Parlamentskorrespondenz Nr. 558 vom 29.06.2005

VERFASSUNGSAUSSCHUSS BESCHLIESST BEHINDERTENGLEICHSTELLUNGSGESETZ

Österreichische Gebärdensprache wird in der Verfassung verankert

Wien (PK) - Der Verfassungsausschuss des Nationalrats billigte heute gleich zwei Gesetzentwürfe, die auf eine rechtliche Besserstellung von behinderten Menschen abzielen. Zum einen sprach er sich für die Verankerung der Österreichischen Gebärdensprache in der Verfassung aus, zum anderen wurde das von der Regierung vorgelegte Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz - in einer geringfügig adaptierten Fassung - angenommen. Dieses Gesetz soll Behinderte im Zuständigkeitsbereich des Bundes vor Diskriminierung schützen und Menschen mit Behinderungen eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und eine selbstbestimmte Lebensführung ermöglichen.

Während die Verankerung der Gebärdensprache in der Verfassung auf Zustimmung aller vier Parlamentsfraktionen stieß, übten SPÖ und Grüne zum Teil heftige Kritik am Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz. Das Gesetz sei zahnlos und werde für behinderte Menschen nichts bringen, meinte etwa die Behindertensprecherin der Grünen Theresia Haidlmayr, ein Vorwurf, der seitens der Koalitionsparteien jedoch vehement zurückgewiesen wurde. ÖVP-Abgeordneter Franz-Josef Huainigg verwies u.a. darauf, dass das österreichische Gesetz im Vergleich zu ähnlichen Regelungen in den USA, Deutschland und der Schweiz vorbildhaft sei, FPÖ-Abgeordnete Helene Partik-Pable sprach - trotz kritischer Beurteilung einzelner Punkte - von einem "gewaltigen Schritt nach vorne".

Unter anderem forderte die Opposition einen Unterlassungsanspruch bei offensichtlichen Diskriminierungen, eine raschere Beseitigung baulicher Barrieren, eine Erleichterung von Verbandsklagen und mehr Rechte für den Behindertenanwalt und wurde in diesen Forderungen auch von Michael Krispl, der als Vertreter des Arbeitsbündnisses Österreichs für Behindertenrechte zu den Ausschussberatungen beigezogen wurde, unterstützt. Entsprechende Abänderungsanträge der Grünen fanden bei der Abstimmung jedoch keine Mehrheit.

Seitens der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, die 73 österreichische Behindertenorganisationen vertritt, bezeichnete Michael Swoboda die Gesetzesvorlage im Ausschuss als tauglichen Kompromiss, die gesteckten Ziele könnten damit erreicht werden.

Der in Aussicht genommenen Anerkennung der Österreichischen Gebärdensprache sind jahrelange Beratungen vorangegangen. Nunmehr haben sich die Mitglieder des Verfassungsausschusses - nach Vorberatungen in einem Unterausschuss - darauf geeinigt, in Artikel 8 B-VG einzufügen: "Die Österreichische Gebärdensprache ist als eigenständige Sprache anerkannt. Das Nähere bestimmen die Gesetze".

In einer vom Ausschuss einstimmig angenommenen Entschließung ersuchen die Abgeordneten die Regierung darüber hinaus, die bestehenden gesetzlichen Regelungen, insbesondere in den Bereichen Verwaltung, Bildung und Medien, im Hinblick auf die Bedeutung der Gebärdensprache für gehörlose Menschen auf Änderungsbedarf zu durchforsten. Ausdrücklich geht der Ausschuss davon aus, dass es durch die Anerkennung der Gebärdensprache zu keiner Schlechterstellung von schwerhörigen Menschen, insbesondere von Menschen mit Cochlea-Implantaten hinsichtlich ihrer hörgerichteten lautsprachlichen Förderung sowie technischer Hörhilfen kommt.

