Parlamentskorrespondenz Nr. 93 vom 13.02.2006

Gleichzeitigkeit von Rekordarbeitslosigkeit und Rekordbeschäftigung

Dringlicher Antrag der SPÖ bei Sondersitzung

Wien (PK) – Die Gleichzeitigkeit von Rekorden bei der Arbeitslosigkeit wie bei der Beschäftigung bildete den Hintergrund der Debatte des Nationalrats bei dessen Sondersitzung. Die Sitzung fand auf Verlangen der sozialdemokratischen Fraktion statt, die einen Dringlichen Antrag betreffend Rekordarbeitslosigkeit in Österreich einbrachte.

Abgeordneter VERZETNITSCH (S) begründete den dringlichen Antrag seiner Fraktion mit dem Hinweis auf Millionen von Menschen in Europa, die auch am heutigen Tag vergeblich versuchten, einen Arbeitsplatz zu finden und nur feststellen konnten, dass man sie nicht brauche. Daher brauche es einen Kurswechsel in der Politik, auch in Österreich. 380.000 Menschen sind derzeit ohne Beschäftigung, 53.000 befinden sich auf Schulung, 71.000 Absolventen einer Ausbildung haben keinen Arbeitsplatz. Und von den 15.000 Menschen, die als zu alt für einen Arbeitsplatz gelten und deshalb einen Pensionsantrag gestellt haben, werden zwei Drittel eine Ablehnung erhalten.

Die Menschen erwarten eine andere Politik und keine Vertröstungen darauf, dass Österreich im internationalen Vergleich nicht schlecht liege, sagte der Abgeordnete und identifizierte die große, mittlerweile auf 1 Million gewachsene Zahl von Menschen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen als ein besonderes Problem. 148.000 dieser Arbeitnehmer arbeiten weniger als 12 Stunden pro Woche. Beim AMS werden immer häufiger Halbtagsarbeiten für Stundenlöhne zwischen 5,35 € und 5,80 € angeboten, Entlohnungen also, die weit vom 1000-€-Mindestlohn pro Monat entfernt sind. Betroffen sind vor allem Frauen.

Man sollte auch nicht vergessen, wie viele Belastungen die Regierung den Arbeitnehmern aufgebürdet habe, erinnerte Verzetnitsch. Auch deshalb sei eine Politik für Vollzeitarbeitsplätze notwendig und mehr Kinderbetreuungseinrichtungen, wie dies die EU mit Bezug auf Österreich kürzlich unterstrichen hat.

Zwei Drittel der österreichischen Arbeitnehmer arbeiten mit flexiblen Arbeitszeiten, jeder vierte samstags, jeder siebente auch sonntags - es mangelt den Österreichern also nicht an Flexibilität, sondern an Arbeitsplätzen, hielt der Redner fest. Dies zeige auch das Verhältnis offene Stellen/Arbeitsuchende. 2000 kamen sechs Arbeitsuchende auf eine offene Stelle, im Vorjahr waren es bereits 12.

Abgeordneter Verzetnitsch schilderte auch Einzelschicksale, etwa das einer 45jährigen hochqualifizierten Frau, die 100 erfolglose Bewerbungen hinter sich habe. In seinem eigenen Lehrberuf als Gas- und Wasserleitungsinstallateur werden derzeit von 100 offenen Stellen 94 in Deutschland angeboten.

Seine zentrale Forderung nach einem Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik begründete der Redner mit dem rückläufigen Wirtschaftswachstum, den stagnierenden Reallöhnen und einer Steuerreformpolitik, von der kleine Einkommen nur wenig Vorteile haben. Weiters klagte Verzetnitsch über zu geringe Kaufkraft, zu wenige Investitionen und das unterdurchschnittliche Beschäftigungswachstum der letzten Jahre. "Wir haben heute besser ausgebildete Arbeitslose, aber nicht mehr Beschäftigte". Daher sei es notwendig, in der Europäischen Union eine Wachstumspolitik durchzusetzen. Dazu gehöre auch eine bessere Dienstleistungsrichtlinie mit mehr Rechtsschutz für Arbeitnehmer - vor allem aber: "Mehr Arbeit für die Menschen".

