Parlamentskorrespondenz Nr. 215 vom 14.03.2006

Abgeordnete einig über die Einrichtung von Landesverwaltungsgerichten

Besonderer Ausschuss diskutiert auch über Legalitätsprinzip

Wien (PK) - Die Einrichtung von Landesverwaltungsgerichten und Fragen der Verwaltungsstruktur standen heute auf der Tagesordnung der Sitzung des zur Vorberatung einer Verfassungsreform eingesetzten Besonderen Ausschusses des Nationalrats. Die Abgeordneten sprachen sich dabei einhellig für die Einrichtung von Landesverwaltungsgerichten aus und einigten sich auf Vorschlag von Nationalratspräsident Andreas Khol darauf, den Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes damit zu beauftragen, auf Basis der dazu vorliegenden Vorschläge einen konkreten Textentwurf zu erarbeiten und dabei gleichzeitig auch eine Neufassung des Artikels 144 B-VG zu prüfen. Unterschiedliche Auffassungen zwischen den Fraktionen gab es hingegen in Bezug auf die Organisation der Sicherheitsverwaltung und der Schulverwaltung sowie auf das Legalitätsprinzip.

Zunächst befassten sich die Abgeordneten mit der Einrichtung von Landesverwaltungsgerichten, wobei VertreterInnen aller vier Fraktionen darauf verwiesen, dass hierüber im zuständigen Ausschuss des Österreich-Konvents bereits grundsätzliche Einigkeit erzielt worden sei. Die Einrichtung von Landesverwaltungsgerichten wäre "ein wirklicher Fortschritt" in Richtung mehr Bürgerservice, meinte etwa F-Klubobmann Herbert Scheibner und betonte, die Gerichte müssten so schlank wie möglich und bürgernah organisiert werden.

Seitens der SPÖ wertete Abgeordneter Peter Wittmann die Einigung im Österreich-Konvent als vernünftigen Vorschlag. Er bekräftigte allerdings, dass die SPÖ eine Gesamtlösung in Bezug auf die Verfassungsreform anstrebe und im Zuge der Einrichtung von Landesverwaltungsgerichten auch das Verhältnis zwischen Verwaltungsgerichtshof und Verfassungsgerichtshof neu geregelt werden müsse. Derzeit sei es möglich, den VwGH und den VfGH gleichzeitig mit einem Fall zu befassen, skizzierte Wittmann, was aber zu erheblichen Verfahrensverzögerungen führe. Im Sinne der Bürgernähe und der Effizienz regte er an, zunächst ein Verfahren vor dem VwGH und erst dann gegebenenfalls eines vor dem VfGH vorzusehen. Dieser Standpunkt wurde auch vom Verfassungsexperten der SPÖ Johannes Schnizer geteilt, der sich dadurch nicht zuletzt eine entscheidende Entlastung des VwGH erwartet.

Abgeordnete Ulrike Baumgartner-Gabitzer (V) erläuterte, der im Österreich-Konvent erzielte Kompromiss sehe vor, dass die Landesverwaltungsgerichte reformatorische Entscheidungen treffen dürften. Darüber hinaus sei ein Modell "9 plus x" in Aussicht genommen, die Vielzahl gerichtsähnlicher Kollegialbehörden wolle man in die Landesverwaltungsgerichte integrieren. Darüber hinaus sprach sie sich für die Einrichtung eines Bundesasylgerichts aus. Landesverwaltungsgerichtshöfe wären, so Baumgartner-Gabitzer, ein wesentlicher Schritt zur Verwaltungsvereinfachung und würden den VwGH erheblich entlasten.

Abgeordnete Eva Glawischnig-Piesczek (G) wies auf die Überlastung des VwGH hin und unterstrich, die Grünen seien für die Einrichtung von Landesverwaltungsgerichtshöfen, auch losgelöst von einer großen Verfassungsreform. Ihre Fraktion wolle hier kein Junktim, bekräftigte sie, auch nicht mit einer Neuregelung der Verfassungsbeschwerde.

Abgeordneter Roderich Regler (V) betonte, wesentlich sei, dass der Rechtsuchende rasch zu einer Entscheidung komme. Seiner Meinung nach geht das nur durch die Einführung von Landesverwaltungsgerichten. Für Regler ist es bedeutsam, dass die Landesverwaltungsgerichtshöfe in jedem Fall in der Sache selbst entscheiden dürfen, auch in jenen Fällen, wo eine Verwaltungsbehörde ihre Entscheidungspflicht verletze.

