Parlamentskorrespondenz Nr. 593 vom 07.07.2005

ANERKENNUNGSPAKET FÜR NS-OPFER PASSIERT DEN NATIONALRAT

Symbolisches Dankeschön für die Trümmerfrauen

Wien (PK) – Die nächsten Tagesordnungspunkte befassten sich mit dem V-F-Antrag 614/A betreffend Anerkennungsgesetz, einer ASVG-Änderung, dem G-Antrag 21/A betreffend BG zur Rehabilitierung der Opfer der NS-Militärjustiz, dem F-V-Antrag 641/A hinsichtlich einmalige Zuwendung für Frauen als Anerkennung für ihre besonderen Leistungen beim Wiederaufbau der Republik Österreich und dem V-F-Antrag 613/A auf Änderung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes.

Abgeordnete Mag. STOISITS (G) stellte fest, die Leidensgeschichte der Wehrmachtsdeserteure gehe erst heute durch dieses Anerkennungsgesetz zu Ende. 60 Jahre nach dem Krieg sei es nun gelungen, die Opfer der NS-Militärjustiz in das ASVG und in das Opferfürsorgegesetz einzubinden. Die Grünen hätten sich aber eine klare Differenzierung der Opfer des Nationalsozialismus und jener des Krieges gewünscht. Es gehe nicht an, im Gedenkjahr über die Gründe der Opferrolle hinwegzusehen. Kein Verständnis zeigte Stoisits überdies, dass im Entschließungsantrag der Regierungsparteien die Wehrmachtsdeserteure nicht ausdrücklich genannt werden. In einem Abänderungsantrag forderte sie deshalb eine explizite Bezugnahme auf die Leistungen der Wehrmachtsdeserteure.

Abgeordnete Dr. FEKTER (V) berichtigte ihre Vorrednerin und stellte fest, dass Wehrmachtsdeserteure einen Beitrag zur Befreiung Österreichs vom Nationalsozialismus geleistet haben und daher vom vorliegenden Gesetz erfasst werden. Das Anerkennungsgesetz gelte den Leistungen im österreichischen Widerstand, der Beseitigung nationalsozialistischer Unrechtsakte, der Erweiterung des Opferbegriffs im Opferfürsorgegesetz und einer Befreiungserinnerungszuwendung an NS-Opfer. Damit bezeuge der Nationalrat allen Opfern der NS-Unrechtsjustiz, der Militärjustiz und den Personen im österreichischen Widerstand und deren Familien Achtung und Mitgefühl. Es wurde ein sehr weiter Opferbegriff gewählt, denn es sei nicht gerechtfertigt, einzelnen Opfergruppen die Achtung und das Mitgefühl zu verweigern oder es zu differenzieren, sagte Fekter in Richtung Grüne und SPÖ. Die Oppositionsparteien lehnten diesen weiten Opferbegriff, zu dem sich Fekter ausdrücklich bekannte, ab - daher war ein Vierparteienkonsens nicht erreichbar.  

    

Abgeordneter Dr. JAROLIM (S) ging es darum, klarzustellen, dass Wehrmachtsdeserteure in diesem Land ihren Platz in der Geschichte haben. Dies sei der Ausgangspunkt der Diskussion gewesen. Jarolim konnte daher nicht verstehen, wie es geschehen konnte, dass man - im Gedankenjahr 2005 - den Begriff "Wehrmachtsdeserteur“ in letzter Minute aus dem Gesetzestext räume. Es wäre angemessen, den Wehrmachtsdeserteuren und anderen Gruppen besondere Zuneigung zum Ausdruck zu bringen. Zu sagen, es gebe ohnehin ein Amnestiegesetz, das man nach jahrelanger Suche im Ressort gefunden habe, sei Kokettieren mit dem rechtsextremen Rand, warf der Abgeordnete den Regierungsparteien vor. 

Abgeordneter Mag. HAUPT (F) hielt es für falsch zu behaupten, man habe ein Gesetz "gefunden", das seit 1946 ununterbrochen in Geltung stand. Es sei eine Tatsache, dass die Deserteure durch die Amnestiegesetze ebenso voll erfasst sind wie viele kleine, nicht expressis verbis aufgezählte Gruppen. Trauer über Opfer sei für ihn und seine Fraktion unteilbar. Wir wollen keine Opfer erster, zweiter oder dritter Wahl. Für die Trauer seiner Familie habe es keine Bedeutung, dass jüdische Mitglieder vor dem Mai 1945 von Nationalsozialisten oder im Juni 1945 von Benes-Schergen umgebracht wurden. Man sollte sich hüten, die Leiden und den sehr subjektiven Schmerz der Angehörigen unterschiedlich zu gewichten. Daher, aber auch aus verwaltungsökonomischen Gründen hätte er sich eine Staffelung der Leistungen im Gesetz in Analogie zum Sozialsystem gewünscht, vielleicht könne man diese Integration später herbeiführen, sagte Abgeordneter Haupt.

