Parlamentskorrespondenz Nr. 549 vom 23.06.2005

JUSTIZAUSSCHUSS: HEFTIGE DEBATTE ÜBER OPFERBEGRIFF

Regierung will "alle Kriegsopfer", Opposition "NS-Opfer" erreichen

Wien (PK) - Heftige Debatten zwischen Regierung und Opposition haben sich in der Sitzung des Justizausschusses am Opferbegriff und daran anknüpfende gesetzliche Maßnahmen entzündet. Bemühungen in der Debatte sowie in einer Sitzungsunterbrechung zu einer Einigung aller Fraktionen zu kommen, blieben nach mehrstündiger Debatte erfolglos, nur Teile des Koalitionsantrags fanden die Zustimmung aller Fraktionen. Der G-Antrag wurde abgelehnt, der S-Antrag vertagt.

Regierungs- und Oppositionsfraktionen gingen von einem unterschiedlichen Opferbegriff aus. Während die Regierungsfraktionen sich in ihren Vorstellungen auf "alle Opfer des vom nationalsozialistischen Regime zu verantwortenden Krieges" bezogen, wie es in einem von den Regierungsfraktionen eingebrachten Abänderungsantrag heißt, stellte die Opposition auf NS-Opfer ab. An diesem Punkt scheiterte schließlich eine umfassende Einigung.

Die drei Punkte der Tagesordnung wurden unter einem verhandelt. Das war zum einen ein Ende 2002 von Terezija Stoisits (G) eingebrachter Antrag (21/A), der bereits fünf Mal auf der Tagesordnung des Justizausschusses gestanden und immer wieder vertagt worden war. Ziel ist es, dass "verurteilende militärstrafgerichtliche Entscheidungen der NS-Militärgerichte aufgehoben" werden.

Zum zweiten ging es um die Absicht der Koalitionsfraktionen, den 60. Jahrestag der Befreiung Österreichs von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft  zum Anlass für ein Anerkennungsgesetz 2005 nehmen. (614/A) Der I. Artikel dieses Antrags ist ein "Bundesgesetz über die Anerkennung der Leistungen im österreichischen Widerstand sowie zur abschließenden Beseitigung nationalsozialistischer Unrechtsakte". Im Artikel II wird eine Änderung des Opferfürsorgegesetzes vorgesehen. Der betroffene Personenkreis wird wie folgt beschrieben: "Als Opfer der politischen Verfolgung ... sind Personen anzusehen, die in der Zeit vom 6. März 1933 bis zum 9. Mai 1945 aus politischen Gründen, aus Gründen der Abstammung, Religion, Nationalität oder im Rahmen typisch nationalsozialistischer Verfolgung auf Grund einer körperlichen oder geistigen Behinderung, der sexuellen Orientierung, des Vorwurfs der so genannten Asozialität oder medizinischer Versuche durch Maßnahmen eines Gerichts, einer Verwaltungs- (im besonderen einer Staatspolizei-)Behörde oder durch Eingriffe der NSDAP einschließlich ihrer Gliederungen in erheblichem Ausmaß zu Schaden gekommen sind." Auch den Hinterbliebenen dieser Opfer wird Hinterbliebenen- bzw. Unterhaltsrente zuerkannt. Für Homosexuelle, so genannte Asoziale und durch medizinische Versuche Geschädigte werden damit Rechtsansprüche geschaffen. Opfer der Zwangssterilisation werden ausdrücklich im Gesetz genannt. Artikel III schließlich sieht eine "Befreiungs-Erinnerungszuwendung"  für Widerstandskämpfer und Opfer der politischen Verfolgung vor, in der Höhe gestaffelt zwischen 500 und 1000 €, für etwa 3000 Betroffene.

"Zu einer politischen und juristischen Aufarbeitung des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes" beitragen und "sich für die Rehabilitierung der Opfer auch dieses Regimes einzusetzen", ist das Ziel des von den Sozialdemokraten eingebrachten Antrags (334/A). Sie fordern den Justizminister auf, dem Nationalrat einen Gesetzesvorschlag zuzuleiten, der entsprechende Schritte vorsieht.

