Parlamentskorrespondenz Nr. 959 vom 30.11.2005

Prokop registriert 2005 Trendwende bei der Kriminalitätsentwicklung

S-Kritik an Personalabbau - G: mehr Fairness für Menschenhandelsopfer

Wien (PK) - Der Innenausschuss behandelte in seiner heutigen Sitzung unter der Vorsitzführung seines Obmanns Rudolf Parnigoni den Sicherheitsbericht 2004 (III-164 d.B.) und das Legislativ- und Arbeitsprogramm der EU-Kommission und des Rates für 2005 (III-141 d.B.). Im Mittelpunkt der Debatte stand zunächst der Vorwurf der Sozialdemokraten Johann Maier und Norbert Darabos, die zunehmende Kriminalität bei sinkender Aufklärungsquote sei Folge demotivierter Exekutivbeamter, die unter Personaleinsparungen und parteipolitisch motivierten Bestellungen litten. Unterstützt von Sprechern der Koalitionsparteien, allen voran Günter Kößl und Helene Partik-Pable lobte Innenministerin Prokop die Arbeit der Exekutivbeamten, die das neue Instrument des "Sicherheitsmonitorings" im Kampf gegen die in den vergangenen Jahren gestiegene Kriminalität erfolgreich einsetzen: "2004 hat einen Trendstopp und 2005 eine Trendumkehr in der Kriminalitätsentwicklung gebracht", sagte Ministerin Prokop. Die Bestürzung, die die explosionsartige Zunahme bei der Jugendkriminalität bei Abgeordnetem Markus Fauland (F) auslöste, teilte auch Justizministerin Karin Gastinger. Das aktuelle EU-Thema Menschenhandel brachte G-Abgeordnete Terezija Stoisits in die Debatte ein. Ihrem Wunsch auf eine vertiefte Debatte der EU-Jahresvorschau entsprachen Ausschussobmann Parnigoni und die Vertreter der anderen Fraktionen mit der Zusage auf eine aktuelle Aussprache im kommenden Jänner. - Beide Berichte wurden mit V-F-Mehrheit zur Kenntnis genommen.      

Eingeleitet wurde die gut zweistündige Debatte von Abgeordnetem Johann Maier (S), der die Einsparung von 2.517 Exekutivbeamten seit dem Jahr 2000 für unverständlich hielt und die Behauptung desBundeskanzlers, heute seien mehr Exekutivbeamte denn je auf der Straße zurückwies. Konkret machte Maier auf die Klagen von Polizeigewerkschaftern, insbesondere in Salzburg aufmerksam, und kritisierte aufgrund dortiger Erfahrungen auch "parteipolitische Umfärbeaktionen" in der Exekutive. Hinsichtlich der aktuellen Sicherheitslage zeigte sich der Abgeordnete wegen zunehmender Raubüberfälle auf Taxifahrer, Wettbüros, Juweliere und Trafikanten sowie wegen der häufigen Bankomateneinbrüche besorgt.

Abgeordneter Günter Kößl (V) räumte ein, dass die Kriminalität während der Jahre 2001 bis 2003 zugenommen habe. Das Ressort habe auf die internationale und die organisierte Kriminalität aber richtig reagiert und die Deliktzahlen stabilisiert. "Das Ministerium ist auf dem richtigen Weg". Habe es beim Regierungswechsel im Jahr 2000 im Innenressort keine einzige Spitzenposition gegeben, die nicht von der SPÖ besetzt war, haben dort seither auch Nicht-Sozialisten eine Chance auf Spitzenpositionen. Reformen, Strukturveränderungen und Maßnahmen greifen, sagte Kößl, die positive Entwicklung im Kampf gegen die Kriminalität mache dies deutlich.

Abgeordnete Helene Partik-Pable (F) knüpfte an Abgeordneten Maier an, dessen Hinweise auf zunehmende Raubüberfälle zeigten, dass es die Exekutive heute mit anderen Kriminellen zu tun habe als noch vor wenigen Jahren. Es handle sich um eine importierte Kriminalität und um professionelle Straftäter. Besorgt zeigte sich die Rednerin über zunehmende Straftaten gegen Leib und Leben und über die Zunahme der Geldwäschedelikte. Von den Banken sei ein besserer Schutz der Bankomaten, aber auch des Personals und der Kunden zu erwarten, sagte Partik-Pable, die die Ministerin bat, über die Kriterien bei der Bestellung von Spitzenbeamten Auskunft zu geben. Sie könne keine parteipolitischen Umfärbeaktionen erkennen.