Bundeskanzler Dr. SCHÜSSEL (V) räumte ein, dass in Österreich Rekordarbeitslosigkeit herrsche, hielt dem Bild, das Abgeordneter Verzetnitsch von Österreich zeichnete, aber dennoch gute Nachrichten entgegen: In Österreich herrscht Rekordbeschäftigung, sagte der Regierungschef und vermisste neue Ideen in der Rede Verzetnitschs. Die 290 Mill. €, die die SPÖ für den Arbeitsmarkt verlange, habe der Nationalrat im Herbst bereits einstimmig beschlossen. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung werden 2006 auf 5,7 Mrd. € steigen, sagte der Bundeskanzler und appellierte an die Opposition, die österreichische Bewerbung um das Europäische Institut für Technologieentwicklung zu unterstützen. Jedenfalls liege Österreich unter den ersten fünf Forschungsstandorten in Europa. In diesem Zusammenhang berichtete der Bundeskanzler auch von erfolgreichen Verhandlungen mit Deutschland und der EU-Kommission zur Lösung des Problems wachsenden Zahlen deutscher Studenten an heimischen Universitäten.

Die Klage des Abgeordneten Verzetnitsch wegen zu geringer Infrastrukturinvestitionen korrigierte der Bundeskanzler, indem er verlangte, bei der Investitionsquote auch die Investitionen von ÖBB, BIG und ASFINAG zu berücksichtigen. Als Erfolg der Bundesregierung nannte der Bundeskanzler auch die Senkung der Abgabenquote von 43,7 % auf 40,7 %, was einer Entlastung der Steuerzahler um 7 Mrd. € gleichkomme. Außerdem zähle Österreich zu den reichsten Ländern der EU und habe sein Pro-Kopf-Einkommen seit 1999 um 25 % auf 30.600 € gesteigert. Der ÖGB-Präsident sollte darauf verzichten, seine eigenen Erfolge klein zureden, sagte der Kanzler pointiert.

Die oft genannten Beispiele Finnland und Schweden seien in der Forschungs- und in der Finanzpolitik tatsächlich Vorbilder - bei den Daten zu Kaufkraft, Exporten, Arbeitsmarkt, Unternehmensgründungen und insbesondere bei der Jugendbeschäftigung liege Österreich aber wesentlich besser. Erfolge verzeichne Österreich seit 2000 auch in der Armutsbekämpfung, Mindestrentner haben heute um 17 % und Familien um 30 % mehr Einkommen als im Jahr 1999. Die Sozialquote sei gestiegen, führte Schüssel weiter aus. "Österreich hält bei sozialen Kriterien jedem Vergleich in der EU stand." Man müsse mehr für die KMU und gegen die Arbeitslosigkeit - dabei seien neue Ideen gefragt und alle herzlich eingeladen, sich am Ideenwettbewerb zu beteiligen, schloss der Bundeskanzler.

Abgeordneter Dr. GUSENBAUER (S) meinte, die Ausführungen des Bundeskanzlers entsprächen nicht der Lebensrealität der 380.000 Arbeitslosen. Die Menschen spürten nichts von den Zuwächsen, die der Bundeskanzler genannt habe, weil er brutto mit netto verwechsle und vergessen machen wolle, dass die Belastungen der Bundesregierung jede Bruttolohnerhöhung der Arbeitnehmer aufgefressen habe. Es herrsche die höchste Arbeitslosigkeit und die höchste Jugendarbeitslosigkeit in der Geschichte der Zweiten Republik - die Rede Schüssels sei eine Verhöhnung der Menschen, die von diesem Schicksal getroffen sind. "Österreich ist nicht sozialer, sondern arbeitsloser geworden", formulierte der SPÖ-Vorsitzende.

Der Bundeskanzler übersehe zudem, dass es nicht nur darum gehe, Arbeit zu haben, sondern auch darum, von seiner Arbeit leben zu können. Wer von der jüngsten Steuerreform spreche, müsse auch hinzufügen, dass sie großen Unternehmen Vorteile von 1 Mrd. €, Kleinverdienern aber wenig oder gar nichts gebracht habe. 20 % der Beschäftigten haben weiterhin weniger als 1000 € Lohn im Monat, 460.000 Menschen sind arm und über eine Million armutsgefährdet. Der Bundeskanzler spreche von sicheren Pensionen, ohne zu erwähnen, dass die Pensionen um 22 % gekürzt wurden.

Die SPÖ hingegen verfolge das Ziel, die Jugendarbeitslosigkeit zu beseitigen, durch einen Lehrlingsfonds Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, durch den Einsatz von mehr Lehrern die Ausbildungsqualität zu heben und endlich die Husch-Pfusch-Politik an den Universitäten zu beenden.

