Parlamentskorrespondenz Nr. 415 vom 04.06.2004

EUROPADEBATTE IM NATIONALRAT

Erklärung des Bundeskanzlers bei der Sondersitzung des Nationalrats

Wien (PK) – Mit einer Erklärung von Bundeskanzler Dr. SCHÜSSEL hat die heutige Sondersitzung des Nationalrates begonnen. Wolfgang Schüssel sprach zum Thema „Österreich in Europa – Die Zukunftsthemen“. In seiner Rede unterstrich Schüssel, dass die Erhaltung des Friedens, die Verbesserung der Wachstumssituation und die Frage der Sicherheit die zentralen Punkte in Europas Zukunft seien. Die Sitzung wurde auf Verlangen der Grünen einberufen.

Bundeskanzler Schüssel hob eingangs die drei wichtigsten Vorhaben der abgelaufenen Legislaturperiode des Europaparlamentes hervor: die Einführung des Euro, die Erweiterung der Union um zehn Mitglieder und die Arbeit an einer Verfassung für die EU.

Fast genau zehn Jahre nach der Volksabstimmung über den EU-Beitritt habe die EU Österreich weit nach vorne gebracht und Österreich habe sich sehr gut behaupten können. Schüssel untermauerte dies mit einer niedrigen Inflation, mit um insgesamt um 20 Mrd. Euro gestiegenen Löhnen, einem größeren Exportvolumen und der gewonnenen Attraktivität als Investitionsstandort. 

In Zukunft gehe es zu allererst um die Erhaltung des Friedens, führte Schüssel aus. Gerade die Schrecken des Zweiten Weltkrieges seien die Grundlage für den starken Kontinent, der Europa in den vergangenen 60 Jahren geworden sei. Die EU müsse als Friedensmacht agieren. Ein europäischer Außenminister, vielleicht von der Kommission beauftragt, wäre einer von mehreren wichtigen Schritten in eine starke gemeinsame  Zukunft. Auch der Aufbau einer Friedenstruppe sei ein bedeutendes Ziel.  Für eine solche Entwicklung müsse in der Europäischen Verfassung jetzt der Startschuss gegeben werden. Und zwar so, dass auch nicht allianzgebundene Staaten mitmachen können, betonte Schüssel.

Die Beschäftigungs- und Wirtschaftssituation sei der zweite wichtige Zukunftsaspekt der EU. Die Union könne noch viel mehr für Wachstum, Arbeitsplätze und Jobsuche tun. Vom Bericht der High-Level-Gruppe im Herbst erwarte er sich konkrete Vorschläge. Österreich habe sich in diesem  Bereich gut behauptet. Der IWF stelle Österreichs Reformen sogar als Modell für ganz Europa dar.

Drittes ganz wichtiges Thema sei die Sicherheit, ging Schüssel in seiner Vorausschau weiter. Es brauche eine Europapolizei, eine europäische Grenzschutzpolizei, ermittlungsbefugte Fahnder, die über die Grenzen hinweg Verbrecher jagen können, einen europäischen Staatsanwalt und langfristig ein europäisches Strafgesetzbuch. Schließlich sei ein starker EU-Koordinator für die Terrorismusbekämpfung notwendig.

Schüssel kam in seiner Erklärung an den Nationalrat noch auf die zu verabschiedende EU-Verfassung zu sprechen und würdigte die Arbeit der österreichischen Mitglieder des EU-Verfassungskonvents. Diese hätten sich besonders bei den entscheidenden Neuerungen wie der Aufnahme der Grundrechte in die Verfassung, der Schaffung einer einheitlichen Rechtspersönlichkeit der EU, einer klareren Aufteilung der Zuständigkeiten, der Stärkung der nationalen Parlamente und der Achtung der nationalen Identität entscheidend eingebracht. Der „Überflüssigkeit halber“, so der Kanzler, füge er dieser Aufzählung noch an, dass die Nutzung der Wasserressourcen, der Raumordnung und der Bodennutzung auf österreichischen Druck der Einstimmigkeit erhalten bleiben.