Sowohl Abgeordneter Heribert Donnerbauer als auch Abgeordnete Maria Theresia Fekter (beide V) äußerten Zweifel, ob die Einbeziehung von Laienrichtern in die Landesverwaltungsgerichte in der vorgesehenen Form sinnvoll sei. Donnerbauer befürchtet u.a. eine Beeinträchtigung der Qualität der Entscheidungen, Fekter wertete den vorliegenden Textvorschlag überhaupt als verfassungswidrig, da sie die Gewaltenteilung als nicht gewährleistet sieht.

Dem gegenüber machten SPÖ-Verfassungsexperte Schnizer und Nationalratspräsident Khol geltend, bei der fraglichen Bestimmung gehe es um eine Überleitung der Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag in eine einheitliche Landesverwaltungsgerichtsbarkeit. Es müssten Vorkehrungen getroffen werden, dass auch jene Personen, die derzeit in den Unabhängigen Verwaltungssenaten oder in anderen gerichtsähnlichen Behörden tätig sind und nicht alle Qualifikationen hätten, zu Richtern ernannt werden können, erläuterte Khol. Dass laut Textvorschlag auch Abgeordnete bzw. Regierungsmitglieder in Entscheidungen eingebunden werden könnten, ist Schnizer zufolge lediglich ein Redaktionsversehen.

Der von der ÖVP nominierte Verfassungsexperte Klaus Poier trat dafür ein, die entsprechenden Bestimmungen zu befristen und damit nur für die Übergangsphase vorzusehen.

Abgeordneter Johannes Jarolim (S) unterstrich, die Landesverfassungsgerichte müssten uneingeschränkt in der Sache selbst judizieren können.

Zur sowohl von Abgeordnetem Peter Marizzi (S) als auch von Grün-Abgeordneter Glawischnig-Piesczek aufgeworfenen Frage bezüglich der Zustimmung der Länder zur Einrichtung von Landesverwaltungsgerichten merkte Nationalratspräsident Khol an, im Österreich-Konvent hätten die Länder den de-facto-Machtverlust der Landesregierungen akzeptiert. Es gehe allerdings noch um die Finanzierungsfrage.

ÖVP will Legalitätsprinzip "beweglicher machen"

In weiterer Folge befassten sich die Abgeordneten mit dem Legalitätsprinzip sowie dem Effizienzgebot, dem Transparenzgebot und dem Partizipationsgebot der Verwaltung. Dabei sprachen sich sowohl SPÖ, Freiheitliche als auch Grüne für die Beibehaltung des geltenden Legalitätsprinzips aus, lediglich ergänzt um eine Bestimmung über den möglichen Abschluss verwaltungsrechtlicher Verträge.

Die ÖVP will das Legalitätsprinzip hingegen, wie die Abgeordneten Ulrike Baumgartner-Gabitzer und Roderich Regler betonten, "ein bisschen beweglicher" machen. Geht es nach der ÖVP, soll der Gesetzgeber alternativ Ziele für Verwaltungsbehörden festlegen können. Dies wäre ein neuer Gedankenansatz, sagte Regler, ein gewisser Ermessensspielraum der Behörden würde vor allem im Wirtschaftsrecht raschere Entscheidungen ermöglichen. Auch der frühere Rechnungshofpräsident Franz Fiedler plädierte für eine Neuformulierung des Legalitätsprinzips.

Was den verwaltungsrechtlichen Vertrag betrifft, ist, wie die Diskussion zeigte, noch offen, ob ein solcher nur über Gegenstände hoheitlicher Tätigkeit oder auch über privatwirtschaftliche Fragen zulässig sein soll. Während etwa der von der ÖVP nominierte Verfassungsexperte Rudolf Thienel für eine Beschränkung auf hoheitliche Aufgaben eintrat, unterstützte SPÖ-Verfassungsexperte Johannes Schnizer die weitergehende Variante, die er für flexibler erachtet.

Einigkeit herrschte zwischen den Abgeordneten dahin gehend, die Organe des Bundes, der Länder und der Gemeinden zu Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu verpflichten, wobei SPÖ-Experte Schnizer zu bedenken gab, dass diese Gebote durch die entsprechenden Prüfkriterien des Rechnungshofs bereits jetzt Gültigkeit hätten.

