Parlamentskorrespondenz Nr. 882 vom 16.11.2005

Raschere Zahlungen aus dem Entschädigungsfonds ermöglicht

Vorlage in dritter Lesung einstimmig angenommen

Wien (PK) - Vor Eingang in die Tagesordnung teilte Präsident Dr. KHOL teilte mit, dass SP-Abgeordnete Heinisch-Hosek verlangt habe, die schriftliche Anfrage 3611/J an die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen betreffend 5 Jahre schwarz-blau/orange: 5 Jahre ohne Frauenpolitik dringlich zu behandeln. – Aufruf der Dringlichen: 15 Uhr.

Weiters wurde von SP-Abgeordnetem Cap beantragt, einen Untersuchungsausschuss hinsichtlich des illegalen Handels mit Sichtvermerken einzusetzen. – Die Debatte und die Abstimmung über diesen Antrag erfolgen nach Erledigung der Tagesordnung.

Erster Punkt der Tagesordnung war der Vier-Parteien-Antrag auf Änderung des Entschädigungsfondsgesetzes, durch die Vorauszahlungen aus dem Allgemeinen Entschädigungsfonds ermöglicht werden. Abgeordnete Mag. STOISITS (G) leitete ihre Wortmeldung mit einem Hinweis darauf ein, dass im Jänner 2001 die Republik und die USA das Washingtoner Abkommen unterzeichnet haben. Kernstück dieses Abkommens sei die Gründung des Allgemeinen Entschädigungsfonds, der mit 210 Mill. US-Dollar dotiert wurde. Aus diesem Fonds sollen alle jene Schäden für Opfer des Nationalsozialismus abgedeckt werden, die entweder bis jetzt noch nie entschädigt wurden oder deren Entscheidungen aus heutiger Sicht als "extrem ungerecht" bewertet werden.

Sowohl die Einzahlung dieser 210 Mill. US-Dollar in den Entschädigungsfonds als auch die Auszahlung aus dem Fonds an die Opfer sei an die Rechtssicherheit gebunden. Rechtssicherheit bedeute in diesem Zusammenhang, dass jene Klagen, die bis zum 17. Jänner 2001 bei US-Gerichten eingebracht wurden, zurückgezogen werden. Heute gebe es noch immer eine Sammelklage, fügte sie hinzu. Im Mai 2003 war das Ende der Antragsfrist für diesen Entschädigungsfonds. Insgesamt seien 19.125 Anträge an diesen Fonds, der vom Nationalfonds verwaltet wird, eingebracht worden. Von diesen über 19.000 Anträgen seien rund zwei Drittel von Überlebenden gestellt worden und die restlichen wurden von Erben von Opfern des Nationalsozialismus eingereicht. Insgesamt gebe es 200.000 Einzel-Claims, von denen nur ein Teil bisher bearbeitet wurde.

Stoisits machte auch darauf aufmerksam, dass es in der Regel um Ansprüche gehe, die zumindest 60 Jahre zurückliegen. Der Nachweis für solche Ansprüche sei schwer und mühsam zu erbringen, so Stoisits. Seit Mai 2003 warten also die AntragstellerInnen auf ihr Geld, weil die Rechtssicherheit, die die Voraussetzung für die Auszahlung, aber auch für eine Vorauszahlung, ist, noch nicht eingetreten ist. Aus diesem Grunde appellierte Stoisits, die Frage der Vorauszahlungen an die betagten Opfer, die Claims-Anträge eingebracht haben, von der Frage der Rechtssicherheit abzukoppeln. Auch ersuchte die Abgeordnete um Zustimmung zu einem bereits im Ausschuss eingebrachten Abänderungsantrag, womit Auszahlungen aus dem Allgemeinen Entschädigungsfonds ermöglicht werden.