Drei institutionelle Fragen seien offen geblieben. Sie beträfen den Wunsch der kleineren Staaten nach einer stärkeren Vertretung im Parlament, den Übergang zur qualifizierten Mehrheit und die Ausgestaltung der Kommission. Der Konvent habe der Kommission einen unzumutbaren Vorschlag gemacht. Wenn in diesem Punkt keine Einigung erzielt werden kann, so Schüssel abschließend, gelten die Abmachungen von Nizza, welche eine deutlich verkleinerte Kommission vorsehen.

Abgeordneter Dr. GUSENBAUER (S) bezeichnete den Umstand, dass heute Kriege zwischen EU-Mitgliedsländern völlig unvorstellbar sind, als das historisch größte Ergebnis der europäischen Einigung. Er gab allerdings zu bedenken, bei allen Erfolgen dürften die "blinden Flecken" der EU nicht übersehen werden. Der Abbau der bestehenden sozialen Spannungen werde ohne eine starke soziale Komponente der Union nicht möglich sein, habe man doch viel zu oft das Beschäftigungsziel dem Stabilitäts- und Wachstumsziel geopfert. Auch hätten viele Menschen nach wie vor den Eindruck, dass europäische Politik sehr weit von ihnen entfernt stattfindet, da die Entscheidungsprozesse nur schwer nachvollzogen werden können. Am 13. Juni gehe es nach den Worten Gusenbauers daher um eine Richtungsentscheidung, und zwar darum, eine Entscheidung für ein Europa zu treffen, das an die erste Stelle seiner Prioritäten den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit sowie mehr Chancen für die Jugend setzt.

Zum Stil des Wahlkampfes bemerkte Gusenbauer kritisch, es sei sehr bedrückend, dass nun eine Kampagne gegen einen allgemein anerkannten, guten EU-Abgeordneten inszeniert werde. Für das politische Klima, aber auch für das Verhältnis zwischen der österreichischen Bevölkerung und der EU wäre es bedeutend besser, würden sich die Regierungsmitglieder am Stil von Kommissar Fischler und nicht an jenem Jörg Haiders orientieren, empfahl Gusenbauer. Der SP-Chef zollte Schüssel Anerkennung für dessen heutige Rede und meinte, der Bundeskanzler habe es doch gar nicht nötig, im Wahlkampf auf ein derart tiefes Niveau abzusinken. Gusenbauer rief die Regierung dazu auf, die Tage bis zur Wahl dazu zu nützen, Inhalte und die Interessen und Anliegen der Bevölkerung in den Vordergrund zu rücken und die "Schmutzkübelkampagne" zu einzustellen.

Abgeordneter Mag. MOLTERER (V) hob die Bedeutung des Europäischen Parlamentes hervor und meinte, die Bevölkerung habe am 13. Juni die Chance, mit ihrer Stimme dafür zu sorgen, dass Österreich seine Interessen in der EU stärker vertritt. Die Stärke des Europäischen Parlamentes sei auch von der Wahlbeteiligung abhängig. Die Wahlbeteiligung müsse daher ein parteiübergreifendes, gemeinsames Anliegen sein.

Für die ÖVP stehen in der Europapolitik die Anliegen und Sorgen der Menschen im Mittelpunkt, betonte Molterer. Die EU sei in erster Linie ein Europa des Friedens und der Werte, daher müsse es in den Fragen von Frieden und Außenpolitik in Zukunft mehr Europa geben. Europa sei für die ÖVP aber auch ein Projekt der Sicherheit. Die Volkspartei trete kompromisslos für die Instrumente zur Herstellung dieser Sicherheit ein. Im Kampf gegen die organisierte Kriminalität dürfe es keine weiche Linie geben.

