Parlamentskorrespondenz Nr. 624 vom 27.07.2005

BESCHWERDEN BEI DER VOLKSANWALTSCHAFT NEHMEN WEITER ZU

Prüfungsverfahren im Jahr 2004 leicht rückläufig

Wien (PK) - Die Zahl jener Menschen, die sich an die Volksanwaltschaft wenden, nimmt weiter zu. Das geht aus dem jüngsten Bericht der Volksanwaltschaft an das Parlament hervor. Demnach wurde die Volksanwaltschaft im Jahr 2004 in 16.189 Fällen in Anspruch genommen, was eine Zunahme von rund 400 Beschwerden gegenüber dem Jahr 2003 entspricht. Gleichzeitig ist die Zahl der eingeleiteten Prüfungsverfahren mit 6.502 leicht zurückgegangen. Die meisten Beschwerdefälle betrafen das Justizministerium und das Sozialministerium. (III-160 d.B.)

Die Differenz zwischen Beschwerdefällen und Prüfungsverfahren ergibt sich daraus, dass die Volksanwaltschaft nicht für alle Beschwerden, die an sie herangetragen werden, tatsächlich zuständig ist. Eine Aufschlüsselung der 16.189 Beschwerdefälle des Jahres 2004 zeigt, dass davon lediglich 10.745 den Bereich der öffentlichen Verwaltung und damit den Kompetenzbereich der Volksanwaltschaft betrafen, in 5.444 Fällen erwies sich die Volksanwaltschaft als unzuständig. So werden immer wieder familienrechtliche Probleme zwischen Privatpersonen, etwa im Zusammenhang mit Scheidungen und Scheidungsfolgen, an die Volksanwaltschaft herangetragen. In weiteren 4.243 Fällen konnte keine Prüfungsverfahren eingeleitet werden, weil die behördlichen Verfahren noch nicht abgeschlossen waren oder den Beschwerdeführern noch ein Rechtsmittel offen stand.

Von den eingeleiteten 6.502 Prüfverfahren bezogen sich 4.107 auf die Bundesverwaltung, 2.395 richteten sich gegen die Landes- und Gemeindeverwaltung. Gerechnet pro Einwohner gibt es die meisten Beschwerden in Wien, am unteren Ende der Skala rangiert Tirol. In 73 Fällen leitete die Volksanwaltschaft ein so genanntes "amtswegiges Prüfungsverfahren" ein, wurde also von sich aus tätig.

BUNDESVERWALTUNG: 7 EMPFEHLUNGEN UND 5 MISSSTANDSFESTSTELLUNGEN

Abgeschlossen werden konnten im Berichtsjahr 2004 7.581 Prüfungsverfahren, wobei es in 21 besonders schwer wiegenden Fällen einer formellen Empfehlung und in sechs Fällen einer Missstandsfeststellung bedurfte. Sieben dieser Empfehlungen und fünf der Missstandsfeststellungen bezogen sich auf die Bundesverwaltung. Daneben wurde weiteren 877 Beschwerden Berechtigung zuerkannt.

Die Empfehlungen und Missstandsfeststellungen im Bereich der Bundesverwaltung betrafen beispielsweise die Verzögerung eines Gerichtsverfahrens durch monatelanges Unterbleiben der Urteilsausfertigung, die rechtswidrige Einstellung eines Strafverfahrens, das Betreten einer Wohnung durch Gendarmeriebeamte zum Abstellen eines laufenden Radioweckers, die rechtswidrige diversionelle Erledigung einer Strafanzeige, zu Unrecht verlangte Angaben auf einem Führerscheinformular, die vorläufige Einstellung von Leistungen seitens der Pensionsversicherungsanstalt ohne Bescheid und die Ablehnung von Anträgen auf Rundfunkgebührenbefreiung ohne ausreichende Begründung durch die GIS.