Abgeordneter Peter Pilz (G) stellte angesichts stark zunehmender Geldwäschedelikte die Frage, ob es in diesem Bereich etwa an gesetzlichen Instrumenten, an einer Deklarationspflicht beim Devisenimport oder einer Beweislastumkehr im Strafverfahren fehle. Schwerpunktmäßig konzentrierte sich der Abgeordnete auf die mit 20 % zuletzt stark gestiegene polizeiliche Überwachung von Telefongesprächen, wobei auffalle, dass die Justiz nur 50 % der diesbezüglichen Anträge zustimme. Für wichtig hielt der Abgeordnete auch die aktuelle Diskussion über eine EU-Richtlinie zur Telekom-Datenaufbewahrung. Kritisch äußerte sich Pilz über die Tätigkeit der Staatsanwälte bei politischen Delikten, wobei er im Zusammenhang mit der Spitzelaffäre und Grasser-Affären von "Einstellungs-Spezialisten" sprach.

Abgeordneter Norbert Darabos (S) machte darauf aufmerksam, dass die Zahl der Delikte von 1999 bis 2004 von unter 500.000 um 30 % auf 643.000 zugenommen, die Aufklärungsquote aber im gleichen Zeitraum von 50 % auf unter 38 % gesunken sei. Besonders schlecht schneide Österreich im internationalen Vergleich gegenüber Bayern ab, das ein Aufklärungsquote von mehr als 50 % aufweise. Eine der Ursachen dieser Entwicklung liege in der Demotivation der Beamten, sagte Darabos, denn der Hinweis auf "importierte Kriminalität" greife zu kurz, dieses Phänomen kenne man nicht erst seit 2000.

Abgeordneter Alfred Schöls (V) sprach von einer positiven Personalpolitik im Innenministerium seit dem Jahr 2000. Die Vereinheitlichung der Exekutive erleichtere die Arbeit und werde von vielen Beamten begrüßt. Das besondere Interesse des Abgeordneten galt dem neuen Sicherheitsmonitoring.

Abgeordneter Rudolf Parnigoni (S) sprach sein Bedauern darüber aus,  dass der Sicherheitsbericht seit dem Jahr 2000 nicht mehr im Plenum debattiert werde. Inhaltlich klagte der Redner darüber, dass weitere Planstellen im Exekutivdienst gestrichen werden sollen, obwohl durch den EU-Vorsitz und die Einrichtung von Schutzzonen mehr Aufgaben auf die Beamten zukommen. Dabei erkundigte sich Parnigoni nach einem möglichen Einsatz ausländischer Exekutivbeamter bei Großveranstaltungen. Weiters befasste sich der Abgeordnete mit dem Erlass von Innenminister Strasser zur Auskunfterteilung an die Presse, Erhebungen über die Mitarbeiterzufriedenheit sowie mit der Vertiefung der internationalen Zusammenarbeit beim Kampf gegen die internationale Kriminalität und den Terrorismus. In diesem Zusammenhang plädierte Parnigoni dafür, die nationalen Parlamente und das EU-Parlament verstärkt in Vorkehrungen gegen Grundrechtseingriffe einzubeziehen. Uneingeschränkt positiv sah der Ausschussobmann die Bemühungen um ein integriertes Krisen- und Katastrophenmanagement auf EU-Ebene.

Abgeordneter Markus Fauland (F) registrierte mit Bestürzung eine explosionsartige Zunahme bei der Jugendkriminalität um 11,6 % oder sogar um 15,1 %, wenn man die Gruppe der jungen Erwachsenen in die Betrachtung einbezieht. Stark zugenommen habe auch die Drogenkriminalität, wobei bemerkenswerte Unterschiede zwischen einzelnen Bundesländern feststellbar seien.

Abgeordnete Terezija Stoisits (G) konzentrierte sich zunächst auf das Thema Menschenhandel, das in der EU derzeit besondere Aktualität habe. Es genüge aber nicht, über diese Form der Kriminalität nur zu sprechen, gefragt seien Taten. Für einen fairen Umgang mit den Opfern fehle es aber an Daten. Es sei nicht bekannt, wie viele der 30.000 Zurückweisungen an der Grenze als Opfer von Menschenhändlern anzusprechen seien. Die Statistik in diesem Deliktsbereich sei mangelhaft, klagte Stoisits.

Die EU-Jahresvorschau 2005 im November zu diskutieren sei die "Nachlese einer Vorschau", kritisierte die Abgeordnete und klagte, dass für eine ausführliche Diskussion überdies zu wenig Zeit sei. Mit ihrem Wunsch nach einer intensiveren Behandlung der EU-Vorschau setzte sich Stoisits insofern durch, als dieses Thema in einer für Jänner geplanten Innenausschusssitzung behandelt werden wird.