Zentraler Punkt des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes ist ein weitreichendes Diskriminierungsverbot, das auch für nahe Angehörige, die Behinderte betreuen, gilt und neben unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierungen auch Belästigungen umfasst. Demnach sind auch scheinbar neutrale Vorschriften oder Verfahren nicht zulässig, wenn sie sich auf behinderte Personen in besonderer Weise nachteilig auswirken und es keine sachlichen Gründe dafür gibt.

Auch bauliche Barrieren fallen laut Gesetzentwurf grundsätzlich unter den Tatbestand der Diskriminierung und müssen beseitigt werden, es sei denn ihre Beseitigung hätte unverhältnismäßig hohe Belastungen zur Folge. Allerdings muss selbst in diesen Fällen alles getan werden, um zumindest eine Verbesserung der Situation herbeizuführen. Zum Abbau baulicher Barrieren in Bundesgebäuden ist ein Etappenplan in Aussicht genommen.

Bei Verletzung des Diskriminierungsverbots sind laut Gesetzentwurf Entschädigungszahlungen vorgesehen, wobei - abhängig etwa von der Dauer der Diskriminierung und der Schwere des Verschuldens - auch immaterieller Schadenersatz eingefordert werden kann. Ansprüche sind dabei grundsätzlich vor ordentlichen Gerichten geltend zu machen, allerdings muss zuvor beim Bundessozialamt ein Schlichtungsverfahren durchgeführt werden. Die Kosten für dieses Schlichtungsverfahren trägt der Bund. Werden Interessen und Rechte von Behinderten wesentlich und dauerhaft beeinträchtigt, kann auch die Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation - nach einer entsprechenden Empfehlung des Bundesbehindertenbeirats mit Zweidrittelmehrheit - eine Klage einbringen (Verbandsklage).

In Kraft treten soll das neue Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz mit 1. Jänner 2006, in Bezug auf bauliche Barrieren und nicht behindertengerechte öffentliche Verkehrsmittel und Verkehrsanlagen sind allerdings längere Übergangsfristen - zum Teil bis zum Jahr 2015 - verankert. Um jedoch zu verhindern, dass bauliche Barrieren mit dem Verweis auf Übergangsfristen nicht beseitigt werden, auch wenn dafür nur geringfügige Adaptierungen notwendig wären, wurde von den Abgeordneten ein Abänderungsantrag zur Regierungsvorlage eingebracht und bei der Abstimmung mitberücksichtigt.

Menschen mit Behinderungen sollen gemäß dem vom Verfassungsausschuss angenommenen Gesetzentwurf aber nicht nur im Zuständigkeitsbereich des Bundes vor Diskriminierungen geschützt werden, sondern auch in der Arbeitswelt. Deshalb sieht dieser - nicht zuletzt aufgrund von EU-Vorgaben - begleitend zur Erlassung des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes weitere Gesetzesänderungen vor.

So wird im Behinderteneinstellungsgesetz klar festgelegt, dass Behinderte bei der Bezahlung und bei freiwilligen Sozialleistungen, aber auch bei sonstigen Arbeitsbedingungen nicht benachteiligt werden dürfen. Zudem hat der Arbeitgeber, soweit es ihm zumutbar ist, bauliche Barrieren zu beseitigen und muss gegebenenfalls eingreifen, wenn Behinderte am Arbeitsplatz belästigt, eingeschüchtert oder sonst entwürdigend behandelt werden. Diese Bestimmungen gelten sowohl für die Privatwirtschaft als auch für den Bundesdienst.

Sollte es bei bestehenden Dienstverhältnissen dennoch zu Diskriminierungen kommen, drohen dem Arbeitgeber Entschädigungs- und Schadenersatzzahlungen. Zudem kann der behinderte Arbeitnehmer auf seine Rechte - z.B. gleiches Gehalt für gleiche Arbeit, Teilnahme an betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen - pochen. Ebenso kann Schadenersatz dann fällig werden, wenn z.B. bei Stellenbesetzungen die Bewerbung eines Behinderten einfach beiseite gelegt wird, obwohl dieser alle Jobkriterien erfüllt.

