge, Anträge auf Prüfung von Verordnungen, Kompetenzkonflikte, Wahlanfechtungen, vermögensrechtliche Ansprüche und Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Rechnungshof und geprüften Rechtsträgern hinsichtlich der Prüfungszuständigkeit. 2.594 Fälle konnten erledigt werden. Von 62 im Jahr 2002 geprüften Gesetzen hob der VfGH 43 zumindest teilweise auf, 19 Normen hielten der Prüfung stand. Die Verfahrensdauer der vom VfGH behandelten Fälle ist dem Bericht zufolge im internationalen Vergleich äußerst positiv zu sehen.

Nichts geändert hat sich in den Jahren 2001 und 2002 an der prekären Situation im Verwaltungsgerichtshof (VwGH). Der Gerichtshof ist nach wie vor notorisch überlastet, was immer häufiger Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wegen Überschreitung der angemessenen Verfahrensdauer zur Folge hat. Der EGMR hat in diesem Zusammenhang bereits mehrfach eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention durch Österreich festgestellt.

Die durchschnittliche Erledigungsdauer der im Jahr 2002 vom VwGH mit Sachentscheidung erledigten Bescheidbeschwerden betrug 21 Monate, 844 Akten waren sogar länger als drei Jahre anhängig. Gleichzeitig blieben im Jahr 2002 8.880 Beschwerden und 306 Anträge auf aufschiebende Wirkung unerledigt. Ein Abbau der Rückstände und eine Verringerung der Verfahrensdauer ist unter den gegebenen Bedingungen nach Meinung des VwGH nicht möglich, schon die gegenwärtigen Erledigungszahlen - rund 7.000 pro Jahr - könnten nur unter einem solchen Zeitdruck erreicht werden, dass auf Dauer die Qualität der Entscheidungen in Frage gestellt sein könnte. Die volle Funktionsfähigkeit des VwGH kann nach Meinung des Verwaltungsgerichtshofes auf Dauer nur durch die Einrichtung von Verwaltungsgerichten erster Instanz wieder hergestellt werden.

Insgesamt wurden im Jahr 2002 laut Bericht 6.893 neue Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof herangetragen, dazu kamen 2.269 Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Im gleichen Zeitraum erledigt wurden 6.944 Beschwerden, von denen 2.862 zu einer Aufhebung des angefochtenen Bescheids führten. Die meisten Beschwerden betrafen das Sicherheitswesen und den Steuer- und Abgabenbereich.

Abgeordnete Elisabeth Grossmann (S) gab im Rahmen der Diskussion zu bedenken, dass die Überlastung des Verwaltungsgerichtshofs rechtsstaatlich bedenklich sei. Immer häufiger würde die überlange Dauer von Verfahren auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beanstandet. Zentrales Problem ist für sie das Fehlen von Verwaltungsgerichtshöfen erster Instanz. Eine "weitere Überfrachtung" der Unabhängigen Verwaltungssenate brächte ihrer Auffassung nach hingegen keine Lösung, da dies nur mehr Säumnisbeschwerden beim Verwaltungsgerichtshof zur Folge haben würde.

FPÖ-Klubobmann Herbert Scheibner wies darauf hin, dass die Bundesregierung trotz des allgemeinen Spargrundsatzes einer Personalerhöhung beim VwGH zugestimmt habe. Um das Problem der Überlastung zu lösen, ist seiner Ansicht nach aber eine Strukturreform notwendig. Scheibner verwies auf die dazu geführte Diskussion im Österreich-Konvent und meinte, die Einrichtung von Landesverwaltungsgerichtshöfen sei sehr zu unterstützen. Dies müsse aber in einem Gesamtkonzept verankert werden. Zu den Tätigkeitsberichten des VfGH merkte der Abgeordnete an, die Zahl der Gesetzesanfechtungen sei zwar gestiegen, der Prozentsatz der Gesetzesaufhebungen sei aber nicht höher als in den vergangenen Jahren.

