Parlamentskorrespondenz Nr. 601 vom 11.07.2005

NATIONALRAT BEENDET ORDENTLICHE TAGUNG 2004/05

Rund 40 % Prozent der Gesetzesbeschlüsse einstimmig

Wien (PK) - Mit dem heutigen Tag beendet der Nationalrat die Tagung 2004/05. Insgesamt fanden in diesem Arbeitsjahr 43 Plenarsitzungen mit einer Gesamtdauer von 325 Stunden und 29 Minuten statt. Dabei beschlossen die Abgeordneten 142 Gesetze und genehmigten 55 Staatsverträge sowie 6 Vereinbarungen mit den Bundesländern. 7 Berichte des Rechnungshofes und ein Bericht der Volksanwaltschaft wurden behandelt und zur Kenntnis genommen. Etwas mehr als 40 Prozent der Gesetzesbeschlüsse erfolgten einstimmig, 2003/2004 waren es noch knapp über 60 % gewesen.

Zu den Gesetzesvorhaben, die in dieser Tagung beschlossen wurden, zählen die Pensionsharmonisierung, ein Gesundheitsreformpaket, die Zusammenlegung von Polizei und Gendarmerie, die Verkürzung des Wehrdienstes und des Zivildienstes, die Abschaffung der Zweidrittelmehrheit für Schulgesetze und erste Schulreformen, die Neuregelung des Asylgesetzes, ein Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz, die Ausweitung des Rauchverbots an öffentlichen Orten sowie ein Gesetzespaket für NS-Opfer. Zudem wurden sowohl das Budget für das Jahr 2005 als auch jenes für 2006 unter Dach und Fach gebracht.

Besonders heftige Diskussionen löste die Spaltung der FPÖ und das Bekenntnis des freiheitlichen Regierungsteams zum neu gegründeten BZÖ ("Bündnis Zukunft Österreich") aus. Die Opposition forderte vehement Neuwahlen, was von den Koalitionsparteien jedoch mit der Begründung abgelehnt wurde, dass nach wie vor sämtliche Mitglieder des Freiheitlichen Parlamentsklubs hinter dem Regierungsprogramm stünden und die Regierung damit weiter über eine mehrheitliche Unterstützung im Nationalrat verfüge. In weiterer Folge kam es innerhalb der Freiheitlichen Abgeordneten zwar in einzelnen Punkten zu einem unterschiedlichen Abstimmungsverhalten, Gesetzesvorhaben der Regierungsparteien waren dadurch jedoch nicht gefährdet. Auch eine an die Regierung gerichtete Rücktrittsforderung des Bundesrats hatte keine Auswirkungen.

Insgesamt vier Mal kam es in den vergangenen zehn Monaten zu einer Regierungsumbildung. Zunächst folgte Ursula Plassnik im Außenministerium Benita Ferrero-Waldner nach, welche als EU-Kommissarin nach Brüssel wechselte, im Dezember löste Liese Prokop den zurückgetretenen Innenminister Ernst Strasser ab. Einen Monat später wurde die bisherige Staatssekretärin Ursula Haubner - anstelle von Herbert Haupt - zur Sozialministerin bestellt, ihr wurde stattdessen Staatssekretär Sigisbert Dolinschek zur Seite gestellt. Seit kurzem ergänzt schließlich Hans Winkler als Staatssekretär im Außenministerium das Regierungsteam.

Sehr intensiv beschäftigte sich der Nationalrat auch heuer wieder mit EU-Angelegenheiten. Im Mittelpunkt stand dabei die Ratifikation der EU-Verfassung mit nur einer Gegenstimme, aber auch sonst standen EU-Fragen immer wieder auf der Tagesordnung von Plenarsitzungen, etwa in Form von Erklärungen durch Bundeskanzler Wolfgang Schüssel oder als Thema einer Aktuellen Stunde. Dazu kommen eingehende Beratungen in den für EU-Angelegenheiten zuständigen Ausschüssen sowie in den Fachausschüssen des Nationalrats (siehe unten).

In Hinkunft wird der Nationalrat darüber hinaus regelmäßig so genannte "Europatage" abhalten. Mit diesen speziellen Nationalratssitzungen zu aktuellen EU-Vorhaben wollen die Abgeordneten nicht nur ihre Mitwirkung in EU-Angelegenheiten verstärken, sondern auch die Öffentlichkeit besser über EU-Projekte informieren und Europapolitik für die Bevölkerung greifbar machen.

11 DRINGLICHE ANFRAGEN, 10 AKTUELLE STUNDEN, 3 MISSTRAUENSANTRÄGE

Im Rahmen der Plenarsitzungen hielten die Abgeordneten 10 Aktuelle Stunden und 5 Fragestunden mit 30 Fragen und 87 Zusatzfragen ab. Dazu kommen insgesamt sechs Debatten über die Erklärung von Regierungsmitgliedern. 13 Gesetzesanträge und die Budgets 2005 und 2006 wurden in Erste Lesung genommen. In 62 Entschließungen erhielt die Regierung Arbeitsaufträge vom Nationalrat.