Europa müsse überdies zum Wachstumsmotor werden, um das Ziel der Vollbeschäftigung zu erreichen. Molterer erteilte einem Aufweichen des Stabilitätspaktes eine klare Absage, wobei er meinte, dies wäre ökonomisch absolut falsch. Weniger Europa forderte der Redner dort, wo es um regionale Spielräume und um Bürokratie geht.

Auch Molterer nahm zum Wahlkampf Stellung und unterstrich, es sei durchaus legitim, sich mit den politischen Mitbewerbern zu beschäftigen. Ein linkes Europa werde jedenfalls zu einer Stärkung des Zentralismus führen und bedeute ferner ein Risiko für die Sicherheit und die Stabilität. Ein linkes Europa tendiere, so Molterer, eher zum Schuldenmachen als zur Haushaltsstabilität.

Was SP-Spitzenkandidat Swoboda betrifft, so habe sich die ÖVP sehr klar gegen einen Untersuchungsausschuss in der Sanktionenfrage ausgesprochen und sei auch dagegen aufgetreten, dass das Wahlrecht eines Mitgliedes des Europäischen Parlamentes in Diskussion gezogen werde. Die Sanktionen seien aber ein Thema dieses Wahlkampfes, der SPÖ stehe das schlechte Gewissen ins Gesicht geschrieben, formulierte Molterer. Der VP-Klubchef warf den Sozialdemokraten darüber hinaus vor, heute im Wahlkampf genau mit jenen Argumenten zu operieren, die 1994 von den EU-Gegnern eingesetzt wurden. Molterer warnte die SPÖ in diesem Zusammenhang vor einer "Verhaiderung" im Sinn des Erich Haider aus Oberösterreich.

Abgeordneter Dr. VAN DER BELLEN (G) sprach sich für eine Demokratisierung Europas, für eine Stärkung seiner demokratischen Institutionen wie dem Europaparlament aus. Europa müsse handlungsfähig sein, dazu brauche es eine zeitgemäße Ausrichtung der einzelnen Instanzen, die durch Partikularinteressen nicht blockiert werden können sollten. Weiters sei ein soziales Europa vonnöten, wozu es erforderlich sei, den Stabilitätspakt zu hinterfragen, der weder Wachstum noch Stabilität fördere. Schließlich brauche es ein ökologisches und also atomfreies Europa, wobei hier vor allem die konservativen Regierungen Europas gefordert seien.

Van der Bellen votierte weiters für eine gemeinsame Außenpolitik, die er gegenwärtig noch nicht sehen könne. Ohne gemeinsame Außenpolitik sei eine gemeinsame Sicherheitspolitik nicht denkbar. Ohne parlamentarische Absicherung sei zudem eine gemeinsame Verteidigungspolitik a priori nicht akzeptabel. Klare und nachvollziehbare Standpunkte Österreichs zur europäischen Demokratie und Verfassung seien vor diesem Hintergrund dringend erforderlich, weshalb seine Fraktion einen entsprechenden Entschließungsantrag einbringe. Kritik übte der Redner zudem an der Haltung des Finanzministers, der die Budgethoheit dem Parlament entziehen wolle. Dies sei nicht zu akzeptieren, so Van der Bellen, der sodann den grünen Standpunkt zum Verfassungsentwurf des europäischen Konvents darlegte.

Abgeordneter SCHEIBNER (F) meinte, es gebe viele Möglichkeiten, über Europapolitik zu reden, dazu hätte es nicht dieser Sondersitzung bedurft, zumal mit einem Thema, welches die Regierungsfraktionen bereits vor einer Woche ausführlich abgehandelt hätten. Es sei gut, über die Politik der Union zu diskutieren, doch müsse man dann auch so ehrlich sein, über die Konsequenzen der jeweiligen Forderungen nachzudenken. Die ursprünglichen Zielsetzungen der Union seien Teil ihrer Erfolgsgeschichte, doch zeige sich heute, dass aus dem Friedensprojekt Europa auch ein Sicherheitsprojekt Europa werden müsse. Gerade vor diesem Hintergrund müsse er den Grünen sagen, man könne sich nicht eine solche Union wünschen, den Weg dazu aber nicht gehen wollen.

