Parlamentskorrespondenz Nr. 771 vom 12.10.2005

Sozialausschuss beschließt Erhöhung der Mindestpension auf 690 ���

Zahlreiche weitere Änderungen im Sozialversicherungsrecht

Wien (PK) - Der Ausschuss für Arbeit und Soziales befasste sich in seiner Sitzung mit dem Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2005. Diese Vorlage bringt eine Reihe von Änderungen im Sozialversicherungsrecht, die von den Abgeordneten der Regierungsfraktionen erwartungsgemäß als "Verbesserungen und Neuerungen" begrüßt, von den Oppositionsmandataren teilweise (vor allem Praktikantenregelung, Hinterbliebenenversorgung) kritisch beurteilt wurden.

Gemäß dieser Regierungsvorlage sollen etwa PraktikantInnen, die für ihr Praktikum kein Gehalt bekommen, von der Vollversicherung nach dem ASVG ausgenommen werden, Bestimmungen über die Mehrfachversicherung werden adaptiert, der Schulbegriff in Bezug auf das Europarecht wird neu definiert sowie der Datenverkehr in Bezug auf die Feststellung von Kindererziehungszeiten durch die Pensionsversicherungsträger festgelegt.

Neu ist auch die freiwillige Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege naher Angehöriger. Diese steht künftig nicht nur Pflegenden, die aus dem Beruf aussteigen, offen, sondern allen Personen, die sich überwiegend der Pflege naher Angehöriger (ab Pflegestufe 3) widmen. Die monatliche Beitragsgrundlage soll sich auf 1.350 € belaufen; somit muss die selbstversicherte Pflegeperson einen monatlichen "Eigenbeitrag" von 138,38 € bezahlen. Die neue Selbstversicherung soll auch neben einer die Pflichtversicherung begründenden Erwerbstätigkeit bestehen können; nicht nebeneinander sollen eine Selbstversicherung für Zeiten der Pflege naher Angehöriger und eine Selbstversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes bestehen können.

Als eine Maßnahme zur wirksamen Bekämpfung der illegalen Beschäftigung ist die verpflichtende Anmeldung eines Arbeitnehmers zur Sozialversicherung bereits vor Arbeitsantritt, spätestens aber unmittelbar bei Arbeitsantritt, gedacht. Diese Verpflichtung soll jedoch vor einem generellen Inkrafttreten erprobt werden, und zwar nicht wie in der Regierungsvorlage noch vorgesehen in einer bestimmten Branche, dem Baugewerbe, sondern örtlich begrenzt im Burgenland. Erst ab 2007 wird die Verpflichtung voraussichtlich österreichweit gelten.

Von den Abgeordneten abgeändert wurde auch der Termin des Inkrafttretens einer Bestimmung, die Arbeitgeber künftig dazu verpflichtet, die Arbeitsstätte des Arbeitnehmers zumindest einmal jährlich (insbesondere bei Beschäftigungsende) im Lohnzettel anzuführen. Damit will man die Möglichkeit, den Beschäftigungsverlauf nachzuvollziehen, verbessern; zudem entspricht diese Bestimmung der Registerverordnung der Europäischen Union. Um die zeitgerechte Adaptierung der Erhebungsunterlagen (Vordrucke) zu ermöglichen, soll diese Verpflichtung erst mit 1. Jänner 2007 in Kraft treten. Weitere Punkte des von den Koalitionsparteien vorgelegten Abänderungsantrags betreffen Personen, die der knappschaftliche Pensionsversicherung leistungszugehörig sind, sowie weitere Detailregelungen des Allgemeinen Pensionsgesetzes.

Um den negativen Folgen von verspäteten bzw. unterbliebenen Beitragsleistung zur Pensionsversicherung entgegenzuwirken, wird im ASVG – einer Anregung der Volksanwaltschaft folgend – die leistungswirksame Entrichtung auch verspäteter Beiträge und eine nachträgliche Entrichtung verjährter Beiträge ermöglicht.

Mit 1. Jänner 2006 wird auch der Ausgleichszulagenrichtsatz für Alleinstehende außertourlich erhöht (statt 662,99 € 690 €).

Abgeordnete Renate Csörgits (S) vermisste in der Vorlage "frauenfreundliche" Aspekte. So wäre es ihrer Meinung nach wichtig gewesen, den Beobachtungszeitraum für die Berechnung der Witwen- bzw. Witwerpension auf fünf Jahre auszudehnen; dies sei in der Begutachtung noch in der Vorlage drinnen gewesen, sei jedoch danach gestrichen worden.