Abgeordneter Dr. KHOL (V) appellierte in seiner Wortmeldung zur Änderung des Entschädigungsfondsgesetzes an die Mitglieder des Hohen Hauses, der Vorlage ohne Änderung einstimmig zuzustimmen. Es sei dies nicht das erste Gesetz für Opfer des Nationalsozialismus, sagte Khol, und erinnerte daran, dass seit 1945 7 Rückstellungsgesetze, 4 Rückstellungs-Durchführungsgesetze, 3 Rückgabegesetze, das Opferfürsorgegesetz, das Hilfsfondsgesetz, das Versöhnungsfondsgesetz für die Sklaven- und Zwangsarbeiter, das Nationalfondsgesetz und nunmehr das Allgemeine Entschädigungsfondsgesetz beschlossen wurden. Das Geld stehe allerdings erst zur Verfügung, wenn Rechtssicherheit besteht, betonte Khol, und führte dazu aus: 27 Kläger hätten in den USA die Republik Österreich auf Entschädigung geklagt. Alle 27 seien auch Antragsteller nach dem Entschädigungsfondsgesetz. Die Wirtschaft sei bereit, diese 210 Millionen Dollar zu zahlen, wenn es Sicherheit gebe, dass nicht in Österreich gezahlt und dann in den USA neuerlich geklagt werde.

Als Begründung für seinen Standpunkt führte Khol an, dass es sich 1. um einen völkerrechtlichen Vertag handle; die USA hätten in allen vergleichbaren Verträgen die Rechtssicherheit als eine entscheidende Stelle betrachtet. 2. stehe das Geld noch nicht zur Verfügung; die Wirtschaft zahle nämlich 30 Tage nach Rechtssicherheit ein. 3. wäre eine andere Vorgangsweise eine Desavouierung der 26 Kläger, die ihre Fragen zurückgezogen hätten, und dies im Vertrauen auf die österreichische Regierung, die österreichischen Behörden und das österreichische Parlament, das für den Allgemeinen Entschädigungsfonds verantwortlich zeichne. (Ausführlicher zur Rede Khols siehe PK. Nr. 883!)

Abgeordnete Mag. PRAMMER (S) erinnerte an die Aussage des damaligen Bundeskanzlers Vranitzky, der im Jahre 1991 zum ersten Mal in Österreich erklärt habe, Österreich habe eine moralische Mitverantwortung zu tragen. 1991 begann man also die Sichtweise zu ändern – auch deshalb, weil der internationale Druck nicht geringer geworden sei. 1995 wurde das Nationalfondsgesetz beschlossen und 2001 das Entschädigungsfondsgesetz verabschiedet. Das Entschädigungsfondsgesetz sei bis heute ohne jegliche Folgen geblieben. Einerseits habe man darauf gewartet, dass Rechtssicherheit hergestellt werde; im Laufe des heurigen Jahres wurde seitens der Israelitischen Kultusgemeinde der Versuch unternommen, Rechtssicherheit herzustellen. Prammer ging davon aus, dass diese Rechtssicherheit "in wenigen Tagen" hergestellt sein werde. Diese 20.000 Anträge sollten dann so rasch wie möglich behandelt werden, um jenen Menschen, die noch am Leben sind, die Entschädigungsleistungen geben zu können.

Abgeordnete Dr. PARTIK-PABLE (F) sprach davon, dass sich mit diesem Gesetz Österreich zu seiner Vergangenheit bekannt und mit ihr auseinander gesetzt habe. Das Entschädigungsfondsgesetz ist ihrer Meinung nach der Versuch, damals geschehenes Unrecht anzuerkennen. Unbestritten ist laut Partik-Pable, dass sich Österreich zum Washingtoner Abkommen verpflichtet hat und es seine Verpflichtungen erfüllen wird. Das Geld werde aufgebracht, teils durch den Bund, teils durch die Industrie und Wirtschaft. Im Abkommen ist aber festgehalten, so die Rednerin, dass vor der Auszahlung alle anhängigen Klagen, die am 30.6.2001 anhängig waren, zurückgezogen sein müssen, das heiße, dass Rechtssicherheit gegeben sein muss. Österreich wolle zahlen und seiner Verpflichtung nachkommen, unterstrich die Mandatarin, aber es müsse auch Sorge dafür getragen werden, dass Österreich nicht mehrmals in Anspruch genommen wird. Österreich entziehe sich nicht mutwillig der Verpflichtung, sagte die Rednerin in Richtung Mag .Stoisits, sondern es gehe um die Rechtssicherheit, auf die man seit Jahren warte. Den Optimismus von Mag. Prammer, dass quasi heute oder morgen die Bestätigung des amerikanischen Gerichtes kommen werde, kann Partik-Pable nicht teilen.

