Parlamentskorrespondenz Nr. 450 vom 01.06.2005

THEMA BREITBANDTECHNOLOGIE IM INDUSTRIEAUSSCHUSS

Debatte über die technischen Voraussetzungen der Wissensgesellschaft

Wien (PK) - Der Industrieausschuss besprach heute unter der Vorsitzführung seines Obmanns Fritz Verzetnitsch das Thema "Wirtschaftsfaktor Breitband". Den Standpunkt der Regierung vertraten in der mehrstündigen Debatte Vizekanzler Hubert Gorbach und Staatssekretär Eduard Mainoni. Für Expertenwissen sorgten ein gutes Dutzend geladener Fachleute, die den Abgeordneten in mehreren Verhandlungsrunden Auskunft erteilten und von sich aus Empfehlungen für die Förderung der Informations‑ und Kommunikationstechnologie (IKT) aussprachen. Unbestrittener Ausgangspunkt und gemeinsamer Tenor aller Teilnehmer an der ebenso lebhaften wie sachlichen Diskussion war die Auffassung, dass die Breitband-Technologie einen eminenten wirtschaftlichen und technologiepolitischen Faktor für Österreich darstellt, oder wie es Technologieminister Hubert Gorbach ausdrückte: Breitband ist ein Schlüssel für Innovations- und Wachstumsprozesse. Der Vizekanzler stellte für kommenden Herbst einen IKT-Masterplan in Aussicht, der von der Bundesregierung mit 10 Mill. € dotiert wurde. Die Experten und Abgeordneten drängten auf eine koordinierte, ressortübergreifende Vorgangsweise, auf Einbeziehung der Ausbildung, auf die Förderung von Angebot und Nachfrage und wollten auch den Content-Bereich berücksichtigt sehen.

In seinem Schlussresümee der aus seiner Sicht sinnvollen Aussprache, die er im Ausschuss möglichst bald fortsetzen wolle, betonte Ausschussobmann Verzetnitsch, dass die IKT nicht nur technologische und wirtschaftliche, sondern auch gesellschaftliche Aspekte habe, die einer politischen Regelung bedürfen. 

VIZEKANZLER GORBACH KÜNDIGT IKT-MASTERPLAN FÜR HERBST 2005 AN

Vizekanzler und Technologieminister Hubert Gorbach leitete die Beratungen mit einem Statement ein, in dem er die Bedeutung der Breitbandtechnologie als Schlüsselfaktor für den Wirtschaftsstandort Österreich unterstrich und den Abgeordneten mitteilte, dass die Voraussetzungen für die Entwicklung des Sektors gegeben sind: Mehr als 50 % aller Haushalte besitzen einen PC, 40 % haben Internetanschluss, und 55 % der ÖsterreicherInnen ab 16 Jahren benutzen regelmäßig das Internet. Für 20 % der Haushalte, vor allem im ländlichen Raum, ist ein Breitband‑Internetanschluss mangels leistungsfähigen Netzanschlusses allerdings noch nicht verfügbar. Der Vizekanzler sprach in diesem Zusammenhang von "Marktversagen" in Gebieten, wo eine infrastrukturelle Versorgung wirtschaftlich nicht rentabel ist. Daher sei eine Initiative notwendig, um diese Gebiete zu erschließen. Im Hinblick darauf begrüßte der Vizekanzler den Zusammenschluss österreichischer IKT-Betriebe zur ARGE Breitband.

Die Bundesregierung hat eine Breitbandinitiative ins Leben gerufen und 10 Mill. € zur Verfügung gestellt, erinnerte der Vizekanzler und informierte weiters darüber, dass am vergangenen 1. Mai weitere 10 Mill. € für den IKT‑Bereich beschlossen wurden. Er habe daher die Erstellung eines IKT‑Masterplans durch die RTR GmbH initiiert. Als dessen Ziele nannte der Vizekanzler eine Erhebung der Ist-Situation, eine Analyse der Stärken und Schwächen Österreichs im internationalen Vergleich, die Suche nach Best‑Practise-Modellen und nach ihrer Umsetzbarkeit in Österreich. Den IKT-Masterplan werde er im kommenden Herbst vorstellen, kündigte Minister Gorbach an. 

DIE STATEMENTS DER EXPERTEN

Rudolf Fischer (Telekom Austria) skizzierte Zusammensetzung und Tätigkeit der ARGE Breitband, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Österreich, das in den letzten Jahren im internationalen IKT‑Vergleich zurückgefallen ist, wieder unter die Top 3 zu bringen. Der Experte unterstrich die Bedeutung der neuen EU‑Initiative im Rahmen der Lissabon-Strategie und betonte die Bedeutung der IKT‑Branche für Wachstum, Beschäftigung, die Wettbewerbsfähigkeit der KMU, die Innovation sowie für Lehren und Lernen in der modernen Wissensgesellschaft. Es gelte, die IKT zu fördern und gleichzeitig die Nachfrage zu stimulieren. Schließlich plädierte Fischer für die Errichtung eines IKT-Clusters in Österreich.