Abgeordneter Herbert Haupt (F) brachte einen Entschließungsantrag ein, wonach eine Arbeitsgruppe von Experten eingerichtet werden soll, die bis zur nächsten ASVG-Novelle eine Lösung für jene Mütter bzw. Väter erarbeiten soll, die erheblich behinderte Kinder erzogen haben und von der freiwilligen Selbstversicherung nicht Gebrauch machen konnten. Die Neuregelung soll sicherstellen, dass diese Personen bei der Pensionsbemessung keine Nachteile zu erleiden haben.

Im Zusammenhang mit der Anmeldung zur Sozialversicherung verwies Haupt darauf, dass es sich im Burgenland "nicht um einen branchen-, sondern bundesländerspezifischen Probelauf" handle, der von der Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretung unterstützt werde. Man warte die Erfahrungen ab und beabsichtige, diese Regelung österreichweit mit 1.1.2007 einzuführen.

Mit der Ausdehnung der Frist auf zwei Jahre bei der Witwenpension entspreche man noch dem Erkenntnis des VfGH. Für sinnvoller erachtete der F-Sozialsprecher eine Stichtagsregelung vor Eintritt der Krankheit und vor Eintritt der Einkommensverschlechterungen. Das sei besser als die Ausdehnung der Frist von zwei auf fünf Jahre; Verfassungsexperten sollten die Verfassungsfragen klären, sodass man im Frühjahr 2006 "Nägel mit Köpfen" machen könne, so Haupt. Auch zu dieser Frage brachten die Koalitionsparteien einen Entschließungsantrag betreffend die Einrichtung einer entsprechenden Arbeitsgruppe ein.

Abgeordneter Karl Öllinger (G) bemängelte, dass in der Vorlage, die in die Begutachtung gegangen sei, wesentliche positive Punkte enthalten waren, diese jedoch nach der Begutachtung wieder herausgenommen wurden. Unverständlich ist ihm, warum die Meldeerklärung auf das Bundesland Burgenland beschränkt wird, zumal sich die Wirtschaftskammer für alle Länder ausgesprochen hat. Seiner Meinung nach sollte man keine administrativen Gründe vorschieben, um eine Regelung auf Jahre hinauszuschieben.

Abgeordneter Walter Tancsits (V) sah in der Novelle einen sozialen Fortschritt. Die Erhöhung der Ausgleichszulagen um 4,2 % wertete er als richtig und gerecht, weil die Anhebung der Ausgleichszulage für Paare bereits erfolgt ist. Auch er zeigte sich gesprächsbereit hinsichtlich der Hinterbliebenenversorgung.

Bundesministerin Ursula Haubner sah es als dringlich an, in dieser Novelle die Ausgleichszulagenrichtsätze für Alleinstehende zu erhöhen, wurden diese doch seit 1999 nur um 100 € angehoben. Als einen frauenfreundlichen Aspekt sah die Ressortleiterin die Regelung an, dass die Nebenerwerbstätigkeit in der bäuerlichen Lebensgemeinschaft nicht mehr der Beitragsgrundlage des Bauern zugerechnet wird. Die Praktikantenregelung habe man gut überlegt, so Haubner. Seit 1991 bestehe nämlich der Zustand, dass die Krankenkassen die Beiträge für jene Personen, die im Rahmen ihres Praktikums kein Entgelt bekommen, nicht eingehoben haben. Die neue Regelung liege im Interesse der Praktikanten und der Institutionen, die Praktikumsplätze anbieten. Praktikanten werden leistungsrechtlich in der Unfallversicherung den Erwerbstätigen und nicht den Schülern gleichgestellt, unterstrich sie.

Abgeordneter Richard Leutner (S) hatte gehofft, dass mit dieser Novelle die "Giftzähne des Pensionsharmonisierungsgesetzes" gezogen werden. Die Anhebung der Ausgleichszulage sei eine Verbesserung, allerdings werde mit dieser Erhöhung nicht die Armutsgrenze erreicht. Im Zusammenhang mit dem Probelauf im Burgenland regte er vor allem angesichts der Einigung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern an, sich bis zur Plenarsitzung auf eine österreichweite Regelung zu einigen. Durch die Aufhebung der Vollversicherungspflicht für Praktikanten werden Versicherungszeiten verloren, unterstrich der Abgeordnete und sprach davon, dass der Wunsch für diese Beseitigung von der Landwirtschaftskammer gekommen sei; Probleme ortete er aber angesichts der Tatsache, dass dort von den Praktikanten eine Arbeitsleistung erbracht wird. Sein Einwand bei der Nachentrichtung von Beiträgen bezog sich darauf, dass die Dienstgeber nicht mehr zur Nachentrichtung herangezogen werden können und die Arbeitnehmer das Geld allein aufzubringen haben.