Abgeordneter Mag. MOLTERER (V) warf seinem Vorredner vor, aus dem Schicksal arbeitsloser Menschen politisches Kleingeld schlagen zu wollen, ohne auch nur einen Vorschlag zur Lösung der Arbeitsmarktproblematik vorzulegen. Das seien taktische Spielchen der SPÖ, die abzulehnen seien. Molterer unterstrich folgende Fakten: Österreich verzeichnet Rekordbeschäftigung, von den 370.000 Arbeitslosen haben 113.137 eine Wiedereinstellungsgarantie und 53.000 seien in Schulung, was als ein Erfolg der aktiven Arbeitsmarktpolitik unter Mitwirkung des ÖGB zu betrachten sei. Österreich nütze seine EU-Präsidentschaft für wirtschaftspolitische Initiativen und habe für eine Überarbeitung der Dienstleistungsrichtlinie gesorgt, die auch vom sozialdemokratischen Europa-Abgeordneten Swoboda begrüßt wurde.

Molterer machte weiters darauf aufmerksam, dass die österreichische Investitionsquote mit 2,6 % über dem EU-Schnitt liege und das Gruppenbesteuerungsmodell eine sehr erfolgreiche Headquarter-Politik darstelle. Den dringlichen Antrag der SPÖ qualifizierte Molterer als eine Art "Misstrauensantrag gegen den ÖGB", von dem sich Verzetnitsch distanzieren sollte. Schließlich merkte der VP-Klubobmann an, dass die Arbeitslosigkeit im "roten" Wien am schnellsten steige. Diese Bundesregierung bringe hingegen Leistungsorientierung und Sozialpartnerschaft unter einen Hut. Der ÖGB-Präsident Verzetnitsch sollte sich nicht vor den SPÖ-Karren spannen lassen, den Gusenbauer in die falsche Richtung lenke.

Auch Abgeordneter WALCH (F) hat, wie er sagte, von den Sozialdemokraten nichts Neues zum Thema Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik gehört. Um zu verdeutlichen, welche Politik Gusenbauer machen würde, seien die Wähler laut Walch daher auf die Vergangenheit verwiesen, in der die sozialistische Politik dazu geführt habe, dass 76.000 Arbeitnehmer in der Verstaatlichten Industrie ihren Arbeitsplatz verloren haben, die DDSG auf Sand lief, der Konsum Pleite ging und im Pensionssystem Privilegien herrschten. Der ÖGB müsse sich fragen lassen, warum er den 1000-€-Mindestlohn noch nicht erreicht habe, und das AMS habe zu erklären, warum es Hilfskräfte aus Nürnberg für Tourismusbetriebe in Österreich anheuere. Die Bundesregierung lobte Abgeordneter Walch für ihre Lehrlingspolitik, die Beschäftigungsoffensive und das 30-Mrd.-€-Infrastrukturpaket für den Straßen- und Schienenausbau. Und nicht zuletzt verwies der Abgeordnete auf die beiden Etappen der Steuerreform, Fortschritte für die Pensionisten und ihre erfolgreiche Familienpolitik.

Abgeordneter Dr. VAN DER BELLEN (G) machte geltend, Österreich würde ein jährliches Wirtschaftswachstum von 2,5 % bis 3 % benötigen, um die Situation am Arbeitsmarkt zu verbessern und die Arbeitslosigkeit nachhaltig zu senken. Das sei die einhellige Meinung aller Expertinnen und Experten. Auch er stimme dieser Analyse zu, sagte Van der Bellen, für ihn stelle sich gleichzeitig aber die Frage, wer die "Bremser" in der Politik seien.

Die Hauptverantwortung trägt seiner Ansicht nach die Regierung und hier insbesondere Bildungsministerin Elisabeth Gehrer und Finanzminister Karl-Heinz Grasser, die zu wenig für Bildung und Weiterbildung sowie für Forschung und Entwicklung täten. Aber auch die SPÖ und die Gewerkschaft würden in manchen Punkten bremsen. So zeigte Van der Bellen etwa Unverständnis dafür, dass trotz einer "blendenden Marktposition" Österreichs im Bereich der Umwelttechnologie alle anderen Parteien die Förderung erneuerbarer Energie um 80 % kürzen wollten.

Für verfehlt hält Van der Bellen darüber hinaus, wie er sagte, die Verlängerung der Übergangsfristen in Bezug auf die Öffnung des Arbeitsmarktes für die neuen EU-Mitglieder. Er erachte diese Übergangsfristen für wirtschafts- und wachstumshemmend, betonte er, zudem förderten sie Scheinselbständigkeit, Schwarzarbeit und Saisonierbeschäftigung.

