Parlamentskorrespondenz Nr. 213 vom 24.03.2004

AKTUELLE STUNDE IM NATIONALRAT: ARMUTSFALLE PENSIONSREFORM

Heftige Debatte zum Themenkomplex Pensionsreform/Steuerreform

Wien (PK) - Nationalratspräsident Andreas KHOL eröffnete die heutige 55. Sitzung des Nationalrates mit einer aktuellen Stunde, deren Thema - "Armutsfalle Pensionsreform" - von der SPÖ ausgewählt wurde.

Abgeordneter VERZETNITSCH (S) leitete die Debatte ein, indem er die Abgeordneten zunächst an die zahlreichen Versprechungen erinnerte, die von Ministern und Abgeordneten der schwarz-blauen Regierungskoalition unter den Titeln "Pensionsreform" und "Pensionssicherung" abgegeben, aber nicht eingehalten worden seien. Im Mittelpunkt der Widersprüche stehe die wiederholte Aussage, die Pensionsverluste, die einzelne Pensionisten treffen, könnten leicht durch private Vorsorge ausgeglichen werden. "Mit welchem Geld?" sei die passende Frage dazu, sagte Verzetnitsch, eine Frage, die nicht von der Opposition, sondern von dem der ÖVP angehörenden Landeshauptmann von Oberösterreich, Josef Pühringer, gestellt wurde.

Die so genannte Pensionssicherungsreform des Jahres 2003 hat laut Verzetnitsch keine Lösungen gebracht: Frauen bekommen ihre Erziehungszeiten nicht abgegolten, die verschiedenen Pensionssysteme wurden nicht harmonisiert, das Pensionsantrittsalter wurde zwar hinaufgesetzt, zugleich aber Abschläge eingeführt. Keine Lösung habe die Regierung auch für die Schwerarbeiter gefunden.

Da die Regierung Berechnungen der Arbeiterkammern und der Gewerkschaften zu den Pensionsverlusten als falsch bezeichnen und von "Horrorzahlen" sprechen, zitierte der Redner aus Pensionsbescheiden, aus denen hervorgehe, dass eine Frau mit Kind, die nach den alten Bestimmungen eine monatliche Bruttopension von 1.332 € erwarten konnte, nunmehr um 9,84 % weniger, nämlich nur 1.201 € erhält. - Der jährliche Verlust dieser Frau beträgt 1.835 €.

Diese Pensionsreform diene nicht der Pensionssicherung, wie von der Regierung behauptet -, "das ist Pensionsraub aus budgetären Gründen", formulierte Verzetnitsch drastisch und appellierte an die Österreicher, das Pensionsvolksbegehren zu unterschreiben, um faire Pensionsregelungen herbeizuführen.

Demgegenüber warnte Bundesminister Mag. HAUPT davor, das Pensionsvolksbegehren zu unterschreiben, weil eine Aufhebung der Pensionssicherungsreform 2003 dazu führen würde, dass man den Menschen schon im Jahr 2006 Budgeteinsparungen in der Höhe von 2 Mrd. € zumuten müsste. Darstellungen der Arbeiterkammern, dass Regelpensionen gekürzt würden, wies der Minister entschieden zurück und machte darauf aufmerksam, dass die zitierten Einbußen nur vorzeitige Pensionen betreffen. Aussagen über 30- bis 40-prozentige Pensionskürzungen seien falsch und leugneten die Tatsache der zehnprozentigen Verlustdeckelung, stellte der Sozialminister klar.

Bundesminister Haupt erinnerte die Sozialdemokraten an Versäumnisse in der Zeit ihrer Regierungsverantwortung und an ihre Verantwortung für die finanzielle Situation des Pensionssystems, wie sie die Bundesregierung bei ihrem Amtsantritt vorgefunden habe. "Hätten Sie in den neunziger Jahren getan, was der Sozialexperte Rürup vorgeschlagen hat, hätten wir manche Härten der Frühpensionisten vermeiden können", sagte Minister Haupt. Weiters erinnerte er die Sozialdemokraten an die Einführung des Nettoprinzips bei der Pensionsanpassung im Jahr 1995 und machte darauf aufmerksam, dass die gegenwärtige Regierung dafür gesorgt habe, dass die Pensionisten ab 2006 eine jährliche Anpassung ihrer Pensionen an die Inflationsrate bekommen werden.