Bundesministerin MIKLAUTSCH erläuterte das Anerkennungsgesetz, das auch das Ziel verfolge, auf Gesetze, die bislang keine Aufmerksamkeit gefunden haben, öffentlich hinzuweisen. Es geht um eine Respektsbezeugung der Republik für das Schicksal der Opfer und ihrer Angehörigen. Bedauerlicherweise seien Wehrmachtsdeserteure bis heute nicht als solche anerkannt worden, sondern waren teilweise mit einem Stigma belastet, das neues Unrecht geschaffen hat. Die Ministerin wies auf die Anerkennung sozialrechtlicher Ansprüche sowie auf die zweifelsfreie, bindende und authentische Feststellung der Aufhebung aller Urteile der NS-Unrechtsjustiz hin. Dazu komme die bisher zu kurz gekommene menschliche Rehabilitierung und ein Zeichen des Respekts und der Anteilnahme gegenüber allen Opfern dieses grauenhaften Regimes, insbesondere auch für die Opfer der NS-Militärjustiz. Sie bedauerte, dass die Opposition diesem Gesetz nicht zustimme.              

Abgeordnete STADLBAUER (S) kritisierte, dass die Gruppe der Wehrmachtsdeserteure nicht im Gesetz genannt wird. "Warum wollen Haupt und Fekter diese Gruppe nicht beim Namen nennen?" fragte die Rednerin. Wehrmachtsdeserteure haben einen aktiven Beitrag zur Befreiung vom NS-Regime geleistet. Das sei klarzustellen, daher seien sie zu nennen. Die Wehrmachtsdeserteure nicht zu nennen, sei ein gefährlicher Versuch, Geschichte umzudeuten und zu verfälschen. Abschließend setzte sich die Rednerin für die Rehabilitation der Zwangsprostituierten in Konzentrationslagern ein, die in der Öffentlichkeit zu Unrecht nach wie vor nicht als Opfer wahrgenommen werden.  

Abgeordneter Mag. TANCSITS (V) sprach von einem umfangreichen Anerkennungspaket für NS-Opfer 60 Jahre nach Kriegsende und bedauerte, dass es von der Opposition aus taktischen Gründen nicht mitgetragen werde. Man wolle offenbar eine scheinbare moralische Überlegenheit in historischen Fragen nicht aufgeben. Sozialrechtlich werden materielle Lücken geschlossen, sagte Tancsits mit Genugtuung, etwa für die Hinterbliebenen von Kriegsopfern und für Hinterbliebene von Opfern der NS-Militärjustiz sowie für so genannte Asoziale, für Opfer medizinischer Versuche und für Opfer aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. 

    

Abgeordneter ÖLLINGER (G) erinnerte an den Konsens des Jahres 1995, der darin bestand, anzuerkennen, dass viele Österreicher in der NS-Zeit nicht nur Opfer waren, sondern auch Täter. Das vorliegende Gesetz trage dieser Erkenntnis in gewisser Weise Rechnung, falle aber hinter den Konsens von ÖVP, SPÖ, Grünen und LIF von 1995 zurück, die damals der Forderung nach einem ungeschichtlichen und unpolitischen Opferbegriff nicht nachgaben und sich weigerten, den Opferbegriff über 1945 hinaus auszudehnen. Nicht aus Hartherzigkeit, sondern weil man Opfer und Täter nicht in einen Topf werfen wollte. Hinter diesen Stand falle man mit dem vorliegenden Gesetz zurück, klagte Abgeordneter Öllinger.   

Abgeordnete DI ACHLEITNER (F) begrüßte es ausdrücklich, im Gedenkjahr 2005 endlich auch jener Frauen zu gedenken, die für den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg mit verantwortlich waren, harte körperliche Arbeit geleistet und sich ohne soziale Leistungen um ihre Kinder gekümmert haben. Diese Frauen werden ein symbolisches Dankeschön in Form einer 300 €-Einmalzahlung erhalten. Sie haben den Grundstein für den Wohlstand der Zweiten Republik gelegt, sagte die Rednerin und wies den für sie unverständlichen Ausdruck "fiskalisches Mutterkreuz" als ungeheuerlich zurück.      