Sozialministerin HAUBNER ortet Konsens darüber, dass soziale Sicherheit eng mit der Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen verbunden sei. Die Bundesregierung habe gerade auf diesem Gebiet in den letzten Jahren agiert, bekräftigte sie. Auch ihr wäre es lieber, wenn man schon am Ende des Weges zur Vollbeschäftigung angelangt wäre, erklärte Haubner, das, was im Bereich der Arbeitsmarktpolitik investiert worden sei, könne sich aber sehen lassen. "Wir wollen sicher keine jungen Menschen auf der Strasse", versicherte sie.

Haubner verwies u.a. auf die Steigerung der Forschungsquote, die "enormen" Investitionen in das hochrangige Straßen- und Schienennetz und in Lärmschutzmaßnahmen sowie auf die von der Regierung gestartete Beschäftigungsoffensive für Menschen mit Behinderung. So gehe der öffentliche Dienst mit der Beschäftigung von Behinderten mit gutem Beispiel voran. Großes Augenmerk lege die Regierung, so Haubner, zudem auf die Balance zwischen Familie und Beruf.

Abgeordnete BURES (S) unterstrich, 380.000 arbeitslose Menschen seien Grund genug für eine Sondersitzung des Nationalrates. Sie qualifizierte es als "beschämend", wie "unernst" ÖVP und Freiheitliche mit der Situation am Arbeitsmarkt umgingen. Bundeskanzler Schüssel habe sich in seiner Rede nicht ein einziges Mal mit der Lebenssituation von Arbeitslosen beschäftigt, klagte sie. Bures zufolge tragen die Regierungsparteien die politische Verantwortung dafür, dass es in Österreich den höchsten Arbeitslosenstand in der Zweiten Republik gebe. Tausende Menschen seien Opfer von schlechter Wirtschaftspolitik, schlechter Arbeitsmarktpolitik und leerer Versprechungen.

Abgeordneter KOPF (V) hielt fest, Arbeitslosigkeit sei ein Problem, das man nicht ernst genug nehmen könne. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt sei in der Tat bedrückend, sagte er, die Frage sei aber, wie man mit dieser Situation umgehe. Für ihn ist es "beschämend", dass die SPÖ politischer Profiteur der dramatischen Lage sein wolle.

Kopf verwies darauf, dass die Regierung in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Beschäftigungs- und Konjunkturpaketen geschnürt habe. Folge sei, dass es in Österreich derzeit so viele Beschäftigte wie nie zuvor gebe. Auch sei es gelungen, die Verweildauer in der Arbeitslosigkeit auf 99 Tage zu drücken. Darüber hinaus hob Kopf die öffentliche Investitionsquote von 2,3 % und die wachstumsfördernde Steuerpolitik der Regierung hervor.

Abgeordneter SCHEIBNER (F) wies den Vorwurf von Abgeordneter Bures zurück, die Regierungsparteien würden die Lage am Arbeitsmarkt nicht ernst genug nehmen. Er bezichtigte seinerseits die SPÖ, nicht die richtigen Prioritäten zu setzen und wertete das vorgelegte Zehn-Punkte-Programm als Programm der Vergangenheit. "Das ist alles umgesetzt", sagte Scheibner und nannte als Beispiele mehr Geld für Forschung, Entwicklung und Infrastruktur. Generell gab er allerdings zu bedenken, dass der Staat nur entsprechende Rahmenbedingungen zur Verfügung stellen könne, die Arbeitsplätze könnten nur von der Wirtschaft geschaffen werden.

Abgeordnete Mag. WEINZINGER (G) befasste sich mit der Frauenarbeitslosigkeit und rechnete vor, dass es seit Amtsantritt der Regierung Schüssel im Jahr 2000 im Schnitt pro Tag 18 arbeitslose Frauen mehr gebe. Bundeskanzler Schüssel versuche diese "unangenehme Wahrheit" mit "ein paar Parolen zuzukleistern", kritisierte sie. Österreich sei aber das einzige EU-Land, in dem die Beschäftigung von Frauen umgerechnet auf Vollzeitjobs in den letzten zehn Jahren deutlich abgenommen habe. Wirtschaftsminister Bartenstein warf Weinzinger vor, eine Studie unter Verschluss zu halten, wonach 65 % der Frauen, die in Leiharbeit beschäftigt sind, akut armutsgefährdet sind. 