In ökonomischer Hinsicht übte Scheibner Kritik an den diversen Lobbies, etwa im Atom- und im Agrarbereich, die durch ihr Agieren Wettbewerbsverzerrung betrieben, wogegen man sich zur Wehr setzen müsse. Auch hier sei es inkonsequent, einerseits Stabilitätskriterien zu fordern, sich dann aber andererseits nicht an diese Kriterien zu halten. Seine Fraktion trete vor diesem Hintergrund für eine offene und dynamische Vertretung von österreichischen Interessen in der EU ein. Dafür trage diese Regierung auch Sorge, wie die gute Interessenvertretung in Sachen Atomstrom in der Slowakei zeige. Zur europäischen Verfassung merkte der Redner an, es brauche mehr Bürgernähe und direktdemokratische Instrumente. Zudem thematisierte Scheibner einmal mehr die Haltung der einzelnen Akteure in der Zeit der so genannten Sanktionen der EU-14. Seiner Fraktion gehe es nach wie vor darum, dass österreichische Abgeordnete österreichische Interessen vertreten zu hätten. Alles andere wäre den Interessen Österreichs nicht dienlich.

Bundesminister Mag. HAUPT sagte, für ihn sei die an sich erfreuliche Erweiterung der EU gleichzeitig ein Auftrag zu entsprechender Wachsamkeit, um sicherzustellen, dass die Bevölkerung Österreichs durch diese Osterweiterung keine Nachteile zu erleiden habe. Vor diesem Hintergrund gedenke er, seine bisherige Arbeit konsequent fortzusetzen, habe doch seine Haltung während der BSE-Krise gezeigt, wie es möglich sei, die Interessen Österreichs wirkungsvoll zu vertreten und damit ein richtungweisendes Modell für die Zukunft zu entwickeln.

Zum europäischen Friedensprojekt stellte Haupt die Frage, was von einem solchen zu halten sei, wenn man sich das Agieren mancher EU-Länder im Irak ansehe. Hier brauche es ein Umdenken, müsse doch das Motto "Gleiche Menschenrechte für alle" gelten, müssten doch Menschenrechte unteilbar sein und auch für die altösterreichischen Minderheiten gelten. Österreichische Regionalpolitiker hätten diesen Grundsatz bereits vor Jahrzehnten vorgelebt. Österreich brauche daher auch in Hinkunft auf europäischer Ebene Vertreter, die "Österreich im Herzen tragen". Seine Fraktion habe dies vorgezeigt und entsprechende Erfolge erzielt, dieser Kurs möge daher fortgesetzt werden.

Abgeordneter Dr. CAP (S) sprach sich mit Nachdruck für ein soziales Europa aus, liege doch die Wurzel für Faschismus und Krieg stets in Wirtschaftschaos und sozialer Not. Daher müsse man für das Modell eines europäischen Sozialstaates eintreten, und daher übe seine Fraktion Kritik an der Regierung, die auf diesem Gebiet nach wie vor säumig sei. Die größte Geißel sei die Arbeitslosigkeit, sie untergrabe die Demokratie, und daher müsse Europa als Friedens- und vor allem als Sozialunion zusammenwachsen. Vor diesem Hintergrund plädierte der Redner für einen fairen Wahlkampf. Man möge die Atmosphäre nicht vergiften, sagte Cap. Man möge sich nicht gegenseitig ramponieren, sondern gemeinsam für Österreich arbeiten.

Abgeordneter Dr. SPINDELEGGER (V) übte eingangs Kritik am Stil der SPÖ und votierte dafür, die Sozialpolitik nach wie vor im eigenen Land zu belassen. Diese Fragen sollten nicht in Brüssel entschieden werden, meinte der Redner. Den Grünen warf Spindelegger vor, einen inhaltslosen und teilweise geschmacklosen Wahlkampf zu führen. Die Grünen bräuchten vor diesem Hintergrund nicht den moralischen Zeigefinger zu heben. Seine Fraktion hingegen trage konstruktiv zum Bau eines neuen Europa bei, und daher gehe die Volkspartei auch mit einer positiven Einstellung in diesen Wahlkampf. Sie stehe zu diesem Friedensprojekt und werde weiter daran arbeiten, dieses Projekt zu mehr Sicherheit und Wohlstand zu führen.