Abgeordneter Dr. PUSWALD (S) kündigt die Zustimmung der SPÖ zum Opferfürsorgegesetz an, weil es die Forderung nach Anerkennung homosexueller Opfer berücksichtige. Einem Lippenbekenntnis des Bundeskanzlers, das darin bestehe, Kampl zwar zu verfolgen, Haider aber den Gefallen zu machen, die Wehrmachtsdeserteure aus dem Gesetz wieder zu entfernen - dem könne die SPÖ aber nicht zustimmen.       

Für Abgeordnete STEIBL (V) ist das Gedankenjahr 2005 und der Wohlstand, der in Österreich aufgebaut werden konnte, Anlass genug, jenen, die diese Leistung erbracht haben, ein längst fälliges Dankeschön zu sagen. Die Anerkennung der Leistungen von 50.000 Frauen beim Wiederaufbau sei eine wichtige Geste für Mütter, die ihre Kinder in Not und Elend geboren und ins Leben begleitet haben. Die Kritik der Opposition sei unverständlich, schloss Steibl und kündigte einen Abänderungsantrag der Koalitionsparteien mit weiteren Verbesserungen für damals neunzehnjährige Frauen an.

         

Abgeordnete Mag. LUNACEK (G) begrüßte die Anerkennung homosexueller und so genannter asozialer NS-Opfer und erinnerte an zahlreiche fragwürdig Argumente gegen Homosexuelle und Lesben, deren Verwendung dafür verantwortlich war, dass die Anerkennung so lange gedauert habe. Die Abgeordnete anerkannte, dass diese Opfer nun nicht mehr nur geduldet, sondern ausdrücklich genannt werden. "Das haben wir auch für Wehrmachtsdeserteure verlangt". Zu den "Trümmerfrauen" merkte die Rednerin kritisch an, das Gesetz erfasse nicht alle Frauen, sondern nur österreichische Mütter und schließe Frauen nicht aus, die unter das Verbotsgesetz fielen. Dies sei nicht gerecht, schloss Abgeordnete Lunacek.

Abgeordnete MITTERMÜLLER (F) meinte, mit dem vorliegenden Gesetz zur Anerkennung der Leistungen der Trümmerfrauen sende man ein wichtiges familienpolitisches Signal. Deren Tätigkeit könne nicht genug gewürdigt werden, die Zuwendung erfolge daher mehr als zu Recht. Die Kritik der Opposition könne sie vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehen. Sie danke der Ministerin dafür, die Mittel für diese Zuwendung zur Verfügung zu stellen, die Betroffenen freuten sich sehr über diese Anerkennung. In einem Abänderungsantrag der Regierungsfraktionen trat die Rednerin durch den geplanten Wegfall eines Stichtages für eine Ausweitung des Bezieherkreises ein.

Bundesministerin HAUBNER sagte, mit dem vorliegenden Entwurf nehme die Regierung eine Verantwortung wahr und trage eine Dankesschuld an all jene ab, die für die Wiedererrichtung Österreichs gewirkt und Wesentliches für den Wiederaufbau des Landes geleistet hätten. Dabei dürfe keine Gruppe vergessen werden. Mit der Vorlage trage man dem Rechnung, erklärte das Regierungsmitglied. Man werde sich immer daran erinnern, dass die Zweite Republik auf dem Verständnis eines "Nie wieder" aufgebaut wurde. Von diesem Gedanken lasse man sich auch beim gegenständlichen Entwurf leiten, so die Ministerin, die anschließend besonders die Leistungen der Frauen jener Generation würdigte. Man setze daher ein Zeichen für Gerechtigkeit und politische Verantwortung in Anerkennung der Leistungen jener, die immer an dieses Österreich geglaubt hätten.

Abgeordneter KECK (S) zeigte sich zufrieden darüber, dass die Regierung teilweise der Kritik der Opposition Rechnung getragen habe, bemängelte aber, dass die Vorgangsweise, die Zuwendung an die Geburt von Kindern zu knüpfen, ungerecht gegenüber all jenen Frauen sei, die gleichfalls für den Wiederaufbau gearbeitet hätten, doch aus unterschiedlichen - sozialen, gesundheitlichen oder sonstigen - Gründen keine Kinder bekommen konnten. Dieser Punkt müsse geändert werden, forderte Keck.

Abgeordneter Mag. DONNERBAUER (V) begrüßte die Vorlage und meinte, man sollte den Opfern dieses Unrechtsregimes gemeinsam Anerkennung zollen. In diesem Sinne lud er die Opposition ein, dem Entwurf zuzustimmen.