Abgeordneter Dr. MATZNETTER (S) führte aus, die Regierung habe es in der Vergangenheit verabsäumt, Maßnahmen gegen die Konjunkturschwäche zu ergreifen. So habe es etwa in Schweden in den letzten Jahren ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 2,8 % gegeben, während dieses in Österreich nur bei 1,9 % gelegen sei. Auch in Bezug auf die öffentliche Investitionsquote sei Österreich EU-weit an letzter Stelle, bemängelte Matznetter.

Abgeordneter AMON (V) wertete es als "enttäuschend", dass die SPÖ das Thema Arbeitslosigkeit wähle, um Wahlkampf zu betreiben. Sondersitzungen schafften jedoch keine Arbeitsplätze, betonte er und hielt gleichzeitig fest, Bundeskanzler Schüssel und die Regierung würden dieses Thema ernst nehmen. Die österreichische Arbeitsmarktpolitik sei, so Amon, erfolgreicher als in 21 anderen EU-Ländern. "Der Kurs stimmt."

Abgeordneter DI SCHEUCH (F)  bezeichnete das Zehn-Punkte-Programm der SPÖ als "Schall und Rauch" und machte geltend, dass einige der Forderungen, wie die Verdoppelung von Infrastrukturausgaben, bereits umgesetzt seien. Scharfe Kritik übte Scheuch am neuen steirischen Landeshauptmann Voves, der seiner Darstellung nach keinen einzigen Arbeitsplatz in der Steiermark geschaffen, aber viele Posten mit Parteifreunden besetzt habe.

Abgeordneter ÖLLINGER (G) meinte, er finde es "deprimierend", dass den Regierungsparteien zum Thema Arbeitslosigkeit nicht mehr einfalle als "Schönfärberei". Die Grünen wollten die Regierung nicht für jedes einzelne Arbeitsmarktproblem verantwortlich machen, erklärte er, für manche Bereiche trage die Regierung aber eindeutig die Verantwortung. Als Beispiele nannte Öllinger Defizite im Bereich der Bildung und fehlende Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik. Ihm zufolge verlässt ein hoher Prozentsatz an jungen Menschen als Analphabeten die Schule.

Abgeordneter RIEPL (S) wies darauf hin, dass es der Wirtschaft gut gehe und die Aktienkurse steigen. Mit einer solchen Entwicklung könne zwar ein Wirtschaftsminister, aber sicher nicht ein Arbeitsminister zufrieden sein. Versprochen wurde nämlich, die Zahl der Arbeitslosen zu senken, das Gegenteil ist aber eingetreten. Seit fünf Jahren gebe es täglich 38 Arbeitslose mehr. Diese Tatsache nahm der Redner zum Anlass, zu behaupten, die Regierung habe versagt. In einem Entschließungsantrag wird die Reduzierung der Arbeitslosigkeit von LehrerInnen durch Senkung der Klassenschülerhöchstzahlen gefordert. Dies deshalb, argumentierte Riepl, da die Wiener ÖVP die Senkung der Klassenschülerhöchstzahl von 28 auf 22 fordert und somit ein Anliegen der SPÖ aufgreift.

Die Vorsitz führenden Präsidentin Mag. PRAMMER gab bekannt, dass G-Abgeordneter Öllinger beantragt habe, einen Untersuchungsausschuss zur Durchführung des Projektes Chip-Karte/E-Card einzusetzen. - Debatte und Abstimmung über diesen Antrag fanden nach Erledigung der Tagesordnung statt.

Auch Bundesminister Dr. BARTENSTEIN waren 326.000 arbeitslos gemeldete Menschen zu viel. Faktum sei, dass sich 54.000 Österreicher in Qualifizierung befinden; diese Menschen werden als Arbeit suchend geführt. Dass es gegenüber dem Vorjahr 10.000 Arbeitslose mehr gibt, könne man laut Bartenstein nicht gut heißen. Da die SPÖ mit den Arbeitslosenzahlen jongliere, vermutete der Minister, dass auf dem Rücken der Arbeitslosen ein politisches Spiel getrieben wird; das habe auch ein unabhängiger Redakteur des ORF heute Mittag gemeint, fügte er hinzu. In Zusammenhang mit dem Maßnahmenpaket der SPÖ meinte der Ressortchef, es enthalte nicht viel Neues, im Großen und Ganzen gehe es um Punkte, die eins zu eins bearbeitet bzw. umgesetzt werden.