Analog zum Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz sollen Ansprüche bei ordentlichen Gerichten nur dann geltend gemacht werden können, wenn zuvor beim Bundessozialamt ein Schlichtungsverfahren durchgeführt wurde.

Zur Unterstützung und zur Beratung von behinderten Menschen, die sich in der Arbeitswelt oder im Zuständigkeitsbereich des Bundes diskriminiert fühlen, ist die Einrichtung eines weisungsfreien Behindertenanwalts im Sozialministerium vorgesehen. Dieser wird - jeweils auf die Dauer von vier Jahren - vom Sozialminister bestellt und dem Abänderungsantrag zufolge auch Mitglied des Bundesbehindertenbeirats sein.

Darüber hinaus mahnen die Abgeordneten in einem im Rahmen der Ausschussberatungen eingebrachten Entschließungsantrag eine Vereinbarung des Bundes mit den Ländern ein, um sicherzustellen, dass ab dem Jahr 2007 errichtete Neubauten den Grundsätzen barrierefreien Bauens entsprechen müssen. Zudem plädieren sie dafür, bei der Vollziehung des Denkmalschutzgesetzes die Interessen von Behinderten zu berücksichtigen, im Zusammenhang mit der Vergabe von Förderungen an Unternehmen durch das Sozialministerium auf die Beseitigung etwaiger Barrieren für Behinderte zu drängen und sämtliche betroffenen Personengruppen über das Behindertengleichstellungspaket zu informieren. Die Regierung wird ersucht, dem Nationalrat bis Ende Oktober 2005 weitere Gesetzesänderungen zur Beseitigung von Benachteiligungen für behinderte Menschen, insbesondere im Bereich des Dienst- und Berufsrechts, vorzuschlagen.

Mittels einer so genannten Ausschussfeststellung wurden seitens den Koalitionsparteien einige Klarstellungen vorgenommen.

Eingeleitet wurden die Beratungen im Verfassungsausschuss durch Statements von Michael Swoboda von der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (ÖAR) und von Michael Krispl vom Arbeitsbündnis Österreichs für Behindertenrechte, einem Zusammenschluss von ExpertInnen mit Behinderungen. Swoboda äußerte sich dabei darüber erfreut, dass nach jahrelangen Beratungen nunmehr ein Gesetzentwurf am Tisch liege. Er bewertete diesen als "tauglichen Kompromiss", auch wenn er in einzelnen Punkten Änderungsbedarf sieht.

Positiv bewertete Swoboda u. a. die klaren Begriffsbestimmungen, die vorgesehene Mediation, die Einbindung von Behindertenorganisationen und die zur Verfügung stehenden Rechtsinstrumente im Falle von Diskriminierungen. Ebenso begrüßte er, dass sich der Gesetzentwurf auf alle Lebensbereiche beziehe. Korrekturen mahnte Swoboda bei den Übergangsbestimmungen, bei der Verbandsklage und bei den Kompetenzen des Behindertenanwalts ein. Unter anderem will er eine Auskunftspflicht gegenüber dem Behindertenanwalt verankert wissen.

Weitaus kritischer als Swoboda beurteilte Michael Krispl das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz. Das Gesetz habe gravierende Schwachstellen, sagte er, unter anderem fehlten effektive Sanktions- und Rechtsdurchsetzungsinstrumentarien. Es gebe im Falle von Diskriminierungen zwar materiellen und immateriellen Schadenersatz, jedoch keinen Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch. Als Beispiel nannte Krispl, dass ein blinder Mensch zwar Schadenersatz verlangen könne, wenn er ein Web-Angebot nicht nutzen könne, ein Recht auf Beseitigung dieses diskriminierenden Tatbestands habe er jedoch nicht.