Auch die parlamentarischen Minderheitsrechte wurden im vergangenen Parlamentsjahr wieder vielfach in Anspruch genommen, in erster Linie von der Opposition, zum Teil aber auch von den beiden Koalitionsparteien. So verhandelte der Nationalrat insgesamt 11 Dringliche Anfragen (1 VF, 6 S, 4 G) und 7 Dringliche Anträge (1 V, 2 S, 2 F, 2 G) und hielt 20 Kurze Debatten (9 S, 10 G, 1 S-G) zu schriftlichen Anfragebeantwortungen der Regierung, Fristsetzungsanträgen und Anträgen auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ab.

Alle fünf Versuche der Opposition, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen - in Bezug auf den Bau des EM-Stadions in Klagenfurt, Missstände im Kunsthistorischen Museum, den Kauf der Eurofighter sowie das Projekt e-card - scheiterten jedoch. Gleiches gilt für die insgesamt drei in dieser Tagung eingebrachten Misstrauensanträge gegen die Regierung bzw. einzelne Regierungsmitglieder. Konkret wollte die Opposition die Amtsenthebung von Landwirtschaftsminister Josef Pröll, Ex-Innenminister Ernst Strasser bzw. der gesamten Bundesregierung erzwingen.

Von den fünf außertourlichen Sitzungen des Nationalrats in dieser Tagung fanden drei auf Verlangen der SPÖ statt - Anlass waren Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Koalition in Bezug auf die Wehrdienstverkürzung, ein neuer Rechnungshofbericht zum Eurofighter-Kauf bzw. die Spaltung der FPÖ -, zwei wurden zur Vorstellung neuer Regierungsmitglieder einberufen.

Für verbale Ausrutscher mussten die drei Nationalratspräsidenten in dieser Tagung insgesamt 21 Ordnungsrufe erteilen.

135 AUSSCHUSSSITZUNGEN UND EINE PARLAMENTARISCHE ENQUETE

Zu den Plenarsitzungen kommen 135 Ausschusssitzungen und 25 Sitzungen von Unterausschüssen. Dabei wurden 40 Berichte der Bundesregierung durch Kenntnisnahme "enderledigt" und kamen nicht mehr ins Plenum.

Der Hauptausschuss hielt im abgelaufenen Parlamentsjahr 15 Sitzungen ab und behandelte im Rahmen seiner traditionellen Aufgaben 45 Vorlagen. Themenschwerpunkt waren Entsendungsgenehmigungen und Mandatsverlängerungen für jene Bundesheersoldaten, die derzeit an Friedensmissionen in aller Welt teilnehmen.

Zu den Höhepunkten auf der EU-Agenda des Hauptausschusses zählten im August 2004 die Nominierung von Benita Ferrero-Waldner zum Mitglied der neuen EU-Kommission und eine ausführliche Diskussion über den europäischen Verfassungsvertrag mit dem Präsidenten des EU-Parlaments Josep Borell Fontelles im Oktober. Außerdem bereitete der Hauptausschuss die EU-Gipfel von Brüssel (4./5. November, 16./17. Dezember 2004 sowie 22./23. Mai und 16./17.Juni 2005) vor. Wichtige Themen waren neben der EU-Verfassung der Lissabon-Prozess, die Erweiterungspolitik und das EU-Budget.


Der Ständige EU-Unterausschuss hielt 5 Sitzungen ab und befasste sich mit EU-Vorlagen zu den Themen Dienstleistungsrichtlinie, Gentechnik, Arbeitszeitgestaltung, Wegekostenrichtlinie und finanzielle Vorausschau 2007 bis 2013.

Neu ist, dass sich nicht nur die beiden EU-Ausschüsse des Nationalrats eingehend mit EU-Angelegenheiten befassen, sondern auch die einzelnen Fachausschüsse. Sie setzten sich - auf Basis von entsprechenden Berichten der zuständigen Minister - mit aktuellen EU-Vorhaben in ihrem Bereich auseinander.

Im Rechnungshof-Unterausschuss - neben dem Rechnungshofausschuss einer der zentralen Kontrollausschüsse des Nationalrats - diskutierten die Abgeordneten über die Agrarförderungen und die Verkehrs- und Infrastrukturpolitik in Österreich seit dem Jahr 2000.

Zum Thema "Investitionsschutzabkommen" wurde eine Parlamentarische Enquete durchgeführt.

Die Präsidialkonferenz trat in der Tagung 2004/2005 zu 24 Sitzungen zusammen.

Mit insgesamt 33 Petitionen und 9 Bürgerinitiativen wandten sich die Bürger direkt an das Hohe Haus.

