Parlamentskorrespondenz Nr. 64 vom 29.01.2004

NR: ÖVP UND FPÖ LEHNEN FORDERUNGEN DES ANTI-ATOM-VOLKSBEGEHRENS AB

Pröll: Anti-Atom-Bindung der Minister auf EU-Ebene nicht zielführend

Wien (PK) - Eingangs der Sitzung kündigte Nationalratspräsident Andreas Khol für 15 Uhr die Abhaltung einer Dringlichen Anfrage von ÖVP und FPÖ an Bildungsministerin Gehrer an - Thema: "Eskalation der Gewalt und der Sprache von Studentenprotesten der Linken". Im Anschluss daran wird auf Verlangen der SPÖ eine Kurzdebatte zum Thema "Österreichische Entwicklungshilfe" abgehalten werden.

Dann ging das Haus in die Behandlung des Volksbegehrens “Atomfreies Europa” und des S- Antrag es betreffend Nichtzustimmung Österreichs zur Aufstockung des EURATOM-Kreditrahmens ein.

Abgeordnete Mag. SIMA (S) sprach ihr Bedauern darüber aus, dass es nicht gelungen sei, eine Vier-Parteien-Entschließung zur Anti-Atompolitik zustande zu bringen. Der Vorschlag der Regierung, der Aufstockung der Euratom-Kreditmittel zuzustimmen, sei für die Opposition aber nicht akzeptabel. Diese Zustimmung sei ein völlig falsches Signal an die EU. "Wir können uns nicht glaubwürdig gegen AKW einsetzen, wenn wir zugleich ihre Finanzierung unterstützen". So lange es eine Finanzierung für Atomkraftwerke gibt, werden AKW gebaut werden, wobei es die Abgeordnete für besonders problematisch hielt, dass die Entschließung der Regierungsparteien Kreditvergaben für die Fertigstellung von AKW nicht ausschließe. Somit werde es möglich sein, problematische Reaktoren in Osteuropa mit Euratom-Krediten fertig zu bauen. - Dem könne die SPÖ nicht zustimmen, sagte Ulrike Sima.

Abgeordneter KOPF (V) erklärte einleitend, warum er eine Bindung der Minister auf europäischer Ebene, wie sie das Anti-Atom-Volksbegehren vorgesehen habe, für nicht sinnvoll halte. Auch wenn man gegen den Euratom-Vertrag auftrete, könne es einen Schuss ins eigene Knie bedeuten, eine apodiktische Position einzunehmen. Denn es sei sinnvoll, der Aufstockung der Kreditmittel, die mit auf EU-Ebene mit Mehrheit möglich sei, zuzustimmen, wenn man damit erreicht, dass über die Verwendung der Mittel einstimmige Beschlüsse herbeigeführt werden müssen. Daher stimme Österreich der Anhebung zu und sichere sich so seinen Einfluss auf Entscheidungen über die Verwendung der Mittel. Eine apodiktische Position hätte keinen Vorteil für Österreich gebracht, sie einzunehmen "hätte einen Schuss in beide eigene Knie bedeutet", sagte Kopf pointiert.

Abgeordnete Dr. GLAWISCHNIG (G) bedauerte zunächst, dass die Regierungsparteien nicht bereit gewesen seien, die Forderung des Volksbegehrens für eine Verankerung der Ministerbindung in der Bundesverfassung ernst zu nehmen.

Der Entschließungsantrag der Regierung sei auf Einfluss der Oppositionsparteien sehr weit reichend geworden und enthalte über weite Strecken brauchbare Bestimmungen. Der Aufstockung der Euratom-Kreditmittel können die Grünen aber nicht zustimmen, weil das ein völlig falsches Signal an die EU darstelle und im Widerspruch zur Anti-AKW-Politik Österreichs stehe. Für problematisch hielt die Rednerin auch die Weigerung der Regierungsparteien, in der Entschließung auf die Gefahren hinzuweisen, die von grenznahen Kraftwerken ausgehen, die nicht ausreichend gegen Terrorangriffe gesichert sind. Als Beispiel nannte sie das bayrische AKW Isar I, das in der Einflugsschneise des Flughafens München liege.