SPÖ und Grüne wollen darüber hinaus aber auch noch ein Transparenzgebot und das Partizipationsprinzip in der Verfassung verankern. Demnach sollten Bund, Länder und Gemeinden verpflichtet sein, transparent zu handeln und grundsätzlich die Öffentlichkeit zu beteiligen, ein Vorschlag, der jedoch bei der ÖVP auf Skepsis stieß. Sie habe nichts gegen eine Partizipation der Bevölkerung, meinte Abgeordnete Baumgartner-Gabitzer, Partizipationsmöglichkeiten sollten aber in einfachen Gesetzen und nicht in der Verfassung verankert werden. Abgeordneter Regler hält es in manchen Verfahren für "völlig undenkbar", die Öffentlichkeit zu beteiligen.

Einwände gegen das Transparenzgebot und das Partizipationsprinzip kamen auch von den Verfassungsexperten Poier und Lienbacher. So stellt sich für Poier etwa die Frage der Einklagbarkeit, Lienbacher wies generell auf die Problematik von allgemein formulierten Zielbestimmungen hin. SPÖ-Experte Schnizer meinte hingegen, das Transparenzgebot sei in fast allen westlichen Staaten besser verwirklicht als in Österreich, räumte aber ein, dass man diese Frage auch im Zusammenhang mit der Amtsverschwiegenheit regeln könnte.

SPÖ will Schulverwaltung und Sicherheitsverwaltung neu organisieren

Die Reformvorschläge der SPÖ zur Frage der Schulverwaltung erläuterte Abgeordnete Elisabeth Grossmann. Sie sieht die Notwendigkeit, die Prinzipien Chancengleichheit, Demokratisierung, Partizipation und das Bekenntnis zum öffentlichen Schulwesen stärker in den Vordergrund zu stellen. Die SPÖ schlägt u.a. vor, den Schulen mehr Autonomie zu geben und darüber hinaus Bildungsregionen vorzusehen, die - mit Ausnahme von Spezialschulen - das gesamte Bildungsspektrum abdecken sollten. Zielvorgaben für die Bildungsregionen sollten durch ein demokratisch legitimiertes Kollegialorgan auf Landesebene erfolgen, dem Bund würde die Gesetzgebung im Schulbereich zukommen.

Ablehnend zu den Vorschlägen der SPÖ äußerten sich Abgeordneter Werner Amon (V) und F-Klubobmann Herbert Scheibner. Beide wiesen darauf hin, dass kürzlich eine umfassende Schulreform beschlossen worden sei. Man könne durchaus eine intensive Debatte über die Neuordnung des öffentlichen Schulwesens führen, sagte Scheibner, die Umsetzung sollte aber auf einfach gesetzlicher und nicht auf verfassungsrechtlicher Ebene erfolgen.

Auch in Bezug auf die Organisation der Sicherheitsverwaltung waren sich die Fraktionen uneinig. Hier schlägt die SPÖ eine zweistufige Organisation - Generaldirektion und Polizeidirektionen - vor, wobei, wie Abgeordneter Peter Wittmann (S) erklärte, die Polizeidirektionen weder mit den Ländergrenzen noch mit den Bezirksgrenzen übereinstimmen müssten. SPÖ-Experten Johannes Schnizer zufolge wäre dies eine äußerst effiziente Behördenstruktur, die bestehende Parallelstruktur zwischen Exekutivapparat und Sicherheitsbehörden würde damit abgeschafft. Derzeit könnten beispielsweise die Bezirkshauptmannschaften keinen direkten Einfluss auf die Exekutivbeamten nehmen, skizzierte er. Auch Abgeordneter Wittmann hob die schlankere Struktur der Sicherheitsverwaltung bei Umsetzung des SPÖ-Vorschlags hervor und sprach von einer kostengünstigeren, schnelleren und bürgernäheren Variante.

Sowohl die Freiheitlichen als auch die ÖVP orten jedoch keine Chance, in dieser Frage zu einem Konsens zu kommen. Bundesrat Franz Eduard Kühnel und die Abgeordneten Christoph Kainz und Maria Theresia Fekter (alle V) sehen keine Notwendigkeit dafür, auf die ihrer Ansicht nach bewährte Struktur der Bezirksverwaltungsbehörden zu verzichten. Für Fekter wäre das ein Schritt weg vom Bürger und von effizienten Einheiten. Abgeordneter Kainz fürchtet eine Ausdünnung des ländlichen Raums.

Die nächste Sitzung des Besonderen Ausschusses ist für den 19. April in Aussicht genommen. Das Thema dieser Sitzung: "Sicherheitspolitische Grundsätze". Am 16. Mai wird sich der Ausschuss u.a. mit den Themen Kompetenzverteilung, Bundesrat und Finanzverfassung befassen, am 7. Juni steht das Thema "Demokratische Kontrolle" zur Diskussion. Die Schlussberatungen des Ausschusses sind für 4. Juli geplant. (Schluss)