Parlamentskorrespondenz Nr. 777 vom 13.10.2005

Österreich richtet Zukunftsfonds und Stipendienstiftung ein

Dotiert mit verbliebenen Mitteln des Versöhnungsfonds

Wien (PK) - Ein Teil der verbliebenen Mitteln des Versöhnungsfonds wird in einen Zukunftsfonds und eine Stipendienstiftung fließen. Einen entsprechenden Beschluss fasste heute der Verfassungsausschuss des Nationalrats. Zum einen sollen mit den Mitteln Projekte und wissenschaftliche Arbeiten gefördert werden, die dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus oder der Erinnerung an die Bedrohung anderer totalitärer Systeme dienen und einen Beitrag zur Achtung der Menschenrechte und zur gegenseitigen Toleranz leisten, zum anderen ist die Vergabe von Aus- und Weiterbildungsstipendien an Personen aus den häufigsten Herkunftsländern der ehemaligen Zwangsarbeiter bzw. an Nachkommen von Zwangsarbeitern vorgesehen. Die Dotierung des Zukunftsfonds und der Stipendienstiftung ist im Gesetz selbst nicht festgelegt, einem Beschluss des Kuratoriums des Versöhnungsfonds zufolge sollen jedoch bis zu 25 Mill. € für die Stipendienstiftung und bis zu 20 Mill. € für den Zukunftsfonds zur Verfügung gestellt werden.

Der Beschluss im Verfassungsausschuss fiel mit den Stimmen der Koalitionsparteien, nachdem Parteienverhandlungen im Vorfeld zu keinem Konsens geführt haben. Die Opposition kritisiert vor allem die Zusammensetzung der Organe des Fonds und der Stipendienstiftung. Zudem widerspricht es ihrer Ansicht nach den Vorgaben und dem Geist des Versöhnungsfondsgesetzes, verbliebene Fondsmittel nicht nur für Forschungsarbeiten und Projekte, die den Nationalsozialismus betreffen, einzusetzen, sondern auch andere totalitäre Systeme einzubeziehen.

Basis für den Beschluss im Verfassungsausschuss bildete ein Antrag der beiden Koalitionsparteien, zu dem im Rahmen der heutigen Sitzung ein VP-F-Abänderungsantrag eingebracht wurde, der u.a. Änderungen bei der Zusammensetzung des Kuratoriums des Versöhnungsfonds enthält. Das Vorschlagsrecht des Nationalratspräsidenten für vier Kuratoriumsmitglieder entfällt, das Gremium wird somit von neun auf fünf Personen reduziert. Weitere Punkte des Abänderungsantrags betreffen die Ausweitung des Stiftungsvorstandes der Stipendienstiftung von zwei auf drei Mitglieder und die Vorlage eines jährlichen Berichts des Stiftungsrates an den Hauptausschuss des Nationalrats.

Konkret sieht der adaptierte Gesetzesantrag die Einrichtung eines "Zukunftsfonds der Republik Österreich" und einer "Stipendienstiftung der Republik Österreich" vor. Oberstes Organ des Fonds ist ein fünfköpfiges Kuratorium, das vom Bundeskanzler (zwei Mitglieder) und der Außenministerin (zwei Mitglieder) bestellt wird und aus einer vom Bundeskanzler zu erstellenden Liste einen Vorsitzenden wählen soll. Für die Vertretung des Fonds nach außen ist ein Generalsekretär vorgesehen, pro Jahr können Fördermittel bis zu einem Höchstausmaß von zwei Millionen Euro vergeben werden. Darüber hinaus übernimmt der Zukunftsfonds mit Ende der Funktionsdauer des Versöhnungsfonds die Abwicklung etwaiger ausständiger Leistungen und Aufgaben dieses Fonds.