Abgeordneter WITTAUER (F) sah keinen Grund, dem vorliegenden Entschließungsantrag, über den lange zwischen den Fraktionen verhandelt worden sei, nicht zuzustimmen. Die Entschließung stelle sicher, dass Euratom-Kreditmittel ausschließlich für Sicherheitsinvestitionen, nicht aber für die Fertigstellung, den Neubau oder Laufzeitverlängerungen von AKW verwendet werden. "Mir ist es lieber, der Aufstockung zuzustimmen, wenn dies die Voraussetzung dafür ist, dass bei der Verwendung der Mittel Einstimmigkeit herrschen muss". Andernfalls würden die alten Verwendungsrichtlinien für Euratom-Kredite aufrecht bleiben, was bedeuten würde, EU-Gelder für den Fertigbau und die Laufzeitverlängerung von AKW zu verwenden. Dies verhindert zu haben, sei ein Erfolg der Bundesregierung, zu dem Wittauer gratulierte.

Abgeordneter Dr. BAUER (S) unterstrich das Ziel seiner Fraktion, einen europaweiten Ausstieg aus der Kernenergie zu erreichen, wozu auch gehöre, die Aufstockung der Euratom-Kreditmittel abzulehnen. Bauer bezweifelt, dass es notwendig sei, der Aufstockung zuzustimmen, um sich die Mitsprache bei der Mittelverwendung zu sichern. Seiner Auffassung unterliegen Entscheidungen über die Mittelverwendung weiterhin der Einstimmigkeit.

Abgeordneter HORNEK (V) bekundete seine hundertprozentige Übereinstimmung mit den Zielen des Anti-Atom-Volksbegehrens, wandte sich aber ebenso entschieden gegen die darin vorgeschlagene Ministerbindung, da sie dazu führen würde, dass Österreich auf europäischer Ebene als Verhandlungspartner nicht mehr ernst genommen würde. In den Mittelpunkt seiner Ausführungen stellte Hornek ein Plädoyer für die Förderung des Öko-Stroms und wandte sich entschieden gegen jene, die meinen, der Preis für ein Krügel Bier pro Haushalt sei als Beitrag zur Förderung von Öko-Strom nicht zumutbar. - Dazu applaudierten Hornek auch Abgeordnete der Oppositionsparteien.

Abgeordnete REST-HINTERSEER (G) bezeichnete den europaweiten Atomausstieg als ein umweltpolitisches Schlüsselprojekt. Daher unterstütze sie den Vorschlag des Volksbegehrens, der Bundesregierung klare Handlungsaufträge in Brüssel zu erteilen. Das Geld, das die Bundesregierung für die Erhöhung des Euratom-Kreditrahmens ausgeben möchte, wäre besser für die Förderung alternativer Energieprojekte angelegt, sagte die Rednerin und kritisierte den Kärntner Landeshauptmann für seine Haltung in der Frage Öko-Strom-Förderung. Haider habe seit dem Einstieg von RWE bei KELAG die Seiten gewechselt und zähle nun zur Atom-Lobby, meinte Rest-Hinterseer. 

Landwirtschaftsminister DI PRÖLL machte geltend, in Österreich gebe es einen breiten Konsens in der Frage des Umgangs mit Kernenergie. Die relativ geringe Unterstützung des Anti-Atom-Volksbegehrens deutet für ihn darauf hin, dass sich die große Mehrheit der österreichischen Bevölkerung mit der Position der Regierung identifiziert.