Als "schwächsten Punkt des Gesetzes" bezeichnete Krispl die Übergangsbestimmungen. Er fürchtet, dass die Übergangsfristen dazu führen, dass bei der Beseitigung baulicher Barrieren bis zum Jahr 2015 Stillstand herrschen wird. Weiters sprach sich Krispl dafür aus, den Begriff Barrierefreiheit genau zu definieren und die Definition auf den jeweiligen Stand der Technik abzustellen, Verbandsklagen zu erleichtern, anstelle der Beweislasterleichterung eine Beweislastumkehr zu verankern und durch verschiedene Gesetzesadaptierungen das Prozesskostenrisiko für Klagen zu minimieren. Die Erleichterung von Verbandsklagen würde die Zahl von Gerichtsverfahren minimieren, zeigte sich Krispl überzeugt.

Abgeordneter Franz-Joseph Huainigg (V) wies darauf hin, dass die Behindertenbewegung jahrelang für ein Behindertengleichstellungsgesetz gekämpft habe, um den Alltag behinderter Menschen zu erleichtern. Er als behinderter Mensch wisse selbst, wie schwierig es oft sei, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, Geschäfte zu betreten oder im Internet zu surfen.

Den vorliegenden Gesetzentwurf qualifizierte Huainigg als guten Kompromiss. Man könne nicht mit einem Gesetz die ganze Welt verändern und sie "mit einem Fingerschnippen" von einem Tag auf den anderen barrierefrei machen, meinte er, das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz leiste aber einen wichtigen Beitrag, um Verbesserungen zu bewirken und das Bewusstsein der Menschen zu verändern. Zu den Eckpunkten des Gesetzes gehörten die sofortige Verpflichtung zur Barrierefreiheit bei Neubauten und Übergangsfristen mit Etappenplänen bei bestehenden Bauten.

Die Frage der verpflichtenden Unterlassung und Beseitigung von Diskriminierungen sei sehr ausführlich diskutiert worden, schilderte Huainigg, es habe aber sowohl aus verfassungsrechtlicher Sicht als auch aus zivilrechtlicher Sicht große Vorbehalte gegeben. Beispielsweise sei es einem Mieter eines Geschäftes nicht möglich, im Falle einer Verurteilung gegen den Willen des Eigentümers für Barrierefreiheit zu sorgen.

Was die Verbandsklage betrifft, zeigte sich Huainigg zuversichtlich, in konkreten Fällen eine Zweidrittelmehrheit im Bundesbehindertenbeirat zu erlangen. Auch die Beweislasterleichterung sieht er als akzeptablen Kompromiss, Behinderte müssten lediglich glaubhaft machen, dass sie diskriminiert würden, während Beschuldigte beweisen müssten, dass sie nicht diskriminierten.

Abgeordnete Theresia Haidlmayr (G) warf Huainigg vor, nicht mehr auf der Seite der Behinderten zu stehen, sondern sich auf die Gegenseite gestellt zu haben. Ihrer Ansicht nach ist der vorliegende Gesetzentwurf "zahnlos" und ein Alibigesetz, er werde behinderten Menschen nichts bringen. Besonders kritisierte Haidlmayr, dass Diskriminierungen nicht beseitigt und unterlassen werden müssten, dass es keine Beweislastumkehr gebe und nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten für Verbandsklagen vorgesehen seien.

Haidlmayr brachte insgesamt acht Abänderungsanträge zum Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz ein, die sich mit den Forderungen des Aktionsbündnis Österreichs für Behindertenrechte decken. Unter anderem verlangte Haidlmayr eine klare Definition von Barrierefreiheit, einen Rechtsanspruch auf Unterlassung, verschiedene Maßnahmen zur Begrenzung des Prozessrisikos, die Erleichterung von Verbandsklagen zur Vermeidung einer Flut von Einzelklagen, die Verkürzung der Übergangsfristen von 2015 auf 2010, eine geänderte Zusammensetzung des Bundesbehindertenbeirats und mehr Rechte für den Behindertenanwalt. Darüber hinaus soll der Bund Fördervergaben ihrer Ansicht nach künftig daran knüpfen, inwieweit das Diskriminierungsverbot gegenüber Behinderten eingehalten wird.

