Parlamentskorrespondenz Nr. 826 vom 03.11.2005

Ein historisches Jahr für Europa

Außenpolitischer Bericht 2004 liegt vor

Wien (PK) - "Das Jahr 2004 war für Österreich und die Europäische Union zweifellos ein historisches Jahr: Am 1. Mai traten zehn neue  Mitgliedstaaten der Union bei. Mit dieser Erweiterungsrunde, der größten in der Geschichte der Europäischen Union, wurde die jahrzehntelange Spaltung Europas endgültig überwunden. Diese Wiedervereinigung Europas war ein bedeutender Schritt für ein neues, modernes und zukunftorientiertes Europa." Diese euphorische Bilanz zieht Außenministerin Ursula Plassnik in ihrem Vorwort zum Außenpolitischen Bericht der Bundesregierung, der dieser Tage dem Parlament zugeleitet wurde. (III-177 d.B.)

EU-Erweiterung, ein Jahrhundertprojekt

Österreich sei mit der jüngsten Erweiterungsrunde vom Rand der Union ins geographische Zentrum einer veränderten Europäischen Union gerückt, heißt es in dem Bericht. Aus alten Nachbarn seien neue Partner geworden, Partner, mit denen das Friedensprojekt Europa weiterentwickelt werde. "Eine aktive Nachbarschaftspolitik ist einer der Schwerpunkte der österreichischen Außenpolitik", erklärt Plassnik denn auch. Nachbarschaft sei keine exakte Wissenschaft, sondern eine Kunst. Im neuen Europa und in einer grundlegend veränderten Welt fordere Nachbarschaft andere Qualitäten und biete neue Möglichkeiten. Gerade Österreich mache diese praktische Erfahrung wie kaum ein anderes Land in Europa - im Alltagsleben der Bürgerinnen und Bürger, in der Wirtschaft, in der Politik. "Mein Ziel ist es, dass österreichische Außenpolitik als echtes Angebot der Partnerschaft verstanden wird. Österreich ist daher stets bestrebt, die bereits enge Kooperation mit den Nachbarn weiter zu vertiefen. Die Regionale Partnerschaft mit Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Slowenien und Polen ist dabei ein wertvolles Instrument, das sich in der Praxis bewährt."

Der Prozess der Wiedervereinigung Europas sei damit noch nicht vollendet. Bulgarien und Rumänien haben am 14. Dezember die Beitrittsverhandlungen abgeschlossen. Deren Beitritt ist für das Jahr 2007 geplant. Kroatien hat in den vergangenen Jahren bedeutende politische und wirtschaftliche Fortschritte erzielt und übt dadurch Vorbildwirkung für die Länder in Südosteuropa aus. Österreich tritt daher nachdrücklich für dessen EU-Beitritt ein, hält die Außenministerin fest: "Die Stabilisierung von Südosteuropa, insbesondere des Westlichen Balkan, ist ein Schwerpunkt der österreichischen Außenpolitik, weshalb ich mich für die Heranführung dieser Staaten an die Europäische Union einsetze. Die Zukunft und Hoffnung aller Länder des Westlichen Balkan liegt in der Europäischen Union, sie alle werden eines Tages Mitglieder sein."

Das Friedensprojekt Europa habe hier seine nächste große praktische Bewährungsprobe zu bestehen. Denn es gebe keine vernünftige Alternative zum europäischen Weg von Kroatien, Serbien und Montenegro, dem Kosovo, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien und Albanien. Diese Perspektive sei mittlerweile eindeutig zur mächtigsten Triebfeder aller zukunftsgerichteten Kräfte der Gesellschaften in dieser Region geworden, stellt Plassnik in diesem Zusammenhang fest.

Die Türkei sei politisch, wirtschaftlich und strategisch ein wichtiger Partner Europas. Man messe daher einer engen und dynamischen Partnerschaft große Bedeutung bei, ergänzt Plassnik.

Europa in guter Verfassung

Trotz der Ablehnung des Verfassungsentwurfs für Europa durch die Bürgerinnen und Bürger der Union sieht Plassnik in diesem Dokument einen großen Erfolg: "Der Vertrag über eine Verfassung für Europa war ein weiterer europapolitischer Meilenstein des Jahres 2004. Am 29. Oktober haben Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und ich gemeinsam mit allen Mitgliedstaaten der Union den Verfassungsvertrag in Rom unterzeichnet. Ich finde es bemerkenswert, dass sich 25 Länder auf einen gemeinsamen Verfassungstext für 456 Millionen Bürgerinnen und Bürger einigen konnten. Dies alleine ist ein großer Erfolg."

