Parlamentskorrespondenz Nr. 114 vom 15.02.2006

Bartenstein nimmt zu aktuellen Fragen im Ausschuss Stellung

EU-Dienstleistungsrichtlinie, Übergangsfristen, Arbeitslosigkeit

Wien (PK) – Bei der heute Nachmittag stattfindenden Sitzung des Sozialausschusses stand auch eine aktuelle Aussprache mit dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Martin Bartenstein, auf der Tagesordnung. Im Mittelpunkt der Debatte standen vor allem die EU-Dienstleistungsrichtlinie, die Verlängerung der Übergangsfristen für Arbeitskräfte aus den neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die heimische Beschäftigungssituation, die Auswirkungen des Qualifizierungspakets sowie die saisonalen Arbeitsverhältnisse.

Abgeordneter Richard Leutner (S) kam zunächst auf die geplante Verlängerung der Übergangsfristen für Arbeitskräfte aus den neuen EU-Staaten zu sprechen und erkundigte sich danach, ob der diesbezügliche österreichische Brief nach Brüssel schon abgeschickt wurde. Bei der Dienstleistungsrichtlinie sei es seiner Meinung nach sehr wichtig, auf die Durchsetzung zu achten. Es müssen entsprechende Sanktionen festgelegt werden, damit die Standards auch eingehalten werden. Bezüglich der geplanten Arbeitszeitrichtlinie erwarte er sich, dass der Kollektivvertrag das entscheidende Element bleibe, vor allem, was die Festlegung der höchstzulässigen Arbeitszeit betrifft.

Abgeordneter Walter Tancsits (V) wies darauf hin, dass Österreich derzeit sehr gute Beschäftigungsquoten aufweise, andererseits viele Menschen aber als arbeitslos gemeldet sind. Er hielt es für richtig, dass die Bundesregierung beschlossen hat, die Übergangsfristen für den Arbeitsmarkt zu verlängern. Ein geregelter Übergang sei im Interesse aller Betroffenen, war der Mandatar überzeugt. Weitere Fragen betrafen die Verweildauer in der Arbeitslosigkeit, die neuen Zumutbarkeitsbestimmungen, das Qualifizierungspaket sowie die saisonbedingte Arbeitslosigkeit.

Abgeordneter Karl Öllinger (G) machte darauf aufmerksam, dass es auch im öffentlichen Dienst saisonale Arbeitslosigkeit gebe, und zwar bei Lehrern und Universitätsbediensteten (z.B. Lektoren). Wenn man sich das Jahresarbeitszeitmodell in der Baubranche anschaue, dann halte sich der Erfolg wohl in Grenzen, gab der Redner zu bedenken. Äußerst bedenklich sei für ihn, dass sich die Zahl der Langzeitarbeitslosen kaum verändere. Gleichzeitig gebe es aber auch eine unheimliche Mobilität am Arbeitsmarkt, da immer mehr kurze Beschäftigungsverhältnisse abgeschlossen werden. Es sei auch ein Wildwuchs an verschiedensten irregulären Beschäftigungsverhältnissen festzustellen.

Eine differenzierte Sicht nahm Öllinger hinsichtlich der Verlängerung der Übergangsfristen ein. Auch wenn er die Pro-Argumente nachvollziehen könne, müsse man bedenken, dass mit einer Verlängerung die Probleme nicht gelöst werden. Gerade dort, wo die rigidesten Beschränkungen bestehen, etwa im Baugewerbe und im Pflegebereich, gebe es die meisten Scheinselbständigen und die meiste Schwarzarbeit.

Ein klares Nein zur vorzeitigen Öffnung des Arbeitsmarktes kam von F-Abgeordnetem Maximilian Walch. Er bekräftigte, dass die siebenjährige Übergangsfrist für Arbeitnehmer aus den neuen EU-Ländern eingehalten werden müsse.

Abgeordnete Ulrike Königsberger-Ludwig (S) wies auf die starke Zunahme bei den prekären Arbeitsverhältnissen hin, die keine soziale Absicherung mehr gewährleisten. Auch die Zahl der "working poor", also jener Menschen, die trotz einer Beschäftigung auf Sozialhilfeleistungen angewiesen sind, sei im Steigen begriffen.

Abgeordnete Theresia Haidlmayr (G) bezeichnete den Dienstleistungsscheck als "Flop". Es sei mittlerweile klar, dass dieses Angebot nicht angenommen werde. Ein Grund dafür sei unter anderem, dass die Leute mehr als zwei Monate auf ihr Geld warten müssen. Hinsichtlich der Übergangsfristen war sie der Auffassung, dass man den Arbeitsmarkt aufmachen sollte, da viele Menschen ohnehin bereits in Österreich sind und hier schwarz oder als Scheinselbständige arbeiten.

Abgeordnete Gabriele Heinisch-Hosek (S) befasste sich mit der Einkommenssituation von Frauen und mahnte Vorschläge von Minister Bartenstein ein, wie die enormen Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen abgebaut werden könnten. Sie selbst regte etwa eine Offenlegung der durchschnittlichen Frauen- bzw. Männergehälter in den Unternehmen an. Die Frauenerwerbsquote von 60,7 % in Österreich würde Heinisch-Hosek zufolge auf 57 % sinken, wenn man Kindergeldbezieherinnen wegzähle.