Bundesministerin Ursula Haubner warf ein, dass sich für die Dienstgeber nichts geändert habe und die Befürchtung Leutners unbegründet sei.

In einem Abänderungsantrag, vorgebracht von Abgeordnetem Franz Riepl (S), wird verlangt, dass im Hinblick auf die Sonderregelungen für Personen, die der knappschaftlichen Pensionsversicherung leistungszugehörig sind, das ASVG in der am 31.12.2004 geltenden Fassung bis zum Jahr 2025 weiterhin ausschließlich anzuwenden ist, wenn dies nach der Parallelrechnung für diese Personen günstiger ist.

Abgeordnete Theresia Haidlmayr (G) wies in ihrer Wortmeldung darauf hin, dass PflegehelferInnen im Rahmen ihrer 18-monatigen Ausbildung 150 Stunden Praktikum pro Monat zu absolvieren haben und dafür nur mehr unfallversichert sind; für ihre Tätigkeit erhalten sie kein Geld, müssen sich aber die Krankenversicherung selber bezahlen. Ein weiteres Anliegen von ihr betraf die Einbeziehung von behinderten Menschen, die lange arbeiten, in die Schwerarbeiterregelung.

Im weiteren Verlauf der Debatte beklagte die Opposition die "Hinhaltetaktik" der Regierungsparteien. Im ursprünglichen Ministerialentwurf seien noch etliche Verbesserungen für Frauen enthalten gewesen, die im nunmehr vorliegenden Gesetzentwurf fehlten, meinte etwa Abgeordnete Gabriele Heinisch-Hosek (S). Stattdessen würden Arbeitsgruppen eingerichtet. Die SPÖ glaubt, dass Sozialministerin Haubner sich nicht gegen Finanzminister Grasser durchsetzen habe können. Ein von Abgeordneter Christine Lapp (S) eingebrachter gemeinsamer Entschließungsantrag der SPÖ und der Grünen zielt auf die rasche Vorlage eines Gesetzentwurfs durch die Sozialministerin ab, dem zufolge Eltern, die Kinder mit erheblichen Behinderungen gepflegt haben, Ersatzzeiten für die Pensionsversicherung angerechnet bekommen.

Auch die neue Praktikantenregelung und die neuen Meldepflichten für Dienstgeber blieben Kritikpunkte. Abgeordnete Renate Csörgits (S) warf der ÖVP eine halbherzige Vorgangsweise bei der Bekämpfung von Schwarzunternehmertum vor und sprach im Zusammenhang mit dem vorgesehenen Probebetrieb der neuen Anmelderegelung im Burgenland von einer "komischen Lösung". Abgeordneter Karl Öllinger und Abgeordnete Theresia Haidlmayr (beide G) warnten vor Verschlechterungen für PraktikantInnen. Öllinger gab zu bedenken, dass es immer weniger bezahlte Praktika gebe.

Mittels eines Abänderungsantrages zur Regierungsvorlage wollte die SPÖ eine rückwirkende Erhöhung des Ausgleichszulagenrichtsatzes für Mindestrentner mit 1.1.2005 auf 678 € erreichen.

Seitens der Regierungsparteien wurde die Oppositionskritik zurückgewiesen. So klagte Abgeordneter Maximilian Walch (F), die Opposition versuche sogar Positives als Negatives zu verkaufen. Er verteidigte die Einrichtung von Arbeitsgruppen und zeigte kein Verständnis für die Ablehnung der vorgesehenen Maßnahmen zur Bekämpfung von Schwarzarbeit. Abgeordneter Karl Donabauer (V) gab zu bedenken, dass Schattenwirtschaft nicht nur im Baugewerbe stattfinde und ein branchenspezifischer Probebetrieb daher nicht sinnvoll wäre. Die neue Regelung für PraktikantInnen ist für Donabauer an Erfahrungen in der Praxis angepasst.

Abgeordneter Walter Tancsits (V) bekräftigte, eine generelle Verpflichtung zur Anmeldung eines Dienstnehmers vor oder spätestens bei Arbeitsantritt werde selbstverständlich mit 1. Jänner 2007 kommen.

Abgeordnete Elisabeth Scheucher-Pichler (V) wies Aussagen von Abgeordneter Haidlmayr in Bezug auf die neue PraktikantInnen-Regelung als unseriös und generalisierend zurück. In der Regel sei es nicht so, dass PraktikantInnen als normale Arbeitskräfte eingesetzt würden, unterstrich sie.