Bundeskanzler Dr. SCHÜSSEL meinte, man setze nicht auf Abwarten, sondern wolle zügig Schritte zu einer Restitution bzw. zu einer materiellen Entschädigung setzen. Es handle sich um internationale Verträge, die zwischen den Vereinigten Staaten und Österreich abgeschlossen und vom Nationalrat ratifiziert worden sind und daher nicht einseitig abgeändert werden können. Die Verträge sehen vor, so Schüssel, dass ein Teil national gestaltet werden kann und ein Teil international verbindlich ist. Es sei viel getan worden, um flexibel zu reagieren: Die Geldleistungen an die Sklaven- und Zwangsarbeiter seien zur Gänze bezahlt, der Versöhnungsfonds werde mit Jahresende aufgelöst und die verbleibenden Mittel werden zukunftsgerichtet verwendet werden. Für die arisierten Mietobjekte, ohne dass Rechtssicherheit gegeben war, wurde bereits eine Entschädigung ausbezahlt.

Für den Allgemeinen Entschädigungsfonds wurden 210 Mill. US-Dollar vorgesehen; diese Mittel werden aliquot auf die Ansprüche aufgeteilt. Deshalb seien Recherchearbeiten notwendig. Die Laufzeiten für die Anträge wurden zum Teil verlängert, um die Möglichkeit zu haben, "jedem etwas zu geben". Vor knapp zwei Jahren wurde insofern ein wichtiger Schritt gesetzt, als man die im Washingtoner Abkommen vorgesehenen zusätzlichen Sozialleistungen von der Rechtssicherheit gelöst hat. Dies war möglich, weil dieser Teil ausschließlich national zu regeln gewesen war. Das Problem liege in der Konstruktion, die ausdrücklich von den Verhandlungspartnern gewünscht wurde und sich international bewährt hat.

Abgeordnete Dr. BRINEK (V) meinte zur Einleitung der Zweiten Präsidentin, es sei dieser Bundeskanzler mit der damaligen Vizekanzlerin Riess-Passer gewesen, die im Jahr 2000 mit den Taten begonnen haben. Die Rednerin verwies auf das Washingtoner Abkommen, das ein völkerrechtliches Abkommen sei, und darauf, dass die Rechtssicherheit den Kern dieses Gesetzeswerkes darstelle. Diese Rechtssicherheit sei wichtig und unabdingbar für die ÖVP. An der Herstellung der Rechtssicherheit, also an der Zurückziehung der letzten Klage, werde gearbeitet, versicherte sie.

Abgeordneter SCHIEDER (S): Es ist ein wichtiger und zutiefst menschlicher Schritt, der in rechtlich einwandfreier Weise erfolgt. Die vorläufigen Leistungen sind notwendig, man befinde sich derzeit in einem Wettlauf mit der Zeit, der für viele Betroffene auch ein Wettlauf mit dem Tod sei. Wir helfen den Betroffenen, aber wir helfen auch uns selbst, dem Ansehen der Republik und unserem Gewissen. Im Rahmen seiner Dankesworte hob Schieder besonders Botschafter Sucharipa hervor, der der Verfasser dieses Konstruktes war. Sucharipa habe damit der Republik einen großen Dienst erwiesen. Die heutige Vorlage sei ein Beispiel dafür, dass es sich für alle Seiten dieses Hauses auszahle, um gemeinsame Lösungen bemüht zu sein.