Kritisch setzte sich Bartenstein mit den Ausführungen von Gusenbauer auseinander und meinte in Hinblick auf die Aussage Gusenbauers, 20 Prozent der Arbeitnehmer verdienen unter 1.000 €, wenn dies stimme, wäre das eine massive Anklage des Österreichischen Gewerkschaftsbundes und der Sozialpartner.

Zur Dienstleistungsrichtlinie, die morgen und übermorgen im Europäischen Parlament zur Diskussion stehen wird, meinte der Ressortchef, vergangenen Donnerstag wurde ein Kompromiss zwischen den Christdemokraten und Sozialdemokraten Europas erreicht. Am Freitag haben Hannes Swoboda und Othmar Karas in Wien den Vorschlag vorgestellt; Swoboda habe auch darauf hingewiesen, dass es mit dieser Richtlinie kein Lohn- und Sozialdumping geben werde. Was denkt sich die Sozialdemokratie in Österreich, wenn in einem Punkt ihres Pakets gesagt wird, die EU-Dienstleistungsrichtlinie müsse überarbeitet und das angedachte Herkunftslandprinzip unbedingt verhindert werden?, so Bartenstein. Das Herkunftslandprinzip stehe nicht mehr in der Richtlinie. Was drinnen steht, das sei von den Sozialdemokraten akzeptiert worden, unterstrich der Minister.

Abgeordneter GRILLITSCH (V) sprach davon, dass die Bundesregierung hervorragende Arbeit leiste; gegenüber Deutschland habe Österreich einen Wachstumsvorsprung von über 10 Prozent. Das bedeute, dass in den letzten 15 Jahren die Erwerbstätigen in Österreich im Durchschnitt pro Kopf über 50.000 € mehr Einkommen erzielt haben. Das zeige auch, dass höheres Wirtschaftswachstum unmittelbar für mehr Einkommen und für mehr Wohlstand stehe. Während die abgewählte rot-grüne Regierung in Deutschland 1.000 Jobs pro Tag vernichtet habe, schaffe die österreichische Regierung durch die Steuerreform und durch Konjunkturpakete 100 Arbeitsplätze pro Tag, so Grillitsch.

Abgeordneter DI HOFMANN (F) sah keine Dringlichkeit für die heutige Sondersitzung, mahnte ein, Gleiches mit Gleichem zu vergleichen, was im Fall der Zahl der Arbeitslosigkeit seitens der SPÖ nicht erfolgt sei, und wies darauf hin, dass die Schulungen Sinn machen und man nicht die Absicht habe, in diesen Schulungen Arbeitslose quasi zu verstecken. In Zusammenhang mit der Aussage der SPÖ, erst bei einem Wirtschaftswachstum von 2,5 % bis 3 % könne man Arbeitslosigkeit reduzieren, machte Hofmann darauf aufmerksam, dass der Schwellenwert, ab dem Arbeitslosigkeit reduziert werden kann, in Österreich derzeit bei 4 % liege. 

Abgeordnete SBURNY (G) sprach von einer Herausforderung, in Zeiten wie diesen neue Arbeitsplätze zu schaffen. Aber sie bezweifelte die Seriosität der Aussage von Grillitsch, die Regierung schaffe 100 Arbeitsplätze pro Tag. Stelle man nämlich eine Berechnung an, dann komme man in sechs Jahren auf 216.000 Arbeitsplätze; zieht man davon die Kindergeldbezieherinnen, 140.000, und die Zivildiener, zirka 50.000, ab, bleiben nur mehr 26.000 Arbeitsplätze über, die unter Umständen durch das Teilen von Ganzzeitarbeitsplätzen geschaffen wurden.

Abgeordnete SILHAVY (S) machte darauf aufmerksam, dass seit dem Jahr 2000 in Österreich die Armut steige. Wenn in einem reichen Land wie Österreich über 1 Million Menschen armutsgefährdet ist, sollte der Kanzler nicht von erfolgreicher Politik sprechen. Das sei eine "Politik des Versagens und nicht des Erfolges". Sie beanstandete angesichts der derzeitigen tiefen Temperaturen, dass trotz dieser Armut kein bundeseinheitlicher Heizkostenzuschuss zu Stande gekommen ist. Negativ äußerte die Rednerin sich auch zu den Maßnahmen der Regierung für die Frauen.