Abgeordneter Franz-Joseph Huainigg (V) begrüßte die vorgesehene Ausweitung der Versicherungsmöglichkeiten für Pflegende. Damit würden die Leistungen der Betroffenen anerkannt, betonte er.

Sozialministerin Ursula Haubner räumte ein, dass sie nicht in allen Punkten Einvernehmen mit Finanzminister Grasser erzielen konnte. Sie sprach sich aber dafür aus, die in der Regierungsvorlage enthaltenen Verbesserungen rasch zu beschließen.

PraktikantInnen im Pflegebereich, die echte Dienstleistungen erbringen, müssten, so Haubner, dafür bezahlt werden, für sie gelte auch in Zukunft die Vollversicherung. Es gebe gerade bei den Gesundheitsberufen aber auch viele unbezahlte Praktika, nur diese seien von der vorgesehenen Änderung im ASVG betroffen. Eine Lösung will Haubner in Bezug auf die Einbeziehung schwerstbehinderter Menschen in die Schwerarbeiterregelung finden.

Staatssekretär Sigisbert Dolinschek hielt fest, die künftig verpflichtende Anmeldung von Arbeitnehmern vor bzw. spätestens bei Arbeitsantritt müsse auch im Sinne der SPÖ sein. Seiner Meinung nach ist es aber notwendig, zwischen Kontrolle und Bürokratie abzuwägen. Ein Großteil der Betriebe melde seine Arbeitnehmer korrekt an, bekräftigte Dolinschek, die Bürokratie dürfe nicht überhand nehmen. Den Probebetrieb im Burgenland erachtet er für notwendig, um Probleme rechtzeitig zu erkennen.

Abseits des Sozialversicherungs-Änderungsgesetzes sprachen Abgeordneter Karl Öllinger (G) und Abgeordnete Andrea Kuntzl (S) die geplante Einrichtung der Familie & Beruf Management GmbH an. Beide beklagten, dass die entsprechende Gesetzesvorlage ohne vorherige Ausschussberatungen vom Nationalrat beschlossen werden solle. Das Parlament habe nicht die geringste Möglichkeit, sich näher damit zu befassen, kritisierte Öllinger. Kuntzl erkundigte sich bei Sozialministerin Haubner nach der Sinnhaftigkeit des Gesetzentwurfs und nach dem Grund für die Eile. Sie hält es für unverständlich, dass Kernkompetenzen aus dem Familienministerium ausgelagert werden, und vermutet, es gehe darum, Personen aus dem Einflussbereich der Ministerin über die Zeit der Regierungsbeteiligung des BZÖ hinaus "zu versorgen".

Sozialministerin Ursula Haubner wies darauf hin, dass es seitens der Koalition und auch von ihrer Seite intensivste Bemühungen gegeben habe, einen Termin für einen Familienausschuss vor der nächsten Plenarsitzung zu finden. Dies sei jedoch nicht möglich gewesen. Für Haubner ist die Einrichtung der Familie & Beruf Management GmbH zudem, wie sie sagte, "keine Ad hoc-Aktion", es gebe bereits seit längerem entsprechende Absichtserklärungen und Vorbereitungsarbeiten. Gegen die Vermutung, die vorgesehene Ausgliederung habe mit einer Versorgungsaktion zu tun, verwahrte sich Haubner ausdrücklich.

Bei der Abstimmung wurde das Sozialversicherungs-Änderungsgesetz unter Berücksichtigung des Abänderungsantrags der Koalitionsparteien bei getrennter Abstimmung zum Teil einstimmig, zum Teil mit VP-F-Mehrheit angenommen. SPÖ und Grüne stimmten insbesondere der Erhöhung des Ausgleichszulagenrichtsatzes für Pensionsbezieher zu. Mit der Annahme des VP-F-Abänderungsantrags wurde auch ein (in diesem Punkt wortidenter) Abänderungsantrag der SPÖ in Bezug auf Personen, die der knappschaftlichen Pensionsversicherung leistungszugehörig sind, mitbeschlossen. Abgelehnt wurde hingegen der Abänderungsantrag der SPÖ betreffend rückwirkende Erhöhung des Ausgleichszulagenrichtsatzes.

Stimmenmehrheit fanden die beiden Entschließungsanträge der Koalitionsparteien betreffend die Einsetzung von zwei Arbeitsgruppen sowie eine Ausschussfeststellung bezüglich der Neuregelung der Verwaltungskostendeckelung bei den Sozialversicherungsträgern. Der S-G-Entschließungsantrag betreffend die Anrechnung von Ersatzzeiten zur Pensionsversicherung für Eltern von Kindern mit Behinderung blieb in der Minderheit. (Schluss)


Themen