Abgeordnete Dr. LICHTENBERGER (G) hielt die Sondersitzung für dringend notwendig, da die Staatschefs es bislang abgelehnt hätten, ihre Haltung zur EU-Verfassung vor der Wahl zum Europäischen Parlament offen zu legen. Ein zentraler Punkt dabei sei die Haltung der Regierungen zum EURATOM-Vertrag. Die Wählerinnen und Wähler hätten ein Recht auf Klarheit, wie Bundeskanzler Schüssel dazu stehe, zumal der Schwerpunkt der Pro-Atom-Liga bei den Konservativen Parteien liege. Die Grünen wollten nicht, dass ein Energieforum gefördert wird, das viel zu teuer und viel zu gefährlich sei. Mit BündnispartnerInnen in Europa hätten die Grünen im Diskussionsprozess die Herauslösung des EURATOM-Vertrags aus dem Verfassungsvertrag erreicht, was Hoffnung gebe, Staaten ohne Atomkraft könnten in Zukunft nicht mehr verpflichtet sein, mitzuzahlen. Es gehe hier um eine Grundsatzentscheidung, die auf europäischer Ebene zu treffen sei. Lichtenberger warnte auch davor, die Ökostrom-Produzenten aus dem Markt zu werfen. Abschließend sprach sie die Verkehrsentwicklung und -belastung an und meinte, es werde nicht gehen, österreichische Interessen als Interessen der Frächter zu definieren. Vielmehr müssten die Interessen der Anrainer gewahrt werden.

Abgeordneter Dr. BÖSCH (F) kritisierte die Grünen, die seiner Meinung nach auf den Wahlplakaten Regierungspolitiker verspotteten. Er warf Abgeordnetem Van der Bellen auch vor, er habe dem Verfassungsentwurf des EU-Konvents vorbehaltlos seine Zustimmung geben wollen, obwohl noch viele Themen, wie die Atompolitik oder die Frage des Einstimmigkeits- oder Mehrstimmigkeitsprinzips, zu diskutieren seien. Der SPÖ hielt er Widersprüchlichkeit vor, da diese die Wahlwerbung zu einer Denkzettelwahl gegen die Bundesregierung umfunktionieren wollten. Der FP-Politiker bezeichnete die SPÖ im Hinblick auf die Sanktionenzeit auch als "Zauberlehrling" und meinte, dass sich die SozialdemokratInnen der Verantwortung für ihr Verhalten nicht entziehen dürften. Bösch brachte in weiterer Folge einen Entschließungsantrag der beiden Regierungsfraktionen ein, in dem die Sanktionen als "ungerecht, rechtswidrig und unvereinbar mit den Grundwerten der EU" bezeichnet werden und in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, ihre Bemühungen fortzusetzen, um ein derartiges Vorgehen in Zukunft zu verhindern. Die Bundesregierung möge sich laut Antrag darüber hinaus dafür einsetzen, dass die Grundwerte der EU und der EMRK auch in der erweiterten Union ihren Stellenwert behalten.