Als Organe der Stipendienstiftung fungieren laut Gesetzesantrag ein dreiköpfiger Stiftungsvorstand - bestellt von der Bildungsministerin - und ein sechsköpfiger Stiftungsrat - je ein Mitglied bestellt durch den Bundeskanzler, die Außenministerin, den Verkehrsminister und die Sozialministerin sowie zwei Mitglieder bestellt durch die Bildungsministerin -, wobei dem Stiftungsrat Beschlüsse über die Verwendung der Fördermittel obliegen. Stipendien können für alle Bereiche der Aus-, Fort- und Weiterbildung vergeben werden, wobei die Stipendiaten auch Informationen über Österreich erhalten und so, wie es im Gesetz heißt, als "Botschafter der Versöhnung" in ihren Heimatländern wirken sollen.

Der Versöhnungsfonds wurde im Jahr 2000 eingerichtet, um Personen, die zur Zeit der NS-Herrschaft in Österreich als Zwangsarbeiter ausgebeutet wurden, eine einmalige Geldleistung zukommen zu lassen. Die Mittel des Fonds - insgesamt 6 Mrd. S (rund 436 Mill. €) - wurden jedoch nicht zur Gänze aufgebraucht. Weitere verbleibende Mittel des Versöhnungsfonds sollen humanitären und sozialen Projekten zugute kommen.

Eingangs der Debatte berichtete Nationalratspräsident Andreas Khol (V), er habe gemeinsam mit der Zweiten Präsidentin des Nationalrats, Barbara Prammer, versucht, einen Konsens über den vorliegenden Gesetzesantrag zu finden. Zu seinem Bedauern sei aber keine Einigung zustande gekommen, lediglich in manchen Punkten habe ein Kompromiss erzielt werden können.

Auch Zweite Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (S) bedauerte das Scheitern der Verhandlungen. Die SPÖ sei in mehreren Punkten zu Zugeständnissen bereit gewesen, skizzierte sie, sehe aber nicht ein, warum mit dem Restvermögen des Versöhnungsfonds die Erforschung sämtlicher totalitärer Regime gefördert werden solle. Dies widerspricht ihr zufolge den Bestimmungen des Versöhnungsfondgesetzes.

Ähnlich argumentierte Prammers Fraktionskollege Abgeordneter Walter Posch, der daran erinnerte, dass der Versöhnungsfonds deshalb eingerichtet wurde, um die nationalsozialistische österreichische Geschichte aufzuarbeiten und zu zeigen, dass sich Österreich des Unrechts bewusst sei. "Jetzt gleitet die Sache wieder ins Parteipolitische ab", beklagte er mit Hinweis auf die Zusammensetzung der Gremien des Zukunftsfonds und der Stipendienstiftung. Die SPÖ sprach sich für die Einbeziehung des Parlaments bei der Bestellung der Kuratoriumsmitglieder aus und reklamierte zwei Vertreter der Sozialpartnerschaft in den Stiftungsrat der Stipendienstiftung - mit der Begründung, in den Versöhnungsfonds seien auch Gelder aus dem Insolvenzgeldausfallsfonds geflossen.

Massive Kritik am Koalitionsentwurf übte auch Abgeordnete Terezija Stoisits (G). Sie wies darauf hin, dass das Restvermögen des Versöhnungsfonds immerhin rund 1 Mrd. S (72,67 Mill. €) betrage. Dass mit den verbliebenen Mitteln auch Stipendien vergeben und Projekte und wissenschaftliche Arbeiten gefördert werden sollen, dagegen sei grundsätzlich nichts einzuwenden, sagte Stoisits, sie habe sich aber schon im Kuratorium des Versöhnungsfonds dafür ausgesprochen, das Geld - unter Vorgabe des Verwendungszwecks - dem beim Parlament eingerichteten Nationalfonds zu überantworten. "Wozu braucht man zwei neue Fonds, wenn ich schon einen habe?" fragte sie.

Sie habe der Einrichtung eines Zukunftsfonds und einer Stipendienstiftung im Kuratorium des Versöhnungsfonds schließlich aber doch ihre Zustimmung gegeben, skizzierte Stoisits, nicht zuletzt deshalb, weil ihr von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel zugesichert worden sei, dass hinsichtlich der Ausgestaltung dieser beiden Einrichtungen ein Konsens mit allen Fraktionen gesucht würde.