1.236 SCHRIFTLICHE ANFRAGEN

Im Vergleich zur vorangegangenen Tagung 2003/2004 annähernd gleich geblieben ist die Zahl der schriftlichen Anfragen von Abgeordneten an Regierungsmitglieder, an den Nationalratspräsidenten und an den Rechnungshofpräsidenten. Insgesamt wurden von Tagungsbeginn bis zum Ende der letzten Nationalratssitzung 1.236 schriftliche Anfragen eingebracht. An der Spitze der Anfragesteller liegt die SPÖ mit 724 Anfragen, gefolgt von den Grünen mit 454. ÖVP-Abgeordnete stellten insgesamt 39 Anfragen, die Freiheitlichen beschränkten sich auf 14. 5 Anfragen wurden von mehreren Fraktionen gemeinsam eingebracht. Am häufigsten nutzte wie schon in den vergangenen Jahren SPÖ-Abgeordneter Johann Maier mit insgesamt 175 Anfragen dieses Kontrollrecht des Nationalrats, gefolgt von den Grün-Abgeordneten Karl Öllinger (100) und Gabriela Moser (81).

Besonderes Interesse zeigten die Mandatare dabei für das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (176 Anfragen), das Finanzministerium (136) und das Bundesministerium für Gesundheit und Frauen (131). Lediglich je 48 Anfragen wurden hingegen an Verteidigungsminister Günther Platter und Außenministerin Ursula Plassnik gestellt. An Nationalratspräsident Andreas Khol richteten die Abgeordneten 12 schriftliche Anfragen, an den Rechnungshofpräsidenten 4.

ÖSTERREICH-KONVENT

Nach 19 Monaten Arbeit, 44 Sitzungen des Konvents-Präsidiums und 172 Sitzungen der zehn Ausschüsse hat der Österreich-Konvent Ende Jänner 2005 seine Tätigkeit beendet. Ergebnis des Bemühens um eine moderne, bürgernahe Verfassung ist ein von Konventspräsident Franz Fiedler zusammengestellter, rund 1.200 Seiten starker Bericht, der zahlreiche Änderungsvorschläge zum Verfassungstext enthält und in dem sowohl die konsensualen als auch die strittigen Punkte aufgelistet sind. Zur Vorberatung des Berichts im Nationalrat wurde ein Besonderer Ausschuss eingesetzt, der bereits seine Beratungen aufgenommen hat und seine erste Arbeitssitzung im September abhalten wird.

DAS PARLAMENT 2004/2005: WELTOFFEN, GESCHICHTSBEWUSST UND BÜRGERNAH

Auch im abgelaufenen Parlamentsjahr haben sich die Abgeordneten nicht auf Debatten und Beschlüsse von Gesetzesvorlagen und auf die Kontrolle der Regierung beschränkt. Das Hohe Haus intensivierte seine außenpolitischen Kontakte weiter und gab darüber hinaus einer Vielzahl von Veranstaltungen Raum: zum Gedankenjahr 2005, für Kunst-Ausstellungen, Buchpräsentationen und Diskussionen über wichtige politische und gesellschaftliche Themen.

Nationalratspräsident Andreas Khol, Zweite Präsidentin Barbara Prammer, Dritter Präsident Thomas Prinzhorn sowie Bundesratspräsidentin Anna Elisabeth Haselbach (2. Halbjahr 2004) und Bundesratspräsident Georg Pehm (1. Halbjahr 2005) konferierten mit PräsidentInnen parlamentarischer Körperschaften sowie Staatsmännern und -frauen aus aller Welt. Von Seiten der Europäischen Union besuchten EU-Parlamentspräsident Josep Borell Fontelles, Kommissarin Benita Ferrero-Waldner und der Präsident des Rates der Regionen Peter Straub das Parlament. Im Rahmen von Parlamentarierdelegation statteten österreichische Abgeordnete und Bundesräte Slowenien, der Ukraine, Israel und Bosnien-Herzegowina einen Besuch ab.

GEDANKENJAHR

Nationalratspräsident Andreas Khol eröffnete Mitte Jänner die Feierlichkeiten zum Jubiläumsjahr 2005 – 60 Jahre Zweite Republik, 50 Jahre Staatsvertrag und 10 Jahre EU-Mitgliedschaft – mit einem Festakt im Historischen Sitzungssaal. Es sprachen führende Parlamentarier sowie Bundespräsident Heinz Fischer und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel.

Im Jänner 2005 befasste sich ein hochrangig besetztes wissenschaftliches Symposion mit dem Thema "Widerstand in Österreich 1938 bis 1945".

Die traditionelle Gedenkveranstaltung gegen Gewalt und Rassismus Anfang Mai stand im Zeichen des Zehnjahresjubiläums des Nationalfonds für die Opfer des Nationalsozialismus. Hauptredner waren Nationalratspräsident Andreas Khol und der frühere amerikanische Vize-Finanzminister Stuart Eizenstat.

Zeitgeschichtliche Themen wie die Erinnerungen von Holocaust-Opfern oder Spezialstudien, zum Beispiel zur Sicherheitspolitik der frühen Zweiten Republik, standen auch im Mittelpunkt von Buchpräsentationen, zu denen Präsident Kohl und Präsidentin Prammer einluden. Dem Werk der österreichischen Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek widmete das Hohe Haus ein Symposium. Gesellschaftlich wichtige Themen wie Entwicklungszusammenarbeit, Behinderte, Frauengleichstellung und Familie standen im Zentrum zahlreicher Informationsveranstaltungen. (Schluss)