Abgeordneter SCHEIBNER (F) wies ebenfalls darauf hin, dass die Rechtssicherheit vertraglich vereinbart sei und dass die Gelder nach Feststehen der Rechtssicherheit ausbezahlt werden. Scheibner dankte der Wirtschaft und der Industrie, denn ein Großteil der Mittel werde von der Industrie und der Wirtschaft aufgebracht. Auch er sprach seine Hoffnung aus, dass die Rechtssicherheit möglichst bald eintreten möge, damit diese Entschädigung 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges an die Opfer dieser Gräueltaten überwiesen werden kann. Wenn Rechtssicherheit gegeben ist, dann könne es auch zu Vorauszahlungen kommen. Zu Abgeordneter Stoisits meinte er, der von ihr eingebrachte Antrag könne nicht beschlossen werden.

Der Widerstand der Sozialdemokraten wurde von der FPÖ provoziert, entgegnete Abgeordnete Mag. GROSSMANN (S) F-Klubobmann Scheibner, da eigenmächtig von der konsensualen Lösung abgegangen wurde. "Auch wenn niemand von uns persönlich für nationalsozialistische Verbrechen verantwortlich gemacht werden kann, so haben wir als Österreicher und Österreicherinnen alle eine historische Schuld zu tragen", führte die Rednerin weiter aus. Es habe sehr lange gedauert, bis dieses Thema aufgearbeitet wurde und das Entschädigungsgesetz sei ein sehr wesentlicher Schritt in diese Richtung. Eine schnellstmögliche Auszahlung der Gelder habe absolute Priorität, damit die mittlerweile schon sehr alten Menschen diese symbolhafte Geste noch entgegennehmen können.

Auch Abgeordneter Mag. POSCH (S) wies darauf hin, dass bereits über 4.000 alte Menschen die Auszahlung der Gelder nicht erlebt haben. Dennoch scheine es seiner Meinung nach geboten, diesem Gesetz die Zustimmung zu geben, zumal in 26 von 27 Fällen die Klagen inzwischen zurückgezogen wurden. Es sei daher nur mehr eine Frage der Zeit, bis absolute Rechtssicherheit eingekehrt ist. Dann können sowohl die Vorschüsse als auch die effektiven Zahlungen aus dem Entschädigungsfonds beginnen. Nach Abschluss des Gesetzes müsse man allerdings eine grundsätzliche Debatte darüber führen, wie eine umfassende moralische, gesellschaftliche und kulturelle Rehabilitierung der Juden und anderer politisch Verfolgter gewährleistet werden könne. Der heutige Schritt sei ein erster Schritt in eine neue Zeit, unterstrich Posch.

Es sei richtig, dass die Wirtschaft einen großen Teil der Mittel des Entschädigungsfonds zur Verfügung stellt, räumte Abgeordnete Mag. STOISITS (G) ein, aber über 66 Mill. € werden von den österreichischen Steuerzahlern finanziert. Wenn man nun wirklich will, dass ein kleiner Teilbetrag bereits in den nächsten Monaten an die betagten NS-Opfer ausbezahlt wird, dann müsse diese Frage von der Rechtssicherheit entkoppelt werden, appellierte die Rednerin. Sie sei nämlich überzeugt davon, dass die amerikanischen Gerichte diese Causa sicher nicht im nächsten halben Jahr abschließen werden.

Abgeordnete Dr. BAUMGARTNER-GABITZER (V) bedauerte es sehr, dass sich die Grünen heute von dem gemeinsamen Konsens verabschieden. Was die Frage der Rechtssicherheit angeht, so stehe die Regierung dazu, dass das, was man in Verträgen vereinbart, auch durchgeführt wird; "und damit wollen wir auch verlässlich sein".

Der Gesetzentwurf wurde teils einstimmig, teils mehrheitlich angenommen; der G-Abänderungsantrag fand keine Mehrheit. In dritter Lesung wurde die Vorlage einstimmig angenommen.

(Schluss Entschädigungsfonds/Forts. NR)