Abgeordnete Helene Partik-Pable (F) unterstrich, ihre Fraktion stimme dem vorliegenden Gesetz "auf alle Fälle zu", weil es "ein gewaltiger Schritt nach vorne" sei. Ein Alibigesetz sei das sicher nicht, bekräftigte sie, auch wenn sie einige Punkte für problematisch erachte. Unter anderem hätte sich Partik-Pable, wie sie sagte, kürzere Übergangsfristen für die Beseitigung baulicher Barrieren gewünscht. Als Mutter einer Tochter im Rollstuhl wisse sie genau, wie schwierig es im Alltag sei, Barrieren zu überwinden.

Positiv bewertete Partik-Pable, dass es überhaupt die Möglichkeit für Verbandsklagen gibt und dass ein Behindertenanwalt eingerichtet wird. Auch die vorgesehene Evaluierung des Gesetzes nach zwei Jahren begrüßte sie ausdrücklich.

Abgeordnete Christine Lapp (S) gab zu bedenken, dass 800.000 Menschen in Österreich eine Behinderung hätten. Behinderte Menschen seien vielfach aber nicht sichtbar, weil sie Barrieren ausgesetzt seien, Schwierigkeiten im Alltag und Probleme beim Zugang zu Bildung hätten.

Die Regierungsvorlage weist nach Meinung Lapps "sehr große Löcher" auf. So habe der Behindertenanwalt nicht sehr viele Kompetenzen und hänge am "Gängelband" des Sozialministeriums, beklagte sie. Zudem enthalte der Gesetzentwurf kein Wort über den Zugang von Behinderten zu Bildung. Positiv sieht Lapp demgegenüber das vorgesehene Mediationsverfahren und die beim Bundessozialamt eingerichtete Schlichtungsstelle.

Abgeordnete Barbara Riener (V) hielt Lapp entgegen, dass durch die Änderung im Behinderteneinstellungsgesetz behinderte Menschen bei der beruflichen Aus- und Weiterbildung und bei Umschulungen künftig nicht diskriminiert werden dürften.

Abgeordnete Terezija Stoisits (G) bedauerte, dass die Koalitionsparteien keine Absicht erkennen ließen, die Anregungen der beiden zu den Beratungen beigezogenen Experten im Gesetzentwurf zu berücksichtigen. Sie fürchtet, dass es auch nach Inkrafttreten des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz keine Handhabe dagegen geben wird, wenn beispielsweise die ÖBB einen Rollstuhlfahrer im Gepäckwagen transportieren. Die Regelung hinsichtlich der Verbandsklage bezeichnete Stoisits als "Witz", durch die notwendige Zweidrittelmehrheit im Bundesbehindertenbeirat werde dieses Instrument entwertet, bevor man es geschaffen habe.

Auch die vorgesehene Form der Verankerung der Gebärdensprache in der Verfassung sieht Stoisits, wie sie sagte, nicht als "das Gelbe vom Ei". Sie werde der Verfassungsänderung aus Solidarität mit den anderen Abgeordneten zwar zustimmen, meinte sie, die vorgesehene Formulierung entspricht ihr zufolge aber nicht dem letzten Diskussionsstand im Österreich-Konvent. Stoisits fragt sich insbesondere, ob gehörbehinderte Menschen durch die Verfassungsänderung tatsächlich mehr Rechte haben werden, die Gebärdensprache zu verwenden.