Abgeordnete MIKESCH (V) meinte, mit Schlechtreden und Krankjammern schaffe man keinen Arbeitsplatz. Arbeit schafft nur, wer arbeitet, und das tun wir, sagte die Abgeordnete. Der Zick-Zack-Kurs, den die SPÖ in den letzten Jahren verfolgt habe, zeige, dass Gusenbauer auf dem Weg in die Regierung noch viele Lehrjahre zu absolvieren habe. Die Rednerin brachte sodann ihren Entschließungsantrag, der korrigiert werden musste, abermals ein.

Abgeordneter WITTAUER (F): Wir in Österreich sind Spitzenreiter in der Umweltpolitik und bei Förderungen; so werde in Österreich die alternative Energie weitaus höher gefördert als in Deutschland. Rot-Grün habe es in Deutschland nicht geschafft, pro Kopf für alternative Energien mehr auszugeben als Österreich, strich er heraus. Positiv sah der Redner auch, dass in unserem Land eine Wirtschaftspolitik unabhängig von Deutschland betrieben werde.

Abgeordnete Dr. MOSER (G) befasste sich mit der thermischen Gebäudesanierung und sprach die Aussage des WIFO an, dass 200 Millionen mehr für die thermische Gebäudesanierung pro Jahr 11.000 Arbeitsplätze bringen. Das stütze die Klein- und Mittelbetriebe. Warum, fragte sie, sorgen Sie nicht dafür, dass verstärkt in die thermische Sanierung investiert wird, zumal "mehr Öko Arbeit schaffe". Außerdem trat die Rednerin dafür ein, mehr Geld in den öffentlichen Verkehr zu investieren und auch somit zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen.

Abgeordnete TAMANDL (V) kam auf den "neuesten Skandal" in Wien zu sprechen, wo das AMS Jugendlichen rate, die zehnte Schulstufe abzubrechen und einen AMS-Kurs zu besuchen, für den die Jugendlichen 130 € erhalten. Diese Jugendlichen können damit aber keinen Hauptschulabschluss nachholen, klagte die Rednerin. Die Regierung sei vielmehr auf dem richtigen Weg, mit dem Antrag der SPÖ könne kein einziger Arbeitsplatz geschaffen werden.

Abgeordneter NEUDECK (F) meinte, von der Opposition seien die Arbeitslosen nach der heutigen Sondersitzung enttäuschter als vorher.

Der S-Antrag 786/A(E) betreffend Rekordarbeitslosigkeit in Österreich fand im Rahmen der Abstimmung keine Mehrheit. Der Entschließungsantrag der SPÖ hinsichtlich Reduzierung der LehrerInnen-Arbeitslosigkeit durch Senkung der KlassenschülerInnenhöchstzahlen blieb ebenfalls in der Minderheit. Mehrheitlich angenommen wurde der V-F-Entschließungsantrag bezüglich Maßnahmen der Bundesregierung für Wachstum und Beschäftigung.

Kurze Debatte: Fristsetzung zu Einspruch des Bundesrats gegen FSG

Abgeordneter DI MISSETHON (V) erinnerte an den Kernpunkt der Debatte über das Führerscheingesetz, mit dem man einen 180 km/h-Deckel für die Abnahme des Führerscheins einziehen wollte. Die StVO ermögliche bereits jetzt, dass die Behörden partiell die Höchstgeschwindigkeit erhöhen können und man somit über die 180 km/h kommen könnte. Man repariere ein Gesetz, um Rasen zu verhindern. Auch wies der Redner darauf hin, dass seit den siebziger Jahren die Autobahnen breiter und sicherer geworden sind, Gegenverkehrsbereiche abgeschafft wurden, viel Geld in die Tunnelsicherheit investiert wurde und auch die Autos sich zu High-Tech-Produkten entwickelt haben. Mittlerweile gebe es viele Verkehrsteilnehmer, die schneller als 130 km/h fahren. Weniger gefährlich sind seiner Ansicht nach jene Autofahrer, die bei wenig Verkehr 160 km/h fahren, als jene, die bei Regen, Nebel oder Schneefall 130 km/h fahren. Aus diesem Grund hielt er diese Teststrecke für gerechtfertigt. Mit dem Fristsetzungsantrag werde man dafür sorgen, dass die Autofahrer nicht schneller fahren als 180 km/h; man werde sich die Ergebnisse dieses Tests in Ruhe ansehen und dann erst weitere Schritte festlegen, so Missethon.

Abgeordneter DI REGLER (V) meinte, der Einspruch des Bundesrates sei eine "glatte Themenverfehlung". Er beschäftige sich nämlich überhaupt nicht mit dem Inhalt der Novelle. Die Abgeordneten forderte er auf, dem Antrag zuzustimmen, da sich die Vorlage gegen unverantwortliches Rasen wende. Erläutert werden vom Redner auch die Temporeduzierungen in Wien.