Engagiert für Frieden und Sicherheit

Bedeutsam ist Österreichs Engagement zur Friedenssicherung. Konkret wurde die NATO-Operation SFOR in Bosnien und Herzegowina durch die EU-Friedenstruppe EUFOR-ALTHEA, an der sich auch Österreich mit einem Bundesheerkontingent beteilige, ersetzt: "Die österreichischen Soldatinnen und Soldaten leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung von Bosnien und Herzegowina und sind Teil einer konkreten und sichtbaren österreichischen Außenpolitik."

Außenpolitik bedeute auch die Bewältigung von Krisen im Ausland. Eine gigantische Flutwelle verursachte am 26. Dezember enorme Zerstörungen in Südostasien und Ostafrika und brachte auch für viele Österreicherinnen und Österreicher großes Leid. Plassnik: "Ich war berührt von der umfassenden Hilfsbereitschaft unserer Landsleute für die Opfer des Tsunami. Mit Spenden und unermüdlichem Einsatz vor Ort wurde einmal mehr Solidarität weit über unsere Grenzen hinweg geübt. Die österreichische Bundesregierung stellte unmittelbar nach der Seebebenkatastrophe umfangreiche Mittel zur Durchführung von humanitären Notmaßnahmen zur Verfügung und unterstützt darüber hinaus gemeinsam mit den Bundesländern, Städten und Gemeinden ein weit reichendes Wiederaufbauprogramm für die Region."

Der UNO-Amtssitz Wien sei über die Jahre zum veritablen "Sicherheitszentrum" in der Arbeit der Vereinten Nationen geworden: Atomsicherheit, Abrüstung, Drogen- und Verbrechensbekämpfung stünden im Zentrum der Arbeit der Wiener Einheiten der Vereinten Nationen. Genau jene Teilorganisationen sind in Wien angesiedelt, die an aktuellen Fragen arbeiten, welche die tägliche Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger direkt betreffen: das Büro der Vereinten Nationen für die Bekämpfung von Drogen und Kriminalität; das Informationsnetzwerk gegen Geldwäsche; die Internationale Atomenergiebehörde und die Organisation zur Überwachung des Atomtestsperrvertrags: "Die Kandidatur für einen nicht-ständigen Sitz im Sicherheitsrat für die Periode 2009/2010 unterstreicht Österreichs Engagement und Wertschätzung für die Vereinten Nationen."

Die Organisation stand 2004 ganz im Zeichen der Reform. Sie soll die Vereinten Nationen stärken und in die Lage versetzen, den globalen Sicherheitsbedrohungen des 21. Jahrhunderts wirksam zu begegnen. Im Lichte der sich dynamisch entwickelnden Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union unterstützt Österreich mittelfristig einen EU-Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Beim Reformprozess gehe es aber auch um die Förderung der Menschenrechte, den Kampf gegen Armut, Hunger und Krankheit. Die Stärkung der Menschenrechte, insbesondere die Rechte von Frauen und Kindern, der Schutz von Minderheiten, die weltweite Durchsetzung des Folterverbots und die Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus seien ein großes Anliegen der österreichischen Außenpolitik.

Die Österreichische Entwicklungszusammenarbeit sei Bestandteil der österreichischen Außenpolitik sowie der Entwicklungspolitik der Europäischen Union. Das Jahr 2004 sei ein Jahr gewesen, das für die Österreichische Entwicklungszusammenarbeit eine Restrukturierung mit sich gebracht habe. Mit 1. Jänner nahm die Austrian Development Agency, die für die Umsetzung der Projekte und Programme der Österreichischen Entwicklungs- und Ostzusammenarbeit verantwortlich ist, ihre Tätigkeit auf. Erstmals verfüge Österreich über eine professionelle Agentur, die für die treffsichere Umsetzung der Projekte und Programme in den Partnerländern zuständig ist.

Für eine aktive Auslandskulturpolitik

Die österreichische Außenpolitik bekenne sich zu einer aktiven, gestaltenden und zeitgemäßen Auslandskulturpolitik. Die kulturelle Zusammenarbeit mit unseren ost- und südosteuropäischen Staaten werde weiter verstärkt. In diesem Zusammenhang komme den zahlreichen Österreich-Instituten und Österreich-Bibliotheken eine große Bedeutung zu. Plassnik: "Ich möchte auch auf das kulturelle Engagement Österreichs außerhalb Europas hinweisen und dabei die Errichtung des Kulturforums in Peking unterstreichen. Besonders freue ich mich, dass das neu errichtete österreichische Kulturforum in New York zu einem der künftigen Wahrzeichen der Stadt avancierte."