Abgeordnete BURES (S) bezichtigte ihren Vorredner, einen "untergriffigen und aggressiven Stil" zu pflegen. Offensichtlich sei die Bundesregierung nervös, weil sich die Bevölkerung von ihr abwende. Die Regierung habe nämlich Reformen gegen die Interessen der BürgerInnen durchgesetzt und vertrete Österreich in Europa denkbar schlecht. Sie sei nicht einmal bemüht, zu Ratssitzungen zu gehen. Bures umschrieb die Lebenssituation vieler Menschen in Österreich mit Hinweis auf Rekordarbeitslosigkeit, sinkende Einkommen und Pensionen bei steigenden Preisen und Mieten. Die Delogierungen nähmen rapide zu, sagte sie, 50.000 junge Menschen seien ohne Chancen und ohne Job und für Frauen würde es immer schwieriger, Arbeit zu finden und Beruf und Familie zu vereinbaren. Jeder Dritte sei einmal im Jahr arbeitslos. Die Menschen wollten ein soziales Österreich und ein soziales Europa und dafür setze sich die SPÖ ein.

Abgeordneter Dr. STUMMVOLL (V) meinte, dass die "Verhaiderung" der SPÖ voranschreite - er meinte dabei Erich Haider aus Oberösterreich - und eine solche Politik lehne die ÖVP ab. Bures habe wider besseres Wissen gesprochen, so Stummvoll, wobei er auf die hohe Arbeitslosigkeit im SPÖ-regierten Wien und die Situation im rot-grün regierten Deutschland hinwies. Sozial sei, was Arbeit schaffe, ein Europa der Schulden hätte negative Konsequenzen für Arbeit und Wachstum. Die zehn Jahre Mitgliedschaft Österreichs seien ein Erfolg, und dies habe auch mit der Arbeit der Bundesregierung zu tun. 1999 habe Österreich hinsichtlich der Stabilität noch den letzten Platz eingenommen, heute gehöre es zu den besten. Durch die Maßnahmen der Bundesregierung - wie Konjunkturpakete, Wachstums- und Standortpaket und Steuerreform - habe Österreich Vorbildfunktion in Europa, wie dies der internationale Währungsfonds kürzlich bestätigt habe. Das Wirtschaftswachstum in Österreich sei doppelt so hoch wie der Durchschnitt in der EU, die Arbeitslosigkeit sei nur halb so hoch wie der EU-Durchschnitt. "Wir wollen kein linkes Europa!", bekräftigte Stummvoll.

Für Abgeordneten Dr. PILZ (G) stellt sich eine wichtige Frage, nämlich ob der Nationalrat und die Bundesregierung in der Lage seien, substanzielle Beiträge zur EU-Einigung zu leisten. Pilz konzentrierte sich in seinem Debattenbeitrag auf die Sicherheitspolitik und beleuchtete die Bemühungen um ein Kerneuropa und die strukturelle Zusammenarbeit kritisch. Er unterstrich dabei, dass es in der Bundesheerreformkommission keinerlei Empfehlungen für eine derartige strukturelle Zusammenarbeit gebe, zumal auch Experten davor warnten. Eine solche strukturelle Zusammenarbeit würde auch eine massive Erhöhung - Pilz nannte das Dreifache - der österreichischen Verteidigungsausgaben bedeuten. Er sprach sich dafür aus, solidarisch neutral zu bleiben und zukünftige militärische Einheiten in einen völkerrechtlichen Rahmen zu integrieren und eine entsprechende Kontrolle durch das Europäische Parlament zu schaffen.

Abgeordneter WITTAUER (F) bezichtigte Abgeordnete Bures der "Vernaderung", und das Land schlecht zu machen. Er wiederholte die im europäischen Vergleich geringe Arbeitslosigkeit und wies darauf hin, dass Österreich weltweit in Bezug auf Wirtschaftsstandort den 13. Platz einnehme und sich Europa punkto Arbeitsmarkt, Inflation und Wirtschaftswachstum unter den Top 3 befinde. Wittauer betonte, dass man dennoch nicht kritiklos die europäische Entwicklung hinnehmen könne und nannte in diesem Zusammenhang den EURATOM-Vertrag, der seiner Meinung nach schrittweise auslaufen sollte. Er bedauerte auch, in der Transitfrage keine Unterstützung durch Europa erhalten zu haben. Dennoch gebe Bundesminister Gorbach nicht auf, für eine sinnvolle Wegekostenrichtlinie einzutreten.