Abgeordneter EDER (S) erklärte, seine Fraktion werde dem Fristsetzungsantrag nicht zustimmen, weil der Nationalrat den Bedenken der Länderkammer Rechnung tragen und sich ernsthaft mit dieser Thematik auseinandersetzen sollte. Die Idee des Vizekanzlers könne seine Fraktion nicht goutieren, es gebe keine vernünftigen Gründe für ein solches Vorgehen, weshalb es von den Sozialdemokraten abgelehnt werde. Man sollte vielmehr die alten gesetzlichen Regelungen in Geltung lassen, so Eder.

Abgeordneter WITTAUER (F) verteidigte hingegen den gestellten Antrag mit dem Argument, dieser diene der zielgerichteten Auseinandersetzung mit diesem Thema. Die Opposition agiere an dieser Stelle nicht verantwortungsvoll, der Einspruch des Bundesrates zwinge die Regierungsfraktionen zu dieser Fristsetzung, um die Bevölkerung vor Rasern zu schützen, betonte der Redner, denn das gesetzte Limit von 180 km/h sei im Zusammenhang mit den geplanten Tests eine vernünftige Regelung.

Abgeordnete Dr. MOSER (G) erläuterte den grünen Standpunkt zum Thema und erteilte vor diesem Hintergrund der Fristsetzung eine Absage, zumal diese Fristsetzung die Debatte über ein wesentlich wichtigeres Thema, nämlich das Gentechnikgesetz, verhindert habe. Zudem spiegle der Einspruch des Bundesrates das Interesse der Länder in dieser Frage wider, man solle diesem daher Rechnung tragen. Die bisher geltenden Limits sollten daher bleiben.

Der Antrag auf Fristsetzung fand eine Mehrheit. Keine Mehrheit fand hingegen der grüne Antrag auf Fristsetzung an den Gesundheitsausschuss.

Kurze Debatte: Keine Mehrheit für E-Card-Untersuchungsausschuss

Abgeordneter ÖLLINGER (G) wies auf die zahlreichen Ungereimtheiten auf dem Gebiet der E-Card hin, die er entsprechend detailliert erläuterte, und forderte entsprechende Aufklärung in dieser Causa. Diese sei aber nur gewährleistet, indem auch die politische Verantwortung für diese Entwicklungen geklärt werde, betonte der Redner, der in diesem Zusammenhang auch auf die diesbezüglichen Ausführungen des Rechnungshofes hinsichtlich der massiven Kostensteigerungen verwies.

Abgeordneter Mag. TANCSITS (V) sah hingegen keine Notwendigkeit für einen Untersuchungsausschuss. Der Redner ging auf die Erfolgsgeschichte der E-Card ein und sah eine massive Verbesserung gegenüber früheren Zeiten. Dieses Projekt sollte daher nicht wegen Details in Frage gestellt werden. Die Vorwürfe der Grünen seien haltlos, für einen Ausschuss gebe es daher keine Grundlage, zumal gegebenenfalls ohnehin der Rechnungshof seine Prüfungstätigkeit entfalten werde.

Abgeordneter Dr. KRÄUTER (S) ortete massiven Untersuchungsbedarf, gebe es doch etliche Punkte, die eingehend in Augenschein genommen werden sollten, wie man auch dem Rechnungshofbericht entnehmen könne, weshalb der Antrag der Grünen angenommen werden sollte, sei ein Untersuchungsausschuss doch vor diesem Hintergrund "unerlässlich".

Abgeordneter Mag. KOGLER (G) knüpfte an seinen Fraktionskollegen an und befasste sich exemplarisch mit einigen der von den Grünen aufgeworfenen Missstände. Diese könnten nur durch einen entsprechenden Ausschuss mit dessen Möglichkeiten eingehend untersucht werden, weshalb das Haus den diesbezüglichen Antrag seiner Fraktion annehmen möge, meinte der Redner.

Abgeordneter NEUDECK (F) verwies auf Versäumnisse der Sozialdemokraten in dieser Thematik und meinte, es sei Minister Haupt gewesen, der dieses Projekt schließlich zu einem guten Ende gebracht habe. Der Rechnungshof prüfe derzeit, ein angenommener Antrag wäre vor diesem Hintergrund ein Misstrauensantrag wider den Rechnungshof, so der Redner.

Der Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses blieb in der Minderheit. (Schluss)


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