Mathias Grandosek (AK Wien) machte auf die sozialen Aspekte der IKT aufmerksam und klagte über das verlangsamte Wachstum der Breitbandversorgung in Österreich. Andere Länder hätten die Bedeutung der IKT erkannt und Gesamtkonzepte für die Förderung entwickelt. 10 Mill. € seien nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Menschen, auch solche, die weniger verdienen, brauchen leistbare Internetanschlüsse und leistbare Hardware sowie Nutzungsförderung.

Georg Serentschy, Geschäftsführer der Rundfunk- u. Telekom Regulierungs GmbH, wies darauf hin, dass Österreich bei der Breitbandversorgung im EU‑Durchschnitt wachse, was aber bedeute, hinter den führenden Ländern zurückzubleiben. Serentschy drängte darauf, die "Breitbandspirale" von Angebot und Nachfrage in Gang zu setzen, wobei er auf den Wettbewerb setzte, der die Servicequalität verbessere und die Preise senke. Konkret plädierte Serentschy für den intermodalen Wettbewerb nach Schweizer Vorbild sowie für den intramodalen Wettbewerb, sprich für die Entbündelung der Angebote.

Michael Kolek (Telekom Austria, Betriebsratsvorsitzender) sprach sich für den Breitbandausbau im Interesse von Betrieben und Arbeitnehmern aus, trat aber gegen steuerliche Förderungen "mit der Gießkanne" auf, da davon hauptsächlich Menschen mit hohen Einkommen profitieren. Das Potential zusätzlicher Arbeitsplätze durch Breitband‑Ausbau bezifferte Kolek mit 10.000 bis 15.000.

Hannes Leo (WIFO) unterstrich den Vorschlag für eine Breitband-Gesamtstrategie inklusive Zeitplan und klarer Zuständigkeit. Die Zeit dränge, da Europa gegenüber den USA im Wachstum zurückbleibe und keine andere Branche so hohe Wachstumseffekte habe wie die IKT. Leo riet, nicht nur die IKT-Infrastruktur zu fördern ("Pflichtprogramm"), sondern auch den Content öffentlich geförderter Betriebe (ORF, Bundestheater) zur Verfügung zu stellen.

Ursula Maier-Rabler betonte, dass die Breitband‑Technologie die Teilnahme aller BürgerInnen am gesellschaftlichen Diskurs ermöglichen soll. Diese brauche einen breiteren politischen Ansatz. Es gelte, das kreative Potential der Bevölkerung zu nutzen, aus passiven Usern aktive Sender zu machen und die Freude am Wissen und am Lernen nach skandinavischem Vorbild zu wecken. "Bessere IKT-Ausbildung fördert die Motivation."

Reinhard Posch (TU Graz) sah bei der Breitband-Technologie nicht nur Bedarf an Infrastruktur, sondern auch an Content‑Förderung und Akzeptanz beim Bürger. Auf EU-Ebene leiste Österreich viel beachtete Beiträge zur Interoperabilität sowie bei Netzsicherheit und im E-Government. Die Breitband-Technologie müsse zur Selbstverständlichkeit werden, damit kein Bürger zurückbleibe und keine zusätzliche "digitale Kluft" entstehe. Der Experte betonte, dass seitens des Bundeskanzleramtes darauf Wert gelegt werde, dass jede Technologie verwendet werden kann ("Technologieneutralität").

Abgeordneter Heinz Gradwohl (S) zeigte sich besorgt darüber, dass bei österreichweit 90‑%iger Breitband-Versorgung erst 25 % der Bevölkerung das Internet nutzen. Eine Wissensgesellschaft setze auch voraus, dass das Wissen für den Einzelnen anwenderfreundlich aufbereitet werde - dies werde ein Mehr an Internetnachfrage auslösen. Politisch sah der Abgeordnete Bedarf an besserer Koordinierung der einzelnen Ressorts, vor allem auch der Einbeziehung des Bildungsressorts und an öffentlicher Unterstützung von Forschung und Entwicklung. Gradwohl wies darauf hin, dass bei der Einführung der Chip‑Card Probleme bei Ärzten auftreten, die keinen kompatiblen Netzanschluss haben. Der Abgeordnete verlangte einen koordinierten Masterplan und wollte wissen, ob die Zukunft im Festnetz, bei Wireless LAN oder einer neuen Technologie liegen werde.