In immerhin 3.626 geprüften Fällen sahen die drei VolksanwältInnen - Rosemarie Bauer, Peter Kostelka und Ewald Stadler - keinen Anlass für eine Beanstandung. Die übrigen der im Jahr 2004 erledigten Beschwerden wurden entweder zurückgezogen (589), erwiesen sich als unzulässig (844) bzw. als nicht in die Kompetenz der Volksanwaltschaft fallend (1.425) oder waren zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung nicht geeignet (193).

VOLKSANWALTSCHAFT FORDERT MEHR RECHTE

Ausdrücklich bedauert wird von den drei VolksanwältInnen, dass in Bezug auf die Ausweitung der Rechte der Volksanwaltschaft bisher in keinem einzigen Punkt politischer Konsens erzielt werden konnte. Österreich sei zwar bei der Einrichtung der Volksanwaltschaft international Vorreiter gewesen, heißt es im Bericht, mittlerweile gehöre eine entsprechende Ombudsstelle aber zur "Normalausstattung" eines modernen Verfassungsstaates. Gerade die "neuen Demokratien" verfügten nunmehr über Ombudseinrichtungen, die - im Interesse der Bürgerinnen und Bürger - weit mehr Kompetenzen und Einflussmöglichkeiten hätten als die Volksanwaltschaft in Österreich. Bauer, Kostelka und Stadler wollen, wie sie schreiben, zumindest "einen bescheidenen Teil" jener Rechte, die vergleichbaren Einrichtungen in modernen Demokratien zustehen.

Unter anderem haben die VolksanwältInnen in den vergangenen Jahren folgende Vorschläge betreffend die Ausweitung der Kompetenzen der Volksanwaltschaft gemacht: Ausdehnung der Kontrollbefugnis auf ausgegliederte Rechtsträger, Gemeindeverbände und Körperschaften öffentlichen Rechts, Ermächtigung zur Anfechtung von Gesetzen und zur Erhebung von Amtsbeschwerden zur Wahrung des Gesetzes beim Verfassungsgerichtshof, Verkürzung der Auskunftsfrist zur Beschleunigung von Prüfungsverfahren, Vorlage von Sonderberichten an das Parlament, erweitertes Rederecht im Nationalrat und im Bundesrat, Instrumente zur Beschleunigung von Gerichts- und Verwaltungsverfahren. Vorstellen können sie sich zudem die Verschmelzung der Bundesheer-Beschwerdekommission mit der Volksanwaltschaft und die Betrauung der Volksanwaltschaft mit den Aufgaben diverser Rechtsschutzbeauftragter.

KONKRETE BESCHWERDEN, MISSSTÄNDE UND EMPFEHLUNGEN

Der größte Teil des fast 400 Seiten starken Berichts der Volksanwaltschaft umfasst die Darstellung konkreter Beschwerdefälle. Grundrechtsrelevante Fälle werden in einem eigenen Berichtsteil besonders hervorgehoben. Damit will die Volksanwaltschaft, wie es im Bericht heißt, einen Beitrag zur Stärkung des Grundrechtsbewusstseins in der Verwaltung leisten.

Aufgezeigt wird zum Beispiel ein Fall, wo einem Autofahrer die Lenkerberechtigung für die Dauer von einem Monat entzogen wurde, weil der Genuss von Mohnnudeln zu einem fehlerhaften Suchtgiftschnelltest geführt hat. In einem anderen Fall drang ein Gendarmeriebeamter aufgrund einer Beschwerde wegen Ruhestörung durch einen Radiowecker in Abwesenheit des Wohnungseigentümers in dessen Wohnung ein, um das Radio abzuschalten.

Immer wieder kommt es außerdem zu Verletzungen des Datenschutzes und zur überlangen Dauer von Verwaltungsverfahren. So wurde einem Beschwerdeführer erst nach sechseinhalb Jahren Verfahrensdauer eine Waisenrente zuerkannt, eine Staatsbürgerin aus Zaire musste neun Jahre lang auf die Entscheidung ihres Asylantrags warten. Ein anderer Asylantrag ist seit über 22 Jahren anhängig. Gleich mehrfach säumig war zuletzt auch die Oberste Wasserrechtsbehörde.