Inhaltlich warf die Rednerin der Bundesregierung vor, exakt gegen diese Vorschau zu handeln und nannte als Beispiele die Erhöhung der Schubhaft auf zehn Monate und den Verzicht auf eine unentgeltliche Rechtsberatung und Betreuung von Schubhäftlingen. Dies widerspreche den in der Vorschau genannten "Mindestnormen bei Rückführungsverfahren". Während Aufenthaltsgenehmigungen für Forscher in der Vorschau als "wichtig" qualifiziert werden, erhalten sie in Österreich lediglich "Second class-Aufenthaltsgenehmigungen" statt Niederlassungsgenehmigungen. In der Integrationspolitik drohe Österreich durch das derzeit in Verhandlung stehende Fremdenrechtspaket zu einem EU-Außenseiter zu werden.

Abgeordneter Hermann Gahr (V) forderte die Oppositionsparteien dazu auf, zur Kenntnis zu nehmen, dass in der Sicherheitspolitik nicht alles so bleiben könne, wie es ist. Der Kampf gegen die Kriminalität mache Reformen und neue Strukturen notwendig. Gahrs Spezialthema bildetet die Entwicklung bei den Eurofälschungen.

Abgeordneter Walter Murauer (V) zitierte aktuelle Daten über einen Rückgang bei den Straftaten und eine Erhöhung der Aufklärungsquote. Murauer sah Erfolge der jüngsten Reformmaßnahmen und dankte den Beamten für ihr Engagement. Konkret zeigte sich der Abgeordnete an Maßnahmen gegen den Überbelag in den Strafanstalten und an Personalmaßnahmen bei der Justizwache und an Plänen für die Einrichtung einer Generaldirektion für den Strafvollzug interessiert.

Auch Abgeordnete Gabriele Heinisch-Hosek (S) befasste sich mit dem Thema Menschenhandel, das auf der Agenda des morgigen EU-Ministerrates stehe.

Karin Gastinger will neue Generaldirektion für Strafvollzug

Justizministerin Karin Gastinger erklärte die relativ hohe Ablehnungsrate von Telefonüberwachungsanträgen der Polizei mit der vorsichtigen Haltung der Richter, die bei Eingriffen in Grundrechte richtigerweise auf die Wahrung der Verhältnismäßigkeit achten. Die Zunahme der Telefonüberwachung sei dadurch zu erklären, dass sich diese Ermittlungsmethode im Kampf gegen die organisierte Kriminalität bewähre. Zudem nehme der Gesprächsverkehr durch die Zahl der Handys immer mehr zu. Bei der geplanten EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung gehe das Europäische Parlament mit großer Vorsicht vor, sie soll auf ein Minimum reduziert und der Datenschutz durch eine parallele Richtlinie gewährleistet werden. Österreich betrachte die Vorratsdatenspeicherung als ein gutes Instrument gegen organisierte Kriminalität und Terrorismus, lege aber Wert auf die Balance mit dem Grundrechtsschutz und dem Datenschutz. Der britische Vorsitz dränge auf einen Beschluss - ob die Entscheidung noch vor Jahresende fallen könne, entscheide sich in den nächsten Tagen.

Die Beweislastumkehr bei Geldwäschedelikten bestehe zum Teil bereits, an eine Ausweitung denke sie nicht, sagte Gastinger. Vorwürfe gegen Staatsanwälte im Zusammenhang mit politischen Delikten wies die Ressortleiterin entschieden zurück.

Die Justizministerin teilte die Besorgnisse der Abgeordneten wegen steigender Jugenddelikte und machte darauf aufmerksam, dass es sich in vielen Fällen um Drogendelikte, vielfach auch von Ausländern begangen, sowie um Handyraub handle.

Im Deliktbereich Menschenhandel wurde 2004 ein neuer Tatbestand geschaffen, der im Sicherheitsbericht für 2005 zu einer deutlich verbesserten Datenlage führen werde. Das Thema werde morgen im EU-Rat behandelt, die diesbezügliche Konvention des Europarates vom Mai 2005 werde für die Ratifikation in Österreich vorbereitet. Bei Maßnahmen gegen den Menschenhandel kooperiere sie mit der Innen-, der Frauen- und der Außenministerin, teilte Gastinger mit.

Die Zahl der Häftlinge habe sich mit zuletzt 8.821 auf hohem Stand stabilisiert, teilte die Ressortleiterin mit und berichtete von einer Verbesserung der Personalsituation durch Vermehrung der Justizwachebeamten um 228 und durch Zuweisungen aus den Bereichen Bundesheer und ÖBB. Zu den Maßnahmen zur Senkung der Häftlingszahlen gehöre auch die Heranziehung zu gemeinnützigen Arbeiten anstelle von Ersatzfreiheitsstrafen. Eine Straffung in der Organisation der Strafvollzugsverwaltung erwartet sich die Ministerin entweder durch die Zusammenführung der verschiedenen Kompetenzen in einer Generaldirektion, die beim Justizministerium angesiedelt werden soll, oder durch eine Zusammenführung der verschiedenen Kompetenzen bei den Oberlandesgerichten. Die gesetzlichen Grundlagen dafür sollen noch in der laufenden Gesetzgebungsperiode geschaffen werden. Die neue Generaldirektion soll ihre Arbeit im Jahr 2007 aufnehmen.