Ablehnend äußerte sich der Landwirtschaftsminister zur Forderung nach einer verfassungsrechtlichen Bindung der Regierung in Atomfragen. Ein eingeengter Verhandlungsspielraum auf EU-Ebene könnte sinnvolle Lösungen "dramatisch erschweren", argumentierte er. Immerhin seien auch die vereinbarte Schließung der gefährlichsten Atomkraftwerke in den EU-Beitrittsländern und Verbesserungen bei den Sicherheitsstandards nicht durch Drohungen erreicht worden, sondern, so Pröll, durch eine klare Verhandlungsführung und Gesprächsbereitschaft.

Auch in der Frage des EURATOM-Vertrages hat Österreich Pröll zufolge einen Erfolg erzielen können. Dadurch, dass nunmehr die Zieldefinitionen von EURATOM und die Aufstockung der Mittel miteinander verknüpft seien, hat seiner Auffassung nach die Stimme Österreichs an Gewicht gewonnen. In diesem Zusammenhang bedauerte der Minister die Ablehnung eines Entschließungsantrages des Umweltausschusses durch die Opposition.

Abgeordnete DI ACHLEITNER (F) betonte, Atompolitik dürfe in Österreich keine Frage von Parteipolitik oder Parteitaktik sein. Es sei ihr unverständlich, dass die Grünen und die SPÖ dieses Thema parteipolitisch missbrauchten, meinte sie. Die Freiheitlichen würden ihrer Linie jedenfalls treu bleiben, sagte Achleitner, und weiterhin gegen Atomkraftwerke in Europa auftreten und das Ziel der Schließung grenznaher Akw verfolgen.

Die Zustimmung von ÖVP und FPÖ zur Aufstockung der EURATOM-Mittel begründete sie damit, dass Österreich dadurch massiven Einfluss auf die Verwendung der Mittel erhalte. Sie wies darauf hin, dass die Gelder dem Entschließungsantrag gemäß nur für Sicherheits- bzw. Ausstiegsmaßnahmen aus der Atomkraft und keinesfalls für einen Neubau von Atomkraftwerken verwendet werden dürften.

Abgeordnete PFEFFER (S) gab zu bedenken, dass Österreich jährlich fast 40 Mill. € an "Atomgeldern" an die EU zahle. Sie hält eine Aufstockung des Kreditrahmens für EURATOM von 4 Mrd. € auf 6 Mrd. € für inakzeptabel. Mehr Geld für EURATOM bedeute mehr Geld für Atomkraftwerke in Europa und nicht mehr Geld für die Sicherheit der Bevölkerung, umriss sie. Pfeffer machte überdies geltend, dass die Lagerung von Atommüll nach wie vor ein ungelöstes Problem sei.

Abgeordneter ELLMAUER (V) erklärte, die ÖVP stimme den drei zentralen Forderungen des Volksbegehrens "Atomfreies Europa" zu: europaweiter Ausstieg aus der Kernenergienutzung, kein Neubau von Atomkraftwerken in den EU-Staaten und keine weitere Förderung der Kernenergienutzung in Europa. Er wandte sich allerdings dagegen, diese Punkte verfassungsgesetzlich zu verankern, und argumentierte, eine verfassungsrechtliche "Knebelung" würde lediglich die Flexibilität Österreichs bei Verhandlungen auf EU-Ebene beeinträchtigen. Zur Aufstockung des Kreditrahmens für EURATOM merkte er an, dadurch, dass es nun ein Gesamtpaket gebe, habe Österreich die Möglichkeit, die Kreditvergabe an bestimmte Bedingungen zu knüpfen.

Abgeordnete SCHARER (S) bezweifelte dem gegenüber, dass die zusätzlichen Mittel für EURATOM ausschließlich für sicherheits- oder ausstiegsorientierte Maßnahmen verwendet würden. Das ist ihr zufolge nicht garantiert. Als besonders wichtig erachtet es Scharer, dass der EURATOM-Vertrag nicht Teil der geplanten EU-Verfassung wird und Ausstiegsmöglichkeiten verankert werden.