Abgeordnete Carina Felzmann (V) wollte die Breitband-Technologie nutzen, um das kreative Potential Österreichs stärker zur Geltung zu bringen. Österreichische Kulturgüter seien stärker zu digitalisieren, und es sei darüber nachzudenken, Content-Produzenten in die Finanzierungsströme einzubeziehen.

Abgeordnete Gabriela Moser (G) erkundigte sich, wer in die angekündigte Erstellung des Masterplans eingebunden sein werde, verwies auf das skandinavische Beispiel, wo mit mehr Geld im Rahmen einer vernetzten Organisation gefördert werde und ließ Präferenzen für das Festnetz mit seinen größeren Übertragungskapazitäten erkennen.

Abgeordneter Johann Moser (S) stellte die Frage in den Raum, wie man die schon erwähnte "Breitbandspirale" nach oben bringen könne. - Es müsse ermittelt werden, wie viele von den 34.000 KMU, deren Wettbewerbsfähigkeit vom Internetzugang abhänge, noch nicht angeschlossen seien. Das von Vizekanzler Gorbach angesprochene "Marktversagen" müsse ausgeglichen werden: Das sei eine öffentliche Aufgabe. Mosers abschließende Frage lautete, was der Ausbau der letzten 10 % bis zur Breitband-Vollversorgung koste.

Abgeordnete Karin Hakl (V) betonte das öffentliche Interesse an der durch die IKT‑Branche ausgelöste Produktivitätsentwicklung und lobte die Bundesregierung für ihr Engagement beim e-Government, wo Österreich die zweite Position in der EU einnehme. Die Infrastrukturinitiativen der Regierung waren erfolgreich, bis auf drei kleine Regionen habe ihr Bundesland Tirol etwa die Breitband-Vollversorgung erreicht. Sie erwarte die flächendeckende Internetversorgung in zwei Jahren. Beim Thema Content plädierte Hakl für abgestufte Lizenzen mit Unterscheidung privater und kommerzieller Nutzung sowie für koordiniertes Vorgehen über Ressortgrenzen hinweg.  

        

Abgeordneter Dietmar Keck (S) zeigte sich besorgt wegen der hohen Kosten von PC, Internet-Anschluss, Software und laufenden Kosten, die eine Zugangshürde für Kleinverdiener, Schüler und Pensionisten darstellen. In der Technologiefrage regte Keck an, Internet über das Stromnetz anzubieten.

Abgeordneter Ferdinand Meier (V) unterstützte die Forderung nach mehr Wettbewerb sowie nach einer Entbündelungsoffensive, um billigere Angebote für die Konsumenten bereit zu stellen.

Abgeordneter Maximilian Hofmann (F) warnte davor, seitens der Politik in den Wettbewerb der Technologien einzugreifen, hielt steuerliche Förderungen für sinnvoll und wollte wissen, ob mangelnde Breitbandversorgung zu Problemen bei der Ansiedlung von Betrieben führe.

Georg Serentschy, Geschäftsführer der Rundfunk- u. Telekom Regulierungs GmbH, hielt es für eine Aufgabe des Marktes, über die besten technischen Lösungen zu entscheiden, und bezifferte den Investitionsbedarf für die Breitband‑Vollversorgung mit 400 Mill. € bis 800 Mill. €.

   

Thomas Hintze (UPC Telekabel) unterstützte die Forderung nach einem IKT-Cluster, bekannte sich zum intermodalen Wettbewerb und wies darauf hin, dass die ehemals führende Position Österreichs beim Internetanteil auf den hohen Markanteil der Kabelindustrie zurückzuführen war.

Andreas Keri (Alcatel Austria AG) hielt eine Flächendeckung im Festnetz für wichtig und sah es als ein wichtiges Zukunftsprojekt an, lokalen Content in die Fernsehgeräte zu bringen, die er als Terminals der Zukunft sah.

Staatssekretär Eduard Mainoni führte Verzögerungen beim Breitbandausbau auch auf den mangelnden Gleichklang zwischen den Bundesländern zurück und nannte als erfreuliches Beispiel das Burgenland, das mit guter Vorbereitung und einer schnellen Ausschreibung auf kostengünstige Weise bald den Internet-Vollausbau erreichen werde. Die Priorität der Bundesregierung für die IKT-Branche komme darin zum Ausdruck, dass ein Drittel der F&E‑Offensivmittel für IKT-Zwecke eingesetzt werde. Angesichts der budgetären Situation müsse sich der Bund darauf beschränken, Impulse zu geben, wo es gesellschaftspolitisch notwendig sei, etwa bei der Unterstützung behinderter oder älterer Menschen werde die öffentliche Hand aber selbstverständlich einschreiten. Der Masterplan werde von Experten der Rundfunk- und Telekom Regulierungs GmbH und Fachleuten des Ressorts erstellt und dann einer breiten Diskussion unterzogen, erfuhr Ausschussobmann Verzetnitsch auf eine diesbezügliche Frage.