Abgeordnete Terezija Stoisits (G) übte scharfe Kritik an der mangelnden Öffentlichkeit der Beratungen und wertete es als "gröbliche Missachtung" des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes, dass sich die Abgeordneten "still und heimlich" und in Abwesenheit des VwGH- und des VfGH-Präsidenten mit den Berichten beschäftigten. Dieser Kritik schloss sich auch SPÖ-Abgeordneter Johannes Jarolim an. Anträge von Jarolim, die Debatte zu vertagen und VfGH-Präsident Karl Korinek und VwGH-Präsident Clemens Jabloner zu den Beratungen einzuladen, blieben jedoch in der Minderheit.

Sowohl Abgeordnete Ulrike Baumgartner-Gabitzer (V) als auch FPÖ-Klubobmann Scheibner wandten sich gegen eine Vertagung der Beratungen und erinnerten daran, dass auch die bisherigen Diskussionen über die Tätigkeitsberichte des VfGH und des VwGH ohne deren Präsidenten stattgefunden hätten. Abgeordnete Baumgartner-Gabitzer trat aber dafür ein, bei der Behandlung der nächsten Berichte die beiden Präsidenten einzuladen, da sich deren Rechtsstellung kürzlich geändert habe.

Zum Inhalt der Berichte sagte Baumgartner-Gabitzer, die Überlastung des VwGH sei seit Jahren bekannt. Im zuständigen Ausschuss des Österreich-Konvents herrscht ihr zufolge auch weitgehend Übereinstimmung hinsichtlich der Einrichtung von Landesverwaltungsgerichtshöfen. Eine solche grundsätzliche Veränderung sollte ihrer Ansicht nach aber nicht "auf Zuruf" erfolgen, vielmehr sei eine umfassende Diskussion im Konvent notwendig.

Abgeordneter Roderich Regler (V) gab zu bedenken, dass die Einrichtung von Unabhängigen Verwaltungssenaten keine Abhilfe bezüglich der langen Verfahrensdauer beim Verwaltungsgerichtshof geschaffen habe. Warum es bisher noch zu keiner Einrichtung von Landesverwaltungsgerichtshöfen gekommen ist, führt er auf Finanzierungsfragen zurück. Regler hofft auf eine Lösung des Problems durch den Österreich-Konvent.

Abgeordneter Günther Kräuter (S) verwies - im Zusammenhang mit seinerzeitigen Angriffen des Kärntner Landeshauptmanns Jörg Haider auf den VfGH - auf einen Passus im Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofes 2001, wonach der Gerichtshof von einem Staatsorgan als "politisch korrumpiert" bezeichnet und dessen Unabhängigkeit offen in Zweifel gezogen worden sei und verlangte von Staatssekretär Franz Morak Aufklärung.

Abgeordnete Terezija Stoisits (G) wollte wissen, wie die Regierung zur Forderung nach Personalaufstockung durch den Verwaltungsgerichtshof und zu einer zweigliedrigen Verwaltungsgerichtsbarkeit stehe. Im Ausschuss 9 (Rechtsschutz, Gerichtsbarkeit) des Österreich-Konvent gibt es ihr zufolge ein grundsätzliches Bekenntnis zu Verwaltungsgerichtshöfen erster Instanz, die Diskussion sei aber noch "im Fluss".

Staatssekretär Franz Morak machte geltend, dass der Österreich-Konvent autonom arbeite und sowohl der Präsident des Verwaltungsgerichtshofes als auch der Präsident des Verfassungsgerichtshofes Mitglieder des Konvents seien. Durch eine kürzlich vorgenommene Gesetzesänderung würden die beiden Präsidenten ihre Budgets künftig auch selbst mit dem Finanzminister verhandeln, betonte er. Erleichterungen für den Verwaltungsgerichtshof hat Morak zufolge die erfolgte Neuregelung in Bezug auf Massenverfahren gebracht, die vom Verwaltungsgerichtshof auch ausdrücklich begrüßt worden sei.

Zu den Angriffen auf den Verfassungsgerichtshof merkte Morak an, das "Staatsorgan", von dem die Kritik ausgegangen sei, sei kein Mitglied der Bundesregierung.

Der Bericht des Bundeskanzlers über die Tätigkeitsberichte des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes für die Jahre 2001 und 2002 wurde mit VP-FP-Mehrheit zur Kenntnis genommen. Der Bericht ist damit "enderledigt" und wird nicht mehr im Plenum des Nationalrats diskutiert. (Fortsetzung)