In der Debatte begrüßte Abgeordnete Terezija Stoisits (G) die Initiative der Regierung, erinnerte aber an die ursprüngliche Intention des von ihr eingebrachten Antrags. Sie trat demgemäß für die Fokussierung auf die NS-Opfer und die ausdrückliche Erwähnung der Wehrmachtsdeserteure ein, sprach sich für eine Präzisierung bei der Bezugnahme auf Vertriebene auf "aus Österreich Vertriebene" aus und wollte die Staffelung der Geldleistungen zugunsten eines einheitlichen Betrages fallen lassen. Wie in diesem Zusammenhang von einem Beamten des Sozialministeriums festgestellt wurde, hätten auch die Opferverbände sich für einen einheitlichen Betrag ausgesprochen; dafür sei auch bereits Einvernehmen mit dem Finanzressort erzielt worden.

Diese Linie wurde in der Debatte auch von G-Abgeordneter Gabriela Moser vertreten. In ähnlichem Sinn äußerten sich die Abgeordneten der Sozialdemokratischen Fraktion Johannes Jarolim, Christian Puswald und Bettina Stadlbauer. Im Zuge der Debatte erklärte Abgeordneter Jarolim die Bereitschaft der Opposition, im Interesse einer Einigung von den oppositionellen Positionen bei der Staffelung der Geldleistungen und der Spezifizierung der Heimat als "österreichisch" abzurücken.

Die Regierungsfraktionen hingegen traten für einen weiten Opferbegriff im Sinne alle Opfer des von den Nationalsozialisten losgetretenen Krieges ein. In diesem Sinn äußerten sich neben der Ausschuss-Vorsitzenden Maria Theresia Fekter (V) deren Fraktionskollegen Heribert Donnerbauer, Johann Ledolter und Walter Tancsits. Tancsits brachte einen Antrag gem. § 27 GOG ein, der die Sanierung von infolge von NS-Haft fehlenden Sozialversicherungszeiten vorsieht. Außerdem brachte er den oben genannten Abänderungsantrag ein.

F-Abgeordnete Helene Partik-Pable sprach sich dafür aus, "beim Entschuldigen nicht kleinlich" zu sein und votierte für einen umfassenden Opferbegriff im Sinne des Abänderungsantrags, der alle aus ihrer Heimat Vertriebenen einschließe. Außerdem brachte sie einen Entschließungsantrag ein, in dem die Bundesregierung ersucht wird, "alle bisher gesetzten Maßnahmen zur Entschädigung und Anerkennung der Leistungen und Leiden aller direkten und indirekten Opfer des NS-Regimes im Hinblick auf allenfalls noch bestehende Lücken" zu prüfen. Auch Justizministerin Karin Miklautsch trat in der Debatte für eine weite Auslegung des Opferbegriffs ein.

Bei der Abstimmung wurde der Antrag der Abgeordneten Terezija Stoisits (G) betreffend ein Bundesgesetz zur Rehhabilitierung der Opfer der NS-Militärjustiz in der Fassung des Abänderungsantrages mit den Stimmen der Abgeordneten der ÖVP und des Freiheitlichen Parlamentsklubs mehrheitlich abgelehnt.(21/A)

Der Antrag der Abgeordneten Wilhelm Molterer (V) und Herbert Scheibner (F) zum Anerkennungsgesetz 2005 (614/A) wurde in der Fassung des Abänderungsantrages in getrennter Abstimmung teils mehrheitlich, teils einstimmig angenommen: Sowohl § 1 als auch § 2 des Artikels I des Antrages (Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die Anerkennung der Leistungen im österreichischen Widerstand sowie zur abschließenden Beseitigung nationaler Unrechtsakte erlassen wird) passierten den Ausschuss mit den Stimmen der ÖVP und F den Ausschuss mehrheitlich. Artikel II (Änderung des Opferfürsorgegesetzes) wurde ebenso einstimmig angenommen wie Artikel III (Bundesgesetz, mit dem aus Anlass des 60. Jahrestages der Befreiung Österreichs von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft eine einmalige Zuwendung (Befreiungs-Erinnerungszuwendung)für Widerstandskämpfer und Opfer der politischen Verfolgung sowie deren Hinterbliebene geschaffen wird).

Der Antrag gem. § 27 GOG zur Änderung des ASVG, der darauf abzielt, fehlende Ersatzzeiten infolge einer von der NS-Militärjustiz verhängten Freiheitsstrafe anzuerkennen, wurde mit V-F-Mehrheit angenommen.

Der Entschließungsantrag betreffend Prüfungsauftrag wurde ebenfalls mit V-F-Mehrheit angenommen.

Der Antrag des Abgeordneten Johannes Jarolim (S) betreffend Rehabilitierung von Justizopfern des Austrofaschismus wurde mit den Stimmen der beiden Regierungsfraktionen mehrheitlich vertagt (334/A[E]). (Schluss)