Abgeordneter Josef Broukal (S) ortete Versäumnisse der Bundesregierung bei der Förderung von Breitband-Internet und machte mit Nachdruck auf die Möglichkeiten des Internets in der Aus- und Weiterbildung aufmerksam. Warum sollen Studenten Massenvorlesungen nicht multimedial zu Hause mitverfolgen können, fragte Broukal.

Abgeordneter Richard Leutner (S) bezeichnete den Themenkomplex Telearbeit als rechtlich heikel, wobei er auf sozial‑ und arbeitsrechtliche Aspekte, etwa eine faire Überstundenentlohnung, hinwies. Wer mit der E-Card ein "Gesundheitsportal" öffnen wolle, sollte den Datenschutz nicht aus den Augen verlieren.

Abgeordneter Werner Kogler regte an, die bisherigen Erfahrungen mit steuerlichen Förderungsmodellen im IKT‑Bereich zu evaluieren.

Abgeordneter Walter Schopf (S) nannte Probleme von Betrieben im Mühlviertel, die beim Versuch, sich als "Tor zum Osten" zu etablieren, mit Schwierigkeiten durch mangelhaften Internetzugang in ihrer Region kämpfen.

Abgeordneter Herbert Haupt (F) plädierte, darin in Übereinstimmung mit Abgeordnetem Broukal, einmal mehr für die Aufnahme biometrischer Daten auf der Chip-Card und betonte die Chancen, die durch die internetvermittelte Kooperation von Fachhochschulen und Universitäten bei der Durchführung von Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen bestehen. Nachdrücklich unterstützte Haupt die Cluster-Bildung und den angekündigten Masterplan.

Abgeordneter Günter Stummvoll (V) brach eine Lanze für die Unterstützung grenznaher Regionen. Es sei dem Waldviertel nicht zumutbar, nach Jahrzehnten an der toten Grenze zusätzlich mit Standortnachteilen in den Bereichen Breitband und Förderungskulisse kämpfen zu müssen.

Abgeordneter Erwin Spindelberger (S) beklagte Mängel bei der Internet‑Versorgung von Tourismusbetrieben und drängte auf Maßnahmen zugunsten der Aus- und Weiterbildung von bereits im Berufsleben Stehenden.

Abgeordneter Kurt Gartlehner (S) berichtete von positiven Erfahrungen bei der frühen Interneterschließung der Region Steyr und erkundigte sich nach einer aktuellen Gesamtdarstellung der Hardware-Infrastruktur für ganz Österreich.

Josef Leutner (Hewlett-Packard, Betriebsratsvorsitzender) registrierte einen Paradigmenwechsel in der Arbeitswelt im Zusammenhang mit der Breitbanddurchdringung: Die Jobs kommen in Form von Telearbeit zu den Bürgern.  

In Beantwortung der in der Diskussion aufgeworfenen Detailfragen führte Staatssekretär Eduard Mainoni aus, dass ein IKT‑Cluster noch nicht bestehe, dass die Frage der Software-Patente derzeit im Europaparlament behandelt werde und dass die 10 Mill. €, die die Bundesregierung für den IKT-Masterplan zur Verfügung stellt, von den Bundesländern verdoppelt werden.

Der Staatssekretär sagte den Abgeordneten und Experten zu, dass die angesprochenen gesellschaftsbezogenen Aspekte der Breitband-Technologie ebenso in die Ausarbeitung des Masterplans einfließen werden wie die Bedürfnisse benachteiligter Gruppen, die Einstiegskurse für Senioren, die Aus‑ und Weiterbildungsprogramme und die Förderung von Telearbeitsplätzen.        

Auch im Hinblick auf den Entschließungsantrag 604/A(E) der Grünen  "Stärkung der heimischen Industrie im Informations- und Kommunikationstechnologiebereich (IKT) und darüber hinaus durch eine Initiative zum IKT-Ausbau und zur weiteren Professionalisierung der IKT-Politik", den die von der SPÖ unterstützten Antragsteller debattieren wollten, mit ihrem Antrag auf Ergänzung der Tagesordnung aber am Widerstand von ÖVP und FPÖ scheiterten, plädierte Ausschussobmann Fritz Verzetnitsch für eine baldige Fortsetzung der Debatte im Industrieausschuss. (Schluss)


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