Abgeordneter Johannes Jarolim (S) hielt fest, der fehlende Unterlassungsanspruch und die komplizierten Voraussetzungen für eine Verbandsklage machten es der SPÖ unmöglich, dem vorliegenden Gesetz zuzustimmen, obwohl seine Fraktion für die Schaffung eines Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes sei. Seiner Auffassung nach erreicht die Koalition mit dem Entwurf ihre selbst vorgegebenen Ziele nicht.

Abgeordnete Ulrike Baumgartner-Gabitzer (V) erklärte, sie habe ein gewisses Verständnis dafür, wenn die Opposition den Gesetzentwurf - wie auch alle anderen Regierungsvorlagen - als zu zaghaft bewerte, aber zu sagen, das Gesetz sei zahnlos und eine "Veräppelung" von Menschen mit Behinderungen, sei völlig unangebracht. Ihrer Fraktion sei sehr bewusst, dass es Menschen mit Behinderung nicht einfach hätten, bekräftigte sie. Unter anderem machte Baumgartner-Gabitzer darauf aufmerksam, dass die Kosten der Mediation vom Bund übernommen würden.

Sozialministerin Ursula Haubner verwies darauf, dass sich die Regierung bereits im Regierungsprogramm 2003 zum Ziel gesetzt habe, Behinderte besser in den Arbeitsmarkt einzugliedern und die Diskriminierung von Behinderten im gesellschaftlichen Leben zu beseitigen. Das nunmehr vorliegende Gesetz sei ein guter und brauchbarer Kompromiss, betonte sie. Vorschriften, die nicht umsetzbar seien, würden niemanden helfen.

Mit dem Beschluss des Behindertengleichstellungsgesetzes ist Österreich Haubner zufolge EU-weit Vorreiter. Das Gesetz gehe weit über die entsprechende EU-Richtlinie hinaus, erklärte sie, und beziehe - im Gegensatz zu ähnlichen Gesetzen in anderen Ländern - etwa auch die Privatwirtschaft ein. Überdies gebe es bislang kein einziges Behindertengleichstellungsgesetz, das das Diskriminierungsverbot unmittelbar auf Angehörige von Behinderten übertrage.

Dass der Transport von Behinderten im Gepäckwagen eines Zuges nicht dem Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz entspreche, gehe, so Haubner, klar aus den Erläuterungen hervor.

Was die Adaptierung der Bauordnungen betrifft, will Haubner mit den Bundesländern "intensivst verhandeln". Die Regierung könne nur die Rechtsfolgen regeln, wenn die Verpflichtung zur Barrierefreiheit nicht eingehalten werde, konstatierte sie, sie könne aber nicht auf die einzelnen Bauordnungen Einfluss nehmen.

Für nicht zulässig erachtet es Haubner, dem Bundesbehindertenbeirat von Vornherein zu unterstellen, nicht im Sinne der Behinderten zu agieren. Sie verwies darauf, dass in diesem Gremium u.a. Vertreter der parlamentarischen Parteien, Fachleute aus dem Ministerium, Vertreter der Bundesländer, der Sozialversicherungsträger, der Arbeiterkammer, der Wirtschaftskammer und des ÖGB sowie mehrere Mitglieder der ÖAR sitzen würden. Auch den Vorwurf, wonach der Behindertenanwalt am Gängelband des Sozialministeriums hänge, wies sie strikt zurück und gab zu bedenken, dass dieser weisungsfrei sei.

Ähnlich wie Haubner argumentierte Sozialstaatssekretär Sigisbert Dolinschek. Er machte geltend, dass das Behindertengleichstellungsgesetz im Gegensatz zur entsprechenden EU-Richtlinie alle Lebensbereiche umfasse und nicht auf den Berufsbereich beschränkt sei. Zudem sei der Diskriminierungsschutz wesentlich besser ausgeprägt als in den anderen EU-Ländern. Als weitere positive Punkte des Gesetzentwurfs nannte Dolinschek die Möglichkeit der Mediation, den Angehörigenschutz und die Verbandsklage.