Bürgernahe Außenpolitik

Die Außenministerin setzt sich auch für eine transparente Außenpolitik ein: "In der modernen Welt ist es auch unsere Aufgabe, Europa- und Außenpolitik für die einzelne Bürgerin und den einzelnen Bürger stärker sichtbar zu machen. Glaubwürdigkeit wächst, wenn klar wird, dass große Ideen auch im Kleinen konsequent umgesetzt werden und dass große Ideen zu einem greifbaren Mehrwert für jeden einzelnen führen. Nur wenn die Öffentlichkeit im Großen wie im Kleinen nachvollziehen kann, was wir machen, warum wir es machen und wie wir es machen, werden wir für die Außen-, Europa- und Entwicklungspolitik auch die notwendige begleitende Unterstützung haben."

Schwerpunkte des Berichts

Naturgemäß nimmt die Europäische Union den Schwerpunkt des Außenpolitischen Berichts ein. Neben der Erweiterung der Union stehen die Reform der Union und ihrer Institutionen, die GASP, die europäische Nachbarschaftspolitik, aber auch Wirtschaftsthemen im Vordergrund des diesbezüglichen Abschnitts. Andere politische Foren Europas wie der Europarat, die Zentraleuropäische Initiative und die OSZE nehmen gleichfalls bedeutenden Raum im Bericht ein. Ein eigenes Kapitel ist der Seebebenkatastrophe zu Jahresende gewidmet.

Ein weiterer Abschnitt widmet sich der globalen Zusammenarbeit im Rahmen der Vereinten Nationen. In diesem Zusammenhang werden auch internationale Initiativen zur Abrüstung und Friedenssicherung, die Wahrung der Menschenrechte, globale Nachhaltigkeits- und multilaterale Wirtschaftspolitik abgehandelt. Gesondert wird auf die heimische Entwicklungszusammenarbeit eingegangen, für die zuletzt mehr Budget zur Verfügung gestellt wurde. Nach wie vor konzentriert sich die heimische Aktivität auf mehrere Schlüsselregionen, so auf Zentralamerika (Nicaragua, Guatemala, El Salvador), auf Westafrika (Burkina Faso, Kap Verde, Senegal), auf Ostafrika (Äthiopien, Uganda, Kenia, Tansania, Ruanda und Burundi), auf das südliche Afrika (Mosambik, Simbabwe, Namibia, Südafrika) und auf den Hindukush (Bhutan, Nepal, Pakistan). Sonderprogramme gibt es für Palästina, Afghanistan und den Irak. Im Rahmen der Ostzusammenarbeit arbeitet Österreich auch weiterhin an Programmen in Albanien, Bosnien, Serbien-Montenegro, Makedonien und Moldawien sowie in den EU-Beitrittskandidatenländern Kroatien, Rumänien und Bulgarien.

Besonders bedeutsam, zumal für ein Land wie Österreich, ist die Auslandskulturpolitik. Auch 2004 wurden alle Kulturformen entsprechend im Ausland präsentiert, die Bandbreite reicht dabei von Ausstellungen über Musikdarbietungen bis zu Lesungen und Theateraufführungen. Die Verleihung des Nobelpreises für Literatur an Elfriede Jelinek hat dabei das Interesse an ihren Werken merklich steigen lassen, doch auch Autoren wie Thomas Bernhard, Peter Handke oder Peter Turrini erfreuen sich im Ausland nach wie vor großer Beliebtheit. Von besonderer Wichtigkeit sind die 50 Österreich-Bibliotheken in 23 Ländern, die mittlerweile nahezu 300.000 österreichische Medieneinheiten vorzuweisen haben. Knapp 100.000 Entlehnungen pro Jahr zeigen das nachhaltige Interesse an heimischer Literatur. Österreich-Lehrstühle und Studienzentren im Ausland runden das diesbezügliche Engagement der heimischen Außenpolitik ab.

Ein Statistikteil über den österreichischen auswärtigen Dienst, die einzelnen Vertretungsbehörden und das Personal des Außenamtes sowie ein umfangreicher Anhang mit Länderinformationen von Afghanistan bis Zypern, das diplomatische und konsularische Korps in Wien, die Diplomatische Akademie, Österreich in internationalen Organisationen, Wien als Sitz internationaler Organisationen und die wesentlichsten außenpolitischen Gremien beschließen den 400 Seiten starken Bericht. (Schluss)