Weiter im Ansteigen waren laut Bericht die Beschwerdefälle im Bereich der Pensionsversicherung, wobei die Pensionsversicherungsträger, wie Volksanwalt Peter Kostelka betont, um ein gutes Einvernehmen mit der Volksanwaltschaft bemüht waren. Allerdings mussten Antragsteller auch im zweiten Jahr nach der Fusion der Pensionsversicherungsanstalten der Arbeiter und der Angestellten weitaus länger auf die Erledigung ihrer Anträge warten als vor der - unter anderem mit Effizienzsteigerung begründeten - Fusion. So gab es bei Pensionsanträgen im Schnitt mehr als doppelt so lange Wartezeiten, bei Pflegegeldverfahren stieg die Wartezeit von durchschnittlich 2,8 Monate im Jahr 2002 auf durchschnittlich 4,5 Monate im Jahr 2004.

Bemängelt wird von der Volksanwaltschaft darüber hinaus, dass es im Vollzugsbereich der Pensionsversicherungsanstalt immer wieder zu Einstellungen oder Herabsetzungen von Leistungen kommt, über die die Betroffenen lediglich mit einer weiter nicht begründeten Mitteilung informiert werden.

Auch im Bereich des Arbeitsmarktservice (AMS) ist die Zahl der Beschwerden im Vergleich zum Jahr 2003 leicht gestiegen. Neben zahlreichen Klagen über Leistungssperren beim Arbeitslosengeld hat vor allem die verpflichtende Teilnahme an als sinnlos empfundenen „Wiedereingliederungsmaßnahmen" wiederholte Kritik hervorgerufen. Mehrere Betroffene brachten vor, dass die ihnen vom AMS zugewiesenen Kurse und andere Wiedereingliederungsmaßnahmen keine Verbesserung ihrer Chancen auf dem Arbeitsmarkt bewirken würden, sondern im Prinzip eine reine "Beschäftigungstherapie" darstellten. Zudem würde ihnen - unter bewusster Ignorierung der Realitäten auf dem Arbeitsmarkt - suggeriert, dass die Ursachen für ihre Arbeitslosigkeit primär bei ihnen selbst zu suchen seien.

Die Volksanwaltschaft kommt - nach Prüfung der Fälle - zu einem ähnlichen Schluss. Häufig mangle es nicht an Kenntnissen bzw. Fähigkeiten der betroffenen arbeitslosen Menschen, heißt es im Bericht, vielmehr bestehe von Dienstgeberseite keinerlei Bereitschaft, Dienstnehmerinnen bzw. Dienstnehmer einzustellen, die bereits ein gewisses Lebensalter überschritten oder umfangreiche Sorgepflichten haben. An diesem Umstand könnten auch Wiedereingliederungsmaßnahmen nichts ändern. Es erscheine daher, so die Volksanwaltschaft, wenig zweckmäßig, künstlich Qualifikationsmängel bei den Betroffenen zu "konstruieren" und massenweise die Zuweisung zu Wiedereingliederungsmaßnahmen zu verfügen. Zudem weist die Volksanwaltschaft darauf hin, dass Dienstgeber vielfach auch nicht bereit seien, hoch qualifizierte Arbeitskräfte für weniger qualifizierte Tätigkeiten einzustellen.

Sowohl im Bereich der Pensionsversicherung als auch im Bereich der Arbeitslosenversicherung sind dem Bericht zufolge allerdings auch einige legistische Anregungen der Volksanwaltschaft umgesetzt worden. Unter anderem gibt es nunmehr Erleichterungen bei der Geltendmachung von Pensionsvorschüssen und eine Entbürokratisierung bei der Beantragung von Arbeitslosengeld. Außerdem muss bei der Stellenvermittlung verstärkt auf gesetzliche Sorgepflichten für minderjährige Kinder Rücksicht genommen werden.