Liese Prokop: Österreich liegt beim Kampf gegen die Kriminalität gut

Innenministerin Liese Prokop wies darauf hin, dass der Anstieg der Kriminalität in den letzten Jahren einer EU-weiten Tendenz entsprochen habe. 2004 habe einen Trendstopp und 2005 eine Trendumkehr gebracht. Bei der Aufklärungsquote liege Österreich im EU-Vergleich sehr gut. Der Vergleich mit Bayern sei problematisch, weil dort Verwaltungsdelikte statistisch anders behandelt werden. Die Erfolge im Kampf gegen die Kriminalität führte die Ministerin auf die gute Arbeit der Exekutive sowie darauf zurück, dass sich das neue Instrument Sicherheitsmonitoring bewähre. Die Einsatzplanung kann, etwa bei Seriendelikten, wesentlich effizienter erfolgen, "Sicherheitsmonitoring" sei auf dem Weg zu einem internationalen Vorzeigeprojekt des österreichischen Bundeskriminalamtes.

Für den Einsatz ausländischer Exekutivbeamter bestehen vertragliche Vereinbarungen mit Deutschland, Liechtenstein und der Schweiz; in Ausnahmefällen sei ein solcher Einsatz möglich.

Die steigende Drogenkriminalität sei zum Teil auch auf die intensivierte Kontrolle zurückzuführen, sagte die Innenministerin.

Der Personaleinsatz sei im Jahr 2005 im Innendienst rückläufig, im Außendienst nehme die Zahl der eingesetzten Beamten aber zu, eine besondere Situation bestehe in Salzburg infolge zusätzlicher Aufgaben seit dem EU/Schengen-Beitritt. Stolz zeigte sich die Ministerin darauf, dass immer mehr Frauen im Exekutivdienst tätig werden. Die politische Zugehörigkeit von Exekutivbeamten, die sich um Führungspositionen bewerben, interessiere sie nicht. Bei Personalentscheidungen zählten ausschließlich fachliche Qualifikationen.

Die Verleihung der Staatsbürgerschaft sei ein wichtiger Schritt im Prozess der Integration, aber kein Mittel zur Integration, hielt die Ministerin fest. Die Verleihung der Staatsbürgerschaft soll der Endpunkt einer erfolgreichen Integration sein.

Für eine verstärkte Sicherheit der Banken sei eine Arbeitsgruppe ihres Ressorts eingerichtet worden, in der auch Vertreter der Banken vertreten seien, sie befasse sich mit technischen Verbesserungen und Personalschulungen. Der Eigenschutz soll auch bei Juwelieren und Trafikanten verbessert werden.

Experten des Innenressorts informierten die Abgeordneten im weiteren Verlauf der Sitzung über den Medienerlass, der den Spagat zwischen Information der Öffentlichkeit und Schutz von Personen sicherstellen soll.

Überfälle auf Banken, Taxifahrer und Wettbüros seien zuletzt zurückgegangen, haben bei den Trafiken aber zugenommen. Der Anteil von Delikten gegen Leib und Leben, die in der häuslichen Gemeinschaft verübt werden, beträgt 17,3 %.

Die Zunahme an Fällen von Geldwäsche sei auf die Umsetzung der zweiten Geldwäscherichtlinie zurückzuführen. Probleme hat die Exekutive beim Nachweis der Straftaten, dazu kommen Schwierigkeiten in Offshore-Destinationen.

Die Zunahme der EKIS-Anfragen steigen wegen automatisierter Abfragen und vermehrter Nachfrage an den Grenzen.

Aufenthaltsgenehmigungen für Forscher dienten der Flexibilität, weil davon auszugehen sei, dass sich Forscher nur vorübergehend in Österreich aufhalten. Forscher haben aber die Möglichkeit, als Schlüsselkräfte eine Niederlassungsbewilligung zu erhalten.

Die von Abgeordneter Stoisits kritisierten Maßnahmen im Rahmen des Fremdenrechtspakets 2005 entsprechen der geltenden EU-Rechtslage. Die Vorschau enthalte Überlegungen für eine noch nicht beschlossene Richtlinie. - Bei der Abstimmung wurden beide Berichte mit V-F-Mehrheit zur Kenntnis genommen und gelten damit als enderledigt. (Fortsetzung)