Abgeordnete HEINISCH-HOSEK (S) kritisierte, dass in diesem Anerkennungspaket nur die Mütter bedacht würden. Dies sei gegenüber allen anderen Frauen ungerecht. Diese Trennung müsse aufgehoben werden, meinte die Rednerin, die in diesem Sinne einen Abänderungsantrag einbrachte, mit welchen auch sichergestellt werden solle, dass nicht ehemalige Mitglieder der NSDAP von dieser Zuwendung profitierten. Zudem sollte diese Zuwendung nicht an die österreichische Staatsbürgerschaft gebunden sein, heißt es in dem Antrag.

Abgeordnete Mag. SCHEUCHER-PICHLER (V) sagte, mit dieser Vorlage setze die Bundesregierung ein weiteres Zeichen der Anerkennung der Leistungen für den Wiederaufbau. Die Zuwendung werde deshalb an Mütter ausgeschüttet - und zu dieser Vorgangsweise bekenne sich ihre Fraktion auch -, da diese damals einer besonderen Doppelbelastung ausgesetzt gewesen seien.

Abgeordneter DOBNIGG (S) erklärte, seine Fraktion könne einige der in dem Entwurf enthaltenen Punkte zustimmen, da es sich um positive sozialpolitische Maßnahmen handle, doch gebe es freilich gerade auf dem Gebiet der Sozialpolitik noch viel zu tun, sei die Regierung doch in vielen Bereichen - etwa bei den Pensionen - säumig.

Abgeordneter PRINZ (V) würdigte gleichfalls die Leistung der Nachkriegsgeneration, die unser Land wiederaufgebaut habe. Besonderen Belastungen seien damals die Mütter ausgesetzt gewesen, weshalb die in Aussicht genommene Anerkennung ihre volle Berechtigung habe. Dies gelte vor allem für Mütter mit einer Mindestpension, spiele doch der soziale Aspekt hier ebenfalls eine Rolle.

Abgeordnete Mag. GROSSMANN (S) fokussierte auf jene, die sich aktiv gegen das NS-Regime gestellt hätten. Dieses Tun zu würdigen, sei fraglos ein wichtiges Signal, doch da es sich um eine abschließende Maßnahme handeln solle, wäre es nötig, diese Vorlage umfassend zu gestalten und die Dinge auf der Täter- wie der Opferseite deutlich beim Namen zu nennen.

Die Abgeordneten FRANZ, LENTSCH, TURKOVIC-WENDL, PRASSL, HÖLLERER und Mag. LANGREITER (alle V) würdigten die Leistungen der in Rede stehenden Generation und bekundeten Zustimmung zu den vorliegenden Entwürfen, mit denen die Regierung die politische Verantwortung wahrnehme und den betreffenden Personen - vor allem jenen Frauen, die damals durch ihre Doppelrolle besonderen Belastungen ausgesetzt gewesen seien - Anerkennung zolle.

Abgeordneter SCHEIBNER (F) resümierte die Intentionen dieses Pakets und wies die Kritik der Opposition zurück. Natürlich hätte er sich gewünscht, allen, die am Aufbau des Landes beteiligt gewesen seien, eine Anerkennung zukommen zu lassen, doch gehe es darum, wenigstens jenen, die besondere Belastungen auf sich nehmen mussten, eine kleine Zuwendung zu geben. Dieser kleine symbolische Akt sei der politischen Verantwortung gegenüber diesem Personenkreis geschuldet, meinte der Redner, der davon abriet, Frauen von diesem Gesetz auszuschließen, nur weil sie der NSDAP angehört hätten. Lediglich das aktive Tun sollte derart sanktioniert werden, so Scheibner.

Das Anerkennungsgesetz wurde mehrheitlich angenommen, der Abänderungsantrag der Opposition blieb in der Minderheit. Die ASVG-Novelle wurde einstimmig beschlossen, mehrheitliche Zustimmung fand der Bericht des Justizausschusses betreffend ein Bundesgesetz zur Rehabilitierung der Opfer der NS-Militärjustiz. Die Zuwendung für Frauen fand in der Fassung eines Abänderungsantrages der Regierungsfraktionen eine Mehrheit, diesbezügliche Abänderungsanträge der SPÖ blieben in der Minderheit. Mehrheitlich angenommen wurde schließlich auch der Gesetzentwurf, mit dem das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz, das Kriegsopferversorgungsgesetz und das Heeresversorgungsgesetz geändert werden. Ein Abänderungsantrag der Grünen fand keine Mehrheit. (Forts.)