Abgeordnete Christine Marek (V) gab zu bedenken, dass die Personen, die mit einem Dienstleistungsscheck bezahlt werden, zuvor überhaupt keine arbeitsrechtliche Absicherung gehabt hätten.

Abgeordnete Andrea Kuntzl (S) hielt fest, Kinderbetreuungseinrichtungen hätten einen wesentlichen Einfluss darauf, ob Frauen in dem Ausmaß einem Beruf nachgehen könnten, wie sie wollten. Ihrer Ansicht nach müssten Arbeitsminister Bartenstein, Frauenministerin Maria Rauch-Kallat und Familienministerin Ursula Haubner in diesem Bereich viel mehr Druck machen. Eine Studie zeige, so Kuntzl, dass jeder Euro, den man in Kinderbetreuungseinrichtungen investiere, sich volkswirtschaftlich rechne. Die Kritik Bartensteins am Stadtgartenamt wies die Abgeordnete zurück und warf ihrerseits den Bundesforsten vor, mit Wiedereinstellungszusagen zu agieren.

Bundesminister Martin Bartenstein informierte eingangs über den informellen Rat für Beschäftigung und Soziales in Villach (19.-21.1.2006), der seiner Meinung nach sehr gut gelaufen ist. Es sei unter anderem gelungen, das Thema "Flexicurity" (Flexibilität durch Sicherheit) in die europäische Diskussion einzubringen. Durch die gelebte Partnerschaft, die zwischen den Präsidenten Verzetnitsch und Leitl bestehe, habe Österreich auch ein gutes Beispiel für eine funktionierende Sozialpartnerschaft abgegeben.

Bartenstein erwartet sich breiten Konsens bezüglich der EU-Dienstleistungsrichtlinie

Viele Fragen der Abgeordneten drehten sich um die neue EU-Dienstleistungsrichtlinie. Bei der für morgen angesetzten Abstimmung im Europäischen Parlament zeichne sich eine breite Zustimmung ab, da die beiden größten Fraktionen (EVP und SPE) sich auf einen Kompromiss geeinigt haben. Dies sei der vorläufige Abschluss einer bemerkenswerten Diskussion über eine Richtlinie, die "zu ungerechtfertigtem Ruhm aufgestiegen sei". Noch nicht klar sei, welche Position der Europäische Rat dazu einnehmen werde, räumte der Minister ein. Klar sei jedoch, je breiter der Konsens im Europäischen Parlament ausfalle, desto weniger werden sich die einzelnen Ländern darüber hinwegsetzen können. Was die Frage der Durchsetzbarkeit angeht, so sei es ein gemeinsames Ziel, dass es Sanktionen geben müsse. Dies betreffe aber nicht nur diese konkrete Richtlinie, meinte Bartenstein, denn es sei generell wünschenswert, dass Verwaltungsakte in ganz Europa durchsetzbar sind.

Hinsichtlich der Arbeitszeitrichtlinie führte der Minister aus, dass Österreich als EU-Vorsitzland aufgerufen sei, die Rolle des Mediators zu übernehmen. Da aber etwa Großbritannien derzeit zu keinerlei Abstrichen bereit sei, werde es schwierig sein, einen Kompromiss zu erzielen.

Bartenstein verteidigt Verlängerung der Übergangsfristen für Arbeitskräfte aus den neuen EU-Ländern

Österreich werde seine Übergangsfristen für Arbeitskräfte aus den neuen EU-Mitgliedstaaten für drei Jahre bis Ende April 2009 verlängern, kündigte Bartenstein an. Diese Position werde sowohl von den Arbeitnehmern als auch den Arbeitgebern unterstützt, währenddessen die Gewerkschaften in Europa eine andere Haltung vertreten. Der entsprechende Brief, der in Abstimmung mit den deutschen Kollegen formuliert werden soll, wurde noch nicht abgeschickt. Dies geschehe jedoch sicher zeitgerecht vor dem 30. April dieses Jahres. Grundsätzlich sei eine Verlängerung auf unilateraler Basis, völlig formlos und ohne Zustimmung der Kommission möglich.

Bartenstein versicherte noch, dass es nicht um eine totale Abschottung des heimischen Arbeitsmarktes gehe, sondern um eine schrittweise Heranführung. Derzeit könne sich Österreich aber eine totale Öffnung einfach nicht leisten. Sollten sich in den nächsten drei Jahren die Rahmenbedingungen verändern, dann werde er gemeinsam mit den Sozialpartnern neue Überlegungen anstellen.

Zur Kritik der Grünen an der Verlängerung der Übergangsfristen bemerkte der Minister, dass der Bericht der EU-Kommission die geografische Lage Österreichs nicht berücksichtigt habe. Österreich sei einfach stärker betroffen als andere EU-Länder. Auch auf Schätzungen könne man sich nicht immer verlassen, wie man in England gesehen hat, zeigte der Minister auf. Ursprünglich habe man nämlich mit ca. 10.000 Zuwanderern aus den neuen EU-Ländern gerechnet, schließlich waren es aber 300.000.