Auch sei die SPÖ in den Jahren ihrer Regierungsverantwortung nicht imstande gewesen, eine Pensionsregelung für Bauarbeiter und Arbeiter im Baunebengewerbe herbeizuführen. "Wir werden dafür sorgen, dass Bauarbeiter mit einer Schwerarbeiterregelung in eine für ihre Belastungen adäquate Pension gehen können", sagte der Minister.

Über eine Pensionsharmonisierung werde seit Wochen verhandelt, sagte der Ressortchef, Verzögerungen seien auf zusätzliche Berechnungen zurückzuführen, die zu mehr als 70 % auf Antrag von Arbeiterkammern und ÖGB verlangt worden seien.

Abgeordnete TURKOVIC-WENDL (V) ging auf die gesellschaftlichen Veränderungen ein, die den Hintergrund für die Pensionsreform 2003 bilden: Die Lebenserwartung steigt, die Dauer der Erwerbsarbeit nimmt ab, die Menschen sind länger in Pension und zugleich nützen junge Menschen die Chance für länger dauernde Ausbildungen, was zu einem späteren Eintritt in das Erwerbsleben führt. Finanziell führe dies zum Stagnieren des Beitragsvolumens bei gleichzeitigem Anstieg des Pensionsaufwands. Wie diese Finanzierungslücke zu schließen sei, dazu habe die Opposition bisher keine Vorschläge gemacht. Die Regierung habe hingegen moderate Schritte gesetzt, um das vorbildliche österreichische Pensionssystem aufrecht zu erhalten. Gleichzeitig habe die Regierung für eine Erhöhung unterdurchschnittlicher Pensionen gesorgt. Die Ausgleichszulagen für Alleinstehende wurden um 11 % und für Ehepaare um 21 % angehoben. Dem Motto: "Heute teile ich aus, und was morgen ist, interessiert mich nicht", konnte Abgeordnete Turkovic-Wendl nichts abgewinnen.

Abgeordnete Mag. PRAMMER (S) warf Bundesminister Haupt vor, bei seiner Pensionsreform die Frauen völlig vergessen zu haben. Die Bundesregierung motiviere die Frauen zwar, zuhause zu bleiben und Teilzeitarbeit anzunehmen, sage aber nicht, wie diese Zeiten bei der Pensionsberechnung berücksichtigt werden sollen. Die Behauptung von Sprechern der Koalitionsparteien, die SPÖ habe keine Vorschläge zur Pensionsreform, wies die Abgeordnete zurück und konterte mit dem Hinweis auf die "undemokratische Art", in der Bundesregierung und Koalitionsparteien mit den Vorschlägen der Opposition insgesamt umgehen. "Die Vorschläge liegen auf dem Tisch - Sie brauchen sie nur umzusetzen!" schloss Prammer.

Abgeordneter DOLINSCHEK (F) zeigte sich verwundert darüber, dass die SPÖ ein Volksbegehren zu einem Thema initiiert, in dem sie selbst Jahrzehnte lang Regierungsverantwortung getragen habe. Dolinschek erinnerte daran, dass all die unterschiedlichen Pensionssysteme mit unterschiedlichen Leistungen, die jetzt harmonisiert werden müssen, von der SPÖ eingeführt wurden. Bei der Schwerarbeiterregelung appellierte Dolinschek an ÖGB-Präsident Verzetnitsch, für Ordnung im ÖGB zu sorgen, denn dort stehen einzelne Gewerkschaften auf der Bremse und versuchten auch die Harmonisierung zu verzögern.