Umso mehr zeigte sich Stoisits über den vorliegenden Gesetzentwurf enttäuscht und brachte namens der Grünen einen Abänderungsantrag ein, der bei der Abstimmung jedoch lediglich von der SPÖ mitunterstützt wurde und damit in der Minderheit blieb. Stoisits urgierte unter anderem die Bestellung von sechs Kuratoriumsmitgliedern des Zukunftsfonds durch den Hauptausschuss des Nationalrats, eine öffentliche Ausschreibung der Position des Generalsekretärs, die Kontrolle des Zukunftsfonds nicht nur durch den Rechnungshof, sondern auch durch die Volksanwaltschaft und die Einbindung des Hauptausschusses des Nationalrats bei der Bestellung des Stiftungsrates der Stipendienstiftung. Darüber hinaus sprach sie sich wie die SPÖ ausdrücklich dafür aus, bei der Definition des Verwendungszweckes der Fondsmittel nicht auf sämtliche totalitäre Systeme abzustellen.

ÖVP und Freiheitliche zeigten wenig Verständnis für die Kritik der Opposition, sagten aber zu, nochmals zu prüfen, ob es möglich sei, das Parlament bei der Bestellung der Kuratoriumsmitglieder des Zukunftsfonds und des Stiftungsrates der Stipendienstiftung in irgendeiner Form einzubinden. Nach Meinung von Abgeordneter Ulrike Baumgartner-Gabitzer (V) wäre dafür aber eine Verfassungsbestimmung - und damit die Zustimmung der SPÖ zum Gesetzentwurf - erforderlich, was Ausschussvorsitzender Peter Wittmann (S) jedoch in Abrede stellte.

Die Schuld am Scheitern der Verhandlungen gab Baumgartner-Gabitzer der Opposition. Sie sei sehr an einem gemeinsamen Beschluss interessiert, bekräftigte sie, Konsens bedeute aber, dass alle in irgendeiner Weise nachgeben müssten.

Bei der Erstellung des Gesetzentwurfs habe man sich, so Baumgartner-Gabitzer, an die Vorschläge des Kuratoriums des Versöhnungsfonds gehalten. Überdies stehe die Verwendung des Restvermögens des Fonds ohnehin in erster Linie im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus, schließlich gingen etwa 30 Mill. € davon an die Partnerorganisationen des Versöhnungsfonds zur Durchführung von humanitären Projekten zugunsten ehemaliger Zwangsarbeiter, weitere 20 Mill. € würden an den Allgemeinen Entschädigungsfonds überwiesen. Nur ein Fünftel des Restvermögens, nämlich jene Mittel, die man dem Zukunftsfonds übertrage, könne auch für Forschungsprojekte, die sich anderen totalitären Systemen widmen, verwendet werden.

Seitens der Freiheitlichen äußerte sich Klubobmann Herbert Scheibner über die gescheiterten Verhandlungen enttäuscht. Er würde es sehr bedauern, wenn über den vorliegenden Gesetzentwurf - im Gegensatz zu anderen Initiativen zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus - kein Konsens gefunden werden könne, unterstrich er. Dass der Zukunftsfonds auch Projekte und wissenschaftliche Arbeiten fördern könne, die der Erinnerung an die Bedrohung durch totalitäre Systeme und Gewaltherrschaft dienen, sieht er als Vorteil, dadurch könnten etwa Projekte von Vertretern österreichischer Minderheiten gefördert werden, die sich mit den ehemaligen totalitären Systemen in Ungarn oder Kroatien beschäftigen. Als unverständlich wertete Scheibner den Wunsch, die Sozialpartner in den Stiftungsrat der Stipendienstiftung einzubinden.

Scheibners Fraktionskollegin Abgeordnete Helene Partik-Pable meinte, es sei notwendig die Gräuel sämtlicher totalitären Systeme aufzuzeigen, um ähnliche Entwicklungen in Zukunft zu verhindern. Dass im Zukunftsfonds und im Stiftungsrat Vertreter aller Parteien sitzen, wäre Partik-Pable zufolge auch im Interesse ihrer Fraktion. (Schluss)