Die aktuelle Beschäftigungssituation in Österreich

Auf eine Wortmeldung des V-Abgeordneten Tancsits hin führte der Ressortchef aus, dass Österreich nicht nur eine hohe Beschäftigungsquote aufweise, sondern gleichzeitig auch relativ hohe Arbeitslosenzahlen. "Wir tun das Menschenmögliche", versicherte er, denn angesichts von 326.000 arbeitslosen Menschen könne man natürlich nicht zufrieden sein. Die durchschnittliche Verweildauer

in der Arbeitslosigkeit betrage derzeit 99 Tage, was kein schlechter Wert sei.

Erfreulicherweise gebe es bereits erste Anzeichen der Entspannung am Arbeitsmarkt, vor allem in den letzten Wochen, sowie optimistischere Wirtschaftsprognosen. Bartenstein erinnerte zudem daran, dass die Bundesregierung das größte Qualifizierungspaket der Zweiten Republik beschlossen habe, wobei die Sozialpartner einem gemeinsamen Vorgehen bei der Umsetzung zugestimmt haben. Neben dieser wichtigen Initiative, die nun anlaufe, wurde auch eine Lehrlingsbeschäftigungsaktion gestartet, die erste Erfolge zeitige. Der so genannte Blum-Bonus habe dazu geführt, dass zusätzlich 3.300 Jugendliche als Lehrlinge beschäftigt wurden (Stand Ende Dezember 2005) und um 7,3 % mehr junge Menschen eine Lehre begonnen haben.

Was die Auswirkungen der neuen Zumutbarkeitsbestimmungen angeht, so werde derzeit eine Evaluierung durchgeführt, informierte der Arbeitsminister. Zur Kritik von Haidlmayr am Dienstleistungsscheck führte der Minister ins Treffen, dass dieser erst seit Anfang des Jahres in Verwendung sei. Man solle ihm daher eine faire Chance einräumen. Die Werbeausgaben für dieses Projekt waren jedenfalls "sehr maßvoll", betonte er.

Im Zusammenhang mit den Saisonjobs sprach Bartenstein das Problem der (Wieder-)Einstellungszusagen an. Während es per Ende Jänner einen Anstieg bei den Arbeitslosen um 3 % gab, wurden um 13 % Prozent mehr Menschen mit (Wieder-)Einstellungszusage verzeichnet. Mit insgesamt 113.000 werde hier ein neuer Rekordwert erreicht, der für ihn ein Alarmzeichen sei. Interessant sei dabei die Tatsache, dass es nicht hauptsächlich nur die Branchen Bau und Tourismus betreffe. 41 Prozent der (Wieder-)Einstellungszusagen kämen bereits aus anderen Branchen, sogar aus dem Bereich des öffentlichen Dienstes, gab Bartenstein zu bedenken. So habe er etwa erfahren, dass das Stadtgartenamt in Wien Jahr für Jahr seine 397 Bediensteten per 1. Dezember kündigt und sie – zu Lasten der Solidargemeinschaft - bis zu vier Monate in die Arbeitslose schickt.

Auf die Frage von Abgeordnetem Karl Öllinger (G), wie man zwischen jenen Betrieben, denen die ganzjährige Beschäftigung von Arbeitnehmern zumutbar sei, und Betrieben, die tatsächlich nur saisonal Arbeit haben, unterscheiden könne, merkte Bartenstein an, dass ein Viertel der Arbeitslosen mit Wiedereinstellungszusage weniger als einen Monat arbeitslos sei. Solche Fällen seien eine Unsitte, bekräftigte er, sie reduzierten den Anreiz der betroffenen Arbeitnehmer und des AMS, etwas zu tun. Generell zähle Österreich laut OECD in Sachen Saisonarbeitslosigkeit zu den negativsten Beispielen weltweit.

Arbeitsminister Martin Bartenstein machte geltend, dass 54 % der Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik weiblichen Arbeitslosen zugute kommen, obwohl nur 43 % der Arbeitslosen Frauen seien. Die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen führte er vor allem auf unterschiedliche Karriereverläufe bedingt durch Kinderpausen zurück. Die öffentliche Hand hat seiner Meinung nach zudem wenig Möglichkeiten darauf hinzuwirken, dass mehr qualifizierte Teilzeitjobs angeboten werden. Bartenstein zufolge sind 40 % der Frauen teilzeitbeschäftigt, 90 % davon seien mit diesem Umstand zufrieden.

Zustimmend äußerte sich Bartenstein zur Forderung nach mehr Kinderbetreuungseinrichtungen. Er sei der Meinung, dass man ein besseres Netz an Kinderbetreuungseinrichtungen brauche als bisher, betonte er, "da sollte man in den nächsten Monaten Nägel mit Köpfen machen". Auch eine steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten wünscht er sich.(Fortsetzung)


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