Die Übergangsfristen in Bezug auf die Beseitigung baulicher Barrieren begründete Dolinschek damit, dass man der Wirtschaft ausreichend Zeit geben müsse. Man könne nicht von Anfang an die Latte so hoch legen, dass keiner "drüberspringen" könne, umriss er.

Bei der Abstimmung wurden das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz und damit im Zusammenhang stehende Gesetzesänderungen unter Berücksichtigung des V-F-Abänderungsantrages mit den Stimmen der Koalitionsparteien beschlossen. Die Abänderungsanträge der Grünen wurden lediglich von der Opposition unterstützt und blieben damit in der Minderheit. Mit V-F-Mehrheit beschlossen wurden auch der Entschließungsantrag und die Ausschussfeststellung zum Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz.

Der Verankerung der Gebärdensprache in der Verfassung in der Fassung eines Vier-Parteien-Abänderungsantrages zur Regierungsvorlage stimmten alle Abgeordneten zu. Auch der Entschließungsantrag zum Thema Gebärdensprache fand einhellige Zustimmung, die Ausschussfeststellung passierte mit V-S-F-Mehrheit den Verfassungsausschuss. Keine Mehrheit fand ein Entschließungsantrag der Grünen.

Mit der Empfehlung des Verfassungsausschusses, die Gebärdensprache in der Verfassung zu verankern, gelten entsprechende Anträge und Entschließungsanträge aller vier Fraktionen - 89/A(E), 156/A, 431/A und 449/A(E) - als miterledigt. Gleiches gilt für eine Bürgerinitiative und eine Petition zu diesem Thema.

KEINE GENERELLE RUNDFUNKGEBÜHRENBEFREIUNG FÜR HÖRGESCHÄDIGTE

Keine Einigung erzielte der Verfassungsausschuss in Bezug auf eine Petition, die Abgeordnete Theresia Haidlmayr (G) dem Nationalrat überreicht hatte und die auf einen gemeinsamen Initiativantrag aller im Oberösterreichischen Landtag vertretenen Parteien zurückgeht. Darin wird die Wiedereinführung der einkommensunabhängigen Rundfunkgebührenbefreiung für Menschen mit Hörbeeinträchtigungen gefordert und diese Forderung damit begründet, dass das Angebot des ORF für Menschen mit Hörbeeinträchtigungen keineswegs adäquat sei.

Die Koalitionsparteien lehnten sowohl die Petition selbst auch einen Antrag der SPÖ ab, Stellungnahmen der zuständigen Regierungsmitglieder und des ORF zur Petition einzuholen.

Zuvor hatten SPÖ-Abgeordnete Christine Lapp und G-Abgeordnete Theresia Haidlmayr darauf hingewiesen, dass gehörlose bzw. gehörbehinderte Menschen maximal 15 % des ORF-Angebots nutzen könnten, trotzdem aber die gesamten Gebühren zahlten müssten. Es gehe nicht darum, dass gehörlose Menschen gar nichts zahlen wollten, aber sie wollten nur für das Angebot zahlen, das sie auch nutzen können, sagte Haidlmayr und plädierte für eine aliquote Gebührenreduktion.

Staatssekretär Franz Morak machte dem gegenüber geltend, dass der ORF sein Angebot für gehörlose und gehörbehinderte Menschen regelmäßig ausbaue und dieses im Vergleich zu anderen öffentlich-rechtlichen Sendern sehr gut sei. Zudem müssten nur jene Gehörlosen und Gehörgeschädigten Rundfunkgebühren zahlen, deren Einkommen erheblich über der Ausgleichszulage liege. Sollten SPÖ und Grüne eine darüber hinausgehende Gebührenbefreiung wünschen, sollten ihre Vertreter entsprechende Anträge im Stiftungsrat des ORF einbringen, regte Morak an. (Schluss)


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