NICHT ALLE FÜHRERSCHEINBEFRISTUNGEN GERECHTFERTIGT

Mehrere Beschwerdefälle gab es laut Bericht hinsichtlich der eingeschränkten Verpflichtung der Krankenversicherungsträger, die Kosten für Rettungshubschraubereinsätze nach Unfällen im alpinen Gelände zu übernehmen. Als Reaktion regt die Volksanwaltschaft unter anderem an, wieder vermehrt bodengebundene Transporte durchzuführen und verunfallte Schifahrer nicht generell mit einem Rettungshubschrauber in die nächstgelegene Krankenanstalt zu bringen.

Missstände ortet die Volksanwaltschaft darüber hinaus in Bezug auf die Befristung von Führerscheinen. Sie weist darauf hin, dass eine Befristung von Lenkerberechtigungen grundsätzlich nur dann zulässig ist, wenn eine gesundheitliche Beeinträchtigung besteht und mit einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes gerechnet werden muss. Die bloße Möglichkeit einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes rechtfertigt ihrer Meinung nach jedenfalls keine Befristung.

Weiters macht die Volksanwaltschaft darauf aufmerksam, dass das generelle Verbot des Versandhandels von Arzneimitteln in Österreich EU-Recht widerspricht und zumindest der Handel von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zugelassen werden müsste.

Im Justizbereich bezieht sich ein Großteil der Beschwerden auf die überlange Dauer von Gerichtsverfahren. Generelle Verbesserungen in diesem Bereich sind, wie der zuständige Volksanwalt Ewald Stadler festhält, nicht erkennbar. Die Volksanwaltschaft urgiert im Justizbereich aber auch eine Reformierung des Sachwalterrechts und damit verbunden eine Stärkung der Angehörigenrechte sowie eine bessere Aufklärung von Ehepartnern bei der Aufnahme gemeinsamer Kredite zur Minimierung von Problemen nach Scheidungen.

Zu den weiteren von der Volksanwaltschaft aufgezeigten Missständen gehören u.a. rechtlich fragwürdige Vertragsbestimmungen in vielen Lebensversicherungen, verwirrende Bestimmungen in Bezug auf Studienbeihilfen, Vollzugsmängel im Zusammenhang mit gewerberechtlichen Verfahren in Niederösterreich und organisatorische Defizite sowie ein unangemessener Umgang mit Angehörigen von Verstorbenen an der Wiener Gerichtsmedizin. Zudem empfiehlt sie, Rechtsschutzdefizite von Anrainern im Betriebsanlagenrecht zu beseitigen und arbeitenden Häftlingen den Erwerb von Pensionsversicherungszeiten zu ermöglichen.

Darüber hinaus macht die Volksanwaltschaft auf die drohende Armutsgefährdung von Ausgleichszulagenbeziehern bei der Betreuung eines Ehepartners im Pflegeheim und auf Härten bei der Umstellung von Direktzahlungen auf das System der einheitlichen Betriebsprämie im Bereich der Agrarförderungen aufmerksam und bemängelt die unterschiedliche besoldungsrechtliche Einstufung von Akademikern und Fachhochschul-Absolventen im Bundesdienst. Zahlreiche Beschwerden sind auch über die "Chefarztpflicht neu" eingegangen.

Noch anhängig ist eine von Amts wegen eingeleitete Prüfung der Volksanwaltschaft in Bezug auf die von der Regierung gesetzten Maßnahmen nach der Flutkatastrophe in Süd-Ost-Asien Ende Dezember 2004.

Die Volksanwaltschaft hält regelmäßig Sprechtage ab - 2004 waren es 251 - und bietet auch via Internet (www.volksanwaltschaft.gv.at) ein Online-Beschwerdeformular an. Für Rat- und Hilfesuchende stehen außerdem täglich zwischen 8 Uhr und 16 Uhr ein telefonischer Auskunftsdienst (Tel. 51505-100) bzw. eine kostenlose Service-Nummer (0800/223 223) zur Verfügung. Die ORF-Sendereihe "Volksanwalt - Gleiches Recht für alle", in der die VolksanwältInnen besonders berichtenswerte Fälle aus ihrer Prüfungstätigkeit darstellen, erreichte im Jahr 2004 eine durchschnittliche Zuschauerquote von 464.000. (Schluss)