Abgeordneter ÖLLINGER (G) erinnerte daran, dass die Bundesregierung den Menschen versprochen habe, sie nach der Pensionsreform mit einer Steuerreform zu entlasten. Wenn sich die Menschen diese Steuerreform nun anschauen, sehen sie Entlastungen bei der Körperschaftssteuer und eine Steueramnestie für Menschen, die "aus irgendwelchen Gründen" vergessen haben, ihre Steuern zu bezahlen - Steueramnestie für Steueramnesie gewissermaßen. Öllinger kritisierte diese Amnestie, die einen 60-prozentigen Steuerrabatt für Vergessliche bringen soll, während man den Menschen sage, eine Pensionssicherung sei ohne Kürzungen und Einsparungen nicht möglich. Daher könne er dem Volksbegehren einiges abgewinnen, das eine Erhöhung der Erwerbsquote, einen Ausschluss überfallsartiger Veränderungen und ein Bekenntnis zum Umlageverfahren enthält. Denn es sei den jungen Menschen nicht zumutbar, sich ihre Altersversorgung "an der Börse erspekulieren zu müssen".

Abgeordneter Mag. TANCSITS (V) hielt Polemiken unter dem Titel "Pensionsraub" das Faktum entgegen, dass die Ausgaben für die Pensionen von 2003 auf 2004 um 490 Mill. € zugenommen haben. Die Sozialdemokraten sollten zur Kenntnis nehmen, dass man mit einem Volksbegehren nicht die Bevölkerungsentwicklung der letzten 30 Jahre umkehren könne, und er warnte davor, Probleme bei der Finanzierung des Pensionssystems auf Kosten der Jungen und Erwerbstätigen nach dem Motto zu ignorieren: "Hinter uns die Sintflut". Auch Tancsits machte auf die deutlich erhöhten Ausgleichszulagenrichtsätze aufmerksam und forderte die Sozialdemokraten auf, funktionierende Modelle der Mitarbeitervorsorge und der privaten, staatlich prämierten Zukunftsvorsorge nicht zu verschweigen. Wer jetzt kritisiere, dass die Pensionsharmonisierung verzögert werde, dürfe nicht vergessen, dass der Vorwurf noch vor einem Jahr gelautet habe, es werde zu wenig mit den Sozialpartnern geredet.

Abgeordnete SILHAVY (S) kritisierte die Pensionsreform des Jahres 2003 als ein Umverteilungsprogramm zu Lasten mittlerer und kleiner Einkommen und zu Gunsten jener, die sich eine private Zukunftsvorsorge leisten können. Vergessen habe man sowohl Schwerarbeiter als auch Frauen, dies zeigten die Pensionsbescheide von Arbeiterinnen mit Kindererziehungszeiten deutlich, die jetzt ihren Ruhestand antreten. Silhavy warf der Bundesregierung vor, den Weg in die "sozialpolitische Steinzeit" eingeschlagen zu haben, und unterstrich das Recht der jungen Menschen auf eine faire, gerechte und solidarische Altersversorgung.

Abgeordneter WALCH (F) wiederholte den Vorwurf an die SPÖ, in den Jahren ihrer Regierungsverantwortung ein ungerechtes Pensionssystem geschaffen zu haben, und erinnerte den ÖGB-Präsidenten daran, dass auch er einst gegen die Kürzung der Entgeltfortzahlungen für Politiker gestimmt habe. Den Sozialdemokraten im ÖGB sprach es Walch ab, Arbeitnehmerinteressen zu vertreten und meinte, die FSG sei eine Art SPÖ-Zentrale im ÖGB, die kein Problem damit habe, Politikerprivilegien aufrecht zu erhalten. Überdies habe sie in der Vergangenheit nichts gegen die Schuldenpolitik der SPÖ-Finanzminister unternommen.

Abgeordnete Mag. WEINZINGER (G) bezeichnete die Familienpolitik der Bundesregierung als kurzsichtig und bezweifelte auch die tatsächliche Wahlmöglichkeit zwischen Beruf und Familie bei den Eltern. Die Pensionsreform der Bundesregierung ist für sie keine Pensionssicherungsreform, sondern eine Pensionskürzungsreform. Weinzinger forderte in diesem Zusammenhang eine eigenständige Alterssicherung für alle Frauen beziehungsweise eine Grundpension für alle. Die Regierung verteile ihrer Ansicht nach aber nur Almosen, strebe die Privatisierung des Sozialversicherungssystems an und setze das soziale Netz aufs Spiel. (Schluss)