Abgeordneter Dr. EINEM (S) brachte einen umfassenden Entschließungsantrag der SPÖ betreffend Regierungskonferenz und EU-Verfassung ein und unterstrich, dass Europa vor entscheidenden Herausforderungen stehe. Die EU sei handlungsfähig zu erhalten, weshalb das Europäische Parlament gestärkt werden müsse. Ebenso stärken müsse man wesentliche Lebensinteressen wie Frieden, Arbeit mit Einkommen, von dem man auch leben könne, soziale Sicherheit und Umwelt. Daher gehe es am 13. Juni um die Wahl von Menschen, die sich für diese Lebensinteressen einsetzen und nicht für Gruppeninteressen oder Militär. Es gehe um eine aktive europäische Wirtschaftspolitik, um Arbeit und Beschäftigung, um die Sicherung des europäischen Sozialsystems und um den freien Zugang zur Daseinsvorsorge. Wer glaube, es sei eine Änderung notwendig, der müsse bei der Wahl einen Denkzettel verpassen.

Abgeordneter GRILLITSCH (V) thematisierte die Landwirtschaft und betonte, dass man mit entsprechenden Programmen Berechenbarkeit und Planbarkeit gewährleistet habe. Die österreichische Bauernvertretung stimme in der Grundtendenz mit der Meinung Franz Fischlers überein und unterstütze eine ökosoziale Marktwirtschaft. Gravierend unterscheide sie sich jedoch von der rot-grünen Politik, die Steuern erhöhen, Mittel für die Agrarpolitik umschichten und mehr Verbote und Zwangsverordnungen für Bauern einführen wolle.

Abgeordnete Mag. LUNACEK (G) bedauerte, dass Bundeskanzler Schüssel den Schwerpunkt in seiner Rede zuerst auf die Sicherheit und erst dann auf die Europäische Verfassung gelegt habe, er zwar für die Stärkung der nationalen Parlamente eingetreten sei, er aber kein Wort über die Stärkung des Europäischen Parlaments verloren habe. Damit habe Schüssel die Haltung der ÖVP und der Bundesregierung enttarnt und deutlich gemacht, dass er keine Demokratie auf EU-Ebene wolle. Als "FP-Populismuspolitik" bezeichnete Lunacek die Aussage des Bundeskanzlers, der Rückgang der Asylanträge bedeute mehr Sicherheit. Die Grünen setzten im Gegensatz zu den Konservativen nicht auf die Festung  Europa, sondern auf Konfliktprävention und aktive Gestaltung der Globalisierung.

Abgeordnete Dr. BLECKMANN (F) warf der SPÖ ebenfalls aggressiven Wahlkampfstil vor, mit dem sie von ihrer Rolle zu Zeiten der Sanktionen ablenken wolle. Beim kommenden Wahlgang, so Bleckmann, gehe es um die Arbeit im Europäischen Parlament und darum, ob sich die Abgeordneten für die österreichischen Interessen eingesetzt haben. Daher sei es wichtig, über "Briefleichen" zu sprechen, um Aufklärung über die Rolle der SPÖ und ihres Spitzenkandidaten im Zusammenhang mit den Sanktionen zu erhalten. Dieser habe die Maßnahmen der EU-14 als richtig bezeichnet und deren Reaktionen im großen und ganzen als richtig empfunden, so die Kritik Bleckmanns.

Bei der Abstimmung wurde der Entschließungsantrag der Grünen betreffend klare und nachvollziehbare Standpunkte zu Demokratie und Verfassung in der EU mehrheitlich abgelehnt. Der Entschließungsantrag der Koalitionsparteien betreffend Verurteilung und Verhinderung ungerechter Sanktionen gegen EU-Mitgliedsländer erhielt mehrheitliche Zustimmung. Der Entschließungsantrag der SPÖ betreffend Regierungskonferenz zur EU-Verfassung wurde mehrheitlich abgelehnt. (Schluss Erklärung/Forts. Sondersitzung)