Abgeordneter PREINEDER (V) mahnte die Forcierung erneuerbarer Energieträger ein. Wenn man Atomstrom ablehne und gleichzeitig wisse, dass der Strombedarf jährlich um 2 % steige, dann gebe es dazu keine Alternativen, wolle man nicht auf Importstrom aus Atomkraftwerken angewiesen sein, betonte er. In diesem Zusammenhang warf Preineder dem Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider vor, die Umsetzung des Ökostrom-Gesetzes zu blockieren. Mit einem Stromzuschlag von 2,5 € pro Haushalt könnte der Ausbau von Ökostrom gesichert werden, machte er geltend.

In einer tatsächlichen Berichtigung zur Wortmeldung Preineders hielt Abgeordneter SCHEUCH (F) fest, nicht der Landeshauptmann von Kärnten blockiere eine Verordnung zum Ökostrom-Gesetz, sondern ein Konsortium aus vier Bundesländern.

Abgeordnete BAYR (S) sprach sich gegen eine Aufstockung des Kreditrahmens für EURATOM aus. Sie hält es für "blauäugig" zu glauben, dass Österreich mit einer Zustimmung zur Kreditaufstockung Bedingungen stellen könne. Die Nuklearförderung auf europäischer Ebene müsse beendet werden, forderte Bayr.

Namens der SPÖ legte die Abgeordnete einen Entschließungsantrag vor, der in weiten Bereichen mit dem von ÖVP und FPÖ im Umweltausschuss beschlossenen Entschließungsantrag ident ist, jedoch mit Ausnahme jener Punkte, die sich auf den EURATOM-Vertrag beziehen. Die SPÖ fordert unter anderem eine Revision des EURATOM-Vertrags und weitere Stilllegungsverhandlungen mit Tschechien hinsichtlich des AKW Temelin.

Abgeordneter WITTAUER (F) fühlt sich, wie er in einer zweiten Wortmeldung festhielt, durch den Antrag der SPÖ "ein bisschen gepflanzt". Seiner Meinung nach geht die SPÖ die Gefahr ein, dass die alten Richtlinien des EURATOM-Vertrags beibehalten werden.

Abgeordnete Dr. MOSER (G) führte aus, nicht SPÖ und Grüne seien es, die den bisherigen konsensualen Weg von Vier-Parteien-Beschlüssen in der Anti-Akw-Politik verlassen würden, sondern FPÖ und ÖVP. Durch deren konziliante Politik würde die österreichische Position "aufgeweicht". Moser erachtet es für erforderlich, in der Anti-Atom-Politik weiterhin einen "völlig rigorosen" Kurs zu beschreiten und nicht die Glaubwürdigkeit Österreich aufs Spiel zu setzen.

Ähnlich argumentierte Abgeordnete Mag. SIMA (S) in einer zweiten Wortmeldung. Wenn jemand den Anti-Atom-Kurs verlasse, dann seien es die Regierungsparteien, bekräftigte sie. Es sei schließlich immer Konsens in Österreich gewesen, einer Aufstockung der EURATOM-Kredite nicht zuzustimmen. Sima appellierte nochmals an die Koalitionsparteien, den Antrag der SPÖ zu unterstützen.

Bei der Abstimmung nahmen die Abgeordneten den (negativen) Bericht des Umweltausschusses über das Volksbegehren "Atomfreies Europa" mit VP-FP-Mehrheit zur Kenntnis. Ebenfalls mit den Stimmen der Koalitionsparteien wurde die dem Ausschussbericht angeschlossene Entschließung gebilligt. In der Minderheit blieb hingegen der S-G-Entschließungsantrag betreffend weitere Vorgangsweise Österreichs zur Reform des EURATOM-Vertrags.

Den (negativen) Ausschussbericht des Umweltausschusses über den SPÖ-Entschließungsantrag 43/A(E) nahm der Nationalrat mit VP-FP-Mehrheit zur Kenntnis. (Fortsetzung)